Stutzflügel Bechstein, M Serie, selbst stimmen

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NoSoldier
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Hallo werte Musikgenossen,

ich habe bei mir einen Flügel herumstehen von Bechstein, den ich (selbst) stimmen möchte. Es handelt sich um einen M Serie Flügel mit der Seriennummer
60273.

Folgende Problematik:

Ich habe zufällig einen Orgelbauer in der Nähe, der mir da schonmal ausgeholfen hat und er meinte er traue sich nicht den Flügel komplett auf 440Hz o.Ä. hochzustimmen, da er mechanische Komplikationen befürchtet. Inwieweit das etwas aussagt weiß ich nicht. Dass er Klaviaturen kennt und Orgelexperte ist, glaub ich ihm, wie sich sein wissen auf Klavier überträgt weiß ich nicht. Glaub ihm aber eher als mir Laien. :D

Was mich zu wissen interessiert ist wie man ein Klavier stimmen würde von den Frequenzen her (Stimmhammer und Messinstrument/Gehör ist klar). Auf Wikipedia gibt es ja alleine schon einige verschiedene "Idealfrequenzen" die angegeben sind. Es spielt dabei ja auch das pythagoräische Komma eine Rolle, wenn ich mich nicht irre. Da wüsste ich beispielweise gar nicht, wie sich das exakt auf die Stimmung auswirkt.

Idealerweise würde ich gerne das Radio anmachen und da mitspielen können. Welche Stimmung wird denn in modernen Songs verwendet? Unterscheidet sich das beispielsweise von Songs aus den 60ern? 440Hz, 443Hz, 430Hz?

Ist es normal, dass Instrumente irgendwann nicht mehr auf 440Hz mithalten können? Mein Gerät ist ja nun nicht mehr das allerjüngste, welches war die Standardstimmung zu seiner Zeit? Muss ich mir wirklich Gedanken bezüglich seiner Stabilität (Zug auf den Saiten und Rahmen oder was) machen? Ist das bei anderen Geräten auch so?

Jeder Tipp wird dankend entgegenen genommen,
NoSoldier

*Edit* Aus dem Internet mit meiner Seriennummer: Alter: 116 Jahre

Herstellungsjahr: zwischen 1901 - 1902
 
Eigenschaft
 
Es spielt dabei ja auch das pythagoräische Komma eine Rolle, wenn ich mich nicht irre. Da wüsste ich beispielweise gar nicht, wie sich das exakt auf die Stimmung auswirkt.
Muss man auch nicht unbedingt bis ins letzte Detail wissen, wenn man ohnehin nur mit Hilfe eines Stimmgeräts stimmen möchte und nicht nach Gehör, wobei man z.B. die "Temperatur" durch Abhören der Schwebungen legt. Dann muss man nur wissen, dass man am Stimmgerät die gleichstufige Temperatur einstellt (siehe hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichstufige_Stimmung). Aber selbst das muss man nicht wirklich wissen, denn das ist sowieso immer voreingestellt und die meisten Stimmgeräte bzw. Stimm-Apps können auch nichts anderes.
Wobei es natürlich nicht schaden kann, sich mit dem pytagoräischen Komma näher zu befassen, dann versteht man auch, was es mit der musikalischen Temperatur eigentlich auf sich hat. (https://de.wikipedia.org/wiki/Pythagoreisches_Komma)

Idealerweise würde ich gerne das Radio anmachen und da mitspielen können. Welche Stimmung wird denn in modernen Songs verwendet? Unterscheidet sich das beispielsweise von Songs aus den 60ern? 440Hz, 443Hz, 430Hz?
Dann wäre es besser, ein E-Piano anzuschaffen, das kann man beliebig und stufenlos stimmen. Da E-Pianos nach dem Einschalten stets bei 440 Hz stehen (jedenfalls die E-Pianos, die ich kenne), sollte Musik, bei denen E-Pianos üblicherweise verwendet werden, auch bei 440 Hz stehen.
443 Hz hat sich bei Sinfonieorchestern schon länger durchgesetzt, 430 Hz geht eher in die Richtung historischer Aufführungspraxis (Stichwort "barocke Stimmung", wobei es damals noch viel mehr Varianten gab).
Auf welche Bezugsfrequenz der alte Bechstein heute noch gestimmt werden kann bzw. werden sollte, hängt ganz von seiner Konstruktion und dem Erhaltungszustand ab.

Ist es normal, dass Instrumente irgendwann nicht mehr auf 440Hz mithalten können? Mein Gerät ist ja nun nicht mehr das allerjüngste, welches war die Standardstimmung zu seiner Zeit? Muss ich mir wirklich Gedanken bezüglich seiner Stabilität (Zug auf den Saiten und Rahmen oder was) machen? Ist das bei anderen Geräten auch so?
Es ist ganz normal, dass man so alte Instrumente
Herstellungsjahr: zwischen 1901 - 1902
besser nicht mehr auf 440 Hz stimmt oder gar höher. Ich würde hier kein Risiko eingehen und möglicherweise die Konstruktion überfordern, der Gesamtzug aller Saiten kann ohne weiteres im Bereich 10-15 Tonnen liegen. Außerdem halten bei so alten Instrumenten oft die Wirbel nicht mehr ganz fest und dann sinkt es sowieso ganz schnell wieder ab. Schlimmstenfalls hält es die Stimmung generell nicht mehr und sackt nicht nur ab, sondern wird schnell wieder unsauber.

Dem kann man zwar abhelfen, indem neue Wirbel eingesetzt werden. Dann müssen aber auch gleichzeitig alle Saiten erneuert werden - insgesamt eine ziemlich teure Angelegenheit.

Noch etwas:
Ein Klavier zu stimmen erfordert nicht nur das entsprechend gute Werkzeug und ein gutes Gehör, sondern auch durchaus ein gewisses manuelles Geschick im Umgang mit dem Stimmschlüssel/Stimmhammer.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es spielt dabei ja auch das pythagoräische Komma eine Rolle, wenn ich mich nicht irre. Da wüsste ich beispielweise gar nicht, wie sich das exakt auf die Stimmung auswirkt.
Die Quinten kleiner als rein stimmen, die Oktaven rein. Im tiefen Bass und im hohen Diskant kann man die Oktaven etwas größer stimmen und die Quinten dafür etwas reiner, um eine gespreizte Stimmung (stretched tuning) zu erhalten. Gestimmt wird normalerweise nach Schwebungen in den Obertönen. Stimmgerät alleine war mir immer zu ungenau, allerdings braucht es viel Erfahrung, um zu wissen, in welchem Bereich des Klaviers die Quinte dann wie schnell schweben muß. Mit chromatischen Terz-, Sext- und Dezimenläufen in dem Bereich, in dem man gerade stimmt, kann man ganz gut beurteilen, wie gleichmäßig die Stimmung geworden ist.

Man kann beim Stimmen viele Fehler machen: Man kann die Löcher, in denen die Stimmwirbel sitzen, ausleiern, man kann die Stimmwirbel in sich verwinden, oder man stimmt so, daß die Stimmung nicht hält und nach 3 Wochen wieder weg ist. Ein guter Stimmhammer kann Schlimmeres verhindern.

Ich habe mein Klavier 2x selbst gestimmt und habe jedes mal drei Tage gebraucht. Nach ein paar Stunden waren jedesmal meine Ohren nicht mehr urteilsfähig. Ich habe tausend Obertöne gehört, die alle gegeneinander schwebten und konnte nicht meht beurteilen, was richtig klingt und was falsch. Nach einer Nacht schlafen ging es wieder, allerdings hielt meine Stimmung nicht sehr lange.

Seitdem investiere ich jedes Jahr mit Freuden in einen professionellen Klavierstimmer, der das in 1 - 2 Stunden durchzieht, eine tolle, gleichmäßige Stimmung hinbekommt, die dann auch noch ein ganzes Jahr hält. Aber vielleicht hast Du ja mehr Glück als ich. Lange Saiten bei großen Flügeln machen es dem Stimmer wohl etwas leichter als die kurzen Saiten eines Kleinklaviers mit größerer Inharmonizität.

Viele Grüße,
McCoy
 
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Danke für eure Antworten!

Ist natürlich heftig, dass da ein solch enormer Zug drauf ist, @LoboMix. Sehr interessant.
Ich bin durchaus zufrieden damit, wenn das Klavier niedriger gestimmt wäre. Man könnte es ja einen Halbton/Ganzton oder so tiefer stimmen als das Radio, wenn das Gerät selbst etwa in dem Bereich sitzt. Whats the harm? Dann könnte ich immernoch mitspielen, ist dann eben nicht exakt die Skala, die ich dann finde, aber das bischen transponieren lässt sich doch einrichten.
Ich werde mich wohl mal um einen professionellen Stimmer bemühen müssen. Ich hab noch ein paar andere Quellen zu dem Thema gesucht und man kann schon wirklich viel falsch machen. Das Problem mit dieser alten Konstruktion ist, dass einige Wirbel auch schon nicht mehr so toll sind. Soll sich jemand der sich auskennt damit herumschlagen.
Ich glaube, dass ein StagePiano für solche Gehörübungen mit Radio, wie sie mir vorschweben eher geeignet ist. Dazu kommt noch Transportabilität. Wäre doch was feines. :)

Bezüglich des pythagoräischen Kommas habe ich auch noch etwas gefunden, dass es ganz gut erklärt.
Ich kenne die policy hier bezüglich links nicht, wenn es einem Mod also nicht gefällt dürft ihr den ruhig rausnehmen:

http://www.lehrklaenge.de/PHP/Tonsystem/Obertonreihe.php

Auf jener und den Folgeseiten wird da nochmal schön etwas zu erklärt.

Viele Grüße,
NoSoldier
 
Das pythagoräsche Komma ist einfach erklärt:

Eine Oktave hat das Schwingungsverhältnis 2:1. D.h. die höhere Saite schwingt doppelt so schnell wie die tiefere Saite.

Eine Quinte hat das Schwingungsverhältnis 3:2. D.h.: Während die höhere Saite 3x schwingt, schwingt die untere 2x.

Ein Klavier hat 7 Oktaven vom Kontra-C bis zum höchsten c''''' Das entspricht auf dem Klavier exakt 12 Quinten.

Wir setzen tiefsten Ton mal ganz willkürlich auf 1Hz, weil man damit leichter rechnen kann.

Wenn ich von diesem Ton aus nun den Ton errechnen will, der 7 Oktaven höher liegt, brauche ich diese Hz-Zahl 1 einfach nur 7x verdoppeln:

Also:

Ausgangston: 1 Hz
1 Hz x 2 = 2 Hz
2 Hz x 2 = 4
4 Hz x 2 = 8
8 Hz x 2 = 16
16 Hz x 2 = 32 Hz
32 Hz x 2 = 64 Hz
64 Hz x 2 = 128 Hz

Der Ton, der 7 Oktaven höher liegt als jener mit 1 Hz, hat also 128 Hz.

Dasselbe mit Quinten: Also den Ausgangston mit 3/2 multiplizieren, daß ganze insgesamt 12x:

Ausgangston: 1 Hz
1 Hz x 3 : 2 = 1,5 Hz
1,5 Hz x 3 : 2 = 2,25 Hz
2,35 Hz x 3 : 2 = 3,375 Hz
3,375 Hz x 3 : 2 = 5,0625 Hz
5,0625 Hz x 3 : 2 = 7,59375 Hz
7,59375 Hz x 3 : 2 = 11,390625 Hz
11,390625 Hz Hz x 3 : 2 = 17,0859375 Hz
17,0859375 Hz x 3 : 2 = 25,62890625 Hz
25,62890625 Hz x 3 :2 = 38,443359375 Hz
38,443359375 Hz x 3 : 2 = 57,665039062 Hz (ab hier verkürzt mein Rechner vermutlich die Kommastellen :D)
57,665039062 Hz x 3 : 2 = 86,497558594 Hz
86,497558594 Hz x 3 : 2 = 129,746337891 Hz

Der Ton, der 12 Quinten höher liegt als der Ausgangston mit 1 Hz hat also die Frequenzzahl von 129,746337891 Hz.

=> Ein Intervall von 12 Quinten ist größer als ein Intervall von 7 Oktaven. Diesen Unterschied nennt man das pythagoreische Komma! Auf dem Klavier ist das aber dieselbe Taste.

In unserem Fall beträgt der dieser Unterschied (also das pythagoräische Komma): 129,746337891 Hz - 128 Hz = 1,746337891 Hz. Diesen Unterschied muß der Stimmer ausgleichen, in dem er die Quinten enger als 3/2 stimmt.

In einer reinen Quinte hat der erste Oberton des höheren Tones dieselbe Hertzzahl wie der zweite Oberton des unteren Tones. Eine reine Quinte stimmt man also so, daß zwischen diesen beiden Obertönen keine Schwebung auftritt. Beim Klavier muß man aber wegen des pythagoreischen Kommas die Quinten etwas kleiner Stimmen, also so, daß zwischen den beiden genannten Obertönen ene Schwebung auftritt. Und wie groß diese Schwebung an welcher Stelle sein muß, das weiß der erfahrene Klavierstimmer am Besten. :)

Auf Streich- oder Blasinstrumenten kann man das alles mittels Gehör und Intonation irgendwie ausgleichen, beim Klavier (oder bei der Harfe etc.) geht das nicht.

Viele Grüße,
McCoy
 
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