Die Frage ist doch, wozu man Harmonielehre bzw. Kompositionslehre braucht. Wer nur Stücke nachspielen will, muß halt nur schauen, daß er die richtige Saite zur Richtigen Zeit anschlägt...
Was will man denn erreichen?!?
So kann z.B. Harmonielehre helfen, das Ohr zu schulen. Oder schnell die "richtigen" Akkorde oder Tonleitern zu finden. Weiterhin bietet sie ein umfangreiches Analysewerkzeug, mit der man neue Dinge zuordnen kann und sich ggf. besser merken kann. Oder man kann bekannte Harmoniefolgen durch unbekanntere, modernere, exotischere ersetzen...
All das geht jedoch nicht nur mit dem Kopf - die meisten denken, Harmonielehre würde man auswendig lernen können. Das ist nur z.T. richtig, im Prinzip ist es so, daß man mit den Wissen die Buchstaben hat, doch um Sätze bilden zu können, muß man Denken können - und das geht bei einem Musiker bekanntlich mit dem Ohr - jawoll! - der Musiker denkt mit dem Ohr. Und somit muß das Ohr denken lernen, und das kann es nur, wenn man es trainiert.
So nützt es wenig zu wissen, daß die II. diatonische Stufe in Moll steht, wenn man sich kein "Bild" davon machen kann. Die ganze Theorie nützt dann nichts, wenn man das nicht erlernt hat. Und darum geht es. Daher empfehle ich auch immer den Quintenzirkel, weil so das Ohr hört. Wer´s kompliziert will, kann das auch über Skalen erlernen - ich bin allerdings anderer Meinung, wie wohl allseits bekannt ist.
Als Grundlage muß man den - wie ich ihn nenne - Großen diatonischen Quintfall hören lernen:
VIIm7/b5 - IIIm7 - VIm7 - IIm7 - V7 - Ij7 - IVj7
- wobei man erkennen muß, daß der vorletzte Akkord die TONIKA ist.
- wobei man auch wissen muß, woher diese Akkordfolge herkommt - nämlich aus der Tatsache, daß sie sich von der DUR-Tonleiter ableiten läßt und alles leitereigene - daher DIATONISCHE - Akkorde sind.
- wobei man diese Reihe aufwärte u n d abwärts im Ohr haben muß.
- wobei der Quintenzirkel hier wunderbar hilft.
Man muß auch Teil-Sequenzen daraus erkennen und hören können:
So z.B. VIIm7/b5 - IIIm7 oder Ij7 - IVj7
Jetzt kann man sich den Spaß machen, für jede der Stufen die Skala zu erlernen. Unnötige Arbeit, sage ich, weil wir ja in der Tonart der Tonika sind. Selbst wenn das tonale Zentrum, also dem Zentrum, das gerade vorwiegt, z.B. auf der II. Stufe stattfindet - was man sicher auch mit "dorisch" ausdrücken kann...
Es muß halt klar sein, daß wenn ein m7/b5-Akkord irgendwo auftaucht, es sich wohl um eine VII. Stufe handeln kann. Die Funktionstheorie bietet hier noch einen Ansatz: Es könnte auch ein verkürzter Dom7/9-Akkord sein, also eine V. Stufe ohne Grundton - und damit haben wir auch schon 95% aller Ausnahmen abgedeckt - wer das so hört, kann bald die Gesellenprüfung ablegen...
Als Nächstes muß man sich der Tatsache bewußt sein, daß Dominantseptakkorde, also Akkorde auf der V. Stufe, endlos aneinander gereiht werden können. Das bedeutet, daß der Dom7 gleichzeitig eine neue Tonart etablieren kann, wie in der Verbindung V-I, also Dominante zu Tonika - aber auch diese aufheben kann bzw. neu ausrichten kann. Das merkt man an Dominantketten, wobei ich das als einen einzigen Dominantring ansehe.
Dann muß man hingehen und einzelne Akkorde des großen diatonischen Quintfalls mit Dom7-Akkorden austauschen. Hier lernt man am meisten:
so z.B. fängt man mit der Doppeldominante am besten an, die zwei Quintenzirkelgrade von der Tonika entfernt liegt:
VIIm7/b5 - IIIm7 - VIm7 - II7 - V7 - Ij7 - IVj7
So klingt also eine Doppeldominante...
Die Trippeldominante klingt dann so:
VIIm7/b5 - IIIm7 - VI7 - IIm7 - V7 - Ij7 - IVj7
Die Quadruppeldominante so:
VIIm7/b5 - III7 - VIm7 - IIm7 - V7 - Ij7 - IVj7
Hier wird dann auch klar, woher sich Molltonarten ihre Dominante herleiten...
Nun, die Quintuppeldominante überlasse ich jedem selbst. Ebenso, die Reihen mal zu vermischen.
Den Stufen dann die korrekten Funktionen zuzuweisen, ist dann auch kein Problem, zumal es hier im Forum mittlerweile einiges zu gibt, deshalb lasse ich das mal hier weg.
Wie gesagt, diese Kadenzen muss man hören können, sonst ist echt Essig und man kann sich alle Theorie sparen, wirklich. Ich glaube nicht, daß es jemanden gibt, der trotz Fleiß das nicht hören lernen kann. Wenn doch, dann ist die Musik sicher das falsche Hobby...