Ich kann Fm7b5 greifen, aber so eine einfache Begleitung mit der linken Hand macht Probleme ... ich fass es nicht. Auch scheint das Notenlesen wirklich verlernbar zu sein.
Ich glaube aber, das ist aber nur Übungssache (im Sinne von Gewohnheit/Geläufigkeit). Es ist ja nicht "schwierig", einen Fm7b5 zu greifen, sondern in "Echtzeit" zu wissen, welche Töne man da wie spielen muß. Wenn ein nicht-Jazzer G7#5#9 sieht, muß er wahrscheinlich auch erst mal "rechnen"...
Das "Verkümmern" der linken Hand rührt aber meines Erachtens (auch aus eigener leidvoller Erfahrung) eher daher, daß man im Bandkontext mit der linken Hand oft keine oder zumindest keine sehr anspruchsvollen Sachen spielt, schon allein deshalb, um dem Bassisten nicht in die Quere zu kommen.
Aber keiner kann behaupten, daß im Jazz (im Trio oder bei Solo-Piano) die linke Hand nichts zu tun hätte. Beispielsweise angefangen bei der Urzeit und Scott Joplins Maple Leaf Rag ist die linke Hand durchaus beschäftigt, vor allem mit großen Sprüngen.
Um Teddy Wilson nachspielen zu können, braucht man Pranken wie ein Eisbär usw. usw...
Wenn Du den entsprechenden Lehrer hast, geht beides gleichzeitig! Ich hatte damals immer einen Teil der Stunde mit klassischen Etüden und Bach zugebracht, dann ging es an das Leadsheet-Spielen (Jazz-Durchdenken) und an Rock-/Pop-Sachen die ich spielen wollte.
PS: Mein Lehrer ist studierter Jazz-Pianist.
Du Glückliche! Zu "meiner Zeit" (80er) war das aber leider noch so, daß man in Deutschland keinen Jazz studieren konnte, weil er wohl in den erlauchten Klassik-Kreisen als "unwürdig" und "Negermusik" (entschuldigt den Ausdruck, aber es wurde wirklich so gesehen) betrachtet wurde.
Wenn außergewöhnlich fähige Musiker wie Nigel Kennedy massive Schwierigkeiten bekommen, nur weil sie sich "herablassen", aus Jux und Dollerei in Jazz-Kellern zu spielen, dann ist doch klar, daß sich niemand traute, über den klassischen Tellerrand zu schauen...
Im Unterricht bedeutete dies eine unüberbrückbare Barriere zwischen Klassik und Jazz, gefördert durch aktives Nicht-wissen-wollen. Harmonielehre ist für die praktische Ausführung von klassischer Musik auch nicht zwingend erforderlich, denn es ist ja alles ausnotiert (den bezifferten Generalbaß kann man ignorieren, ist eh aus der Mode gekommen).
Ich kenne Musiker, die dank "klassischer" Ausbildung mit aberwitzigem Können fast alles vom Blatt spielen, aber nicht in der Lage sind, "O du fröhliche" aus dem Stegreif zu begleiten
Um die Brücke zu schlagen, habe ich eine Seite aus Frank Sikoras "Neue Jazz-Harmonielehre" anghängt: er versieht Johann Sebastian Bachs Invention Nr. 4 mit Chord-Symbols (und da kommt auch ein Em7b5 vor, lieber Cogrun
) und zeigt auf, daß Luiz Bonfás Orfeu Negro einen vergleichbaren harmonischen Wechsel von Moll nach Dur aufweist
Lustiges Beispiel, wie ich finde, und vielleicht eine Alternative zu Kinderetüden
Viele Grüße
Torsten