[Technik] Alles über die Ibanez Universe - Geschichte, Modelle, Besonderheiten

  • Ersteller gitarrero!
  • Erstellt am
gitarrero!
gitarrero!
Mod Emeritus
Ex-Moderator
HCA
Zuletzt hier
04.11.24
Registriert
22.01.06
Beiträge
10.159
Kekse
203.198
Ort
Region Donau/Iller
Faszination 7-Saiter

Ende der 90er Jahre, als Gitarristen der härteren Riege ihre Instrumente immer tiefer stimmten und amerikanische New-Metal-Bands wie Limp Bizkit die Charts beherrschten, lagen 7-saitige E-Gitarren nach Jahren des Nischendaseins auf einmal voll im Trend. Und obwohl Jazzgitarristen bereits viel früher schon auf die Idee kamen, mit zusätzlichen Saiten auf ihren Gitarren entweder tiefere Baßlinien oder höhere Melodieläufe zu spielen, schreibt man erst den Rockgitarristen der späten 80er und frühen 90er Jahre zu, die 7-string E-Gitarre auf den Weg gebracht zu haben. Es wird kein anderer Gitarrist so stark mit 7-Saitern in Verbindung gebracht wie Steve Vai mit seiner vielzitierten Ibanez Universe Gitarre. Der berühmte Frank Zappa Schützling, der sich seine Anerkennung nicht erst bei Whitesnake, sondern bereits in der All-Star-Band von David Lee Roth an der Seite u.a. von Billy Sheehan verdiente, war 1987 für das Design der bekannten Superstrat-Gitarre namens JEM verantwortlich und damit am kometenhaften Aufstieg des japanischen Herstellers Ibanez beteiligt. Selbst die im selben Jahr präsentierten abgespeckten Versionen der JEM, die RG550 und RG770 Linien, wurden zu begehrten Instrumenten für die neue Generation der Flitzefinger à la Paul Gilbert oder Reb Beach (von denen beide nach einigen Endorsement-Jahren ein entsprechendes Signature-Modell auf RG-Basis spendiert bekamen). Die typische JEM/RG-Form mit den spitzen Korpushörnern und ihrem charakteristischen Schlagbrett wurde von fast allen anderen Herstellern - darunter sogar Fender und Jackson - nachgeahmt und gilt bis heute als eines der wichtigsten Sinnbilder der Rockgitarre.

Steve_Vai_mit_UV7BK.jpg
Ibanez-92jem77FP.jpg


Neue Horizonte

Ende der 80er Jahre gab es bekanntlich unzählige Hardrock-Bands und eine nie dagewesene Zahl von hochbegabten und innovativen Gitarristen. Man war ständig bestrebt, die musikalischen sowie technischen Grenzen des Gitarrenspiels auszuloten. Bekannt waren bereits Gitarren mit Baritonmensur, die das Tonspektrum aber nur nach unten verschieben und nicht erweitern. Neben Steve Vai experimentierten daher z.B. auch Uli Jon Roth (ex-Scorpions) mit seiner Sky-Gitarre und George Lynch (Dokken) mit 7-saitigen E-Gitarren. Letzterer stand ca. 1988 mit seiner japanischen Endorsement-Firma ESP kurz vor der Markteinführung einer 7-string-Gitarre mit aufwendig konstruierten, quer verschiebbaren Tonabnehmern. Diese Gitarre kränkelte dann angeblich nicht nur an der technischen Umsetzung, sondern hätte auch astronomische Fertigungskosten mit sich gebracht und erblickte deshalb nie das Licht der Öffentlichkeit. Zur gleichen Zeit bastelte Steve Vai zunächst mit einer ungewöhnlichen JEM-Variante herum, die einen Hals mit alternativer Mensur besaß [siehe Bild]: Es handelte sich um einen sogenannten D-Neck, sattelseitig um zwei Bünde erweitert, so daß die leeren Saiten bei quasi "gleichgebliebener Mensur" zwei Halbtöne tiefer klingen als sonst. Man gab aber die Idee schnell wieder auf, weil Feeling und Handling einer "normalen" 6-saitigen Gitarre mit Standardbundierung nicht gewährleistet waren und ein D-Neck eine zu große Umstellung der Spielgewohnheiten erfordern würde. Besonders störend war offenbar die Tatsache, daß sich alle Flageolet-Töne plötzlich an ungewohnten Stellen befinden. Von diesem Hals existiert übrigens ein zweiter Prototyp, der sich jetzt im Besitz von Larry Mitchell befindet und auf dessen Doubleneck-Gitarre montiert ist.

Steve_Vai_Gitarre047.jpg
 
Eigenschaft
 
Das Universum erkunden

Im Jahre 1990 erschienen dann nach zweijähriger Entwicklungsphase die Ibanez Universe Gitarren in drei Ausführungen: Außer der exklusiven, damals $2,500 bzw. DM 3.900 teuren Multicolor-Version UV77MC mit dreifarbigen Griffbretteinlagen in Pyramidenform namens „Disappearing Pyramids” gab es auch eine weiße UV7PWH mit Perlmutt-Pyramiden und eine etwas schlichtere schwarz/grüne UV7BK mit grünen Punkten im Griffbrett. Die Universe wurde ebenfalls als Steve Vai Signature-Modell vermarktet und stellt prinzipiell die 7-saitige Version der JEM dar. Und in der Tat sieht die UV auf den ersten Blick wie eine etwas breitere JEM aus, die sogar die gleiche Halsplatte und die gleiche gekippt eingefräste Klinkenbuchse aufweist.

Ibanez-92jem-joint.jpg
Ibanez-92jem-bottom.jpg


Die beiden signifikanten Unterschiede zur JEM sind zum einen die fehlende Lion’s Claw, die speziell geformte Vibratounterfräsung, sowie der fehlende Monkey-Grip, wie die griffähnliche Öffnung im Gitarrenkorpus der JEMs bezeichnet wird.

Ibanez-92jem-tremolo.jpg


Bei näherem Hinsehen erkennt man an der UV jedoch die zahlreichen Spezialteile wie den 7-saitigen Klemmsattel, dessen mittlerer Block mit zwei Inbusschrauben gleichzeitig drei Saiten festklemmt. Die 7er Tonabnehmer in HSH-Bestückung mit der verwirrenden Bezeichnung Blaze-II (verwirrend deswegen, weil es vorher gar keine Blaze-I gab!) stammen von DiMarzio und wurden vom Voicing her darauf abgestimmt, daß die tiefe H-Saite aufgrund ihrer Masse nicht unverhältnismäßig laut klingt.

Ibanez_UV7BK_UV7PWH_UV77MC.jpg
Ibanez-92uv77MC.jpg
Ibanez-92uv7BK.jpg
Ibanez-92uv7pwh.jpg


Der Prototyp der bunten UV77MC Multicolor Universe [links], der auch auf dem Cover des Vai-Solodebuts Passion And Warfare [rechts] zu sehen ist und deshalb in Fachkreisen PAW Universe genannt wird, weist im Gegensatz zu den Serienmodellen unverkennbar den Monkey-Grip auf - was aber auf dem Cover deutlich sichtbar wegretuschiert wurde! (Hier lohnt sich ein genauer Blick.) Der Grund sind Copyright-Schwierigkeiten: Offenbar hat Joe Despagni, Gitarrenbauer und Inhaber der Firma JEM Guitars (von denen Steve auch etliche besitzt) lediglich die Namensrechte und das Patent des Griffs für 6-saitige Gitarren an Ibanez verkauft; die Vereinbarung erstreckt sich aber offenbar nicht auf die 7-saitigen Universes.

Steve_Vai_Gitarre030.jpg
Steve_Vai_Passion_And_Warfare.jpg
 
Multicolor - kunterbunt und eigenständig

Der PAW Universe Prototyp wurde in einem aufwendigen Tauchbadverfahren von einem amerikanischen Künstler namens Darren Johansen lackiert. Darren gilt als der Erfinder dieser sogenannten Multicolor Swirl Finishes und wurde Anfang der 80er durch seine Zusammenarbeit mit Fender und den daraus entstandenen Bowling Ball Stratocasters bekannt. Der prinzipielle Ablauf eines Swirl Jobs:
  • Zu Beginn liegt ein grundierter und porenversiegelter "nackter" Korpus vor.
  • Dieser Body wird in ein Wasserbad getaucht,
  • auf der Wasseroberfläche werden verschiedene Farben ineinander verrührt,
  • der Korpus wird langsam durch den Farbfilm nach oben aus dem Bad herausgezogen,
  • anschließend getrocknet und klar überlackiert.
  • Erst dann werden Hals, Hardware, Tonabnehmer und Schlagbrett angebracht und die Gitarre fertiggestellt.

Ibanez_UV77MC_Katalog91.jpg


Von den Multicolor UV77MC-Universes wurden bis 1993 insgesamt 1083 Stück produziert. Davon wurde ein Teil des Kontingents in der japanischen Fabrik „geswirlt” und der Rest erneut von Darren Johansen in den USA; was die krassen Unterschiede in der Farbgebung und dem allgemeinen Erscheinungsbild erklärt. Die in Japan hergestellten, bereits grundierten und versiegelten Korpusse wurden nach USA zu Darrens Firma About Time Designs (ATD) gebracht, dort tauchlackiert, zurück nach Japan verfrachtet, dort klarlackiert und zu fertigen Gitarren zusammengebaut (...um anschließend wieder zurück nach USA verkauft zu werden... :-D). Damit man mehr vom schönen Swirl sieht, befindet sich bei der UV77MC die Fräsung fürs Elektrikfach auf der Korpusrückseite und das Schlagbrett ist transparent. Jede Swirl-Gitarre ist ein individuelles Einzelstück und kann entweder verhältnismäßig ruhig und ausgeglichen oder sehr chaotisch gemixt aussehen. Dies hängt zum Großteil davon ab, ob es sich um eine japanische oder ATD-Abeit handelt. Es bleibt dem persönichen Empfinden jedes einzelnen überlassen, welchen Typ er am schönsten findet. Insider können es anhand von typischen Farbverläufen und der Farbauswahl auseinanderhalten, aber an UV77MC-Gitarren kann man auch ohne Erfahrung eindeutig feststellen, ob es sich um einen japanischen oder einen ATD Swirl aus Darrens Hand dreht: Man entfernt den Hals und prüft, ob sich in der Halsfräsung des Korpus ein ATD-Stempel befindet oder lediglich die Bezeichnung "UV-77".

Ibanez_UV77MC_a.jpg
Ibanez_UV77MC_b.jpg
Ibanez_UV77MC_c.jpg


Frühe Exemplare mit den Seriennummern 90xxxxx weisen zudem chromfarbene, nicht verstellbare Pole Pieces am mittleren Single-Coil-Pickup auf sowie das Ibanez EDGE Vibrato, das Ende des Jahres 1990 wie auf vielen anderen Ibanez-Modellen durch die verbesserte Variante Lo-Pro EDGE mit tiefergelegten Feinstimmern ersetzt wurde.

Ibanez-92jemuv-pickup.jpg
Ibanez-92jemuv-tremolo.jpg


Es ist unklar, ab wann Ibanez bei den Universes von lackierten zu gewachsten Hälsen übergegangen ist.


Eine kurze Geschichte der Zeit

Zu den drei ursprünglich erhältlichen UV-Modellen kam ein Jahr nach Einführung eine grüne UV777GR mit Ahorngriffbrett, farbigen Pyramiden und mehrfarbigen Pickups dazu, von der nur knapp 300 Exemplare produziert wurden und die stark an das 1987er JEM-Debut JEM777LNG „Loch Ness Green” erinnert.

Ibanez_UV7GR.jpg


Die schwarz/grüne UV7BK hielt mit einer Pause im Jahr 1995 noch bis 1996 durch, wurde 1997 durch eine bei den Fans unbeliebte, deutlich RG-mäßige, komplett schwarze mit weißen Dots im Griffbrett ersetzt und ging 1998 in eine herrlich luxuriöse UV777PBK mit Perlmuttpyramiden ähnlich der UV7PWH über. Ihre schwarz/perlmuttfarbene Optik ist eindeutig vom 1997 vorgestellten JEM10TH Sondermodell inspiriert. Kopfplatte, Griffbrett und Korpus sind perlmuttfarben eingefaßt, das Schlagbrett ist verspiegelt und die Hardware wurde in Chrom ausgeführt. Die Perlmutteinlage zwischen Vibrato und unterem Zargen zeigt die Light Without Heat Pyramide mit Auge und drei 7er-Ziffern; Symbole, die bei Steve Vai immer wieder auftauchen. Diese Universe gilt als würdige Nachfolgerin ihrer Ahnen und wird bis heute nahezu unverändert gebaut. Was sie von den älteren Modellen unterscheidet, ist zum einen der sogenannte All-Access-Neck-Joint, der clevere Halsübergang mit vier einzeln versenkten Schrauben, und zum anderen ein Skunk Stripe aus Bubinga auf der Halsrückseite, der die Fräsung für den Halsstab verdeckt und zur Stabilität beiträgt.

Ibanez_UV777pBK.gif



Kultobjekte

In anderen Jahrgängen wirkte Darren Johansen zahlreiche Male an der Herstellung von Ibanez Multicolor Gitarren mit, so zum Beispiel 1992/93 bei der links abgebildeten JEM77PMC „Purple Multicolor” (271 Stück) sowie der JEM77GMC „Green Multicolor” (366 Stück); außerdem 1999/2000 beim exklusiven, damals etwa 9.600 DM teuren Sondermodell JEM2KDNA [rechts], das in limitierter Auflage von 300 Stück gebaut wurde und angeblichSpuren von Steve Vais Blut in der roten Farbe enthält. Nach wie vor gehören aber die ursprünglichen Multicolor-Universes und JEMs zu den gesuchtesten Ibanez-Gitarren, die in den USA schon längst zu wertvollen Sammlerstücken geworden sind. Der Fankult und die hohe Nachfrage treibt zahlreiche Gitarristen, Vai-Fanatiker und Ibanez-Liebhaber dazu, ihre Instrumente nachträglich von Darren Johansen oder Mitbewerber Herc Fede im so beliebten Multicolor-Look veredeln zu lassen. Besonders „geeignet” hierfür sind gelbe oder vor allem pinke JEMs der späten 80er, die sich im Lauf der Jahre durch ultraviolette Tageslichtanteile zu wahrlich unansehnlichen Monstern verfärbt haben.

Ibanez-92jem77PMC.jpg
Ibanez_JEM2KDNA.jpg


Kompromißlose Universe-Anbeter kaufen sich sogar brandneue 7-saitige RGs, ziehen den Lack ab, fräsen den Monkey-Grip und eine Öffnung für den mittleren Single-Coil ein, rüsten ein Schlagbrett nach, lassen Pyramiden-Einlagen ins Griffbrett arbeiten und suchen sich für den Swirl genau diejenigen Farben aus, die auch auf Steve Vais PAW Universe zu sehen sind.

Interessant ist abschließend zu bemerken, daß der betreffende Künstler selbst seit etwa 1993 nahezu ausschließlich seine weiße JEM7VWH zu bevorzugen scheint und die 7-saitige Gitarre nur noch äußerst sporadisch einsetzt. Dennoch erfreuen sich auch die älteren Universe und JEM Modelle in Fach- und Fankreisen nach wie vor sehr großer Beliebtheit.


Weitere Informationen zum Thema Universe und Multicolor:

  • Jemsite - Die JEM/UV Seite schlechthin. Eine unglaubliche Fülle an Informationen und kompetente sowie hilfsbereite Spezialisten im Forum!
  • Ibanez Homepage - Hier gibt's u.a. Informationen über Ersatzteile und Schaltpläne.
  • About Time Designs - Die Homepage von Darren Johansen. Man beachte die Fotogalerie!
  • Rich Harris' Ibanez Rules - Ein Gitarrenbroker in Sewell/New Jersey, der sich auf High End Ibanez spezialisiert.
  • Steve Vai Homepage - Man braucht Stunden, um sich Steves Gitarrensammlung komplett anzuschauen...
 
Werwolf schrieb:
War die Jackson Soloist nicht die erste Superstrat mit spitzeren
Korpushörnern, Humbuckern und Locking Vibrato etc.?
Möglich. Ich würde nicht sagen, daß die 1987er RG/JEM-Reihe die erste Superstrat überhaupt ist - aber die Korpushörner waren schon die spitzigsten. ;) Zumindest deutlich spitziger als die Soloist.

Jackson hat später in der Performer-Serie so gut wie alle Merkmale wieder aufgegriffen (Floyd, Pickguard, Korpusform).
 
R0CKSTAR schrieb:
wollt dir nur sagen das der link nicht geht
Scheibenhonig!! Das stimmt leider. Man sollte einem einfachen Linkchecker doch keinen Glauben schenken und lieber selbst nachprüfen. Tschuldigung! :redface:
 
Kommentare, Fachsimpelei, Fragen etc. bitte im gleichnamigen Originalthread im Gitarrenmodellforum. Das hier ist nur die FAQ-Version.

Sinnvolle thematische Ergänzungen (v.a. vom Threadersteller) können natürlich jederzeit hier unten drangehängt werden.
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben