Musikalische Arbeit mit Menschen mit Behinderungen - welche Ideale, Prinzipen,...

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Grade bin ich in einem anderen Kontext auf dieses gestoßen:
[...]Und ganz wichtig:

Station 17





Wenn ich an Arbeit mit Menschen mit Behinderungen denke, frag ich mich immer wieder, was wichtiger ist:

Das Ergebnis <-> die Eingenständigkeit

Oder anders:

Wie viel "Nicht offensichtliche Behinderung" <-> "Selbstproduktion von Menschen mit Beeinträchtigunge"


Eine Frage, die ich gerne mit euch mal diskutieren möchte...
 
Eigenschaft
 
Hallo - Ich finde, dass immer das Ergebnis wichtig ist, sobald man auf eine Bühne und in die Öffentlichkeit geht. Im Fall von Station 17 stimmt das Ergebnis in den meisten Fällen.
Wenn andere "Werkstattbands" ihre Zielgruppen zufriedenstellen ist das auch ok. Für Auftritte sollten aber immer gleiche Maßstäbe gelten. Eine Darbietung sollte also immer gut sein, egal von wem sie erbracht wird. Ich halte nichts von "Mitleidsapplaus" und Fremdschämen. Deshalb muss jemand ein Auge drauf haben und evtl. auch die Band vor sich selbst schützen.
Ansonsten soll das Ganze natürlich Spaß machen. Und auch dabei hilft ein Profigerüst,
 
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Sehe ich sehr ähnlich. Spaß ist sehr wichtig bei der Vorarbeit, aber das sollte immer der Fall sein, ob Behinderung oder nicht. Jedoch ist bei der Aufführung sehr wichtig, dass diese ein Erfolg ist.
Bei einer Schülerband ist Mitleidsapplaus auch scheiße, warum sollte das anders sein bei Menschen mit Behinderung.
Abgesehen von der Performance, sollte auch das Auftreten und das Outfit stimmen. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ganz viele Personen mit Behinderung immer sehr unmodisch gekleidet sind oder blöde Topfschnittfrisuren haben.
Für Behinderte sind solche Erfolgserlebnisse in meinen Augen sehr wichtig, da sie im Alltag oft benachteiligt werden und selten in den Genuss kommen ein anerkennendes Lob von außenstehenden Personen zu erhalten.
Aus diesem Grund...Super Sache wenn man so etwas auf die Beine stellt, dann bitte aber richtig machen.
 
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:gruebel: Wer hat eine Station 17 CD (oder vergleichbare Band) in seinem CD-Regal und wie oft hört er die?
:gruebel: Warum hat er die CD?
:gruebel: Wer geht auf Konzerte dieser Bands?
:gruebel: Wer gibt keinen "Mitleidsaplaus"?
:gruebel: Wer ist sein "Künstlerleben" lang nur mit 200% sitzender Performance auf die Bühne gegangen?
:gruebel: Wer denkt nicht erst "hä???" wenn er nicht wissend, was das für ein Projekt ist, eine Station-17-CD hört?

Profis hin oder her, meist erkenne ich spätestens beim ersten Gesangseinsatz, dass da ein "besonderes Projekt" sich im CD-Player dreht. Station 17 finde ich absolut unterstützenswert, ich hab die CD und die DVD, die ich habe, schon gehört, aber nicht oft und nicht "einfach so". Ich war auch schon auf verschiedenen Konzerten von Sation 17 & Co. Ich bin aber meist faszinierter von den Bands, die ohne Profis musizieren.
Bei mir fliegen aber auch "Laien/Schülerbands" aus dem CD-Player, wenn mich die Qualität nicht überzeugt. Andererseits finde ich es in der Livesituation nicht störend, wenn es nicht perfekt ist - so lange ich nicht zig Euro ausgegeben hab.

Was ich nicht mag, wenn (Achtung: jetzt politisch inkorrekte Ausdruckweise, um es übertrieben deutlich zu machen, was ich meine) Behinderte als Staffage und Alibi herhalten müssen, um zweitklassigen Profis Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen.
Da lieber etwas qualitativ schlechter, aber dafür zeigend, was die Menschen mit Behinderungen und Krankheiten auf die Beine stellen (können).
 
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Ich weiß nicth so ganz ob ich die Eingangsfrage verstanden habe - aber egal das Thema interessiert mich halt :D

Was ist das eigentlich für ein Mitleidsapplaus? Also ich denke wenn ich eine Livepeformance sehe und die Musiker, die da auf der Bühne stehen mögen was sie tun, dann würde ich niemals mangelndes Talent abstrafen mit finsterem Blick. Ein 6 Jähriges Mädchen, dass unsicher irgendein Lied schief singt darf den Applaus bekommen, und das ohne Mitleid. Sie hat das gezeigt was sie kann, wofür sie gearbeitet hat. Das gilt auch für nen Behinderten. Diese Leute sind doch wegen der Behinderung mit viel mehr Problemen konfrontiert um zu einem gleichen Ergebnis zu kommen. Applaus gibts für die Anstrengung und den Willen. Auch wenns mal daneben geht.

Man sollte generell weniger bewerten, weniger Wettbewerb auf der Bühne. Einfach sein Ding rausholen, es allen zeigen und sich nicht so sehr von Fremdbestärkung abhängig machen. Was würden wir alle entspannter und mit mehr Spaß und weniger Frust spielen können...
 
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ich bin momentan etwas überlastet, deshalb nur eine kurze Anmerkung...
...das deutsche System der Förderung beruht darauf, kurzfristig "Erfolg" zu produzieren, um längerfristig Gelder zum Arbeiten zu haben - viel zu oft werden dann "Bands" auf die Bühne gestellt, die man ganz dringend vor sich selber schützen müßte, aber um die Weiterarbeit zu sichern, werden lieber die Behinderten bloßgestellt - bloßgestellt im Sinne ihrer Möglichkeit, die sie hätten, wenn man längerfristig daran gearbeitet hätte. Seltsamerweise versickern in vielen Fällen die Gelder, die das dann hätten bewerkstelligen sollen...?!

Meine Frau hatte viele Jahre eine nahezu professionelle Truppe aus lernbehinderten, geistig behinderten Kindern und Kindern aus Erziehungshilfe-Schulen, die haben tierisch gearbeitet und sind dann auf die Bühne, wenn sie gut genug dazu waren und nicht, wenn schnelles Fördergeld gelockt hat. Die "Dummen" waren wir, Lehrer und Familienmitglieder, ersten weil Unmengen von unserer Freizeit im Projekt gesteckt hat, zweitens weil wir das ganze privat finanziert haben.
Dafür gab es echte Erfolge, wenn bei Landesschulorchestertreffen die Gruppen vom Gymnasium abgestunken sind, wenn hochdekorierte Orchester zu hause bleiben mußten und "unsere" Kinder beim Neujahrsempfang der Landesregierung gespielt haben, wenn der Herr Bundespräsident zur Eröffnung der Frankfurter Musikmesse geladen hat, etc.

Und nein, ich würde mir keine Musik, keine Konzerte anhören, die mich musikalisch nicht überzeugt, von mir auch kein Mitleidsapplaus, dafür aber einen heftigen Groll für die Verantwortlichen - es gibt viele Beispiele, daß es auch anders geht.
 
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Sehe den Thread gerade jetzt erst, und finde es wahnsinnig spannend!

Ich erlebe es in der Praxis selber, dass es immer eine gradwanderung zwischen "Mitleidsapplaus" und "Wirklichem Können" ist.

Ich habe zwar schon viele Projekte mit Menschen mit Behinderungen mitgestaltet, als ich den Thread gelesen habe, dachte ich die ganze Zeit an nur ein Konzert, das vieles hier auf den Kopf schmeißen würde:

Vor einigen Jahren spielte bei uns im Dorf der Berliner Straßenchor. Das war ein, von ZDF begleitetes Projekt, in dem obdachlose Menschen in Berlin angesprochen wurden, und ein Chorleiter zusammen mit einigen Sozialarbeitern eben ein Chor gründeten.
Diesen Auftritt werde ich wohl nie vergessen. Texte wie "Ich war noch niemals in New York", "Wunder geschehen", ... kamen super rüber. Ich habe schon viele Chöre gehört, die musikalisch wirklich besser waren - aber keiner ging mir so unter die Haut! Die Botschaft, die in der Musik mitschwang, die Emotiionen, haben einige "falsche" Töne vergessen gemacht. Und mit jedem Applaus merkte man, wie die Personen auf der Bühne größer wurden und man ihnen wirklich was mit gab.
(2 Jahre später waren sie dann wieder da).
Schade bei dem Projekt war dann, dass auf der CD eben alles "sauber" bearbeitet wurde und es sich einfach wie kein besonderer Chor anhörte. Da macht wirklich das "Live" erleben viel aus.


Ich bin der Meinung dass eine solche Gruppe dann Autrittsreif ist, wenn sie schon mehr können als der "durchschnitt". Also schon so gut sind, dass die große Masse das Ergebniss nicht auf anhieb nachproduzieren kann.

Ein anderes Beispiel ist eine Trommelgruppe mit Menschen mit Behinderungen, die ich begleiten durfte. Diese konnte 3 Rhythmen wirklich super trommeln und sie hörten sich super an. Dazu kam eine sehr motivierte Musikpädagogin, die das Publikum zum mitmachen animierte und Eniergie verteilte. Auch hier wurde viel Lebensfreude, Spaß und unbekümmertheit übertragen. Denn auch hier waren es die Auftritte, die den Menschen selbstvertrauen gaben. Und sie schafften es sogar schon 2x, beim Stadtempfang vor 600 Leuten zu überzeugen.

Musikalisch ist es von ok bis ganlz gut. Nicht perfekt, aber eben so, dass unmusikalische leihen bestimmt auch 10-20 intensive übungsstunden bräuchten. Aber dann sehe ich den applaus nicht mehr als Mittleidsapplaus an.


Edith hat noch einen Link vom Straßenchor
 
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Ich glaube das entscheidende ist, dass wir den entscheidenen Faktor darstellen. Wenn ich als Musiker und in dem Fall evtl. Musikpädagoge voll mit dahinter stehe, mert es das Publikum und natürlich auch die Menschen in der Musikgruppe. Dann wird es auch kein Mitleidsapplaus geben...wenn ich als Musiker allerdings auch der Meinung bin, dass es noch nicht gut genug ist, gehe ich nicht auf die Bühne!
Wenn dann aber auf der Bühne es nicht 100% klappt, muss ich eben dahinter stehen, das Publikum mitfiebern lassen, mitmachen lassen, animieren. Und das aus voller überzeugung.


Wenn ich merke "hier geht was schief", ist meine Initiative gefordert. Agiere ich nicht, wird es wohl ein Mitleidsapplaus.
 
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Eine Sache möchte ich gerne einwerfen: Grade bei Kindern kann man diese gar nicht früh genug auf die Bühne schicken. Auftreten muss man lernen.
Ok das hat nicht so viel mit Behinderungen zu tun... aber an einem konservatorium an dem ich war gab es jedes halbe jahr ein Vorspiel. Egal wie gut sie waren, sie sollten einfach etwas spielen. Ein kleines Stück, eine Etüde ... Applaus muss bei einer durchwachsenen Leistung nicht Mitleid sein, sondern kann auch Anerkennung einfach eines gewissen Mutes sein. Auftreten muss man lernen! Learning by doing!
 
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@Fastel
Das sind wirklich zweierlei Dinge, ich hab die Kinder von der Truppe meiner Frau immer beneidet - die kannten keinerlei Scheu, keinerlei Lampenfieber, die sind auf die Bühne, und haben in voller Konzentration ihr Ding durchgezogen, egal ob das ein Schulfest in der eigenen Schule war, oder eine große Halle voll mit fremdem Fachpublikum.

Behinderte Menschen kennen oft keinerlei Scheu, deshalb ist das eine sehr verantwortungsvolle Gradwanderung, das nicht auszunützen. Die geniesen das, sich auf der Bühne zu präsentieren - haben aber im Gegenzug keinerlei Kritikmöglichkeit an dem, was sie machen.
 
Der Chor hat Charme. Er lebt natürlich auch vom Kontext, macht aber Spaß. Das gefällt mir.
 
Ich schalte mich hier nochmal ein - auch wenn es nicht ganz auf die Frage eingeht:
Ich lese gerade das Buch "DoppelIch" von Horst Köhler (Guildo Horn)....was viele nicht wissen - neben seiner Musikkarriere hat er viel mit Menschen mit Behinderungen gearbeitet - das Buch geht auch genau auf diese Momente ein. Sehr interessant finde ich den Teil, als er das erste Mal bei einer Musikgruppe in der Werkstatt mitmachte:
"Die ganze Truppe startete von Null auf 100 in maximal 5,4 Sekunden. Irre. Echte Musikfreaks. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: >Der Raum bebte.< (...) Bettina, fasste mich spontan an den Händen und forderte mich zum ultimativen Tanzuell unter Luxuskörpern auf und ohne Vorwarnung begann ich wie blöd zu erröten. Ich, der Musiker vor dem Herrn, wurde hier mit etwas konfrontiert, das mich offensichtlich an meine persönliche Schamgrenze führte. Vor was schämte ich mich eigentlich? Hier saßen zwei Hände voll liebenswürdiger Menschen um miteinander zu musizieren. Eine Situation die mir, dem Rockn Roller wohl bekannt hätte sein dürfen? So what? War es dieses Unverkrampfte, völlig Losgelöste, Spontane? Bin ich nicht in der Lage, mich derart in die Musik fallen zu lassen? Bis hierhin hatte ich mich für erheblich lockerer gehalten. Irgendwas hatten diese Menschen mir vorraus, das sie dazu befähigte, sich um nichts anderes zu scheren als die Musik. War ich hier der Behinderte? In diesem Fall offensichtlich: Ja!


Kann das Buch nur empfehlen - geht viel um die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen und eben um Musik....und ist dazu lustig geschrieben. Aber nochmal zum Thema:
Dieser Absatz (im Buch ist es ca. eine Seite) trifft es auf den Punkt. Wenn ich mit Menschen mit Behinderungen arbeite, ist dies der Faktor - schaffe ich es, dass sie Spaß haben? Probleme vergessen? Sich in die Musik hineinfiebern? Dann ist alles gut und meine Arbeit erledigt. Wenn dann etwas entsteht, was Bühnenreif ist - noch besser, kann man mal auf dem Sommerfest üben... und dann wächst etwas. Was ich sagen möchte: Wenn ich eine Musikgruppe mit Menschen mit Behinderungen übernehme, geht es mir zu aller erst um den Spaß an der eigenen Musik. Entweder wächst dort etwas raus, oder eben nicht. Dabei schraube ich meine eigenen Erwartungen aber auch auf ein minimum herunter!
 

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