Ein interessantes Thema, auch wenn es schon etwas älter ist...
Ich finde es hier interessant, die Tonleitern anhand der Hauptfunktionen darzustellen:
Dur: S T D
(reines) Moll: s t d
Harmonisch Moll: s t D
Melodisch Moll: S t D
Ergänzt man die weiteren Kombinationen von Dur- / Moll-Hauptdreiklängen, so erhält man je vier Tonleitern mit Dur- bzw. Moll-Charakter (abhängig vom Tonika-Dreiklang):
Dur: S T D
"Harmonisch" / vermolltes Dur: s T D
Mixolydisch: S T d
Melodisch Moll V: s T d ("Melodisch Dur")
(reines) Moll: s t d
Harmonisch Moll: s t D
Dorisch: S t d
Melodisch Moll: S t D
Dabei besitzt D - wie bereits erwähnt wurde - den Leitton zum Tonikagrundton. Aber auch s besitzt eine Art abwärtsführenden Leitton zur Quinte der Tonika, der m.M.n. nicht unterschätzt werden sollte.
Tauchen s und D gleichzeitig auf (-> harm. Dur / Moll), so ergeben sich Leittöne zu Grundton und Quinte der Tonika; der Tonika-Dreiklang wird also von einer verminderten Septime umschlossen. Diese ist das Kehrintervall zur übermäßigen Sekunde, die deshalb natürlich auch enthalten ist.
Kirchentonleitern (Ionisch, Mixolydisch, Dorisch, Äolisch) ergeben sich übrigens genau dann, wenn in obiger Darstellung kein Dur-Dreiklang rechts von einem Moll-Dreiklang steht (äquivalent: kein Moll-Dreiklang links von einem Dur-Dreiklang): S T D, S T d, S t d, s t d
Bei Lydisch fehlt die Subdominante, bei Phrygisch die Dominante, und Lokrisch hat nicht einmal eine Dur-/Moll-Tonika, weswegen sie in der Liste nicht vorkommen.
Lokrisch (oder Lokrisch2 etc.) hat eine kleine Terz, klingt aber nicht wie Moll. Im übrigen empfinde ich auch Phrygisch als nicht besonders mollähnlich. Geht es noch jemandem so?
Ich denke Lokrisch und Phrygisch lassen sich besser verwenden, wenn man sie abwärts singt / spielt, so wie es bei den alten Griechen üblich war. Du kannst ja mal Phrygisch vom Grundton abwärts bis zur Unterquarte, -quinte oder -sexte spielen, und dann wieder rauf. Wenn du wieder oben angekommen bist kannst du auch gut den Leitton von oben verwenden (kleine Sekunde über dem Grundton).
Das hört sich dann allerdings ein bisschen so an als ob man Äolisch spielt, nur dass man immer wieder zur Quinte zurückkehrt, statt zum Grundton. Auch müsste man konsequenter Weise den Dreiklang vom Grundton aus in Terzen abwärts stapeln, statt aufwärts, und heraus käme der Moll-Dreiklang, den man üblicher Weise eher Äolisch zuordnen würde als Phrygisch; von daher sind die Grenzen zwischen Äolisch aufwärts und dem Phrygisch abwärts, so wie ich es hier beschreibe, recht fließend.
Spielt man Phrygisch dagegen aufwärts, so macht sich die kleine Sekunde direkt am Anfang bemerkbar, und schon der erste Ton nach dem Grundton unterscheidet sich vom reinen Moll. Auch gibt es wegen der kleinen Sekunde keine Dominante mit reiner Quinte, von daher kann ich deine Bemerkung schon verstehen. Und Lokrisch aufwärts würde ich wegen der verminderten Quinte nicht als Tonart mit Moll-Charakter bezeichnen.
P.S.: Dieser Beitrag enthält subjektive und musikphilosophische Gedanken, die zu Verwirrungen führen können.
