Neue Stücke lernen, alte nicht vergessen? (50+)

Telefontango
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Hallo zusammen,
nachdem ich bei der Anschaffung meines Knopfakkordeons ( es ist ein Soprani C-Griff von ca. 1970 mit 80 Bässen geworden) vom Forum nett beraten wurde, habe ich seitdem viel gelesen aber nix mehr geschrieben.
Jetzt lerne ich seit ca. einem Jahr stetig ...aber nicht besonders schnell... Mit über 50 Jahren ist meine Frage eigentlich etwas für das Thema "50+" aber ich habe nicht herausgefunden, wie ich es dort hinstelle, wenn es keine Antwort auf den letzten Beitrag ist...?:

Zur Zeit lerne ich in der für Knopfakkordeon sehr schönen Schule von Lucien und Richard Galliano "Méthode complète d´accordéon" (Schöne Stücke, bei denen beide Fingersätze für Taste und C-Griff-Knopf angegeben sind) Beim Einüben neuer Stücke fällt mir regelmäßig auf, daß wenn ich mit vielen Wiederholungen Takte-Sequenzen einübe und danach zum Abschluss noch ältere Stücke spiele, diese plötzlich klemmen, obwohl ich sie schon mal ziemlich sicher auswendig spielen konnte.

Ich bin ja kein Neurologe, aber laienhaft stelle ich es mir so vor, daß mein Hirn die neuen Sequenzen dort abspeichert, wo Musik-lernen/"Tonfolgen-Knopf-Finger-Wege" hingehören, dass aber dabei
andere Sequenzen die dort schon liegen quasi schnell wieder "überschrieben" werden.

Was kann man aus diesem Phaenomen für die Übe-Taktik lernen ? Ist es besser beim Üben in einer "Sitzung" nur das neue Stück zu lernen, das Wiederholen älterer Stücke zu einem anderen Zeitpunkt zu üben?
 
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Ich (Ü60) bin zwar von einer anderen Fraktion ... stelle aber das Gleiche fest.
Änderungen der Übungreihenfolge haben bei mir nix gebracht. Da ich in sehr jungen Jahren schon mal bisschen gespielt habe, habe ich sozusagen den direkten Vergleich ... es dauert heute einfach alles sehr viel länger, das Lernen selbst, bis es dann auswendig geht, bis es dann endlich im "Muskelgedächtnis" gespeichert ist und mehr oder weniger sicher abgerufen werden kann ... einfach alles.
Das Alter halt ... es macht keinen Sinn sich da was vorzumachen (aber auch nicht sich unterkriegen zu lassen ;) )
Als ich vor paar Jahren anfing war ich am Verzweifeln. Aber es wurde und wird weiter besser - aber eben langsam. Es braucht Geduld ... und konsequentes Üben, die neuen Stücke, aber auch regemäßig die Sachen die man schon kann, bei mir inzwischen ca. 20 Stücke (Solo, mittelschwer). Nicht mit Gewalt stundenlang auf einmal, sondern besser immer wieder kleine Einheiten mehrmals am Tag, da kann man dann auch gut jeweils einzelne Schwerpunkte setzen.
 
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N'Abend,

bin auch kein Neurologe, trotzdem behaupte ich mal deine, wie Du selber sagst "laienhafte" Vorstellung, ist falsch.
Obwohl dieser Vergleich ständig gezogen wird, ist das Gehirn kein Computer und es gibt keinen physischen Ort
in deinem Kopf, wo ein bestimmtes Lied gespeichert ist und bei "Platzmangel" überschrieben wird.

Steht zumindest in diesem sehr interessanten (allerdings englischen) Artikel:

https://aeon.co/essays/your-brain-does-not-process-information-and-it-is-not-a-computer

Wie das mit Erinnerung eigentlich funktioniert, scheint die Wissenschaft noch gar nicht wirklich zu verstehen.

Ob es einen optimalen Zeitpunkt beim Üben gibt, alte Sachen zu wiederholen, kann ich Dir nun leider nicht sagen,
aber wenn ich Dich richtig verstanden habe, übst Du erst seit einem Jahr. Ich denke da ist völlig normal, ältere Sachen
wieder zu vergessen, egal ob man 50 oder 15 ist.
Je öfter Du die alten Stücke wieder auffrischst, desto fester werden sie sitzen, unabhängig von den neuen Dingen die Du lernst.

Ist nur meine bescheidene Meinung, bin alles andere als ein Experte,

schöne Grüße,

Girgl
 
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Nur ganz kurz,
Ich denke mal abgesehen von altersbedingten Unterschieden gibt es auch einen Zusammenhang zur Schwierigkeit des Arrangements, Anzahl der Wiederholungen, emotionales Dabeisein, Veränderung der Übesituation/Taktik usw.

Besonders das Arrangement ist mir im Laufe der Zeit immer mehr aufgefallen. Eine Melodie als solche wirst Du Dir wohl gut merken können.
Wenn das Arrangement aber Schwierigkeiten aufweist, die Du nicht verinnerlicht hast, nicht aus dem Ärmel schüttelst, dann braucht es eben noch x Wiedrholungen, möglichst über lange Zeit, jeweils unter ganz verschiedenen Umständen, mal müde, mal wach, mal langsam, schnell, fröhlich, traurig, einzeln, zusammen etc. Erst wenn es nichts mehr zu entdecken gibt, alles durchs Bewußtsein ins Unterbewußtsein gerutscht ist und auch oft wieder ins Bewußtsein zurück kam und wieder unbewußt wurde ... DANN wirst Du es nicht mehr üben müssen, sondern auch nach Jahren einfach und ziemlich perfekt aus dem Ärmel schütteln.
Es darf gewissermaßen keine "Grenzerfahrung" sein, kein Limit darstellen sondern eine Sache über die Du nicht mehr nachdenkst, die einfach tief in Dir steckt.

Konkret zu Deiner Taktik- Frage:
Versuch mal, die alten Stücke so zu analysieren, dass Du in den neuen Stücken die alten Sequenzen wieder erkennst. Patterns, Fingersätze, irgendwelche Muster. Dann werden die nicht "überschrieben" (geraten also in Vergessenheit), sondern werden durch die neuen Sachen sogar gestärkt, weil sie immer mit beackert werden.
Wenn Du beispielsweise irgendeine Skala oder einen Dreiklang in einem Stück hast, findest Du den sicher in einem anderen Stück auch. Nutz den alten Fingersatz und denke immer dran, ok das war da genauso, Balg zu hat besser funktioniert ... müsste hier genauso sein. Selbst wenn nicht ... dann erfährst Du sogar den Grund, warum es hier anders besser geht.

Ein großes Repertoire kann eine Last sein, aber es kann sich auch gegenseitig befruchten!
 
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Sehr interessant bezüglich des Zusammenwirkens von Musik und Gehirn ist das Buch "Das wohltemperierte Gehirn". Ich habe es schon zwei Mal gelesen - es ist einfach faszinierend, was und wie Musik "da oben" (be-)wirkt.

Meine Interpretation zu Deinem geschilderten Problem (das wohl jeder Instrumentalist irgendwie kennt): wie Klangbutter schon schreibt, wirken da vermutlich andere Zustände. Das Üben von Einzelpassagen erfordert einfach eine andere Arbeit vom Gehirn und dann kommt es von diesem Trichter nicht mehr so leicht runter. Du fokussierst beim konzentrierten Passage-Üben einfach Deine kognitive Aufmerksamkeit. Für das Auswendig-Spielen brauchst Du aber einen anderen Grundzustand im Kopf - man kennt es ja, wenn man sich krampfhaft erinnern möchte, aber die Erinnerung kommt meist erst wieder, wenn man entspannter ist und meist etwas ganz anderes tut.

Dein "Problem" kenne ich übrigens schon immer, wenn ich auch mittlerweile eher selten darüber stolpere. Aber es gibt auch Tage, an denen das ganze Instrument irgendwie gegen einen arbeitet. ;-)

Viele Grüße,
Tobias
 
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