Stimmführung – Gemeinsamkeiten unabhängig von Epochen

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Harrisson
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Ich habe mich in letzter Zeit mit Stimmführung beschäftigt, von Kontrapunkt über Klassik bis zu Rock/Pop/Jazz. So meine ich, festgestellt zu haben, dass alle Epochen unabhängig von ihren harmonischen Gesetzen bei der Stimmführung starke Gemeinsamkeiten aufweisen: Stimmen werden immer möglichst in kleinen Schritten aufwärts oder abwärts geführt oder bleiben liegen. So wie ich es überschaue. lässt z.B. Palestrina seine Chöre nach diesem Prinzip singen und auch Jazzpianisten verbinden ihre Voicings auf diese Art und Weise.
Mich würde eure Meinung dazu interessieren, ob ihr das genauso seht, oder ob ich vielleicht etwas übersehen habe.
 
Eigenschaft
 
Das gilt im chorischen oder polyphonen satz, im monodischen kann die melodiestimme eskapaden mit intervallsprüngen machen, siei braucht keine rücksicht auf die "begleitung" zu nehmen, siehe Verdi.
 
Stimmen werden immer möglichst in kleinen Schritten aufwärts oder abwärts geführt oder bleiben liegen. So wie ich es überschaue. lässt z.B. Palestrina seine Chöre nach diesem Prinzip singen

Melodische Intervalle bei Palestrina sind ein ganz eigenes Thema. Sehr lesenswert dazu ist von Knud Jeppesen "Kontrapunkt", das AFAIK maßstabsetzende Werk dazu. Grundsätzlich werden Sekundschritte bei Palestrina bevorzugt, das ist sicher richtig. Aber auch größere melodische Schritte können durch ihre Dramatik den Charakter und Ausdrucksgehalt eines Satzes schärfen bzw. verstärken.

und auch Jazzpianisten verbinden ihre Voicings auf diese Art und Weise.

Das "Gesetz des nächsten Tons" wird auch hier sehr oft angewendet, richtig.

Mich würde eure Meinung dazu interessieren, ob ihr das genauso seht, oder ob ich vielleicht etwas übersehen habe.

Nun ja, was heißt "Meinung"...? Du machst hier eine durchaus richtige und allgemeingültige Beobachtung. Stimmführung in kleinen Schritten ist eine epochen- und kulturübergreifende musikalische Grundlage, die ich übrigens auch in archaischen Musikformen zu beobachten glaube.

Dahinter steckt das Ideal des Gesangs: Begleitstimmen sollen auch immer so gebaut sein, dass sie tendenziell singbar sind. Und die menschliche Stimme hat naturgegeben eine Tendenz zur nur geringfügigen Modulation. Schon in der Sprache bei der Sprachmelodie bevorzugen wir Schritte statt Sprünge. Sprünge werden da eingebaut, wo MAN ZUM BEISPIEL SCHREIT oder flüstert. Sprache und Gesangs haben gemeinsame Wurzeln in der Lautäußerung des Menschen, und so ist es nur natürlich, dass Musik und Sprache den gleichen grundlegenden Prinzipien folgen. Daher ist eine Stimmführung in kleinen Schritten anthropologisch naheliegend.

Harald
 
Es erleichtert auch das Verfolgen... wenn alles durcheinanderspringt wirds ja schwierig zu erkennen wer grade wo hin geht.
 
Je vielstimmiger ein satz ist, um so geringer ist die bewegungsfreiheit der einzelnen stimme. Ich plädiere immer für den 3stimmigen statt des vierschrötigen, aber der hat sich nun einmal durchgesetzt.
Wie schön sind die bicinien des Michael Prätorius!
Wieviel musik besteht aus melodie und bass (auf die kommt es nämlich an von barock bis rock) mit ein bissel umpa-umpa mittenmang, aber oft vergessen wir das lineare vor dem akkordischen. .
 
Hallo Leute,

vielen Dank für eure Einschätzungen und Kommentare. Ich freue mich, dass ich richtig liege und ihr meiner These zustimmt.

Harrisson
 
Günter Sch.;6550258 schrieb:
Je vielstimmiger ein satz ist, um so geringer ist die bewegungsfreiheit der einzelnen stimme. Ich plädiere immer für den 3stimmigen statt des vierschrötigen, aber der hat sich nun einmal durchgesetzt.
Naja wenn wir auf die reine Begleitung/Harmonisation einer Melodie gehen... aber wenns um eine 'kreative' Harmonieführung gehen soll erreicht der 3 Stimmige Satz doch sehr schnell seine Grenzen. Grade in richtung moderner Chorliteratur...

Es ist auch noch die Frage ob eine große Bewegungsvielfalt das schönere Resultat bringt :)
 
3atimmige fugen sind für mich schöner als 4 oder 5stimmige, eben wegen der größeren bewegungsfreiheit. Ich empfinde vierstimmige männerchöre als fast unerträglich wegen der stimmdichte, abgesehen vom "timbre".
Wieso ist 4stimmig "tonal" harmonisch kreativer, wegen der verdoppelung ? Bei atonalität oder jazzharmonik (da ist 5stimmigkeit ohne verdoppelung angesagt) sieht es freilich anders aus
 
Ok ich meinte die etwas unkonventionelleren Akkorde der Moderne und nicht nur diese Geschichte mit der Frage nach dem doppelten Ton.

Wir haben vor einiger Zeit etwas gesungen das teilweise 7 Stimmig war. Das bekommt schon eine phänomenale Färbung - für den reinen harmonischen Verlauf reichen natürlich die 3 - meistens schon 2 Stimmen.
Letztendlich sind dann bei besagten Stück 3 bis 4 Stimmen "nur" zur Clusterbildung da und eben unabhängig von der Grundharmonie.
 
Besagte Stimmführungsregeln dienen dazu, die Stimmen als einzelne, zusammenhängende Linien und somit überhaupt als unterschiedliche "Stimmschlangen" und nicht als ein Kornsack voller Einzeltöne wahrzunehmbar zu machen. Wendet man sie nicht an, bewegt man sich tendenziell in Richtung Kornsack. Meistens jedoch versucht man auch im Jazz und Schlange zu sein und verschenkt einiges an Melodiepotential durch die Ansicht, dass diese Regeln für Akkorde mit Zusatztönen nicht gelten würden.
 

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