Hallo
BachC,
Das Thema "Musikstudium und Musikberuf" ist eigentlich mehr ein Themenkomplex als ein einzelnes Thema. Ich selbst möchte, bevor ich auf deine Fragen eingehe, bemerken dass ich nicht das Hauptfach Violine und nicht den Studiengang eines Orchestermusikers belege, und das meiste was ich dir sagen kann, Informationen aus zweiter - daher für dich strenggenommen schon dritter - Hand sind, bzw. aus dem Kollegen- und Bekanntenkreis kommt. (Ich studiere Tonmeister an der HfM Detmold, künstlerisches Hauptfach ist Gesang). Vielleicht kann ich dir dennnoch weiterhelfen.
1. Es ist de facto kein Kriterium, wie lange jemand spielt, um zu beurteilen wie gut er / sie spielt. Ob du bereit für eine Aufnahmeprüfung bist solltest du in einem Vorspiel bei den Personen klären, die potentiell auch über den Ausgang einer solchen entscheiden. Eine gute Idee ist daher, an einer Musikhochschule oder einem Konservatorium ein 'Sondierungsgespräch' zu vereinbaren. Keine Scheu hierbei!
- das ist etwas ganz übliches und die entsprechenden Lehrpersonen sind dem gegenüber zumeist recht aufgeschlossen.
1.1. Hole unbedingt mehrere Meinungen ein, denn die Vorstellungen können da sehr unterschiedlich sein. Lass dich von einem harten Urteil auch nicht entmutigen - manche gehen da sehr streng mit ihren Kandidaten ins Gericht.
Ich und nahezu jeder meiner Kollegen hat im Lauf seiner Aufnahmeprüfungen oder den Vorbereitungen für diese ein Feedback bekommen à la "Lassen sie's bleiben, sie können gar nichts!". Die studieren jetzt aber trotzdem alle.
Hartnäckig bleiben, und üben.
1.2. Außerdem sammelst du während derartiger Vorspiele schon Erfahrungen, die dir in einer Prüfungssituation zugute kommen. (Man steht natürlich dann auch unter Stress, aber wenn man das schon 10-12 Mal gemacht hat ist man erheblich souveräner, als wenn man zum ersten Mal einer solchen Kommission gegenübersteht).
Bei der Wahl deines Studiums solltest du dich folgendes fragen:
2.
Was genau studieren? Ich habe deinen Beitrag jetzt so verstanden, dass du dich für das Konzertfach Violine interessierst. Diese Studienrichtung wird bezeichnet als
KA (für künstlerische Ausbildung, habe auch schon "Konzertausbildung" gehört, die Abkürzungen sind nicht einheitlich), mancherorts heißt ein solches Studium auch OM (Orchestermusiker) oder FM (freier Musiker). Das ist nicht menschenunmöglich, aber auch selbstverständlich mit Anforderungen verbunden. Wie deine Chancen stehen kann ich natürlich nicht beurteilen, siehe hierzu Punkt 1 meiner Ausführungen.
Aber: Es gibt mit dem Hauptfach Violine vieles, was man studieren kann. Um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen:
Instrumentalpädagogik (IP oder IGP): Anforderungen sind m.W. nicht ganz so hoch wie KA, beinhaltet pädagogische Ausbildung - und Unterrichten wirst du in jedem Fall müssen.
Künstlerisch- Pädagogische Ausbildung (KPA): Kombiniert quasi KA und IP
Elementare Musikpädagogik (EMP): Musikförderung für Kinder, kleine Kinder, aber auch behinderte Menschen, Senioren, etc. Viel Rhythmik, Improvisation. Verhältnismäßig leichte Aufnahmeprüfung (allerdings meistens mit speziellem Teil der die Fähigkeit zur Gruppenleitung auf Probe stellt), gute Anstellungschancen und hoher Frauenanteil.
Schulmusik bzw.
Lehramt (LA): Anforderungen im Hauptfach etwa in der Mitte aller oben genannten, jedoch von Hochschule zu Hochschule recht unterschiedlich. Vorsicht in den Nebenfächern, du musst am Klavier begleiten und z.B. in Weimar auch eine Eignungsprüfung in Ensembleleitung absolvieren. Abitur erforderlich - du könnest dieses zunächst machen, und dich währenddessen gezielt vorbereiten (Leistungskursfach Musik wäre eine Möglichkeit, seit dem wundervollen G8 gibt es das allerdings nicht mehr). Großer Vorteil: Geregeltes Einkommen.
Erheblich unterscheiden sich die Eignungsprüfungen für Realschul- und Gymnasiallehramt!
Grundsätzlich ist ein Wechsel aus jedem beliebigen Studium in KA möglich, sofern man die Anforderungen der Eignungsprüfung erfüllt. Es gibt viele, die zuerst einige Semester IP studieren und dann zu KA wechseln, oder KA zusätzlich studieren. Klingt zwar zuerst aufwändig, aber die beiden Zweige überschneiden sich auch weitreichend.
Alle von mir oben aufgelisteten sind grundständige Studiengänge, d.h. werden angeboten als B.Mus.: Bachelor of Music. Ausnahme bildet Lehramt, das m.W. noch als Staatsexamen studiert wird. Eine Spezialisierung (z.B. von B.Mus. KA Violine auf M.Mus. Solist Voline) ist im Master möglich, je nach Fähigkeiten und persönlichem Interesse.
2.1.
An was studieren? Zur Wahl stehen:
-
staatliche Musikhochschulen (viele Möglichkeiten, staatliche Abschlüsse, hohe Anforderungen und Konkurrenz)
-
Konservatorien (meistens niedrigere Anforderungen, ggf. aber Studiengebühren zu entrichten)
-
private Institute (von diesen weiß ich jedoch nichts, außer dass sie kostenpflichtig sind)
Falls MuHo oder Kons noch unerreichbar sind:
Berufsfachschule für Musik (google it!)
-
Jungstudium. Vielleicht könntest du auch nach einem Vorspiel wie in Pkt. 1 angeführt, die Möglichkeit ansprechen als Jungstudent an einer Musikhochschule zu studieren. Sicherlich wäre diese Art der Förderung sehr empfehlenswert, und mit 17 bist du mit Sicherheit noch nicht zu alt dafür. (Die ältesten Jungstudierenden in Detmold sind 19). Nahezu jede Musikhochschule unterhält ein Jungstudierendeninstitut. Nimm ggf. mit diesem direkt Kontakt auf. Du könntest zB Abitur machen und nebenbei bereits Musik studieren. Die Eignungsprüfung wird dir danach nicht mehr schwer fallen.
Nicht ausschließen sollte man auch, im Ausland zu studieren. (Hierzu kann ich leider aber nichts sagen).
2.2.
Wo genau studieren? Die Chancen einen Studienplatz zu erhalten sind nicht nur von den rein "theoretischen" Anforderungen der Eignungsprüfung abhängig, sondern auch davon, wer genau dort unterrichtet und was die Musikhochschule für einen Ruf hat. Bedeutende Institute mit langer Tradition (nur zwei Beispiele: MH München, UdK und "Hanns Eisler" Berlin) haben einen internationalen Einzugsbereich und sind aufgrund des schieren Drucks an guter Konkurrenz schwer zu erreichen.
Versuche einen Kreis von Instituten einzugrenzen wo es realistisch ist für dich, reinzukommen, du gleichzeitig aber auch dort gefördert wirst. In vielen Fällen kommt es auch auf die Lehrperson im jeweiligen Fach an. Wenn der Professor für ein bestimmtes Instrument ein international konzertierender Meister ist (HfM Würzburg, Klavier: Bernd Glemser) werden sich dort natürlich auch mehr, und bessere Leute bewerben.
Dies soll übrigens nicht heißen dass man von "elitären" Instituten grundsätzlich die Finger lassen soll, im Gegenteil - dass man da genommen wird ist keinesfalls ausgeschlossen, aber man sollte sich wenig Illusionen über die Chancen machen. Unter uns gesagt: Genau das ist es aber, was manchen auch spontan zur Höchstleistung verhilft, nach dem Motto "Ist mir völlig egal ob das hier was wird, ich geb jetzt alles" - und dann klappt es.
2.3.
Wie studieren? Du musst berücksichtigen dass Violine ein sehr übeintensives Hauptfach ist und du im künstlerischen Hauptfach deine meiste Zeit in der "Übezelle" eingesperrt verbringen wirst. Als normal angesehen werden da durchaus 4-7 Stunden am Tag. Nebenher zu arbeiten gestaltet sich schwierig. Ein Studium an einer staatlich anerkannten Musikhochschule ist natürlich mit BaFöG gefördert, das gilt auch für Berufsfachschulen für Musik, nicht aber unbedingt für alle Konservatorien!
- Können dich deine Eltern während des Studiums unterstützen?
- Könntest du dir vorstellen, zB durch Unterrichten etwas dazu zu verdienen?
Möglichkeiten der Studienfinanzierung bestehen außerdem durch Stipendien. Näheres teilt die allgemeine Studienberatung oder das Karrierezentrum einer Musikhochschule mit. Initiative ist Trumpf
3.
Bewirb dich unbedingt an mehreren Institutionen! Nur wenige schaffen es mit einer, und auch gleich der ersten Aufnahmeprüfung. Man ist zudem wesentlich entspannter wenn man weiß, dass es in diesem Moment nicht auf
alles ankommt und man vielleicht noch ein paar Chancen hat.
Zur Konkreten Vorbereitung einer Eignungsprüfung:
4. Suche dir unbedingt jemanden, bei dem du trainieren kannst mit Klavierbegleitung zu üben. In den meisten Aufnahmeprüfungen stehen Korrepetitoren (also Klavierbegleiter) zur Verfügung die viel Erfahrung haben und ihre Sache gut machen; ein Kriterium für die Beurteilung deiner künstlerischen Eignung ist aber auch, wie du mit dem Begleiter interagierst. Eine gewisse Sensibilität für musikalische "Bälle" die einem ein solcher zuspielt ist definitiv erlernbar, und diese macht einen erheblichen Teil deiner (musikalischen) Persönlichkeit aus.
(Wenn ich hier schon das Wort "Persönlichkeit" beim Namen nenne möchte ich dazu anmerken, dass das Ziel einer Eignungsprüfung weniger im Feststellen einer "Leistung" liegt als im Kennenlernen einer solchen Persönlichkeit. Selbstverständlich musst du dein Instrument "technisch" beherrschen, dies allein aber ist nicht entscheidend)
5. Informiere dich auf den Websites der jeweiligen Hochschulen über die Anforderungen bezüglich ...
Repertoire im Hauptfach: Was muss gespielt werden? Stelle ein Programm zusammen, das für die Hochschulen deiner Wahl die Erfordernisse abdeckt und realistisch zu bewerkstelligen ist. Repertoirestücke, die man schon eine ganze Zeit "auf Sicherheit" spielt, sind gut geeignet. Spiele nichts, was du eigentlich nicht magst. Erstelle ein Prüfungsprogramm, dass du deiner Bewerbung beifügst, bringe dies jedoch in sauber ausgedruckter Form auch zur Eignungsprüfung mit und lege es ggf. der Kommission vor.
Bedenke auch die Reihenfolge deiner Titel. Meistens darf man sich das erste Stück aussuchen das man spielt; wundere dich nicht wenn dein Vortrag abgebrochen wird, das geschieht rein aus Zeitgründen und stellt keine Bewertung dar. Die weiteren vorzutragenden Stücke werden im Regelfall von der Kommission aus deinem Programm ausgesucht.
Häufig muss man laut Anforderung 4 Titel aus verschiedenen Epochen vortragen (ggf. wird das noch präzisiert, zB "Ein Satz aus einer klassischen Violinsonate"). Meistens spielt man in der Eignungsprüfung dann aber höchstens zwei.
Musiktheorie: Zum "Standardfragebogen" gehören das Benennen (oder Ausnotieren) von Akkorden, Intervallen, Harmonien, nicht selten auch muss man über Stimmführungsregeln bei der Auflösung von Akkorden wie D7-I bescheid wissen. Häufig muss ein vierstimmiger Satz oder Generalbass ausnotiert werden. Zum Grundwissen zählt u.a. das Aufschreiben einer Obertonreihe. Kenntnis über alte Schlüssel ist hilfreich, aber wird nicht überall gefragt.
Gehörbildung: Für Orchestermusiker, Musikpädagogen und die meisten, die nicht gerade Kirchenmusik, Komposition oder Dirigat studieren sind die Anforderungen nicht so hoch, dass man davor Angst haben müsste.
Wenn du von der Violine kommst, wirst du ohnehin schon einiges an geschultem Gehör mitbringen. Lerne Intervalle zu hören, sukzessive und simultan gespielt. Akkorde, Akkordstellungen, einstimmiges (selten zweistimmiges) Melodiediktat, ein Rhythmus, das war's in den meisten Fällen dann auch schon.
Du kannst GHB mit Software trainieren, "echter" Unterricht ist aber hilfreicher. Ich habe EarMaster5 benutzt. Der war zwar zuweilen etwas umständlich zu konfigurieren, aber sonst eigentlich ganz prima.
So gut wie jede Musikhochschule bietet Musterklausuren für die Eignungsprüfung in Theorie und Gehörbildung zum Download an. Wenn du diese gut lösen kannst (gib sie deinem Lehrer zum Korrigieren), sollte dieser Teil der EP auch keine unüberwindliche Hürde mehr darstellen.
Pflichtfach Klavier: Wird zwar für sämtliche Studiengänge vorausgesetzt, ist aber nichts wovor man große Angst haben muss, da es nicht so streng bewertet wird. Meistens muss man zwei leichte Stücke spielen. Vorsicht übrigens mit Bach-Inventionen.
Falls es Vorgaben bzgl. der Pflichtfachstücke gibt, mit denen du absolut nicht klar kommst, frage bei der Hochschule an ob diese zwingend verbindlich sind.
6.
Viele Hochschulen bieten Vorbereitungskurse an! Nimm dieses oder vergleichbare Angebote wahr, am "Tag der offenen Tür" u.ä. kann man auch mal eine simulierte Eignungsprüfung durchlaufen, und, viel wichtiger: mit Studierenden ins Gespräch kommen!
Ich hoffe ich konnte etwas nützliches zu deiner Entscheidungfindung beitragen. Treffen musst du diese natürlich selbst. (Diesen Satz liebe ich. Der ist immer richtig, hilft aber null.
)
Falls du weitere Fragen hast, die ich beantworten kann, lass es mich wissen (gerne auch via PN). Es gibt zB einiges an Fachliteratur zum Thema, mehr auf Anfrage.
Zum Abschluss möchte ich dir sagen, dass du dich von den "Schwierigkeiten" die ein Musikstudium oder das Leben als Musiker beinhaltet, nicht grundsätzlich abschrecken lassen solltest. Herausforderungen sind dazu da, um genommen zu werden. Nur und eben durch diese wächst man. Wenn es "nicht dein Ding ist", ist das natürlich noch mal was anderes, um das festzustellen sind jedoch Erfahrungen am hilfreichsten.
Beste Grüße!
W.H.