Das Thema "Text für (Pop-)Songs schreiben" hat mich nun doch so interessiert, dass ich hier versuchen will, dafür eine konstruktive Antwort zu geben.
Mein Ansatz hier ist sehr strukturiert, d.h. ich analysiere die Aspekte eines Textes und baue daraus ein "Verfahren" zum Textschreiben.
Über alternative Ansätze ("Herumprobieren", "Intuition") haben andere Leute in anderen Threads schon geschrieben - da muss (und kann) ich nichts mehr beitragen.
Damit mein Ansatz nicht missverstanden wird: Hier kommt kein "Kochbuch" - trotz der strukturellen Herangehensweise muss man ein Gefühl für Worte und Sprache haben, und man muss etwas sagen wollen.
Ich werde kurz an ein paar Texten (aus den aktuellen Top 10 einer Hitliste) die Aspekte erklären; und dann mich selbst an zwei Texten versuchen. Ich bin ein Laie, der "für sich" hin und wieder Texte schreibt - meine Versuche unten sind
nicht das, was ich normalerweise schreibe und schreiben will, denn dann investiere ich viel mehr Zeit und werfe auch genügend wieder weg.
Dann kann jede/r gern daraus lernen, dass man's so machen kann - oder dass das garantiert nichts für sie/ihn ist.
1. Songtexte haben eine grundlegende "
Idee". Diese Idee kann im großen und ganzen in eine von dreierlei Richtungen gehen:
- "Abstrakt(er)" - Beispiel "Prayer in C": "You don't love me, which means that the world is being destroyed"
- "Konkret(er)" - Beispiel "Au revoir" (Forster): "Nix wie weg", "One day" (): "I have a dream ..."
- "Sprachlich" - Beispiel "Atemlos" (Fischer)
Wie hilft das beim Text schreiben?:
Diese drei Richtungen kann man nicht wirklich trennen - aber man kann sich auf diese drei Arten inspirieren lassen: Will ich etwas "Abstraktes andeuten", etwas "Konkretes erzählen", etwas "Sprachliches klingen lassen"?
2. Das
Versmaß, d.h. im wesentlichen der Rhythmus. Tatsächlich haben viele Songtexte ein erkennbares Versmaß - die heutigen Texter verwenden diese Sprachstruktur, wie alle Dichter seit Jahrtausenden das tun. Ob die Komponisten dann "mit" oder "gegen" das Versmaß vertonen, ist eine andere Frage - beides kann richtig sein. Hier sind ein paar Beispiele:
"Prayer in C" (Lilly Wood & The Prick) hat ein jambisches Versmaß:
You never said a word
- u - u - u
You didn't send me no letter
- u - u - (-) u -
Don't think i could forgive you
- u - u - u -
See our world is slowly dying
- u - u - u - u -
usw.usf.
"Auf uns" (Andreas Bourani) ist daktylisch:
Wer friert uns diesen Moment ein
- u (-) - u - - u -
Besser kann es nicht sein
u (-) - u - - u
Denkt an die Tage, die hinter uns liegen
u - - u - - u - - u -
Wie lang wir Freude und Tränen schon teilen
- u (-) - u - - u - - u -
"Summer" (Calvin Harris) ist jambisch:
When I met you in the summer
u - u - u - u -
To my heartbeat's sound
u - u - u
We fell in love
- u - u
As the leaves turned brown
- - u - u
Allerdings gibt es auch vollständig freie Verse, etwa "Au revoir" (Mark Forster).
Wie hilft das beim Text schreiben?:
Wenn man sich in einen Rhythmus "einswingt", dann fallen einem schneller Fortsetzungen ein. Außerdem "arbeitet" man mehr mit dem Text - man hat nicht so sehr das Gefühl der Willkürlichkeit ("wieso sollte der Text gerade so weitergehen?"), sondern es macht eben rhythmisch Sinn "so fortzusetzen", auch wenn es vielleicht inhaltlich etwas "riskant" ist.
Umgekehrt akzeptiert auch der Zuhörer (oder Komponist) einen "swingenden" Text eher als "richtig" als eine beliebige Prosa (anders gesagt: Rhythmus überbügelt manche anderen Schwächen ...).
3.
Reime
Man kann "wie von alters her reimen" - Beispiele:
"Love runs out" (OneRepublic)
I'll be your LIGHT, your match, your burning SUN,
I'll be the BRIGHT and black that's making you RUN.
And I feel alRIGHT, and we'll feel alright,
'Cause we'll work it out, yeah we'll work it out.
I'll be doin' this, if you ever DOUBT,
'til the love runs out, 'til the love runs OUT.
...
Ooh, we all want the SAME THING.
Ooh, we all run for SOMETHING. [kein "richtiger" Endreim]
Oh for God, for FATE,
For love, for HATE,
For gold, and RUST,
For diamonds, and DUST.
Allerdings erlauben (und verwenden) Gesangstexte häufig "Nahezu-Reime", die ein "angenehmes Gefühl der Zusammengehörigkeit der Worte" erzeugen - Beispiele:
"Summer" (Calvin Harris):
When I met you in the summer
To my heartbeat's SOUND
We fell in love
As the leaves turned BROWN
"Auf uns" (Andreas Bourani)
Hier geht jeder für jeden durchs FEUER
Im Regen stehen wir niemals allein
Und solange unsere Herzen uns STEUERn
Wird das auch immer so sein
Wie hilft das beim Text schreiben?:
Gerade die "Nahezu-Reime" helfen, weitere Worte zu finden. Und wie beim Rhythmus akzeptiert ein Zuhörer eher weit hergeholte sprachliche Konstrukte, wenn sie sich ganz oder nahezu reimen.
4.
Form
Wie bei der musikalischen Form ist schon beim Texten eine Form ein Anhaltspunkt. Ich habe ein Lied mit dem Titel "Come light, come sun" geschrieben (das war mein "Hook" - mehr als diese eine Zeile hatte ich lange nicht). Nach einiger Zeit ist mir die Form eingefallen: Erste Strophe "Tagesbeginn", zweite Strophe "Tag", dritte Strophe "Sonnenuntergang".
Eine häufige Text-Konstruktion scheint mir zu sein, dass "etwas abstraktere" und "etwas konkretere" Textteile sich abwechseln. Typisch ist das natürlich für das übliche Strophe-Refrain-Schema (Strophe: konkret, Refrain: abstrakter, generalisierend), aber viele andere Texte schwingen auch zwischen solchen Punkten hin und her. Daraus ergeben sich Formideen wie "KAKKA" oder "AKKA", wo "K"=konkreter und "A"=abstrakter. Eine andere Form ist "These - Antithese - Synthese" - wobei das in Songs unüblich zu sein scheint: Man lässt die Synthese lieber im Kopf des Zuhörers entstehen.
Wie hilft das beim Text schreiben?:
Man hat einen übergreifenden Plan, sodass man nicht nach den ersten 10 Zeilen überhaupt nicht mehr weiter weiß - stattdessen kann man sich der nächsten Teilaufgabe widmen.
Die bisherigen vier Punkte kann man vorab festlegen und sich von ihnen leiten lassen: Das gibt einem den nötigen "Halt" und "Plan" beim Schreiben des Textes. Allerdings habe ich in ein paar Interviews mit Schriftstellern folgendes gehört: Während des Schreibens gewinnen aber die "Mitspieler" eines Textes - die Ideen, Konzepte wie oben, aber auch ganz buchstäblich die "Schauspieler" - unter Umständen ein Eigenleben. Die drei großen Möglichkeiten dabei sind:
- Kein Eigenleben entsteht - man "arbeitet den Plan" ab: Dann wird der Text i.d.R. eher "steril", "offensichtlich".
- Das Eigenleben erzeugt neue passende, "stringente", vor allem aber eben weiterentwickelnde Ideen, Worte. Dann kann der Text gut werden.
- Das Eigenleben "läuft in eine falsche Richtung", "wehrt sich gegen den Plan", "widerspricht sich selbst": Dann muss man wohl aufgeben ... oder von vorne anfangen.
Diese Punkte helfen vielleicht dem einen oder anderen beim Texten. Allerdings ist das primäre eines Textes noch immer ... der Text: Die Worte und Sätze, Aussagen und Sinn, Klang, Zusammenpassen oder Auseinanderklaffen - das "Malen mit Sprache". Diesen kreativen und eigentlichen Teil des Textens muss man sich durch Übung und mehr oder weniger mutiges Probieren erarbeiten ...
Mutiger- oder verrückterweise versuche ich, laienhaft, hier öffentlich zwei Texte nach meinem Konzept zu beginnen - beide nicht über das Thema "Liebe/Love". Nach ca. 10 Minuten war ich jeweils so weit, wie hier gezeigt.
Versmaß: jambisch = 2/4 = "u - u - u -" = "daa-da-daa-da"
Idee: "Kalte Welt"
Story: Winter; Menschen sind kalt; das Universum ist kalt.
Abstraktion: kalt=entfernt,gleißend blau
Form: ASSAS
In eckigen Klammern stehen Wortideen, Versuche, den Duktus (Rhythmus und Aussage) "weiterzubringen":
Kalte Luft an den Polen,
keine Wege, hoher Norden
blaues Eis, fahle Weite,
kalte Welt für kalte Menschen.
Wintermärchen[positiv] - [aber:]
tödlich les ich seine Worte
Weite Stille[positiv] - [aber:]
niemals wird sie friedlich sein
[wie weiter ???]
Kalte Luft mit kalten Sorgen,
keine Wege, weißes Ende,
helles[zu positiv]
Eis, fahle Weit,
kalte Welt in kalten Menschen.
Keine Sprache zeigt uns die Gedanken,
Weite Stille trennt uns [voneinand' - hochdeutsch geht:]
, dich und dich [dich von dir?]
.
Komm nicht, geh. Das sagen deine Augen.
[Lange noch wird Sprache [zwisch'n uns fehln]]
Lange noch wird keine Sprache sein
...
Idee: "Stahl"
Versmaß: daktylisch = 3/4 = "daa-da-da daa-da-da"
Story: Stahlschienen, Stahlträger,
Abstraktion: Glatt,kalt,hart,technisch
Form: SASA... (Strophe/Refrain)
Cold steel in ribbons does circle the world
Tracks running to and fro - babylon cacophony [Idee: Die Millionen in den Zügen ... 1000e Sprachen]
Bound in them steel bodies [Idee: Stahlwaggons, aber auch Stahlfesseln!]
Shields on their eyes [shield ist ein stählerner Schild; aber hindert am Sehen - gefesselt!]
Steel.
[Versmaßwechsel zum Refrain: jambisch]
Glossy - metal - heat and cold[ness?]
Rusty - etchy - ripping skin [weg von glatt/hart zu rostig/brutal ... mhm]
Hammered - deadly - sinful boldness
Cutting - anatomical.
[Strophe wieder im Dreiertakt]
Car bodies lying in shiny streets
Cannot decide which ideas [ist mir nur aus dem Rhythmus heraus eingefallen - keine Ahnung, was es bedeuten soll/wird]
to listen to [passt überhaupt nicht - Textzeile vielleicht für eine weitere Strophe vorsehen]
/// Strophe nocheinmal:
Car bodies lying in shiny streets
Aeroplane sarcophags - babylon screaming [Idee kommt von erster Strophe - aber jetzt schreien die Turbinen ...]
[Der Text schein in Richtung "Horror" zu gehen ...]
etc.etc.
Wie gesagt: Vielleicht hilft das jemand - vielleicht aber auch nur, zu sehen, dass er oder sie auf
diese Art
nie einen Text schreiben würde ... aber dann eben auf eine andere, eigene.