Kunsterziehung oder professionell Quote machen?

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Im Nachbarforum (Akkordeon Hörproben) wird gerade diskutiert, ob es gut ist, eine bestimmte Erwartung des Publikums zu erfüllen oder besser wäre, dagegen zu arbeiten.

Mehrere (auch abschweifende) Gedanken dazu:

Im diskutierten Fall geht es darum, bei einem Musikschulkonzert das Publikum zu begeistern. Das Akkordeon wird von 2 Kindern gespielt, die von mir als Lehrer mit einem Akkordeon-Keyboard unterstützt werden.
Die Frage ist nun, ob es gut ist, das sattsam bekannte Weihnachts-Klischee mit dem Keyboard ergänzend perfekt zu erfüllen oder ob es besser ist, die Akkordeons in Ihrer "Unvollkommenheit" allein auftreten zu lassen, weil es ehrlicher wäre und ein unmittelbareres Musiziererlebnis darstellen würde.
Kunsterziehung oder professionell Quote machen? Das eine muss das andere nicht ausschließen - schon klar, aber das ist unglaublich schwer zu erfüllen!!!

Weiter gedacht:
Ein Akkordeon ist sehr auf Transkriptionen angewiesen und eignet sich für viele Sachen hervorragend. So war und ist z.B. Bach auf dem Akkordeon immer ein strittiges Thema in akademischen Kreisen. Es "muss auf Orgel oder Klavier bleiben" sagen die einen, "dogmatische Ansicht" werfen die anderen den ersteren zu... Die Familie hört indes lieber Volksmusik.

Wenn man schließlich Bach auf dem Akkordeon akzeptiert, dann verstehe ich nicht, warum die selben Leute das gleiche Stück auf einem Keyboard mit viel näher liegendem Orgel - oder Klaviersound verurteilen. Diejenigen, die diese Stücke dem Akkordeon bedingungslos zugestehen, möchten es plötzlich keinesfalls auf Keyboard hören. Wenn man fragt, ... Keyboard möchte eigentlich sowieso niemand hören...
Denn alle sind sich einig, echte Instrumente bleiben unerreicht!

Trotzdem spricht doch der "Markt" oder das "ungefragte Publikum" eine ganz andere Sprache. Der Omi ist ihr Alleinunterhalter genug. Auf dem Stadtfest kommt ein einzelner Entertainer mit mp3 auf nem USB Stick besser durch als die Punk Band mit 6 Musikern, denn er hat die richtige Mucke dabei, besseren Sound und die bessere Show samt Sprüchen. Im Club ist ein DJ viel angesagter als ein Gitarrist. Da wird gern schon auch mal ein Saxophonist "verheizt". Wen interessiert es, ob Depeche Mode oder Lady Gagas Band nun live spielt oder nicht??

Wo fängt überhaupt der Betrug an? Wenn ich mit dem Balg oder dem Bogen übe, damit eine bestimmte Tonform entsteht, dann ist das akzeptiertes Kunsthandwerk. Benutze ich aber einen Hüllkurvengenerator und speichere das Ergebnis ab, ist das dann einfach nur billig? Wieso? Es ist doch nur ein anderes Werkzeug...
Ist ein Delay in Ordnung um staccato Repetitionen nicht üben zu müssen? Was ist mit Arpeggiatoren oder Loopgeräten? Ein Knopf drücken und dann sprudeln die Patterns ... Was soll das? Ist das cool oder Betrug?
Spielt es eine Rolle, ob ich das selbst programmiert habe, oder ob das jemand bereits im Herstellerwerk für mich getan hat? Warum darf ich nicht auf's Knöpfchen drücken und mehrere aufgenommene Arpeggios kombinieren? Wo ist der Schritt zum Playback?
Kriegt das überhaupt jemand mit? Wie hoch ist die technische und künstlerische Leistung einzuschätzen?


Ich bin immer hin und her gerissen. Echte Instrumente bieten im Detail viel mehr Farben und wenn man jemanden fragt, wird verbal immer für das akustische, natürliche Stellung bezogen. Andererseits sieht man doch, wie egal den meisten Menschen so etwas ist... im Video sowieso, aber auch auf Konzerten.

Wollen Menschen gekonnt betrogen werden?
Warum hört man immer wieder das Statement - Playback nöö, bäää will ich nich.
Aber im selben Moment füllen sich Stadien mit Menschen, denen das völlig wurscht ist.

Wenn ich alle Möglichkeiten (am Computer oder Keyboard) habe, um einen originalen Sound zu erreichen, der auf der Bühne genau das erfüllt, was die Leute erwarten ... soll ich dann trotzdem lieber zum echten Banjo greifen und den Leuten beweisen, dass ich Hollywood auch auf dem Banjo darstellen kann? Weil dann etwas neues entsteht, weil ich dann ehrlich und authentisch bin, weil ich mir wirklich spürbar Mühe gebe, schwitze und riskiere zu scheitern .... ist das wichtiger? Interessiert das die meisten Menschen wirklich mehr?

Ist nicht alles nur ein Mittel um Emotionen zu übertragen?
 
Eigenschaft
 
Du hast rd. 15 Fragen gestellt, Klangbutter. Welche davon liegt Dir am Herzen?
Auf die letzte antworte ich mal mit Ja.
 
Na das ist ja schon mal was.
Also ist Dir die Art und weise mehr oder weniger egal, solange Du angesprochen wirst.

Sehe ich auch so.

Aber es gibt gefühlt 150 Ansatzpunkte, das eine oder andere Herangehen zu kritisieren.
Rund 15 habe ich erwähnt. Ich hatte gehofft, es sind einige dabei, die zu einem oder andern Punkt Stellung beziehen koennen.

Wenn ich mich festlegen soll:
Ich begreife den Widerspruch nicht,
professioneller künstlicher "Teppich" wird verbal fast immer verachtet, kommt am Markt aber am Besten durch.

Wie soll man sich als Künstler verhalten?
 
Das hängt davon ab was man will.
Will ich künstlerisch anspruchsvolle Musik machen,
autentische,
die, die mir gefällt
die, die dem Publikum gefällt
die, die ins Bein geht?
Es sind alles Segemnte, die bedinet werden wollen, von wem ist doch Latte.
Ich mag Groove; durchaus legitim, den mit Gitarre, Stimme und einem Backing Track zu erzeugen; auch wenn mir autentische, live erzeugte Musik lieber ist als auch der Konserve.
 
Also auf keinen Fall Konserve.
Festlegen auf ein Ziel und dann keine Fragen mehr stellen sondern selbstbewußt durchziehen.

Hab ich das so richtig verstanden?
 
Konservenfrei, es sei denn es ist ein Gig, bei dem ein Musiker fehlt oder es logistisch nicht geht, dann ist es OK, wenn bspw. die Drums vom Handy in den Mixer geht.

Es können ja mehrere Projekte zu Ziel führen, bspw. eins mit kommerzieller Musik und parallel eines mit der, die man selber gerne hört/ macht, aber ggf. nicht jedem Publikum zugänglich ist.
Solange es mir/ meinen Kollegen dabei gut geht und man sich nicht prostituiert fühlt, ist doch alles in Ordnung. Wichtig ist, dass die eigene Authenzität erhalten bleibt und der Seismograph für die Beurteilung derselben sollte man selbst sein.
 
Im diskutierten Fall geht es darum, bei einem Musikschulkonzert das Publikum zu begeistern. Das Akkordeon wird von 2 Kindern gespielt, die von mir als Lehrer mit einem Akkordeon-Keyboard unterstützt werden.

Unterstützen heißt auch, Ihnen einen guten Auftritt zu verschaffen. Ich weiß ja nicht wie "gut" die Kleinen sind, aber je nach Alter und Ego würden die sich über ein bisschen Rückendeckung sicher freuen. Das gleiche gilt für das Publikum. Die wissen sehr wohl, dass die Schüler keine Meister sind, aber lass sie doch träumen davon, dass die auch mal was werden können. Musst ja weder die Kleinen noch die Großen mit einem Klangteppich zukleistern. Warum überlegst Du Dir nicht ein kleines Rhythmusbacking auf - dem Akkordeon? Das gibt den Spielern Halt und den Zuhörern Tiefe.

Kunsterziehung oder professionell Quote machen? Das eine muss das andere nicht ausschließen - schon klar, aber das ist unglaublich schwer zu erfüllen!!!

Kunst hat nichts mit Erziehung zu tun. Wer erzogen werden will, wird wieder Kind oder geht ins SM-Studio ^^ Wenn Du eine künstlerische Mission hast, dann verpacke sie in rosa Wolken und feuchte Träume. So erreichst Du die Leute, nicht mit trocken-calvinistischer Mentalität.
Wie so ziemlich jeder fliehe ich sämtliche Missionare die mir was von "Blut, Schweiß, Tränen" erzählen oder vom "lieben Gott" den man nur durch ein irdisches Jammertal erreicht.

Spass motiviert. Noch mehr (erahnbarer) Spass motiviert auch zu eigenen Leistungen.

Denn alle sind sich einig, echte Instrumente bleiben unerreicht
Das ist ein Vorurteil. Sicher, ein klavierkopierendes Keyboard erreicht das Ideal eher nicht, da es nur eine Kopie ist, aber eine Hammondorgel oder ein Synthiedingens IST das Original, sowas geht auf einer Kirchenorgel oder einem Klavier nunmal nicht. Der Spieler machts und nur zum Teil das Instrument. Alles andere ist Vorurteil und dagegen kommt auch ein Kunsterzieher nicht an :p

Trotzdem spricht doch der "Markt" oder das "ungefragte Publikum" eine ganz andere Sprache. Der Omi ist ihr Alleinunterhalter genug. Auf dem Stadtfest kommt ein einzelner Entertainer mit mp3 auf nem USB Stick besser durch als die Punk Band mit 6 Musikern, denn er hat die richtige Mucke dabei, besseren Sound und die bessere Show samt Sprüchen. Im Club ist ein DJ viel angesagter als ein Gitarrist. Da wird gern schon auch mal ein Saxophonist "verheizt". Wen interessiert es, ob Depeche Mode oder Lady Gagas Band nun live spielt oder nicht??

Der Alleinunterhalter unterhält. Die Punkband missioniert. Was kommt wohl besser an? Wenn die Punkband ebenfalls unterhaltend ist (Show und/oder Mucke) kommt auch die gut an, jedenfalls bei einem Teil des Publikums.

Wo fängt überhaupt der Betrug an? Wenn ich mit dem Balg oder dem Bogen übe, damit eine bestimmte Tonform entsteht, dann ist das akzeptiertes Kunsthandwerk. Benutze ich aber einen Hüllkurvengenerator und speichere das Ergebnis ab, ist das dann einfach nur billig? Wieso? Es ist doch nur ein anderes Werkzeug...
Ja. und Nein. Wer die Hüllkurve verläßlich live erzeugt kann (vielleicht) mehr als derjenige, der sie einmal perfekt bastelte und immer wieder einsetzt. Hat was mit gefühlter Authentizität zu tun, denke ich und damit wieder mit Vorurteilen. Ich höre gerne elektronische Mucke wenn sie gut gemacht ist, Rock, Blues etc. und an jeden Musikstil habe ich andere tonale und spielerische Erwartungen. Betrogen werden die Leute allenfalls darin, dass das Risiko des Scheiterns wegfällt ... für den Künstler, s.u.

Ich bin immer hin und her gerissen. Echte Instrumente bieten im Detail viel mehr Farben und wenn man jemanden fragt, wird verbal immer für das akustische, natürliche Stellung bezogen. Andererseits sieht man doch, wie egal den meisten Menschen so etwas ist... im Video sowieso, aber auch auf Konzerten.

Alles richtig. Aber ein Video ist ein Medium für sich, ein Konzert wird heutzutage nicht nur wegen der Musik besucht, sondern wegen dem/den Künstler(n) welche etwas darstellen was größer ist als sie selbst, oft genug die Träume ihrer Bewunderer ... und bestenfalls die Musik aufführen, interpretieren, egal, wer das Stück nun geschrieben hat ... Das gilt jedenfalls überwiegend für populäre Musik mit "halbechten" Künstlern. Der Alleinunterhalter ist "nur" Dienstleister wenn er nix Besonderes an sich hat, was von ihm aber auch selten erwartet wird.


Weil dann etwas neues entsteht, weil ich dann ehrlich und authentisch bin, weil ich mir wirklich spürbar Mühe gebe, schwitze und riskiere zu scheitern .... ist das wichtiger? Interessiert das die meisten Menschen wirklich mehr?

Das Risiko des Scheiterns zu spüren ist oft genug unterhaltend, fast wie ein Glückspiel.

Ist nicht alles nur ein Mittel um Emotionen zu übertragen?
Zu erzeugen, denke ich.
 
Hi andiu:
danke für die eingehende Antwort.
Zum ersten Absatz. Genau so ist meine Denkweise und Deinen Vorschlag (dezenter Klangteppich und Backing für mehr Halt) habe ich bereits so umgesetzt.

Dein zweiter Absatz: das zielt auf die Verbindung der künstlerischen Intension in komerzielle Hüllen. Das ist natürlich perfekt aber eben so schwer zu machen. Ich kenne so viele gute Jazzmusiker, die sich selbst verwirklichen und dabei verhungern und auch nicht wenige, die einen musikalischen Brotjob machen und deren Talent verkümmert. Beide Spezien sind nicht glücklich und beides zu vereinen ist echt schwer.
In dem speziellen Fall ging es aber eigentlich nur darum, ob man sich pädagogisch richtig verhält, wenn man den Kindern so dermaßen unter die Arme greift. Ich finde ja, es ist richtig. Aber es gibt eben Kritik und ich sehe tatsächlich ebenfalls die Gefahr, dass man falsch erzieht, weil die Leistung der Kinder nicht echt ist. Man blendet, irgendwann wird das klar und fällt Dir (und den Kindern) auf die Füsse. Es sei denn, man läßt sich komplett darauf ein und akzeptiert, dass Musik der Zukunft eben mit derartigen Hilfsmitteln gemacht wird. (Konserve angeschmissen und fertig)

Insofern - Bildungsauftrag völlig verfehlt...

Dein letzter Absatz (Träume verkörpern...) ist sehr interessant. Da muss ich erstmal drüber schlafen

coolaclark:
Bist Du in mehreren Projekten? Bist Du darin jeweils zufrieden? Verzettelst Du Dich nicht?
Ich habe zunehmend das Gefühl, dass eine Teilung der eigenen Tätigkeiten zwar nötig und interessant ist, dass man dabei aber nie richtig zum Ziel kommt weil die Energie nicht gebündelt ist.

Führt jetzt aber zu weit. glaube ich...
 
[FONT=&quot]Moinsen, ich habe bei der Vielzahl an Fragen nicht geschnallt, dass es vorrangig um den Bezug zu dem Musikschukkonzert geht. Ich dachte dies sei dem anderen Thread, den ich nicht gelesen habe, zuzuordnen. Ich weiss noch, dass ich bei den Weihnachtskonzerten (u. a. Schule 1970er) immer total gelitten habe, wenn es nur wenige Instrumente (bspw. 1 Gitarre + 1 Streicher od. 1 Gitarre + 1 Flöte) vor größerem Publikum waren, weil man dann nicht von der Begleitung getragen wurde und sich einbildetet hat, jeder kleine Fehler sei hörbar. Bezogen auf Deine Eingangsfrage finde es durchaus in Ordnung, die Kinder zu begleiten; ich würde das in Abhängigkeit dessen machen, was den Kindern oder dem Stück zuträglich ist, also individuell beurteilen und in der Probe festegen.[/FONT]



coolaclark:
Bist Du in mehreren Projekten? Bist Du darin jeweils zufrieden? Verzettelst Du Dich nicht?
Ich habe zunehmend das Gefühl, dass eine Teilung der eigenen Tätigkeiten zwar nötig und interessant ist, dass man dabei aber nie richtig zum Ziel kommt weil die Energie nicht gebündelt ist.
Führt jetzt aber zu weit. glaube ich...

Ich habe kein Ziel mehr zu erreichen, so dass es mir nur noch um Spass geht, dass heisst bei Auftritten wird tatsächlich Publikum bedient, die Songsauswahl ist demokratisch; damit ich aber darüberhinaus noch die Lieder spielen kann,
die ich gerne möchte die aber nicht von allen Bandmitgliedern getragen werden, mache ich das mit anderen zusammen. Dieser Weg hat sich für mich als pragmatisch herausgestellt und bereichert mich, ohne dass ich auf zuvielen Hochzeiten tanze.
Unabhäng davon meine ich, ein Musiker mit dem Wunsch, eigene Lieder oder eigene Interpretationen vorzutragen, sollte seine Energie auf sein Ziel focussieren, sich offen zu halten gehört automatisch dazu, wenn man sich treu ist und weiß was man will, ist man sich der Gefahr des Verzettelns i. d. R. auch bewusst.
 
"Ich habe kein Ziel mehr zu erreichen..." Das ist wirklich geil! Du bist wirklich angekommen! :)
Davon bin ich leider weit entfernt.

Ich muss Quote machen um Leben zu können und ich muss sehen, dass ich dabei meinen eigenen Ansprüchen genüge. Wenn eins von beiden gelingt, kann es schon
sehr schön sein, aber es bleibt etwas fahles zurück.
 
Dein zweiter Absatz: das zielt auf die Verbindung der künstlerischen Intension in komerzielle Hüllen. Das ist natürlich perfekt aber eben so schwer zu machen. Ich kenne so viele gute Jazzmusiker, die sich selbst verwirklichen und dabei verhungern und auch nicht wenige, die einen musikalischen Brotjob machen und deren Talent verkümmert. Beide Spezien sind nicht glücklich und beides zu vereinen ist echt schwer.

Im Rahmen deiner Intention etwas OT, aber trotzdem:

Das hat m.E. nichts mit Kommerz zu tun, sondern mit dem Abbau von Hürden. Ich kann das nur aus meiner Erfahrung beschreiben: Seit meiner Jugend höre ich diverse Musikrichtungen, Klassik, Pop, Rock, Jazz. Der Zugang zu dieser Musik war anfänglich immer von einer emotionalen Erfahrung geprägt. Erst dann war ich willens mich näher mit den Einzelheiten zu beschäftigen und habe dann auch mal Musik gehört welche in der jeweiligen Sparte nicht so leicht zugänglich war und konnte diese aufgrund der bis dahin gesammelten Erfahrung genießen bzw. würdigen. Das wäre mir ohne den primären Zugang nicht möglich gewesen.

Kontrollüberlegung: Verliebe ich mich in ein Instrument/ eine Musikrichtung wenn ich einen Anfänger darin dilettieren höre? (kratzend-quietschender Geigenbogen?) Das ist wohl eher selten. Einen Meister zu hören ist etwas ganz anderes und wenn er in mir auch noch was weckt, um so besser.


Es gibt eine Menge hervorragender Musiker da draussen, nicht nur handwerklich hervorragend. Meiner Auffassung nach benötigt Kunst aber zwingend Rezipienten, Zuhörer, Betrachter etc. die der Künstler erreichen muss. Jeder, hm, "echte" Künstler will etwas mitteilen. Dazu muss er die Aufmerksamkeit eines mehr oder weniger großen Publikums gewinnen. Mit der feinsinnigen, gleichwohl dreihundertsten Interpretation eines fremden Stückes mag ihm das in Fachkreisen gelingen, zum Leben wird das aber nicht ausreichen. Genausowenig wenn er Stücke kreiiert, welche kompositorisch/handwerklich etc. perfekt oder sogar neu sind, die aber das Publikum nicht erreichen weil dem Stück oder der Aufführung eine emotional erfahrbare Qualität fehlt. Dem Künstler muss bewußt sein, dass "Selbstverwirklichung" brotlos ist, wenn nicht gleichzeitig ein Publikum erreicht wird. L'art pour l'art ist was für Stipendiaten

Ich vergleiche das mal mit den Anfängen von Norah Jones oder Jamie Cullum: Die haben zunächst alte Hits nachgespielt, die bereits eine bekannt emotionale Qualität hatten, aber ihrerseits durch gefällige, aber auch gekonnte bis perfekte Interpretation Erfolg gehabt. Da kommen emotionale Qualität und handwerklich-künstlerische Begabung sehr gut zusammen. Sowas mag das Publikum.



In dem speziellen Fall ging es aber eigentlich nur darum, ob man sich pädagogisch richtig verhält, wenn man den Kindern so dermaßen unter die Arme greift. Ich finde ja, es ist richtig. Aber es gibt eben Kritik und ich sehe tatsächlich ebenfalls die Gefahr, dass man falsch erzieht, weil die Leistung der Kinder nicht echt ist. Man blendet, irgendwann wird das klar und fällt Dir (und den Kindern) auf die Füsse. Es sei denn, man läßt sich komplett darauf ein und akzeptiert, dass Musik der Zukunft eben mit derartigen Hilfsmitteln gemacht wird. (Konserve angeschmissen und fertig)

Insofern - Bildungsauftrag völlig verfehlt...

Hm, jemanden, der bereits mehrere Jahre ein Instrument spielt und es recht gut bis sehr gut beherrscht, dem muss man nicht mehr unter die Arme greifen, ob er jetzt 10 oder 15 Jahre ist. Da kommt es wohl eher auf die Auswahl der Stücke an. Ich gehe aufgrund der Fragestellung eher davon aus, dass es sich um Schüler handelt, die erst ein oder zwei Jahre spielen und gerade eben ein einfacheres Stück mit kleineren Schwierigkeiten bewältigen können, was vielleicht "zu dünn" ist für ein großes Auditorium oder einen größeren Rahmen.

Na, die Leistung der Kinder ist doch echt. Sie spielen selbst! Und das hört man ja wohl. Deine Aufgabe wäre, den Kindern einen Rückhalt zu geben ohne sie zu überspielen, denn es soll ja der Auftritt der Kinder sein. Also nur einfachstes Backing. Alternativ könnte man sich überlegen, ein Stück zu arrangieren in dem es zu einem mehr oder weniger einfachen Dialog oder Trilog und Zusammenspiel der Instrumente kommt, ähnlich wie bei einer guten Session, nur halt geplant.

Nur mal so als einfaches Beispiel (ich nehme an, du hast sowas bereits gemacht):

Instrument (I) 1 vier Takte Melodie - Instrument (I) 2 vier Takte Melodie repetierend- I 1 vier Takte repetierend, dein kurzes Bassbacking dahinter - I 2 vier Takte Melodie variierend -I 1 vier Takte neu repetierend, - I 2 vier Takte repetierend, dein kurzes Bassbacking dahinter - I 1 vier Takte Melodie variierend - usw. usw. Rhythmisch wohl auch für halbe Anfänger machbar und das erzeugt genug Drive und Tiefe um auch beim Publikum anzukommen.
EDIT 2: Vergiss was ich Dir im letzten Absatz geschrieben habe, .... Dir muss ich nichts mehr erzählen, Hut ab! (gerade erst den anderen Thread gelesen ...)


Dann kommen die Schüler auch persönlich zur Geltung und das Gefühl "untergeschobener" Leistung fällt weg. Wenn die Schüler allerdings bereits so gut sind, dass sie halbwegs interessante Stücke alleine spielen können, dann braucht es wohl auch kein Backing mehr.

Mit Bildungsauftrag hat das m.E. nichts zu tun. Natürlich, "Musik machen" alleine durch Anwerfen eines MP3-Players ist kein "Musik machen", sondern "Musik abspielen". Aber oft ist es ja so, dass ein Instrumentenspiel nur im Kontext richtig wirkt. Eine Band ohne Schlagzeuger funktioniert, aber besser ist es oft mit, eine Band ohne Sänger, ohne Gitarre, ohne (..) funktioniert, aber erst das Zusammenspiel der Instrumente bringt erweiterte Ausdrucksmöglichkeiten über Solospiel oder A Capella hinaus.

Edit, dein neuer Beitrag: Dem Publikum entgegen zu kommen hat nichts mit Selbstverleugnung oder Prostitution zu tun. Jeder erfolgreiche Künstler muss ein Publikum erreichen. Der Künstler ist nicht die H*re des Publikums, er nimmt es bestenfalls an der Hand und führt es zu neuen Höhen. Um im Bild zu greifen: Das geht aber erst wenn es auch Hände gibt, die sich einem entgegenstrecken.
 
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