Ist bei Euch so, dass ihr alle Eure Lieder cool findet?
Als ich zwischen 16 und ca. 23 war, fand ich fast alles von mir großartig. Danach setzte ein gewisser Realismus ein und ich musste mir eingestehen, dass ich bestimmte Sachen gut kann, aber auch Grenzen habe. Und auch andere Eltern gute oder sogar bessere MusikerInnen hervorgebracht haben.
Das heißt nicht, dass ich mich danach in Selbstzweifel und Depressionen verloren habe. Ich habe dann meist eine (nicht vorsätzllich geplante, sondern zufällige) künstlerische Pause eingelegt - die konnte gut auch zwei, drei Jahre dauern. Der Zufall, neue Milieus oder Menschen haben dann meistens für neuen Input gesorgt. Und auch dafür, dass ich meine Talente neu zu schätzen und zu inszenieren gelernt habe – allerdings ohne die irreale Selbstüberschätzung meines früheren Teen/Twen-Ichs.
Es gibt ja nun auch Graustufen und nicht nur kacke oder cool. Es gab eine Zeit (noch vor der kompletten Digitalisierung), wo ich allein mit Recording, MIDI und Samples experimentiert habe. Ich musste aber feststellen, dass weder mein Können, noch die Technik ausreichten, meine Visionen final umzusetzen. Ich wollte etwas zu viel. Das führte dazu, dass nichts richtig fertig wurde. Aber "schrecklich" fand ich die Ergebnisse nun auch nicht.
Erleichterung brachte die Rückkehr zu Minimalismus und Einfachheit.
Bei 10 Texte kann man doch noch keinen guten schreiben, oder?
Doch - mitunter schon, allerdings nicht bei dir. Du hast hier ja
schon einen Text vorgestellt und da sag ich mal: Du solltest die von x-riff geäußerte Kritik annehmen und noch ein bisschen länger üben, statt "auf Zeit" im Akkord zu texten
Ok, manchmal gucke ich auf die Charts und sehe, wie simpel aufgebaut sind.
Simpel heißt nicht unbedingt schlecht.
Die Charts sind aber auch kein Maßstab für Qualität, sondern nur für einen messbaren temporären Konsens, der näher betrachtet sogar recht überschaubar ist. Wenn zb eine Million Deutsche in einem kurzen Zeitintervall Helene Fischer konsumiert/gekauft haben, heißt das im Umkehrschluss aber auch, dass geschätzte 49 Millionen
* potenzielle Konsumenten Helene Fischer doof finden oder sich nicht näher dafür interessieren. Was diese 98% stattdessen hören, ist nicht ermittelbar. Aber darunter wird es schon einige Milliönchen geben, die weniger simpel aufgebaute Musik bevorzugen (die durchaus auch mal in den Charts gewesen sein kann, aber nicht muss).
* Ich hatte mir das schon mal genauer ausgerechnet (Gesamteinwohnerzahl minus Säuglinge/Kleinkinder minus Gehörlose usw). Die genaue Zahl weiß ich nicht mehr, aber die Aussage ist ja klar. Eine Million ist kommerziell gesehen zwar relevant, aber im Verhältnis zur Gesamtheit ein ziemlich kleiner Posten. Sogar dann noch, wenn man nur die unsinnige "Werberelevante Zielgruppe der 14-49jährigen" mit 34 Mio als Grundlage nähme.
In der heutigen Welt meckern alle, dass Musik scheißer geworden und Schlechte nicht mehr von Guten zu unterscheiden ist. Wir haben keine Chance mehr, 'gute' Musik zu machen.
Sie ist nicht "scheißer" geworden, sondern vorhersehbarer, akademisierter und vor allem: Dank Internet inflationär verfügbar und damit wertlos. Das heißt: Ihr habt mehr Möglichkeiten denn je, "gute Musik" zu machen: Equipment ist billiger denn je, an jeder Ecke gibt es Tutorials und Foren, die einem vermitteln, wie man das angeblich "richtig" macht und auch das Lehrangebot ist ungleich vielfältiger. Aber da ihr diese Musik eben verschenkt, wird es kaum jemanden kümmern, da der Konsument eben die Wahl hat zwischen euch und zig Millionen anderen, die die gleiche gute Musik machen.
Es hat sich bei mir oft so ergeben, dass ich musilkalisch etwas anderes gemacht habe, als die meisten (zumindest im lokalen Mikrokosmos), wodurch ich einen Aufmerksamkeitsvorteil hatte. Das ist heute kaum mehr möglich. Und komischerweise scheint das auch niemand mehr zu wollen. Lieber will man wissen, wie man es "richtig" macht – und "richtig" heißt dann eben: So, wie es die meisten machen.
EDIT: Zusammengefasst: Das musikalische Grab schaufelt ihr euch selbst durch:
- Entwertung durch kostenloses Verbreiten
- Angst, etwas anders und damit "falsch" zu machen.
Das ist sogar nachvollziehbar. Damit verschenkte Musik überhaupt eine Chance hat, sich irgendwann doch auszuzahlen, braucht man Millionen Plays/Follower. Da ist die Risikobereitschaft natürlich nicht besonders hoch.