Guten Morgen, Teestunde,
ein Text, der sich sprachlich - in meinem inneren Ohr - in einen Erzählton kleidet, gleichwohl aber die Frage nach dem inneren Wollen, den Wünschen und den damit verbundenen Zweifeln anspricht, dabei nicht locker läßt und die Frage nach einem "Und jetzt willst Du es sausen lassen?" ausspricht. Das Gefühl kennen wohl alle, denn der Stern, um den es geht, muss nicht Ruhm und Ehre und Bühnenerfolg sein, sondern kann auch die uneingestandene Liebe, den gewagten beruflichen oder privaten Schritt bedeuten, den Aufbruch ins Ungewisse.
Ich lese den Text als einen inneren Monolog - das LI betrachtet das Foto der Person, um die es geht, sieht die Trauer und fragt sich, warum. Möglich aber auch, dass die Fragen sich in einer konkreten Situation an das zweifelnde Gegenüber richten, Mut machen sollen. Vielleicht ist dann weit mehr als ein Erzählton drin, mehr Dramatik, mehr emotionale Bewegung. Sprachlich habe ich eine Anmerkung:
Doch nach dem Stern zu greifen, hieß zu leben;
er war dein Schicksal und kein Zufallsfund.
Wird nicht hier dem Lyrischen Du insgeheim recht gegeben, indem der Griff zum Stern in die Vergangenheit gerückt und damit dem Ankommen-Können eine stille Absage erteilt wird?
Wie wäre es mit:
Doch nach den Sternen zu greifen, heißt zu
leben;
er ist Dein Schicksal und kein Zufallsfund.
Es ist mir schon klar, dass es einerseits um eine Vergangenheit geht - das LD macht einen Schritt, hat Erfolg, realisiert ihn aber nicht und scheint nun, da er dem Erfolg viel näher ist als damals, in Mutlosigkeit gefangen. Aber hier wird aus meiner Sicht die Vergangenheit zu einem Punkt, der vorbei ist und der dann auch aus jetziger Sicht des LD zur Geschichte, ad acta, gelegt werden kann. Es geht aber doch darum, die Aktualität dessen, was damals passiert ist, zu betonen und dessen grundsätzlichen, kontinuierlichen Charakter. Aus dieser Sicht wäre es meines Erachtens folgerichtig, die erste Zeile zu einer Art dauerhaften Wahrheit zu machen: Nach dem Stern greifen, heißt zu leben und die zweite Zeile als Kontinuität zu formulieren: er ist weiterhin Dein Schicksal und nicht eine beliebige Laune des Lebens.
Ich tue mich schwer mit "Mut-Mach"-Texten. Nicht deshalb, weil ich deren Wichtigkeit in Frage stelle. Eher deshalb, weil ich die meisten der songs, die in diese Richtung gehen, selbst nicht als mutmachend erlebe, sondern als seltsam kraftlos und eher bemüht als wirksam. Und weil ich daran glaube, dass dies in einer Form geschehen kann, die eher ein persönliches Gespräch oder eine Begegnung sind, denn ein Text, der eben kommunikativ nur in eine Richtung wirkt, wo es eines Dialoges bedürfte. Aber das mag alles lediglich bei mir so sein - mag sein, dass viele etwas damit anfangen können.
Aber dennoch hakt etwas in mir fest, das für mich mit dieser kommunikativen Einbahnstraße zu tun hat.
Sei tapfer, dann kommt auch der Zauber wieder!
Ist es das, worum es geht? Tapfer sein - durchhalten - sich durchbeißen? Sicher gehört Standing und Durchhaltevermögen dazu, Durststrecken zu überwinden. Möglicherweise liegt das Problem des LD aber woanders: nämlich darin, aufgrund von inneren Grenzen den eigenen Erfolg gar nicht wahrnehmen zu können: Er oder Sie hat ja Erfolg, bekommt Ovationen - aber zweifelt dennoch mit stillem, traurigen Blick. Und dann kann es sein, dass der Rat, durchzuhalten und die Zähne zusammen zu beißen, genau so ins Leere geht wie der Blick des LD oder gar schlimmer: der Rat wirkt noch verstärkend. Denn Durchhalten macht dann Sinn, wenn die äußere Situation sich ändert: wenn die dürren Jahre vorüber gegangen sind, wenn das Publikum wieder kommt etc. Aber wenn der innere Blick sich vor dem Erfolg, der ja da ist, verschließt und sich vor den Erfolg stellt, ihn verdeckt, geht es um
eine innere Dynamik, die die Tendenz hat, fortzubestehen - trotz des äußeren Erfolges. Hier wäre vielleicht eher ein "Besinne Dich" als ein "Weiter so" angebracht. In gleicher Weise bin ich skeptisch, was die letzten beiden Zeilen angeht:
Auch wenn die Kräfte heute nichts mehr taugen,
schon morgen führt dein Weg dich neu bergan.
Liegt es an den Kräften, an der Erschöpfung? Daran, dass der Weg bergan so viel Kraft kostet? Daran, mal auszuruhen?
Mag sein. Vielleicht aber auch daran, dass es Kraft kostet, wenn man sich bemüht und aufgrund einer inneren Dynamik das eigene Weiterschreiten, den eigenen Erfolg gar nicht wahrnehmen kann. Vielleicht weil genau das nie gelernt wurde? Insofern scheint die damalige Frechheit, das Schicksal beim Schopf zu greifen, sich zu rächen - weil ein inneres Gesetz nicht überschritten werden darf: Bleib bescheiden. Greif nicht zu den Sternen. Das ist nichts für Dich. Schuster, bleib bei Deinen Leisten. Innere Botschaften, die um so stärker geweckt und virulant werden, je stärker die Realität ihnen zu trotzen scheinen - innere Botschaften, die nur durch die Person selbst außer Kraft gesetzt werden können, nicht durch einen äußeren Erfolg.
Aber es ist, liebe Teestunde, Dein Lyrisches Du und es ist Dein Text.
Es sind meine Gedanken, die ich Dir mitteilen möchte - Gedanken, die durch Deinen Text ausgelöst wurden und die ich durch das Schreiben spüre.
Herzliche Grüße und vielen Dank,
x-Riff