Theorie zu ungeraden/unüblichen Taktarten

  • Ersteller sj.design
  • Erstellt am
S
sj.design
Registrierter Benutzer
Zuletzt hier
30.07.10
Registriert
28.03.10
Beiträge
7
Kekse
19
Hallo,

ich interessiere jetzt schon einige Jahre sehr für ungewöhnliche Taktarten (zumindest im hiesigen kulturellen Umfeld) wie z.B. 5/8, 7/8, 11/8 etc. und bin daher auch der Suche nach Literatur darüber. In vielen Theoriebüchern werden solche Taktarten oft mit ein paar Sätzen á la "...und darüber hinaus gibt es noch ungewöhnliche Taktarten wie 7/8 usw die sich in verschiedene 2er und 3er Gruppen einteilen lassen ...").

Was ich suche wären eher Meinungen und Ideen, was sich mit diesen Taktarten machen lässt, was man damit evtl. ausdrücken kann, das in "gewöhnlichen" Taktarten nicht so gut funktioniert. Welche Emotionen oder Bewegungen damit verknüpft werden können? Eventuell wären auch mathematische Erklärungen oder Zusammenhänge interessant. Hab z.B. schon öfters Andeutungen auf die Bedeutung von Primzahlen in der Musik gelesen - gibt es da im rhythmischen Bereich vielleicht auch Theorien? Vielleicht hab ich ja auch einfach nur in den falschen Büchern gesucht...

Außerdem würde mich auch sehr interessieren ob es für rhythmisch komplexere Strukturen (z.B. Polyrhythmik etc.) experimentelle Darstellungsformen gibt, wie das für die Harmonie teilweise bei modernen Komponisten versucht wurde (wie hier: http://www.youtube.com/watch?v=SZazYFchLRI)?

Mir geht es nicht unbedingt nur um wissenschaftlich belegte und einwandfrei korrekte Theorien und Beweise, sondern einfach um interessante Experimente und Ideen in diesem Bereich, die nicht gänzlich ins Esoterische und Fantastische abdriften. Ich hoffe die Frage ist nicht zu allgemein oder unverständlich ausgedrückt! Danke schonmal, an alle die sich die Mühe machen!
 
Eigenschaft
 
Was ich suche wären eher Meinungen und Ideen, was sich mit diesen Taktarten machen lässt, was man damit evtl. ausdrücken kann, das in "gewöhnlichen" Taktarten nicht so gut funktioniert.

Das wären musikalische Kochrezepte, und die gibt es nicht, weil die Vorerfahrung der Hörer sehr sehr unterschiedlich sein kann. Es gibt aber Traditionen, wie in bestimmten Musikkulturen bestimmte Taktarten verwendet werden. Diese Traditionen kann man kennen und beherrschen lernen und mit diesen Stilmitteln Assoziationen wecken. Dann ist die Taktart aber nur ein Faktor unter vielen: du kannst soviel 11/8-Takte schreiben wie du willst, erst wenn du die typische Harmonik, Melodik und evtl. Sprache einer bestimmten Kultur verwendest, wirst du bei deinen Hörern diese Kultur assoziieren. Ich denke da an Musik vom Balkan oder afrikanische Musik.

Die Taktart alleine assoziiert noch gar nichts, und daher ist der Ansatz "was kann man mit einer Taktart ausdrücken" zu kurz gegriffen.

Welche Emotionen oder Bewegungen damit verknüpft werden können? Eventuell wären auch mathematische Erklärungen oder Zusammenhänge interessant. Hab z.B. schon öfters Andeutungen auf die Bedeutung von Primzahlen in der Musik gelesen - gibt es da im rhythmischen Bereich vielleicht auch Theorien? Vielleicht hab ich ja auch einfach nur in den falschen Büchern gesucht...

Besorge dir das Buch von Peter Giger "Die Kunst des Rhythmus" aus dem Schott-Verlag. Darin gibt's neben wichtigen Grundlagen auch viele Hintergründe zu nichteuropäischen Taktarten. Sehr zu empfehlen!

Außerdem würde mich auch sehr interessieren ob es für rhythmisch komplexere Strukturen (z.B. Polyrhythmik etc.) experimentelle Darstellungsformen gibt, wie das für die Harmonie teilweise bei modernen Komponisten versucht wurde

Giger schlägt die Rhythmoglyphen vor. Das könnte das sein, was du suchst.

Harald
 
Ich denke Polyrhythmen würde ich so darstellen, dass ich für jedes Notensystem die entsprechende Taktart notiere, und die Taktstriche des einen Notensystems durch gestrichelte Linien bis in das andere Notensystem verlängere. Stimmen die Taktstriche benachbarter Notensysteme zeitlich einmal überein, so kann man auch eine durchgezogene Linie verwenden, die man als Taktstriche einer globaleren Taktart interpretieren kann.

Mit Mathematik kann man in dem Bereich Taktarten sicher einige interessante Dinge machen. Z.B. könnte man von zwei (oder mehr Rhythmen) den ggT bestimmen; also den größten Notenwert, der ein ganzzahliger Teiler beider Taktlängen ist. Z.B. gilt ggT(4/4, 3/4) = 1/4, also eine Viertelnote. Weiterhin kann man das kgV bilden, also die kleinste Taktart, die beide Taktarten enthält. In unserem Beispiel: kgV(4/4, 3/4) = 12/4. Durch das kgV ergibt sich also eine Art globale Taktart, in die sich alle lokalen Taktarten einfügen lassen. Das Gleiche funktioniert natürlich auch mit mehr als 2 Taktarten: ggT(4/4, 3/4, 5/8) = 1/8, und kgV(4/4, 3/4, 5/8) = 120/4.

Ähnlich kann man auch bei einem einzelnen konkreten Takt das gröbste Raster ermitteln, in welches alle enthaltenen Noten fallen, wobei man das Ende einer Note berücksichtigen oder ignorieren kann. Besteht z.B. ein 4/4-Takt aus zwei punktierten 4-teln und einer gewöhnlichen 4-tel, so erhält man ein 8-tel-Raster. Ist der selbe Takt in 4-tel-Triolen unterteilt, so ergibt sich entsprechend ein 4-tel-Triolen-Raster. Hier könnte es interessant sein, die Taktart basierend auf dem Notenwert zu notieren, auf dem das Raster basiert; also im ersten Fall ein 8/8-Takt, im zweiten ein 6/6-Takt (4-tel-Triole = 1/6). Bei dieser Notation erhält man allerdings oft nicht die "gefühlte" Taktzeit, da ein paar Synkopen, Triller, Vorhaltsnoten etc. nicht den kompletten Rhythmus umschmeißen. Auch hängen Rhythmus und Harmonik sehr stark miteinander zusammen, und selbst bei aufeinanderfolgenden 16-teln kann durch die Tonhöhe bedingt ein eigener Rhythmus entstehen.

Ich denke auch dass man ungewöhnliche Rhythmen wie z.B. 13/16 nicht unbedingt als solche hören muss, sondern auch oft als variierten Rhythmus wahrnimmt, den man um einen kleinen Notenwert verlängert oder verkürzt hat, z.B. 13/16 = 6/8 + 1/16. Als Beispiel hier mal ein Stück aus dem Anime Death Note, bei dem ein Rhythmus dadurch variiert wird, dass er jedes zweite Mal um eine Note länger gespielt wird: L's Theme A

Das waren nur ein paar Ideen / Ansätze, die mir zu dem Thema einfallen, wirklich intensiv habe ich mich damit (leider) noch nicht beschäftigt. Ich finde das Thema aber durchaus interessant, und würde mich über weitere Beiträge freuen. ;)
 
Zuerst einmal: Vielen Dank für die Antworten und Anregungen!

@HaraldS: Es stimmt, meine Formulierung war leider doch zu allgemein - natürlich kann man sich nicht wirklich erwarten, dass bestimmte Taktarten konkrete Assoziationen wecken oder mit ganz bestimmten Gefühlen assoziert werden können. Dass in anderen Kulturen für uns unübliche Taktarten durchaus nichts seltenes sind, ist mir bewusst und auch ein interessanter Ansatzpunkt für weitere Recherche. Allerdings ist es da nochmals schwieriger, Theoriebücher zu finden (vor allem deutschsprachige)... Falls es die überhaupt gibt, denn schließlich ist das in vielen Ländern ja die einfache Volks- und Tanzmusik, die ja vielfach kaum durch Theorien erklärt wird. Falls jemand Buchtipps in diesem Bereich hat, wäre ich natürlich auch sehr dankbar!

Danke für den Buchtipp. "Die Kunst des Rhythmus" klingt wirklich interessant und scheint wirklich ziemlich genau in die Richtung zu gehen, die mich interessiert. Werde mir das Buch auf alle Fälle so bald wie möglich zulegen.

@HëllRÆZØR: Danke für die Ideen. Das mit der Polyrhythmik-Darstellung mit Kennzeichnung von Übereinstimmungen und der "globaleren Taktart" finde ich interessant. Wäre für einfache Experimente super, wenn das z.B. auch in Programmen wie Guitar Pro funktionieren würde... bei Notationsprogrammen könnte es ja vielleicht gehen.

Die Bildung von GGT und KGV macht man bei rhythmisch komplexerem Zusammenspiel ja oft automatisch. Ich habe das zumindest beim Herumexperimentieren mit dem Schlagzeuger unserer Band häufiger gemacht - wobei dann oft beim KGV wirklich sehr große (fast schon unüberschaubare) "Taktarten" herauskommen. Auf 120/4 sind wir aber noch nie gekommen... häufig löst man sowas ja auch irgendwann durch einen einzelnen verkürzten oder verlängerten Takt der einen Stimme auf, damit es sich schon früher wieder ausgeht.

Zu dem verlinkten Lied, kann ich leider erst was sagen, wenn ich eine Gelegenheit zum anhören finde. Es freut mich aber schonmal sehr, dass jetzt doch interessante Antworten und Ansätze aufgetaucht sind.

Johannes
 
Ein befreundeter Mitmusiker (Shakir Ertek) von mir hat ein Buch über türkische Rhythmen geschrieben (gerade und ungerade Rhythmen von 2 bis 15 Schlägen). Vielleicht ist das was für Dich. Er ist ein türkischer Schlagzeuger, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt. Die türkischen Rhythmen werden in 2er und 3er-Gruppen geteilt, es wird viel mit Sprachsilben gearbeitet, um sich in die Rhythmen hinein zu finden ("Dümetek"). Das Buch gibt es natürlich auch im Handel (z.B. hier). Es ist allerdings nicht in Deutsch, sondern in Englisch verfasst, wenn man etwas nicht vesteht könnte man ihn aber einfach fragen.

Viele Grüße,
McCoy
 
@McCoy: Danke - das Buch klingt auch sehr interessant. Findet man darin auch Informationen wie sich diese komplexen Rhythmen entwickelt haben bzw. wie sich ihre Entstehung erklären lässt? Habe vor einiger Zeit mal gelesen, dass die Bevorzugung gerader Taktarten in der abendländischen Musik (vor allem was die "Tanzmusik" betrifft) teilweise mit dem Umstand erklärt wird, dass wir 2 Füße haben! Aber zu der rhythmisch häufig komplexen türkischen oder bulgarischen Musik wird doch auch getanzt... Das Argument ist also nicht allgemein zutreffend.

Vielleicht könntest du deinen Mitmusiker bei Gelegenheit mal fragen, ob es da Erklärungen bzw. auch Buchtipps gibt! Wäre super.

Johannes
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben