Ich halte mich dann immer zurück und drücke ihnen den fröhlich/traurig-Stempel nicht auf.
Gut so! Deine Schüler sollen sich ja ihrer eigenen Empfindungen bewusst werden und nicht aufgeschnappten Klischées folgen.
Die Bezeichnungen fröhlich/traurig stammen nicht von mir. Das Begriffpaar hell/dunkel wäre neutraler, ändert aber nichts an der Tatsache, daß ein Geschlechtswechsel die Stimmung entsprechend verändert.
Klagelieder in Dur sind möglich, doch ich denke, wenn man die Klagelieder der Dur/Moll-tonalen Musik auf ihr Tongeschlecht hin untersuchen würde, wäre das Ergebnis eindeutig.
Hier ein frühes Beispiel mit Lamento-Bass:
Lamento della Ninfa (1638)
Auch nach fast 400 Jahren vermittelt sich die Traurigkeit für moderne Menschen, selbst wenn wir den Text der tragischen Liebe nicht kennen. (Ubersetzungen
1,
2)
Man würde sich dem Verdacht des Sarkasmus aussetzen, würde man nach Klageliedern in Dur mit aufsteigendem Lamentobass zu fragen oder nicht?
Ein mittelalterliches Beispiel:
Lamento di Tristano (13. Jahrhundert)
Was wählten BBC-Hörer 2004 zum "traurigsten klassischen Stück"?
Samuel Barber -
Adagio for Strings (1938)
Es wurde auch von den Verantwortlichen für die Beerdigungen von Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy, Grace Kelly, Rainier III. von Monaco und Albert Einstein gewählt.
Keines der Stücke ist in Dur. Zufall?
...der Gebrauch der Picardschen Terz
Richtig, alte Meister, wie Zarlino (1558) hielten den Mollakkord für weniger vollkommen und haben deshalb als Schlussakkord den vollkommenen Durakkord als Aufhellung eingesetzt.
Rameau war 1722 zunächst nicht der Meinung von Zarlino, änderte sie aber 1737. 1760 leitet er den Molldreiklang aus der Obertonreihe ab (10:12:15).
Auch Pink Floyd setzten die
Picardische Terz ein: Tonika der Akkordfolge ist Bm (engl.), doch
A Saucerful of Secrets endet mit B-major (engl.).
M.E. liegt es auf der Hand, daß der Dur-Akkord der stabilere, konsonantere Akkord ist. Er wird auch durch die Obertonreihe unterstützt, und zwar durch die ersten drei verschiedenen Töne die dort überhaupt auftreten und auch der Grundton stimmt, im Gegensatz zum Mollakkord, welcher in der Obertonreihe den Grundton e hätte. Der direkte Durdreiklang erscheint als 4., 5. und 6. Teilton - drei Töne direkt hintereinander, im Gegensatz zum viel weiter entfernten Molldreiklang in der Obertonreihe.
Ich halte den Molldreiklang, wie Hindemith und andere, für einen "getrübten" Akkord. Alle auftretenden Intervalle sind zwar konsonant: die Quint, die große und die kleine Terz. Doch die Reihenfolge der beiden Terzen sind gegenüber der (gelernten) Naturtonreihe vertauscht - die Terzen sind quasi auf den Kopf gestellt.
Wir lernen schon allein durch die menschliche Stimme (harmonisches Spektrum) unbewußt, aber vielleicht schon im Mutterleib, daß die Intervalle in der Obertonreihe nach oben immer kleiner werden.
Wir registrieren, daß bei dem ebenfalls sehr konsonanten Moll-Akkord etwas nicht mit den natürlichen Erfahrungen übereinstimmt, im Vergleich zu Dur.
(Die heutigen Kids vielleicht etwas weniger als früher, weil heute verschiedenartigere akustische Eindrücke verarbeitet werden.)
Noch etwas kommt hinzu: Der Übergang von Dur nach Moll ist auch noch mit einer "Erniedrigung" verbunden. Das passt besser zu einer "gedrückten" Stimmung als eine Erhöhung. Unser natürliches Streben geht i.a. nach oben, möglichst auf das Siegertreppchen und an das Licht. Moll hat es schwerer als Dur eine solche Stimmung wiederzugeben.
Doch in der Musikgeschichte hat die Erniedrigung zum Mollakkord nicht ausgereicht. In der neapolitanischen Opernmusik des 18. Jahrhunderts suchte man nach einer Steigerung, um Leid, Trauer und Schmerz auszudrücken. Man wurde fündig, indem man bei dem als Subdominante gebräuchlichen Sextakkord den Grundton erniedrigte (in c-Moll wird so aus den Akkord f-as-d ein f-as-des).
Der Ton Des strebt, wie schon das as, nach unten.
Als sog. "selbstständiger Neapolitaner" wird der Akkord als Des-Dur gedeutet und wir hätten eine Brücke geschlagen zu der noch dunkleren phrygischen Kirchentonart (siehe Reihe von Cudo).
Die Crux ist, je früher der Tritonus in der Quintreihe erscheint, desto dunkler erscheint der Modus.
Danke für den Hinweis! Das hatte ich noch nie so betrachtet, doch es stimmt. Auch die aufgestellte Reihe kann ich aus eigener Empfindung so nachvollziehen. (Nur in Lokrisch nicht, da keine von mir geschätzte Musik diesen Modus tonikal verwendet: Auf die reine Quint zum Grundton läßt sich kaum verzichten.)
Viele Grüße
Klaus
Edit: Auch Lokrisch gerade ausprobiert. Ich empfinde ein Gefühl der Sehnsucht, das schon bei Moll deutlich, aber in schwächerer Form auftreten kann. Wahrscheinlich Sehnsucht nach Harmonie, die in Lokrisch am meisten entbehrt wird.
Lydisch hingegen: vorwitzig, mutig, überstürzt.