Da wird ein, wie ich finde, recht wichtiger Punkt angesprochen, die Monokompatibilität und die Flexibilität im Mix. Ich selbst arbeite aus diesen Gründen nur selten und eher ungern mit anderen Stereoaufnahmeverfahren als XY. Also mal ein paar Gedanken zur (Äquivalenz)stereofonie:
Sicher, als primärer Stereomitschnitt der den Löwenanteil an der Gesamtaufnahme trägt klingen ORTF oder NOS deutlich "größer" und luftiger, vor allem bei Aufnahmen von wirklich breit aufgestellten Klangquellen wie Chor, Orchester, Big Band oder einer anderen "breit verteilten" Akustik Band lassen sich so sehr viel eindrucksvollere Ergebnisse erzielen.
Sobald die Quelle als einzelnes Instrument eher aus der Nähe aufgenommen und danach in einem Mix platziert werden soll beginnen die Phasenschweinereien. Das geht dann gerade noch gut, wenn wir von sagen wir mal, einem Piano reden, welches den Mix völlig bestimmt und die anderen Instrumente klar untergeordnet sind. Wenn nun aber das Piano nur eine untergeordnete Rolle spielt und eher außermittig, hintergründiger bleiben soll empfiehlt es sich, von laufzeitabhängigen Stereoaufnahmen abzusehen.
Laufzeit vs. Wellenlänge = Phasenbrei. Nehmen wir NOS bei einer Quelle, die sich genau auf 45° außermittig befindet, also "in Blickrichtung" eines der beiden Mikros. Aus dieser Position gesehen haben die Mikros einen Abstand von noch rund 21cm, was in etwa der Wellenlänge bei 1.5kHz entspricht. Man kann sich also durchaus ausmalen, in welchem niedrigem Frequenzbereich sich hier bereits extreme Auslöschungen ergeben - mitten im Bereich in dem unser Gehör seine höchste Empfindlichkeit besitzt! Und die meisten Nierenmikros haben ja bei 90 Grad seitlichem Schalleinfall noch keine allzu wirksame Dämpfung die diesem Effekt entgegenwirken würde. Denn klar ist auch: Wenn der betroffene Frequenzbereich von dem abgewandtem Mikro nicht oder nur mit sehr geringem Pegel aufgenommen wurde, dann ergeben sich auch keine bzw nur sehr geringe Auslöschungseffekte. Hier kommt dann genau ein anderes Gadget der Stereomikrofonie ins Spiel:
die Jecklin Scheibe: eine schallabsorbierende Scheibe, die zwischen den beiden Mikros stehend eine akustische Barriere für höherfrequente Anteile bieten soll. Der ursprüngliche Gedanke für dieses Verfahren war die Mikrofonierung mit zwei Kugelmikrofonen, die oberhalb einer durch die Größe der Scheibe bestimmten Frequenz in zwei (quasi) Halbkugelcharakteristiken gezwungen werden. Ein nicht ganz so häufig anzutreffendes Verfahren, jedenfalls im Amateurbereich, schon eher mal bei professionellen Aufnahmen. Allerdings kann man auf diesen Ansatz auch für ORTF oder NOS zurückgreifen - hier gibt es einiges zu experimentieren, steht aber auf der Liste der Dinge die ich selbst noch in der Praxis erforschen will.
Ein imho etwas unorthodoxes Verfahren: Blumlein Aufbau, also quasi XY mit zwei 8er Mikros. Von oben betrachtet sieht die Charakteristik etwa wie ein Kleeblatt aus. Vorteil ist ein ausgesprochen räumlicher Klangeindruck und dennoch Phasenstabilität. Sehr gut funktioniert das Verfahren in großen, akustisch optimierten Räumen/Sälen oder auch unter freiem Himmel. Ebenfalls hervorragend geeignet als zentrale Abnahme für, sagen wir, einen Kreis von Musikern.
Der Nachteil ist ebenfalls der räumliche Eindruck - der Raum muss gut klingen, sonst hat man eine akustische Brotdose. Ein weiterer Nachteil: Obwohl der räumliche Eindruck richtig toll wirkt, ist er falsch... denn die rückseitigen Rauminformationen werden ja seitenverkehrt aufgenommen. So ist der Klang zwar erstaunlich breit, aber um einen Raum in seinem realen Klangbild zu dokumentieren ist es nicht geeignet. Ein kleiner weiterer Nachteil: Es gibt nicht viele empfehlenswerte und budgetfreundliche Mikros, die 8er Charakteristik und einen einigermaßen neutralen Frequenzgang haben, und unter freiem Himmel wird die ganze Kiste auch noch sehr windempfindlich.
groß AB (Live Anwendung): der denkbar einfachste Ansatz für eine Stereoaufnahme. Nimm links auf was links spielt, und rechts was rechts spielt. Kann man im Grunde nicht viel falsch machen, wenn man die Signale auch schön getrennt lässt, die Signale sind dann typischerweise aus sehr stark unterschiedlichen Informationen zusammengesetzt, kommt der Wiedergabe auf einer klassischen Stereoanlage sehr entgegen. Nachteil: eignet sich nur bei wirklich großem Abstand und ist relativ schwer für einen Mix aufzubereiten, eventuelle Rauminformation und Nutzsignal stehen alleine und nichtmehr in einem Bezug zur anderen Seite, braucht unbedingt Stützmikros für Solisten und geht daher nicht als echtes Stereoverfahren durch.
Normales AB: die am häufigsten eingesetzte Variante wenn es um Drum OHs oder Piano geht. Keine Frage, den Klang kennt jeder. Für eine Live Abnahme prima, der Klang funktioniert auch gut auf Stereoanlagen, auf Kopfhörern kann es aber auch langweilig und hohl klingen, sollte deswegen ebenfalls mit Stützmikros verwendet werden und ist daher auch kein "echtes" Stereoverfahren.
Tja... soweit meine Erfahrungen und Meinungen zu Stereomikrofonierung. M/S lasse ich mal außen vor.