Ich lese aus Deinen Beiträgen raus, dass Dich die Idee eines großen Analogpults fasziniert, dass Du dann an Dein Interface anklemmst, um Multitrackaufnahmen zu machen. Ich verstehe, dass die mittlerweile zu wirklich niedrigen Gebrauchtpreisen angebotenen großen Analogkonsolen einen gewissen haptischen Reiz ausströmen - soviele echte Knöpfe zum Anfassen! Immerhin habe ich selber über viele Jahre mit diversen analogen Pulten (Soundcraft, Allen&Heath) und digitalen Recordern (DA88, später HD24XR) so Aufnahmen gemacht. Aber ich sage es auch ohne Umschweife: seit ich auf ein X32 Compact mit X-Live Karte darin umgestiegen bin, würde ich ums Verrecken nicht mehr zurückwollen! Ich versuche mal, die Gründe dafür halbwegs sachlich aufzuführen:
1. Der Verkabelgunsaufwand: Bei jeder Aufnahme müssen immer sowieso schon einige KM Kabel von den Quellen zum Pult verlegt werden, aber dann kommt bei der Analogpult-Variante halt immer noch die Verkabelung von genausovielen Signalen wie eingangsseitig vorhanden zum Interface/REcorder dazu. Das ist nicht nur ein Zeitfaktor, sondern vor allem auch ein unendlicher Fehlerquell und letztlich auch ordentlich Geld zu investieren, denn vernünftige Kabel kosten eben. Ich habe keine Session verkabelt, ohne einen Fehler drin gehabt zu haben (sei es, dass zwei Kanäle vertauscht waren oder dass eine Verbindung gestört war oder auch nur ein nicht voll eingesteckter Stereoklinkenstecker am Recorder, der dann zu Phasendrehern geführt hat). Man sammelt sicher Erfahrung darin und am Ende geht es auch schnell, aber es bleibt Aufwand und Material, dass gekauft und geschleppt werden will.
2. Der Wartungsaufwand: Kabel, Steckverbindungen, Potis, Taster und alles andere, was regelmäßig bewegt wird und Staub, Luftfeuchtigkeit und sonstigem widrigem Zeugs ausgesetzt ist, gehen irgendwann kaputt. Schlimmer vor diesem endgültigen Zustand "kaputt" ist jedoch die Phase davor "halb kaputt - geht mal - mal nicht". Wenn ein Signal beim Soundcheck zu einer Aufnahme nicht da ist, dann merkt man es gleich und sucht los. Viel schlimmer ist, wenn z.B. ein Livemitschnitt läuft und der Bass mal da ist, dann wieder nicht. Die Aufnahme ist damit wertlos in den meisten Fällen. Sowas kann einem mit einem Digitalpult auch passieren, aber bei der von Dir verfolgten Lösung gibt es halt nochmal mehr mögliche Fehlerquellen als sowieso schon. Und große Mischpulte - so toll sie haptisch sind - kommen mit den Jahren in einen Zustand, wo regelmäßige Wartung fällig wird: Taster und Potis fangen an zu Kratzen, Bussteckverbinder korrodieren und lösen die tollsten Fehler aus (bei mir z.B. mal ein nicht reproduzierbares Brummen des externen Netzteils eines Pults, dass auch in das Audiosignal einstreute). Irgendwann fängt man dann an, einzelne Kanalzüge zu opfern, um den Rest funktionsfähig zu halten... been there, done it! Und ein Nachtrag noch: Wenn Du ein Pult gebraucht kaufst, dass schon so 3-7 Jahre auf dem Buckel hat, dann bist Du bereits in der Phase, wo ständig etwas kaputt ist - auch wenn das Pult im Moment der Übergabe 1A in Ordnung ist.
3. Die Audioqualität: Achtung - hier geht es auf dünnes Eis und es wird viele Leute geben, die mir widersprechen. Aber meine Meinung ist: Die Audioqualität aus einem X32 ist bereits gleichwertig oder besser als die aus einem vergleichbar teuren Gespann Analogpult/Interface. Um wirklich viel bessere Qualität der Rohspuren zu haben, müsstest Du auf Preamps ab minimum 150,- pro Kanal aufwärts wechseln mit den entsprechenden Wandlern dazu (ich höre z.B. ein minimal offeneres Klangbild bei Verwendung eines RME Octamic II statt des X32). Sagen wir es mal anders herum: Das was sich vor dem Pult abspielt (Musiker, Instrumente, Raum, Mikros, Kabel) macht viel mehr aus als die Unterschiede der Wandler.
4. Die Flexibilität: Ein Analogpult ist immer genau für den einen Einsatz eingestellt, für den es gerade konfiguriert ist. Der Weg zum nächsten Einsatzzweck geht über "Nullen" (= alles wieder auf Ausgangstellung drehen) und neu Einstellen. Eine einmal gefundene ideale Einstellung lässt sich nur mit erheblichem Aufwand wiederherstellen, wenn überhaupt... Beim Digitalpult speicherst Du Dein Homestudiosetup in eine Szene, rufst dann die Live-Scene Deiner Band auf, spielst den Gig mit Aufnahme, IEM und allem Gedöns, gehst danach wieder auf die Homestudioscene und machst den Mix. Oder wie auch immer Du hin und herspringen willst - alles geht mit einem Knopfdruck. Und es klingt genauso wie davor - immer.
5. Die eingebaute Peripherie: ich bin ein analog-Nerd, der sich in eine volldigitale Mix- und Aufnahmeumgebung einen selbsgebauten hochwertigen Neve-Klon Preamp stellt. Aber mal ganz im Ernst: wenn ich die ganzen Gates, Comps und FX aus einem X32 neben eine analoge Konsole stellen wollte, dann wäre das Siderack minimum 32 HE und würde selbst bei Billiggeräten ein vielfaches des X32 kosten. Geht besser als X32? Uneingeschränkt: JA! Braucht man besser als X32 für den normalen Bandbetrieb? IMHO nein.
6. Die Redundanz der Aufnahmen: dieser Punkt ist vielleicht nicht für jeden ein Thema, aber für mich war es immer der Horror, wenn eine Aufnahme aus technischen Gründen nicht hinterher verfügbar war. Ich habe das mal gehabt beim HD24XR, der die Files aus nicht nachvollziehbaren Gründen geschreddert hat. Von fehlerhaften Tapes beim DA88 will ich gar nicht erst anfangen... Beim X32 mit X-Live-Karte nehme ich immer parallel auf die SD-Karten sowie über USB direkt auf das Notebook auf und habe damit zwei redundante Versionen der Aufnahme. Sofern man die X-Live-Karte im Pult mit einer Pufferbatterie bestückt, speichert sie die Files sogar im Fall eines harten Stromausfalls noch korrekt ab. Das Notebook läuft in dem Fall auch über den Akku weiter und kann vernünftig heruntergefahren werden. Beim HD24XR waren die Aufnahmen beim Stromausfall erstmal futsch und nur über Tricksereien wieder herzustellen... Und auch Windows Rechner sollen schonmal abgestürzt sein beim Aufnehmen.
Langer Rede kurzer Sinn: ich würde Dir raten, auf ein Digitalpult zu gehen - namentlich ein X32 Compact oder das X32Rack, wenn Du die Bedienung über den PC nicht scheust. Wenn analoges Pult, dann nur eines mit integrierter Mehrkanal-Schnittstelle wie z.B. das Soundcraft MTK oder ähnliche. Ein altes Analogpult wäre für mich die letzte Lösung, wenn nichts anderes machbar ist.