Spannungsverstärkung durch Tensions

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Wenn ich am Musikrechner etwas austüftele, beschäftigt immer wieder die Frage, inwieweit die Wahl des Instrumentes/Sounds den Eindruck von Konsonanz und Dissonanz verstärkt bzw. abschwächt. Manche Sounds interferieren ja stärker miteinander als andere. Damit meine ich den puren Instrumentenklang und keine Sounds, die in sich instabil sind, weil sie (absichtliche) Pitch-Schwankungen haben oder mit einem starken Chorus- oder Phaser- Effekt versehen sind. Oder fettverzerrte E-Gits, die schon bei der Terz murren.

Ein Kumpel schlug mir neulich vor, einfach erstmal mit Sinustönen rumzuprobieren. :)

Jedenfalls bin ich durch das Thema noch auf eine Grundsatzfrage gekommen:
Inwiefern kann ein Solist einer Harmonie mit einem Spannungston Spannung hinzufügen, wenn der Spannungston im Akkord bereits vorkommt?
Nach meinem Gehör:
1. Bei mit der Begleitung identischer Tonhöhe: gar nicht.
2. Erklingt der Solistenton eine Oktave höher als die Begleitung: schon.

Falls das allen so ginge, bliebe die Frage, weshalb das so wäre: Entsteht die Spannungsverstärkung allein durch die Oktavierung des Tones im Sinne einer Dopplung, Wiederholung

oder

entsteht aufgrund der Gleichstimmung bei einer Oktave eine zusätzliche Interferenz, die zur Spannungsverstärkung beiträgt?

Gruuuß,
Heiner
 
Eigenschaft
 
Elektronische Instrumente haben typisch ein strikt ganzzahliges Oberwellenspektrum - es sei denn, sie arbeiten mit Samples.
Für natürliche Instrumente und deren Simulationen (via Samples) ist das Oberwellenspektrum nicht ganzzahlig - deshalb gibt es den Begriff der Streckung. Das wirkt sich bei grundtongleichem Spiel nur nicht sonderlich aus - das Ohr nimmt nur die Charakteristik des Instrumentes wahr - im oktavierten Abstand aber umso mehr. Weshalb Klaviere idR so gestimmt werden, dass die Streckung näherungsweise ausgeglichen wird. Nach oben werden die Frequenzen "gestreckt" - etwas angehoben. Näherungsweise heißt, das man nicht vollständig ausgleichen kann. Eine gewisse "Restspannung" bleibt immer. Das unterscheidet aber natürliche Instrumente zu deren Vorteil von elektronischen.

Für verschiedene Instrumente lässt sich nichts ausgleichen. Bei der Prime ist die Spannung minimal - bei der Oktave entsprechend höher.
 
Streckung - interessant - habe mir den Wiki-Artikel dazu durchgelesen. Anscheinend kann und muss nur bei Saiteninstrumenten gestreckt werden.

"Die Steifigkeit der realen Saiten übt [...] zusätzlich zur mechanischen Spannung eine Kraft auf die Saiten aus und erhöht so die Frequenz der Obertöne (je höher, desto mehr) – der Ton klingt höher. Bei extrem kurzen und dicken Saiten ist dieser Effekt so stark, dass sie schon für sich allein unsauber klingen und praktisch unstimmbar sind. Dieses Phänomen wird als Inharmonizität bezeichnet." Quelle

D.h. die "Inharmonizität" - und ihr nicht vollständiger Ausgleich durch Streckung erklären, weshalb Oktaven des Solisten die Spannung verstärken - richtig?

Wenn ich nicht irre, lag ich also mit der gleichstufigen Stimmung falsch - und zwar komplett :D - weil deren Merkmal ja gerade die Oktavreinheit ist.

Ok, also müsste ein und dasselbe Solo spannungsärmer klingen bei einem Synthesizer als bei einer Gitarre.

Aber auch bei einem Synthesizer empfinde ich es so, dass ein oktavierter Akkordton - z.B. b7 zu V7 - Spannung erzeugt, während die gleichhohe b7 nichts hinzufügt - was bleibt da als Erklärung?



 
Die Oktave ist bei der gleichstufigen Stimmung das einzige Frequenzverhältnis, das in ganzen bzw. rationalen Zahlen ausdrückbar ist. Denn so ist die gleichstufige Stimmung definiert: Halbtonabstand ist die 12. Wurzel von 2. Das konstante Frequenzverhältnis von Halbton zu Halbton in eben diesem Abstand sorgt dafür, dass man nach 12 Halbtönen aufsteigend bei der 2 , der Oktave und damit der Frequenzverdopplung landet. Der Klavierstimmer weicht davon ein bisschen ab - ändert am Prinzip der gleichstufigen Stimmung nichts.

"Aber auch bei einem Synthesizer empfinde ich es so, dass ein oktavierter Akkordton - z.B. b7 zu V7 - Spannung erzeugt, während die gleichhohe b7 nichts hinzufügt - was bleibt da als Erklärung?"

Jeder Ton, der nicht im Oktavabstand zu einem anderen Ton steht, steht in einem irrationalen Frequenzverhältnis zu diesem. Damit sind nach oben theoretisch unendlich viele Überlagerungen möglich. Wenn du einen Ton hochoktavierst, dünnst du dessen Oberwellenspektrum mit Bezug auf die unteren Töne allgemein aus - zugleich werden aber auch Oberwellen angehoben. Je mehr Grundtoninformation das Ohr hat, desto leichter ist die Verarbeitung interferierender Frequenzen - desto weicher ist der Klangeindruck.

Dass "b7 nichts hinzufügt" kannst du so nicht sagen. Immerhin steht b7 zu 3 im Tritonus. Und dessen Abbildung ist in der gleichstufigen Stimmung - im Gegensatz zu einer natürlichen Stimmung - sogar exakt, ebenso die Darstellung als zwei aufeinanderfolgende kleine Terzen (Terzen durch die gl.st. Stimmung gegeben). In der gleichstufigen Stimmung stimmt ansonsten nur die Oktave - nicht einmal die Quinte stimmt.
 
Wenn ich Dich richtig verstehe, haben hohe Töne weniger - hörbare? - Oberwellen, weshalb ihre Grundtöne deutlicher hervortreten - woraus ein weicherer Klangeindruck folgt?

"b7 fügt nichts hinzu" - verstehen wir uns richtig? Ich meine: Wenn im Akkord bereits ein b7 klingt, dann fügt der Solist durch eine b7 in derselben Oktave keine weitere Spannung hinzu.

Ist spannend. Durch die gleichstufige Stimmung produzieren auch Synthesizer trotz ihrer ganzzahligen Oberwellen beim Spiel von Mehrklängen Interferenzen, richtig?
 
Generell rücken die Oberwellen von allen Verhältnissen die nicht ganzzahlig sind, nach oben zusammen. Ist schon bei der Quinte so: auch wenn diese strikt nach 3:2 gestimmt ist. Man muss die Frequenzvielfachen logarithmieren, dann sieht man es: log(Grundfreq*Oberwelle) = log(Grundfreq) + log(Oberwelle) . Der logarithmische Abstand der beiden Grundfrequenzen ist die Konstante - die durch Oberwellenpaare immer mehr angenähert werden kann. Nur die Oktave (1:2) ist gegen solche Annäherungen resistent.

Bei der gleichstufigen Stimmung ist das sowieso hoffnungslos :) Egal ob Quinte, Quarte oder Terz - es wimmelt nur so von Überlagerungen, die sich schon ab der 4. harmonischen enorm auswirken. Das betrifft den Synthesizer genauso wie natürliche Instrumente.
 
Danke für Deine Antworten, RMACD, war aufschlussreich für mich!
 
Es ist tatsächlich so, dass man Dissonante Intervalle eher bringen kann wenn man sie nach oben oktaviert. Erklärung ist wie schon erwähnt die Oberstonstruktur.

Ihr redet hier über den gleichzeitigen Zusammenklang von Akkord und Melodie. Was ihr völlig ausßer Acht lasst, ist dass die Melodie auch eine melodische Spannung hat. Wenn zB eine None in der Melodie vorkommt und der Akkord ein auch eine None enthält, dann hat der Melodieton immer noch einen Drang sich aufzulösen.

Wenn du willst kannst du dich auch mal mit den Begriffen Spaltklang und Schmelzklang auseinandersetzen. Da geht es darum ob gleichzeitig klingende Töne zu einem Klang verschmelzen oder eben nicht.
 
Hi Klaus,

- hast Du eine Quelle für das Konzept von "Spaltklang und Schmelzklang"?

Denn wenn ich es richtig verstehe, wird "Spaltklang" bei Wikipedia anders erklärt - da geht es nicht um Dissonanz im harmonischen Kontext, sondern um Transparenz eines Satzes (- via Arrangement?), der Gegenbegriff lautet dort "Mischklang". Für "Schmelzklang" finde ich gar keine Quelle außer solchen, die das Wort metaphorisch benutzen.

Ich bin mir nicht sicher, aber ich vermute, mit melodischer Spannung meinst Du Fall 3., oder?

Wenn eine Tension der Hauptonart im Melodieverlauf ebenfalls Tension des erklingenden Akkordes darstellt, besteht wohl kein Zweifel, dass man Auflösung erwartet - Beispiel in C-Dur:

1. None "d" klingt zu IVj7 ebenfalls als Tension - als Optionston 13.

Andererseits:

2. None "d" wird über II-7 zum Grundton - und verliert durch die vertikale Konsonanz ihre Auflösungstendenz.

3. Tonartfremde b5 "f#" erklingt über F#-7 zwar vertikal völlig konsonant, erzeugt aber horizontal Spannung im Melodieverlauf.

und schließlich:

4. Grundton "c" wird über III-7 zur b13 und gewinnt dadurch erst Spannung.
 
Mit melodischer Spannung meine ich genau was du in deinem Post unten beschreibst. Selbst wenn man die Begleitung weg nimmt, haben verschiedene Melodietöne verschiedene Funktionen. Manche sind eben spannungsreicher als andere.

Mir ist der Begriff Schmelzklang irgendwie hängengeblieben, aber Mischklang meint wohl auch was ich unter Schmelzklang verstehe. Ich mag da die HAnd nicht ins Feuer legen. ;)

Ich will damit sagen, dass unter bestimmten Voraussetzungen Intervalle mehr oder weniger spannungsreich wirken. Wenn ich dafür Sorge, dass sowieso eher horizontale Einzelstimmen gehört werden und die vertikalen Intervallbeziehungen in den Hintergrund treten, dann kann man eben auch "dissonantere" Intervalle bringen.

Ein anderer Aspekt ist, dass man die Obertonstruktur der beteiligten Instrumente beeinflussen kann. Ein Bläsersatz der leise spielt hat viel weniger Obertöne und ermöglicht so kompliziertere Voicings, die im Fortissimo ziemlich breiig klingen würden. Genau so ist es bei verzerrten Gitarren. Je mehr Zerre, desto mehr Obertöne, desto mehr Clash-Potential. Das geht dann eben soweit das schon eine Terz zu dissonant klingt. Die Geburt des Powerchords.
 
Ist jetzt vielleicht ein wenig off Topic, ... aber sei´s d´rum ...:

Ich spreche jetzt von Tensions als Melodietönen. Da macht es auch noch einmal einen gewaltigen Unterschied, ob die einfach aus dem Nichts auftauchen, oder ob ihr Vorkommen einer Struktur, einem Bauplan folgt:

Beispiel: #11. Tauchte dieser Ton in einer ansonsten "konventionellen" Melodie auf, würde man als Zuhörer wohl zusammenzucken.
Ist er jedoch Teil eines übergeordeten Plans, z. B. einer Guide-Tone-Line, wird er nur als spannend und erfrischend wahrgenommen werden. Beispiel: Take The A-Train, Desafinado, ...

Thomas
 
Nee, das empfinde ich nicht als off topic. Es wird ja hin und wieder mal in Granit gehauen, dass man sich fast alles erlauben kann, sofern es bewußt gestaltet und nicht unmotiviert und unvermittelt wirkt - und genau das ist so schwierig, weil es für den Createur ja nicht unvermittelt kommt - er weiß ja, wie's gemeint ist und dass es gleich so kommt. :cool:

Aber grundsätzlich kann man wohl jede Tension etwas gewollter wirken lassen, indem man sie vom Begleitakkord ebenfalls spielen lässt.

Doch kann man umgekehrt der Tension ihre Spannungsfunktion auch nehmen, indem man sie in den Begleitakkord aufnimmt?
 

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