Neue CD "Jasmine" von Keith Jarrett - Erste Eindrücke ...

turko
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Hallo Kollegen,

habe gestern erstmalig die im Titel erwähnte CD von KJ gehört, und war wirklich begeistert. Ich wußte ja ungefähr, was mich bei einem Duo KJ mit Charlie Haden erwartet. Und genau DAS HAT mich auch erwartet, nur wieder mit soooo vielen kleinen Überraschungen, die ja das Salz in der Suppe ausmachen.

Es ist eine hervorragende Musik um darin völlig zu versinken.

Rein technisch und theoretisch gesprochen ist KJ gleichzeitig (!) der unjazzigste und jazzigste Pianist, den ich kenne. Und das zur selben Zeit. Unjazzig, weil er (gezielt ?) alle Jazz-Klischees vermeidet. Melodiös, wie harmonisch, wie - vor allem - rhythmisch. Und trotzdem jazzig, weil ja gerade diese Freiheit in der Herangehensweise das Wesen des Jazz ausmacht. Meiner Meinung nach zumindest. Und er außerdem nichts tut, was den Klischees völlig zuwiderlaufen würde ...
KJs Musik eignet sich hervorragend für das, was ich am liebsten - bei mir neuer Musik - mache: Während des Zuhörens, innerhalb einer Phrase sich in Gedanken schon mal ausmalen, wie die Phrase, die Motivik, wohl weitergeführt werden wird, ... und dann Plan (MEINEN Plan) mit der Realität vergleichen. Oft komme ich spontan zum selben Ausgang und Weiterführung einer Situation wie er, aber mindestens genauso oft zu einer völlig anderen, und dann bin ich verblüfft, wie "seine Lösung" gleichsam überraschend und doch logisch und konsequent ist ...

KJs rhythmisches Spiel paßt total zu seinem harmonischen und melodischen: Alles schwebt scheinbar bindungslos über dem Behältnis, das (in dem Fall) der Bass für ihn schafft, und doch gelingt es ihm, nie hineinzuplumpsen noch davon zu fliegen ... er bleibt, wie schwerelos, dauernd im Schwebezustand über dem Bass-Gravitationszentrum ... nix mit extatischen Swing-Achteln ... alles ist (nahezu) völlig frei, und dennoch nicht ohne Bezug zum rhythmischen (Bass-)Teppich ... alles, was wichtig ist, ist - zeitgerecht - da: Die Einsen, und die Töne auf den Akkordwechseln.

Man müßte die CD außerdem jenen vorspielen, die in Sachen Jazz-Improvisation dauernd von Skalen, Tonleitern und Chordscales phantasieren: Ich glaube, SEINE Herangehensweise ist da völlig anders: SING-bare Linien, Motive, entwickeln, und die dann motivisch weiterführen, wobei GTLs (Guide-Tone-Lines, also Reihen von harmonischen Leittönen) oft eine wesentliche Rolle spielen. Das führt zu dem EINDRUCK der zwingenden Logik und Singbarkeit der Phrasen, und dem Eindruck, man wüßte schon im Vorhinein, wie´s weitergehen MUSS ... wenn´s dann wirklich so ist, fühlt man sich bestätigt. Wenn nicht, dann wirkt der Kontrast zwischen der Hör-ERWARTUNG und der REALITÄT zumindest musikalisch erregend ...

Kurz-Kritik: Phantastisch !

Bin gespannt, ob andere unter Euch die auch schon gehört haben und wie Ihr so empfindet ...

LG, Thomas
 
Eigenschaft
 
Hab die schon seit einiger Zeit, tolle CD! :) Charlie Haden ist für mich einer der grössten Bassisten z.Zt. und alle Schwärmerei für KJs Klavierspiel, kann ich an dieser Stelle auch gleich für den phantastischen Bass einsetzen :D Wirklich tolle Scheibe!

- Ulli -
 
Ja, stimmt 100 %-ig.

Der Bass "leidet halt darunter", daß er total PERFEKT das (und NUR das) macht, was man von einem Bass erwartet. Weil nichts "Spektakuläres" passiert, wird das dann oft unterschätzt oder unterbeweret ... aber er liefert den perfekten Teppich für das Piano, und läßt ihm viel an Freiraum offen ... was der dann natürlich gleich ausnützt ...

LG, Thomas
 
Gerade das zeichnet Charlie Haden in meinen Augen aus :) Ein Ton, der sagt aber dann auch alles. Und auch wenn er nicht die technischen Kunststücke, die er auch draufhat, ständig zur Schau stellt, ist sein Spiel unglaublich ausdrucksstark :) Ein Ton sgat mehr als tausend Triolen :D

- Ulli -
 
Gerade das zeichnet Charlie Haden in meinen Augen aus :) Ein Ton, der sagt aber dann auch alles. Und auch wenn er nicht die technischen Kunststücke, die er auch draufhat, ständig zur Schau stellt, ist sein Spiel unglaublich ausdrucksstark :) Ein Ton sgat mehr als tausend Triolen :D

- Ulli -

Empfinde ich genau so. Fand ich schon auf der Platte mit Pat Metheney (Under the missoury sky) sehr stark und im Grunde sehr souverän. Der muss nix mehr zeigen - der kann sich einfach auf die Musik konzentrieren. Und seine Partner eben auch ...

Werde mir die CD mal anschaffen, denke ich.
 
Na dann will ich mich mal als kleiner Spielverderber outen. Sorry, aber das ist doch die genau gleiche Soße, die Keith Jarrett immer macht: Keine eigenen Stücke, keine Arrangements, keine Proben, Improvisationskultur auf dem Stand von 1960 und das dann als Sternstunde für die Kunst verkaufen (das tut er wirklich, s. Jazzthing-Interview).
Versteht mich nicht falsch, das ist schon schön gespielt; stimmige Soli, ausgezeichnetes Timing und vor allem ein Bassist, der wesentlich besser intoniert als Keiths eigentlicher Leib- und Magenbassist Gary Peacock. Es ist eine nette, kleine, langweilige Platte.
 
Es ist eine nette, kleine, langweilige Platte.

Find´ ich einen interessanten Zugang ...
... den ich allerdings nicht teilen kann (und mag).

Außerdem ... was heißt "Improvisationskultur auf dem Stand von 1960" ? Was soll sich seitdem WESENTLICHES geändert haben ?
Ich persönlich würde auch GELUNGENE Improvisationen von 1760 gerne hören ... die Eckpfeiler und das Wesen der Musik haben sich nicht geändert und gelten nach wie vor: Stimmigkeit, Stimmung, das Spiel mit Spannung und Entspannung, ...

Wenn einer das nun mit sehr "sparsamen" und "wenig reißerischen und wenig dynamischen" Mitteln hinkriegt, ist es deswegen schon langweilig ? Oder liegt es eher an der "anderen" Herangehensweise des Zuhörers, wenn er es denn so empfindet ?

Aber, wie man ja ohnehin schon immer gewußt hat: Über Geschmäcker kann man nicht streiten ... und jeder möge seinen eigenen haben.

Die Tatsache, daß er selber es als "Sternstunde" verkauft, war mir neu. Das will und muß ich auch nicht gutheißen oder kommentieren. Wenn er es subjektiv als SEINE EIGENE Sternstunde empfindet, dann hat er auch das Recht, das zu offenbaren. Wenn er das ALLGEMEIN und GENERELL meinen sollte, ist es wohl fehl am Platz. Schon allein deswegen, weil das KEINER über Schöpfungen von sich selber sagen kann und soll. Das entscheiden andere. Wie wir zum Beispiel ...

Und ich sage: Egal, ob nun Sternstunde oder nicht ... es ist schlicht SCHÖN, und auf seine ganz eigene Art auch "aufregend", wenn man es liebt, vor dem Zuhören erst einmal "runter zu kommen", und die Zeit dabei zu vergessen.

LG, Thomas
 
Ich weiß nicht warum, aber die Musik auf dieser CD bringt mich zum Weinen.
Ich hab keinen jazztheoretischen Ansatz, kenne mich damit auch nicht aus, es ist einfach nur die Musik.
 
Ich weiß nicht warum, aber die Musik auf dieser CD bringt mich zum Weinen.
Ich hab keinen jazztheoretischen Ansatz, kenne mich damit auch nicht aus, es ist einfach nur die Musik.

Ich glaube auch nicht, daß es einen theoretischen Ansatz gäbe, der ausgerechnet die erzielte Wirkung des Weinens besonders erklären könnte ...

Aber es ist ja schon mal eine "Leistung", überhaupt Musik zu machen, die IRGENDEINE emotionale Wirkung auf Menschen hat und die einen weder langweilt noch "kalt läßt". WIE GENAU dann die Wirkung ist, hängt wahrscheinlich auch sehr von subjektiven Faktoren und der jeweiligen Lebensgeschichte ab ...

LG, Thomas
 
Außerdem ... was heißt "Improvisationskultur auf dem Stand von 1960" ? Was soll sich seitdem WESENTLICHES geändert haben ?

Zum einen die Ausweiteung harmonischer Ausdrucksmittel: Dreiklangspaare, Intervallic Designs, alterierten Pentatoniken, sechstönige Skalen etc. Zum anderen einfach eine völlig andere Art und Weise, wie Linien konstruiert werden und auch dessen, was die linke Hand macht. Dazu bitte mal bei Pianisten wie Brad Mehldau oder Aaron Goldberg reinhören. DAS ist neu (naja, mittlerweile auch nicht mehr ganz), Keith dagegen ist einfach ein Bill Evans-Abziehbildchen und wird obendrein in die Geschichte eingehen als der Typ, der die Platte aufgenommen hat, zu der seit 40 Jahren alle Hausfrauen staubsaugen. Und im übrigen als der, der jede Aufnahme mit seinem Gestöhne runiniert, aber Konzerte abbricht, weil mal einer hustet.

Wenn einer das nun mit sehr "sparsamen" und "wenig reißerischen und wenig dynamischen" Mitteln hinkriegt, ist es deswegen schon langweilig ?

Unsinn! Hab ich nie gesagt. Aber es ist ja auch nicht so, als wäre Keith besonders "sparsam". Bobo Stenson ist sparsam.
 
das ist zwar jetzt völlig am Thema vorbei und schwer OT...

...aber das ist ja wohl Geschmacksache - ich fand Mehldau schon immer öde und langweilig, dagegen liebe ich Bill Evans heiß und innig. Evans kann ich in jeder Lenbenslage hören, die meisten Mehldau-CDs habe ich inzwischen verschenkt
 
Zum einen die Ausweiteung harmonischer Ausdrucksmittel: Dreiklangspaare, Intervallic Designs, alterierten Pentatoniken, sechstönige Skalen etc. Zum anderen einfach eine völlig andere Art und Weise, wie Linien konstruiert werden und auch dessen, was die linke Hand macht.

Ja, aber das empfinde ich nicht als WESENTLICH, in Relation zum Gesamtwesen der Musik. Es geht doch immer um Spannung und ENTspannung, mit welchen Mitteln auch immer man das gerade erzeugen mag ...

Daß Jarrett sicher nicht der "hippste" unter den Pianisten ist, liegt auf der Hand. Aber daß ausgerechnet das KölnKonzert zum - wie Du sagst - Staubsaugen gehört wird und nicht irgendwas anderes, kann man ihm schwerlich zum Vorwurf machen.

Eher schon die von Dir erwähnte Attitude mit dem Husten und so ... aber das betrifft wohl eher seinen Charakter und nicht seine Musik.

Ich glaube, es liegt daran, daß ich genau das als WOHLTUENDE ABWECHSLUNG empfinde, was Dir "langweilig" vorkommt ... Erkennbare und (relativ) schlichte Motivik und Singbarkeit von Phrasen statt Aneinanderreihungen von Tönen der exotischsten Skalen ... harmonische und melodiöse Eckpunkte, die jeder sofort nachempfinden kann statt Ausflüge in Substitutionen der Substitutionen, die zwar theoretisch erklärbar sind, aber mit dem (sogar leidlich geschulten) Ohr nicht mehr nachvollzogen werden können ...

De gustibus non diputandum ... an DEM wird´s wohl hängen bleiben ... über Geschmak läßt sich nicht streiten ...

Aber genau DAS war ja der Grund für mich, den Thread zu eröffnen ... ich wollte wissen, wie diese Musik auf andere so wirkt ... naja, und jetzt WEISS ich es ... zumindest in Deinem Fall ...

LG, Thomas
 
... wahrscheinlich saugt er selber nicht Staub ... :)
 
Brauch er ja auch gar nicht, so wie der immer auf den Boden stapft, da ist der Teppich schon geklopft :p

- Ulli -
 

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