Komisch, das gerade von LostLover (der ja auch schon eine ganze Zeit unterwegs ist) die Ansicht kommt, dass außerhalb des Metals 30 Watt eigentlich völlig ausreichen. Schlagt mich, aber das widerspricht definitiv meiner Auffassung!
Das kann ich einfach mit persönlicher Erfahrung erklären. Die sieht so aus, daß ich in den letzten ca. 15 Jahren in einer Handvoll Bands E-Gitarre gespielt habe. Darunter eine Independent-Rock-Band, eine klassische Rock-Cover-Band, eine Bluesrockband, ein Beatles-Cover-Projekt, eine Pop-Cover-Band und dann noch die eine oder andere Spaß-Session nebenbei.
Ich habe einen relativ klassischen 60's / 70's Rocksound, kein high-gain, aber auch nie richtig clean.
Ich habe in der Vergangenheit diverse Amps benutzt.
- In der 15-20 Watt Klasse einen alten Fender Super Champ und aktuell einen Egnater Tweaker.
- In der 30 Watt-Klasse einen Laney AOR 30 und (immer noch) einen Sovtek Mig 50
- In der 50-60 Watt-Klasse einen Marshall JTM 60, einen alten Fender Concert und (aktuell) einen Kitty Hawk Junior
Da hingen dann auch noch nach Bedarf 1x12, 2x12" oder 4x10" Boxen dran. UNd dann habe noch den einen oder anderen Leih-Amp ausprobiert.
Ich habe die großen 60-WattAmps zu keinem Zeitpunkt weiter als 1/3 aufreissen können, ohne ernsthaft Streß mit dem Rest der Band / dem Mischer / dem Publikum zu kriegen. Diese Amps hab ich fast durchweg clean gefahren und die Zerre aus "zweikanaligen" Pedalen geholt. Der Fender hat mir einen Tinnitus besorgt, an einem Proben-Abend, an dem ich versucht habe, den cleanen Kanal in die Sättigung zu fahren (kein Witz).
Die 30er (insbesondere den Laney) konnte ich i.d.R an den Sättigungspunkt bringen, an dem man mit seinem Anschlag über Clean oder Zerre entscheidet. Da hänge ich dann einen einfachen OD oder Booster davor, um sie für Soli zu treten. Allerdings sind die in etwas dezenteren Umfeldern schon viel zu laut. Mit dem Sovtek ( Bassman/JTM45-Einkanaler) geht in "normalen" Clubs nur clean. Wenn ich versuche, den zum Zerren zubringen, gibt's Ärger von allen Seiten - sogar auf relativ großen Bühnen. Ohne OD-Pedal plus Boost geht da nix.
Der 18-Watt Super Champ (mit 12"-Speaker nachgerüstet) war in der Pop-Band schon grenzwertig. Er wurde da als zu laut empfunden. Auf größeren Bühnen und in lauteren Bands kann er für Rhythmus-Sounds gut mithalten, komprimiert aber dann zu stark, um ein Solo nach vorn zu bringen. Da müssen dann die anderen leiser werden. Den kann man aber am Gitarrenvolume ohne großen Lautstärke-Verlust schön clean machen. Mit dem 10"-Speaker hab ich damit auch schon mal einen Saal bei einer Jazz-Session bespielt. Bei einer lauteren Besetztun und mit dem originalen 10"-Speaker kann er aber nicht mehr mithalten. Der Tweaker hingegen ist in meiner Blues-Rock Band genau richtig. Wenn ich mit der Tele reingehe, ist der auch bei normaler Bandlautstärke noch clean. Ich kann ihn aber so einstellen, daß er den Zerrpunkt erreicht, den ich für Rhythmus brauche, aber noch genug Headroom drin ist, um einen Soloboost auch wirklich lauter und nicht nur dicker zu machen. Erstaunlich, denn der hat nominal die gleiche Wattzahl wie der Fender. Ist aber deutlich lauter.
Ein früherer Co-Gitarrist hatte einen Hod Rod Deville, 60 Watt, 2x12. Der war entschieden zu laut, u.a. aufgrund der bescheuerten Regelcharakteristik dieses Amps, der bis 2 wie ein Moskito in der Dose klingt, einem bei 2,5 ohne Vorwarnung ins Gesicht springt, ab 3 zu laut ist und ab 3,5 nicht mehr lauter wird, sondern nur mehr zerrt. Hat mir keinen Spaß gemacht, immer gegenan halten zu müssen.
Mein Band-Kumpel und Mitgitarrist spielt aktuell einen Egnater Renegade - auf 18 Watt-Einstellung und er ist wunderbar zu hören. Davor hatte er einen Peavey Classic 30 ( über eine 2x12"-Box). Auch da kam er nie in Verlegenheit, zu leise zu sein. Sein alter Musicman 112 sixty dagegen hat die Eigenschaft, zu einem unberechenbar brüllendem Monster zu werden, wenn die Röhren warm werden. Das gleiche kann ich von einem mir bekannten Vox AC 30 sagen: alles prima im ersten Set und dann nach ca. einer Stunde gefühlte 9 dB mehr (und damit: zu laut!), ohne daß man einen Regler berührt hätte.
Bei 100-Wattern sehe ich dann immer mal wieder Kollegen, die vor der Wahl stehen, entweder sich Feinde zu machen oder beschissen zu klingen. Viele Amps in der Leistungsklasse kennen halt nix dazwischen. Zugegeben: es sind weniger geworden und viele "moderne" amps klingen auch leise recht passabel.....aber wozu dann diese riesigen, schweren monster auf oft klitzekleine Bühnen schleppen?
Achja, und dann hab ich mal eine Zeit lang am Mischpult gearbeitet. Von der Warte aus: aus einem kleinen Amp mit Mikrofonierung oder Speaker-Simulation einen richtig fetten Sound zu holen, ist ein Kinderspiel. Ein 100-Watt-Halfstack, das von der Bühne bläst, macht dagegen den gesamten Band-Sound kaputt. Dagegen den Rest der Band adäquat abzumischen, nervt einfach nur oder ist in vielen Fällen sogar unmöglich. Und wenn dann Leute aus dem Publikum nölen, man solle die Gitarre mal leiser drehen - der Gitarrenkanal aber schon gemutet ist, haha! - ist man nicht mehr wirklich motiviert, sich um den Sound dieser Band Gedanken zu machen. In einem Fall, bei gleichzeitig sehr ungünstiger Raumakustik, hat das sogar schon mal ein Gitarrero mit einem Fender Blues Deluxe (40W) geschafft, daß die PA den Gitarrenwahn nicht mehr kompensieren konnte.
Vor dem Hintergrund: 15 Watt können (!) reichen, wenn das Umfeld passt und ein guter Speaker dranhängt, 30 sind auf der sicheren Seite. Alles darüber aus Gitarristensicht: Ich habe noch nie (!!) das Bedürfnis gehabt, mehr als 60 Watt und eine 2x12"-Box auf die Bühne zu schleppen. Ich muß mir jetzt ja schon bei jeder Gelegenheit das "zu laut!"-Dauergequengel anhören - und hab mir mit einem 60-Watt/1x12" Amp im CleanKanal (!) beinahe das Gehör weggeschossen. Aus Mischer-Sicht: wofür gibt's Monitoring?
Sorry, daß das so ausufernd war, aber ich hielt es für sinnvoll, mal zu skizzieren, wie meine persönlichen Erfahrungen mit dem Thema sind, um den Hintergrund meiner Aussage zu beleuchten. Andere Mucker können andere Erfahrungen gemacht haben, meine führen dazu, von Amps über 60 Watt durchweg abzuraten.
(Disclaimer: ich rede ausschließlich von Röhrenamps und NICHT von Metal!)