Ja Cyril, wohl gesprochen. Das Rausschreiben und Nacharrangieren war ja auch unsere Fortbildung. Wenn man genau zuhört "wie" die einstigen Größen das machten, hat man fast masterclass Unterricht. Soviel Feinheiten kann man gar nicht in Noten fassen. Ich habe auch Bigbands erlebt, die auswendig spielten. Viel dynamischer als die Leute die am Notenblatt kleben.
Doch der Vollständigkeit halber eine kleine Darstellung für den Nachwuchs.
New Orleans Jazz
Diese Musik war eingebunden in das Leben der Menschen in dieser Region und begleitete alles, von der Wiege bis zur Bahre, jedes gesellschaftliche Ereignis. Geburten, Hochzeiten, Feiern, Tod usw.. Sie hatte vielfältige Funktionen, deshalb nennt man sie auch funktionale Musik und war natürlich eher folkloristisch. Es gab auch musikalische Wettbewerbe, wo Solisten gegeneinader antraten. Im frz. hieß dieser Stil chase, gesprochen Tschass, englisch Jass und anfangs auch so geschrieben. Das ist eine Deutung des Wortes, die 2. ist, läßt man das J weg, wirds eindeutig ( ass). Deshalb später das zz. Diese Musik war also außerordentlich vielfältig! Chase heißt auch Jagd. man jagte sich gegenseitig die Themen ab. Louis und King Oliver standen Rücken an Rücken, so nach 24 Chorussen hatten sie den Tiger erlegt (Tiger Rag) schmunzelte Armstrong - und es war nichts aufgeschrieben.
Als die New Orleanser in die anonyme Grosstadt Chicago zogen, brach der gesellschaftliche Zusammenhang der Familien und Clans weg, ebenso die Funktionen und damit die funktionale Vielfalt. Das war zuerst einmal eine Verarmung. Damit war der New Orleans Jazz eigentlich tot. Was blieb ist Legende. Der Chicago Stil passte sich dem Bühnengeschehen an und eroberte die Welt. Spaltete sich dann auf in die Richtung Tanz- und Unterhaltungsmusik (Paul Whiteman) bis später dem Swing. Ein kleiner Zweig aber war, dass nach Feierabend die jazzbesessenen Berufsmusiker sich trafen um "echten" Jazz zu machen (siehe Bix Beiderbecke). Wer diese Atmosphäre tanken möchte sehe den Film "Kansas City" mit dem alten Harry Belafonte in der Rolle eines Al Capone, während im "Speak Easy" die Musiker sich die Seele im Wettkampf aus dem Leibe bliesen. Sie Saxsolos sind grandios! Ich sah den Film im Fernsehen, Viell. gibts bald eine DVD auf deutsch.
New Orleans wurde nie wieder erreicht. Sidney Bechet, den ich für bedeutender ansehe als Louis Armstrong, (der als Popstar überlebte und auch Schlager machte, während andere untergingen und den Swingleuten Platz machten), arbeitete S.B. als Schneider und leitete in den 40ern eine Revival der fast vergessenen Musik ein. Ein Fan überredete ihn und bezahlte die Platten. Seine dritte Karriere in Paris bestritt er trotz Begleitband m.E. als Einzelgänger. Die "Community" von New Orleans entstand nicht wieder. So manche Solos von ihm erwecken in mir den Eindruck, dass er sich nach der Sonne des Südens sehnte. Da ist so ein Unterton der nicht recht passt und früher nicht da war. Er hinterließ uns eine Ahnung von New Orleans. Es gab Restaurationsversuche, etwa von Turk Murphy mit sehr guten Arrangements. Nennt sich Westcoast Stil. Endgültig verloren ist die Musik nicht. Es hat früher Beispiele gegeben, wo im Sinne New Orleans eine eigenständige und hochwertige künstlerische Ausprägung gelang.
Dixieland
Das war eine parallele Entwicklung (wie der Blues, aber der kommt aus Memphis). Die erste Platte die aufgenommen wurde, war mit der Kapelle "Original Dixieland Jazz Band". Das waren Spaßvögel. Da kicherte die Klarinette, es krähte ein Hahn wieherte ein Pferd etc. die Platte schlug ein, schwappte nach Europa. Hier entstanden Bands, die mit Kuhglocken, Pottdeckeln und fürchterlicher Kakophonie allerlei Hallotrie trieben. Dieser Blödsinn wurde als die "neue Musik Jazz aus Amerika" verkauft. Damit zog der Humor in die Musikgeschichte ein. Dixieland ist Spaßmusik! Da wird nichts ernst genommen, man nimmt sich auch mal selbst auf die Schippe.
Die ersten Aufnahmen sind technisch saumäßig, klar. Deshalb verweise ich mal auf die Band "Firehouse five + two". Die trat als Feuerwehrkapelle auf, betätigte Glocken, Sirene und Hupen. Das ist eine Band:
frisch frech, dreist und - Gut!, mit wirklich witzigen Arrangements. Das ist echter Dixieland. Nicht New Orleans, nicht Chicago, nicht Kansas oder sonst was für´n Stil. Auch kein eklektischer Mist mancher Bands, die New Orleans, Blues, Swing anbieten und wo nichts stimmt. - Echter Dixieland!
Wer sich für diesen "echten" Dixieland interessiert, bzw. als Schulmusiklehrer pädagogisch verwertbares Material sucht, kommt an den Firehouse five + two nicht vorbei.
Fortsetzung?
Die Klassiker haben es hinter sich. Bach und Mozart schrieben Musik für den einmaligen Gebrauch. Da wurde nichts gedruckt. Mozart produzierte verdauungsfördernde Unterhaltungsmusik für Euer Durchlocht und war ursprünglich ein Wegwerfartikel.
Irgendwie ist aber beschlossen worden, dass diese Musik erhaltenswert wäre. Mit gigantischem Aufwand an Konservatorien, langjährigen Ausbildungen, Errichtung von Musentempeln und großen Subventionen und Spenden wird diese Musik erhalten. Das wird wohl auch noch lange so bleiben.
Im Oldtimejazz und Blues steht diese Entscheidung an. Doch die geschieht anarchistisch - von unten heraus. Indem Menschen beschließen sie zu machen. Eigentlich ist dieser Entscheid schon seit Jahrzehnten gefallen, ohne Musikpäpste und Subventionen. Mal abwarten ob dem Rock das auch gelingen wird. Eine Ausbildung ist problematisch, da vieles an dieser Musik so eigenartig und einzigartig ist und soviel künstlerische Techniken verlangt wie keine andere Musik (und ich habe schon alles Mögliche gemacht) und daher nicht durch notengetreue Wiedergabe erhalten werden kann. Das mag in "Klassik" gehen oder Modern Jazz. Schwerlich bei Blues und Oldtime, dabei wäre es so notwendig. Ich habe auch keine Pädagogik dafür. Bei Wycliffe Gordon sah ich mal einen interesssanten Ansatz/Versuch, einen masterclass Schüler in den Blues einzuführen.
Der Jazz ist nunmehr seit fast 100 Jahren hier und damit längst zu unserem Kulturgut geworden. Mit die besten Musiker kamen und kommen von hier Aber ihre öffentliche Präsentation ist schlecht.
1. Es wird aber auch darauf ankommen, ob es genügend qualitativ hochwertige Vorbilder gibt, welche die kleinen Krauter befruchten und inspirieren. Organismisch ausgedrückt heißt das: Stirbt der Wirt (Künstler) sterben später auch die Parasiten (Partizipienten, Nutznießer). Beide brauchen auch einander sonst wäre das wie ein Darm ohne Bakterien. Nutzlos.
Verfolgt ein Künstler, seine Erben, zu sehr mit Rechtsanwälten, Gema und Copyright zu sehr die kleinen Coverbands kommt mir das doch recht dumm vor. Gibt es zu viele Parasiten (schlechte Mitverdiener) welche ihren Wirten nicht das Leben lassen, sie zu wenig beachten und fördern, ist das Selbstmord. Dies gilt auch für Oldtimejazz und Blues, die zwingend eine genügend große Zahl an Künstlern und künstlerischer Reputation brauchen und fördern müssen um zu überleben. Das organismische Gleichgewicht muss stimmen.
Was man nicht braucht ist giftiger Verbalqualm, den ich in einer Jazzeitung las, mit dem Modern Jazzer Wynton Marsalis angriffen. Louis Armstrong stand ebenfalls früher unter Beschuss und wurde von Hugues Panassie verteidigt.
2. In der MH Detmold hörte ich Heultöne. die kamen aus einem Raum an dessen Tür ein Poster hing: "Die Oper voran bringen"! Mir scheint dass Oldtimejazzer und Blueser diese Metapher als gemeinsames Anliegen (wie Community) begreifen müssen: "Ihre Musik voranbringen". Die Klassiker haben jedenfalls Erfolg mit diesem Bewußtsein.
Na ja, ein paar Ansichten, falls es interessiert.