Ich habe gerade mal nachgesehen, ob innerhalb eines Bandes die Schreibweise der Akkorde konsistent ist, dann könnte ich mir das so erklären, dass man an der optischen Erscheinung bereits den Akkord erkennt, aber was soll ich sagen die Akkorde sind in verschiedenen Stücken unterschiedlich notiert
.
Ja, das habe ich auch getan (anhand der Vorschau-Beispiele, die für die ganze Reihe beispielsweise bei
https://www.stretta-music.de/ zu finden sind).
Erkenntnis: Ich nehme den "Murks" zurück!
Ich habe mich neben den konkreten Notenbeispielen auch (besser spät als nie) über den Urheber
Herwig Peychär informiert. Das war vor meiner Zeit, aber er war ohne Zweifel ein herausragender Akkordeonist und auch Konzertpianist.
Man kann also getrost unterstellen, wer wusste genau, was er tat und es handelt sich keineswegs um Nachlässigkeit bei den "uneinheitlichen" Schreibweisen.
Was steckt wahrscheinlich dahinter?
So genial Stradella auf der einen Seite auch sein mag, haben Akkordeonisten immer unter der Beschränktheit gelitten und zu akademischen Weihen konnte das Instrument erst gelangen, als MIII (der Melodiebass) eingeführt wurde.
Außerdem klingt jedes Instrument anders:
- Ausgewogenheit zwischen Diskant und Bass (ein bekanntes Problem)
- Unterschiedliche Stradella-Oktavknickstellen
- Unterschiedliche Registrierungen
Peychär hatte also
insgesamt ein musikalischen Ideal vor Augen/Ohren, das er genau so in den Noten aufgeschrieben hat.
Wie sich das konkret mit den jeweils zur Verfügung stehenden Instrumenten umsetzen lässt (das konkrete Klang-Ergebnis), hängt tatsächlich vom Instrument ab.
Das bedeutet, es gibt nicht einmal immer eindeutige Antworten, wie eine mehrdeutige Stelle zu spielen sei:
- Der schon von mir erwähnte Oktavsprung im Bass, der ja u. a. im Barock sehr beliebt war, lässt sich eventuell umsetzen, wenn man, statt den selben Stradella-Basston zu wiederholen, einfach den passenden Akkord spielt. Dann bewegt sich auch merklich "was nach oben" und die paar Zusatztöne, die man eigentlich nicht gebraucht hätte, stören eventuell kaum.
- Ein kräftiger Bass (nur ein Basston notiert) kann unter Umständen durch den passenden Akkord dazu noch stärker betont werden. Oder auch nicht, wenn das auf dem Instrument übertrieben klingt.
- Akkorde werden verschiedenst geschrieben, wie beim Klavier ja auch. So, wie es in den Noten steht, würde es reichen, aber man hat ja nun mal nur die festgelegten Akkord-Voicings pro Knopf, die auch noch von Instrument zu Instrument in verschiedenen Umkehrungen erklingen können.
- Teilweise ist sogar bei "Hum-Ta-Ta" Bass-Akkord-Mustern der Bass "unnötig" hoch notiert, wenn es ihm musikalisch angezeigt vorkam.
Also: Versuch es so zu spielen, dass es dem, was in den Noten steht, auf Deinem Instrument möglichst nahekommt.
Hilfestellung hierzu geben die Buchstabenbezeichnungen.
Neues Notenbeispiel: Michel Peguri, "Bourrasque"
Habe aber noch ein interesantes Notenbeispiel. Bourrasque von Michel Peguri. Der Basslauf im 3 Takt der letzten Zeile: Unter den Noten ist G, h, C notiert. In den Noten steht aber G, Fis, E. Was würded Ihr hier mit dem MII spielen?
@Wil_Riker hat es ja schon erklärt.
Generell neigen die Franzosen dazu, die Gesamtharmonien (also nicht einzelne Basstöne oder Akkorde) zu bezeichnen. Üblicherweise in ihrer Sprache (also Solfège: Do, Ré, Mi, Fa, ...), aber das ist hier wohl anders.
Aber an den vereinzelten Zusätzen wie "m" für Moll oder "7" für Septakkord wird klar, dass Harmonien gemeint sind.
Ich schreibe jetzt bewusst "Harmonien" und nicht Akkorde, weil z. B. beim Tonartwechsel "G" schon da steht, obwohl der "Akkordknopf" noch überhaupt nicht gedrückt ist.
Das D ganz am Anfang ist die zugrundeliegende D-Dur-Harmonie - der Bass spielt einen gebrochenen D-Dur-Akkord abwärts (d a fis D), wohlgemerkt wieder ohne sich um die Stradella-Grenzen zu scheren.
Es ist, also ob bei einem Song "Gitarrenakkorde" drüberstehen - sie sagen nur etwas über die Harmonie aus, nicht darüber, was die Instrumente jetzt konkret spielen.
Musterbeispiel: Curt Mahr
Der wahrscheinlich allen (besser als mir) bekannte Curt Mahr hat sich in allem, was ich von ihm gesehen habe, vorbildlich an die "offiziellen Hohner-Richtlinien" gehalten.
Akkorde sind grundsätzlich dreistimmig (wie sie ja auch klingen) in der Standard-Stradella-Oktave notiert.
Meiner Meinung nach liefert das gute Beispiele zu den schulmäßigen "Regeln der Kunst" - das ist eine hervorragende Ausgangsbasis und mit etwas ab- und zugeben kommt man auch mit ziemlich allem anderen klar.
Ich habe von Vorbewohnern ein altes Akkordeon-Notenheftchen "Das goldenene Tanzalbum" als quasi Sonderausgabe zu den "Deutschen Schlagerfestpielen 1965" sozusagen geerbt und nun aus diesem Anlass herausgekramt.
Auszug aus "Das 5. Rad am Wagen" von Christian Bruhns (bekannt aus Film und Fernsehen, äh, also vor allem der Bruhns):
Ein bekanntes musikalisches Klischee, dass der Bass von der Tonika "die Tonleiter hoch" zur Subdominante wandert (hier kommt er noch nicht ganz an), aber man sieht, dass das
E aus diesem Grund schamlos eine Oktave höher als normal notiert ist.
Weil ein abrupter Sprung nach unten ziemlich unnatürlich wäre.
Im selben Stück kommt später ein Walking-Bass-Teil, in dem man die Sprengung der Oktavgrenzen zugunsten der beabsichtigten (!) melodischen Linie sehr schön sehen kann:
Wem das zu schwer ist, der darf auch die einfachere "normale" Stradella-Begleitung spielen, die in kursiven Buchstaben darüber steht.
Nicht zu sehen ist, dass vor diesen kursiven Buchstaben am Anfang der Passage "ossia:" steht - so nennt man alternativ zu spielende Noten.
Ein Bauchweh-Beispiel habe ich aber auch gefunden:
Bei "Fräulein Wunderbar" (jetzt lacht nicht, es geht ja nur um die Notenbeispiele!) gibt es eine Stelle, in der der Bass musikalisch gesehen (also in den Noten) ein Es spielt, der Buchstabe darunter jedoch widersprüchlich ein
Dis anzeigt:
Das macht mir schon beim Ansehen Bauchschmerzen, ist aber die pragmatische Möglichkeit, einen Hinweis darauf zu geben, welchen Knopf man benutzen soll (eben den gleichkingenden Dis-Terzbass statt des abgelegenen "offiziellen" Es-Knopfes).
Ich hatte mich immer gefragt, wie man so eine Situation notationstechnisch handhabt und wollte eigentlich in den letzten Tagen eine diesbezügliche Frage an die Akkordeon-Experten hier richten. Diese Frage hat mir gerade Curt Mahr persönlich beantwortet. Wieder was gelernt!
In eigener Sache
Die Vielfalt der existierenden Noten interpretieren zu können ist ja eine Sache. Eine ganz andere Sache allerdings ist es, bewusst entscheiden zu müssen, wie man etwas am besten schreiben sollte, wenn man Eigenes zu Papier bringt. Seien es jetzt Kompositionen oder Arrangements.
Hier geht es um den Versuch, "Power Chords" mit Stradella-Bass zu spielen (für Bernnts "blues-zu-Fuß-Thread").
Power Chords sind ja terzlose Akkorde, die nur aus Grundton und Quinte bestehen. Dank Stradella liegen ja die beiden gemeinsam zu spielenden Einzelbass-Töne immer direkt nebeneinander.
Nur dummerweise gibt es den blöden Knick, so dass nie alle Power Chords als Quinte gespielt werden können, sondern manche immer als Quarte klingen und auch der Grundton leider nicht unten ist.
Was tun?
Trotzdem bzw. genau deshalb habe ich die klingende Idealvorstellung notiert, auch wenn das auf keinem Standardbass-Akkordeon der Welt so zu spielen ist:
Mir war, wenn schon die tatsächlich klingenden Töne "nicht stimmen", aber extrem wichtig, dass die Buchstaben wenigstens in der richtigen Reihenfolge stehen (Grundton muss der untere von beiden sein, alles andere wäre irreführend). Und es war mit wichtig, dass die oben/unten-Anordnung der Buchstaben mit den konkret geschriebenen Noten übereinstimmt.
Bei Kombination von Akkorden jedoch ist die "Reihenfolge" relativ egal bzw. durch die Verschmelzung der Noten ohnehin nicht zu erkennen:
Im folgenden (endlich abschließenden) Beispiel sieht man zuerst einen Am7-Akkord, der aus den Akkorden am und c zusammengesetzt wird. Im Notenbild kommt durch den zusätzlichen c-Akkordknopf allerdings nur ein einziger Notenkopf hinzu, nämlich das g, weil die Töne c und e ja bereits im am-Akkord vorhanden sind.
Beim Gmaj9 kommen zwar zwei Töne hinzu, aber dennoch sind in dem Notenkopfhaufen keine Einzelakkorde erkennbar und die Sortierreihenfolge spielt keine Rolle.
Der dritte Fall mit Gmaj7 allerdings bereitet mir Kopfzerbrechen, denn neben er ersten ("normalen") Spielweise kann es auch bequem sein, statt des Grundbass-G ein Terzbass-
Fisis (also auch ein klingendes G) vom Rande des Stradella-Feldes zu benutzen.
Wenn man das nicht dem Spieler überlassen will und, statt einfach G zu schreiben, tatsächlich
Fisis ausbuchstabiert, hat man die Wahl, die "korrekte" Bassnote G zu schreiben oder das tatsächlich gegriffene Fisis, was aber mehr als verwirrend und irreführend wäre (die drei letzten Beispiele):
Dank Curt Mahrs Beispiel habe ich nun gelernt, dass es offenbar üblich ist, in solchen Fällen durchaus Widersprüche zwischen Note und Buchstabenbezeichnung zu akzeptieren, getreu dem Grundsatz: Noten sind musikalischer Inhalt, Buchstaben sind konkrete Griff-Anweisungen.
Also so ein bisschen "Griffschrift" oder Tabulatur beim chromatischen Akkordeon.
Die mittlere Gmaj7-Schreibweise wäre also das Mittel der Wahl, wenn man wirklich den
Fisis-Terzbass benutzen soll.
Auch, wenn es übertrieben scheint und viele das Fisis am Stradella-Rand wieder G nennen, bin ich der Meinung, dass die konsequente Fortführung des Quintenzirkels (auch mit Doppel-Bes, Doppel-Kreuzen und Ces/Fes etc.) sinnvoll ist, weil erst dann eine wirklich eindeutige Buchstaben-Knopf-Zuordnung möglich ist. Beispielsweise ein Grundbass-E gäbe sonst ja eigentlich zweimal. Wenn man dann argumentiert "die liegen aber so weit auseinander, da ist doch klar, was gemeint ist, könnte man auch gleich die Terzbass-Unterstreicherei seinlassen.
So, nun aber endlich Schluss!
Viele Grüße
Torsten