Staccato Punkt unter Legatobogen?

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shakerunner
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Hallo zusammen, ich begegne bei klassischen Klavierwerken des öfteren Staccatopunkten, die unter einem Legatobogen geschrieben stehen, wie hier in dieser PDF der Sonate 16 (Andante) von Mozart:

In diesem Fall könnte ich es mir noch so erklären, dass das eher Phrasenbögen als Legatobögen sind, oder dass damit ein "Portato" gemeint sein soll, was ja auch so geschrieben wird, allerdings finde ich nicht eine einzige Aufnahme dieses Stücks, auch nicht von Weltklassepianisten, an denen diese Stellen nicht total legato klingen, und wieso sollte ein "Portato" Ton wie im Beispiel von Takt zwei ganz alleine am Ende stehen...
Daher meine Frage: Kann sich jemand erklären, was genau damit gemeint sein soll bzw. ob es da noch eine andere Erklärung dafür gibt?

Viele Grüße :)
Shakerunner
 
Höre mal hier bei 32ff Sekunden, man hört da ganz gut die Artikulation "non legato", also zwischen legato und staccato, finde ich.
Bei "portato" hätten die einzelnen Noten mehr Gewicht, wenn ich mich dazu aus dem Trompetenunterricht richtig erinnere...


View: https://youtu.be/Gj4LjyTOmD0?t=28


Dagegen wird die Stelle hier nach ca. 28 Sekunden m.E. schon als staccato gespielt:


View: https://youtu.be/3799gkXPgfU?t=24

Gruß Claus
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würde davon ausgehen, daß diese Staccatopunkte nicht von Mozart stammen, sondern vom Herausgeber.

Bei von Amsberg steht ein + über dem g' (was immer das heissen mag):
1714089876521.png


Bei Martienssen gibt es keinen Staccatopunkt:

1714091373971.png

Die Ausgabe, die ich habe (Henle Verlag, Ernst Herttrich) halte ich für sehr nah am Original. Sie wird heute im Henle-Verlag für die Urtext Edition verwendet. Sie hat auch keinen Staccatopunkt:

IMG_20240426_023154.jpg


Lebert dagegen hat den Staccatopunkt:

1714091824529.png


Ein Autograph für das Stück ist offenbar nicht vorhanden. Man sieht also: Es herrscht Interpretationsbedarf.

Wenn man es aber so spielen will, wie es bei Dir notiert ist, dann bindet man die letzte Note an die vorhergehende, spielt sie dann aber kurz. In folgendem Beispiel wird das h' sowie das a' an das vorhergehende d'' legato angebunden. h' und a' werden aber nicht angestossen, zwischen d'' und h' sowie zwischen d'' und a' darf keine Lücke entstehen:

1714093785457.png

Viele Grüße,
McCoy
 
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Das Plus bei von Amsberg scheint mir vom Fingersatz zu kommen und muss wohl für den Daumen stehen. Die andere Finger sind dann 1-4 statt 2-5.
 
Wenn man es aber so spielen will, wie es bei Dir notiert ist, dann bindet man die letzte Note an die vorhergehende, spielt sie dann aber kurz.
Korrekt, aber da beziehst Du dich auf eine andere Stelle als die von mir kommentierte. Welche Stelle(n) meinte Shakerunner denn? :gruebel:
sonata facile.jpg


Gruß Claus
 
Korrekt, aber da beziehst Du dich auf einen andere Stelle, als die von mir kommentierte.

Ach so, da finde ich manche Ausgaben mit reinen Staccatopunkten und manche mit Portato-Artikulation (Legatobogen mit Staccatopunkten.

Lebert:

1714130761553.png


von Amsberg:

1714130808930.png


Martienssen:

1714130886629.png


Herttrich schreibt auch Staccato:

IMG_20240426_132053.jpg


Das entspricht also den beiden Beispielaufnahmen, die @Claus gepostet hat.
Auf jeden Fall sieht man auch hier, daß es Interpretationsspielraum gibt. Aber den gibt es (nicht nur) bei Mozart eigentlich immer.

Viele Grüße,
McCoy
 
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Das Plus bei von Amsberg scheint mir vom Fingersatz zu kommen und muss wohl für den Daumen stehen. Die andere Finger sind dann 1-4 statt 2-5.
Völlig korrekt, was auch sofort zu erkennen ist, wenn man auf das untere System für die linke Hand schaut. Das D1 kann nach dem notierten Fingersatz nur vom Daumen gespielt werden.
Nebenbei ist es anatomisch richtig, den Daumen nicht mit "1" zu bezeichnen, sondern die "1" dem Zeigefinger als erstem Finger zuzuordnen (so machen es auch die Streicher, aber weniger aus anatomischen Gründen, sondern weil sich der Daumen standardmäßig unter dem Griffbrett aufhält und nur ausnahmsweise mal an die Saiten kommt).
Der Daumen wird anatomisch nicht den Fingern zugeordnet wegen seines Grundgelenks, das als Sattelgelenk ausgebildet ist und ihm seine große Beweglichkeit und besondere Funktionalität ermöglicht, indem er den Fingern gegenüber opponieren kann. In der Anatomie heißt der Daumen "Pollux" und die Finger "Digiti" (Einzahl "Digitus").
Umgangssprachlich hat es sich aber durchgesetzt, den Daumen von der Zählung her den Fingern gleichzustellen und ihm die "1" zu geben. Mittlerweile ist das auch so in die Anatomie eingesickert, so dass auch dort heute für den Daumen neben "Pollux" die Bezeichnung "Digitus manus I" üblich ist.

Zu den angesprochenen Artikulationen:

Zu Mozarts Zeiten war es noch nicht durchgängig übliche Praxis, alle Artikulationen in die Noten, insbesondere Handschriften, einzutragen. Schon gar nicht, wenn der Komponist die Noten für sich selber als Interpreten schrieb oder er den Solisten bzw. die ausführenden Musiker persönlich kannte und regelmäßig mit ihnen zusammen arbeitete.
In dieser Zeit wurde in öffentlichen Konzerten kaum bis gar nicht Musik vergangener Epochen aufgeführt, die (professionellen) Musiker waren mit der Stilistik der Musik ihrer Zeit routinemäßig bestens vertraut. Sie spielten sozusagen nichts anderes als ´zeitgenössische´ Musik.
Auf diese Kenntnisse und Routine konnten die Komponisten bauen und sie mussten daher nicht alle Artikulationen penibel eintragen. Daher wirken manche Autographen dieser Epoche für uns heute etwas ´nackt´ und quasi unvollständig. Um daraus aktuell verkäufliches Notenmaterial zu machen, kommen die Herausgeber gar nicht umhin, in solchen Fällen Artikulationen zu ergänzen.
Da es dabei unweigerlich einen gewissen Interpretationsspielraum gibt, kann sich beim Vergleich verschiedener Ausgaben schnell etwas Verwirrung einstellen.
 
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Das Plus bei von Amsberg scheint mir vom Fingersatz zu kommen und muss wohl für den Daumen stehen.
Ja, das stimmt natürlich. Ich hatte das auch schon mal bei Czerny op.300 gesehen, hatte aber gestern Nacht um 3 nach der Jazzsession keine Lust mehr, das zu verifizieren. :ugly: :w00t::guilty::m_sax::m_trumpet::m_trombone::m_piano2::m_dblbass::m_drummer::D

Viele Grüße,
McCoy
 
Mega!! Vielen Dank schonmal für eure Antworten! Bei den Videos von Claus war ich tatsächlich baff, weil mir bis dahin noch keine Interpretation begegnet ist, bei der so klar die Non Legato / Staccato Punkte doch hervortreten.
Vielen Dank euch, ich hab mehr gelernt, als ich mir erhofft hatte :D
Viele Grüße, Shakerunner
 
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