OKay - ich mach mal den Anfang. Ich hoffe, dass nicht auf die chronologisch korrekte Reihenfolge der einzelnen Veranstaltungen bestanden wird:
SchoolJam-Bandfestival, Regiofinale am 06.02.2013 in Hannover
Location
Das Béi Chéz Heinz in Hannover. Ehemaliger Trash- und Kultladen (in diesem Fall ist dieser Begriff tatsächlich berechtigt) mit DGB-Hintergrund. Heute beständige Liveclub-Instanz mit durchaus überregionalem Ruf für Belange jenseits des Mainstream (Montag spielten die UK Subs zusammen mit TV Smith). Mit diesem Laden verbinde ich sehr viele Erinnerungen. Auch das erste Usertreff aus unserem
Vocals-Forum fand hier im Jahr 2006 statt.
Ich gestehe aber, dass es sich für mich als Problem(chen) erwies, an den sündigen Pfuhl meiner durchaus lange währenden Adoleszenz und Hauptaustragungsort meines musikalischen Schaffens zurückzukehren. Die 23 Stufen der Eingangstreppe runter und sofort beim ersten Einatmen des typischen BCH-Oeuvres setzte bei mir ein pavlovscher Reflex der Trunkenheit ein - obwohl ich völlig nüchtern war. Und obwohl an diesem Abend wohl niemand anwesend war, der häufiger diese Hallen betreten und diesenorts mehr Hirnzellen eingebüßt hat als ich, fühlte ich mich seltsam deplatziert: Erstmalig kannte ich hier keine Sau und niemand kannte mich. Das war sehr ungewohnt und ich wünschte mir, ich hätte mir jemanden als Begleitung mitgenommen. Ein bißchen fühlte es an wie so ein Kindheits-Alptraum: Man kommt nach Hause, alles ist wie gewohnt, aber statt der Eltern sitzen da fremde Leute und behaupten, deine Eltern zu sein.
Das hat mich doch eingermaßen verunsichert. Aber soviel zu meiner persönlichen Befindlichkeit.
Die Jury
Drei nette Typen aus Köln / Bonn, geschätzt zwischen 35 - 45, deren Namen ich jetzt sicher durcheinanderkriegen oder falsch schreiben würde. Einer mit Mütze, einer mit Haaren und einer, der größer war als die anderen beiden und so eine Art Trainingsjacke anhatte. Glaube ich zumindest. Und ich natürlich.
Orga
Orga und Ablauf waren vorbildlich.
Die Bewertungen
Jede der zehn Bands spielte zwei Songs, wobei der selbstgewählte Favorit der zweite Song sein sollte. Die Juroren konnten (unabhängig voneinander, ohne Absprachen) vier Einzel-Kriterien mit je 0-10 Punkten bewerten, die dann addiert wurden: Komposition, Gesang, Zusammenspiel und Live-Performance. Die höchste Punktzahl pro Juror und Band betrug also 40. Die zwei Bands mit der höchsten Gesamtpunktzahl kommen in die nächste Runde.
Aufgrund eines Missverständnisses gab es von mir 4-10 Punkte statt 0-10. Der Juror mit Haaren sagte im Vorfeld sowas ähnliches wie: wir vergeben jeder mindestens 4 Punkte - meinte damit aber pro Band, nicht pro Kriterium. Aber das hat am Endresultat nichts geändert und hätte auch ohne Missverständnis nichts geändert.
Der Sound
Ich habe gefühlte hundert mal selbst in diesem Kellerclub gespielt und kann daher sagen: Es ist ein Club für feuchtfröhliche, subkulturelle Konzertereignisse, kein Ort des differenzierten Wohlklangs und auditiven Feinsinns. Daran hat sich auch nach mehrfachen architektonischen Neuerungen und wechselndem Equipment nichts geändert. Auch dem Personal ist das nicht anzukreiden. Der Ort ist zu klein, um die PA ordentlich auszufahren, aber auch wieder zu weitläufig, um zB auf Drum-Abnahme zu verzichten. Am Ausgewogensten ist der Sound in der Nähe des Geschehens, wo man den Bühnensound noch mitkriegt.
Die Bands sind mit der festen Backline (Amps und Drums) recht gut klargekommen.
Die Bands
Ich werde den Teufel tun, im Einzelnen auf die Bands einzugehen. Nur soviel: bis auf zwei bis drei Ausnahmen gab es schwerpunktmäßig Musik der härteren Gangart zwischen Punk, Punkrock, etwas Metal, ein bißchen Stoner und auch einen einzelnen - vermutlich unbewussten - Hauch von Glamrock. Für mich lagen sechs Bands vom Niveau her recht dicht beieinander und gefielen mir ausgesprochen gut, drei ein bißchen darunter und nur eine fiel für meinen Geschmack ganz ab. Gewisse Niveau-Unterschiede waren aber durchaus gewollt und wurden dem Publikum auch mitgeteilt. Es ging zum einen darum, echten Anfängern eine neue Erfahrung zu bieten, zum andern darum, ambitionierten Newcomern zu ermöglichen, mal deutschlandweit aufzutreten.
Innovationen gab es keine. Fast jede der Bands hätte genauso schon vor 10-15 Jahren in diesem Club spielen können - nur anhand der Frisürchen könnte man einen Unterschied feststellen, denn heutzutage sehen viele junge Rockmusiker aus wie Sparkassen-Azubis. Aber Innovation wäre auch sehr viel verlangt. Zum einen lässt sich die Rock/Popmusik eh kaum noch neu erfinden, zum anderen brauchen wirklich innovative Bands sich vielleicht nicht solch einem Wettbewerb stellen. Aber das ist reine Spekulation.
Die Auswertung
Als Gastjuror, dessen Punktzahl aufgrund des oben erwähnten Missverständisses eh schon höher ausfiel, waren meine Bewertungen natürlich deutlich dichter beieinander als die der Dauerjuroren. Meine höchste Punktdifferenz lag bei etwa 12 Punkten, bei sechs Bands sogar nur im 3-Punktebereich. Die Jurykollegen waren da deutlich beherzter bei der Sache - haben natürlich auch mehr Erfahrungswerte als ich. Ich konnte mich mit dem Ergebnis aber gut anfreunden. Die beiden Bands mit den meisten Gesamtpunkten waren auch in meiner engeren Auswahl. Die Verteilung war fair und der Sieg verdient.
Die Verkündung
Vor der Verkündigung wurden noch mal alle Juroren auf die Bühne geholt und sollten sich kurz selbst vorstellen. Hier bekam ich meine zweite Sinnkrise an diesem Abend: Noch nie musste ich mich auf meiner ehemaligen Wohnzimmerbühne selbst vorstellen - was ich in einem spontanen Anfall verbaler Inkontinenz dummerweise auch preisgegeben habe. Nicht nur, dass diese Info völlig unnötig war - es hat mit Sicherheit auch kein Schwein interessiert oder mir besondere Sympathien beschert. Ansonsten war ich halt der Moderator von Deutschlands größtem Musiker-Forum (was die interessantere und auch einzig relevante Information war). Für's nächste mal also: Fresse halten, antipasti
Weitergekommen sind die Bands "Pluspunkt" und "Jonny Park", die auch zu meinen ersten Favoriten gehörten. Glückwunsch. Bitte schreibt mir keine Beschwerde-Nachrichten, falls ich irgendeinen Namen falsch buchstabiert habe.
Abgang
Um eventuellen Nachfragen einzelner Protagonisten, was sie verbessern können, zu entgehen, habe ich mich flugs aus dem Staub gemacht. Meine Antwort wäre ohnehin für alle dieselbe gewesen: Vertragt euch und nehmt nicht an Band-Wettbewerben teil.
PS: okay, okay. Es wäre gemein, das so als Fazit stehen zu lassen. Solche Wettbewerbe sind sicher gut und wichtig, um sich als ambitionierte Band ein größeres, landesweites Publim zu erspielen. Man sollte aber nicht zwingend seine Qualität infrage stellen, wenn man nicht weitergekommen ist.
Mein Fazit
Gut organisierte Veranstaltung mit nettem Orga-Team und einigen wirklich guten Bands. Die Stimmung unter den Bands schien mir kollegial, so dass ich diesen Contest auch Anfängern gern weiter empfehle.
Und ich sollte mich öfter mal wieder in die realen Abgründe der Musikschaffenden wagen, statt diesem Interesse überwiegend virtuell zu fröhnen. Nächste Wochen spielen Sultan im BCH - da kommen auch wieder jede Menge alte Säcke, die mich vielleicht noch kennen.