
Floh
Registrierter Benutzer
- Zuletzt hier
- 03.02.15
- Registriert
- 04.09.04
- Beiträge
- 627
- Kekse
- 2.929
Ich poste das mal hier, weil ich finde, dass es nicht ganz ins freie Off-Topic passt. Darf verschoben werden...
Kritik - Ein kurzer Essay
Es ist ja etwas ganz natürliches und passiert in praktisch jedem Lebensbereich. Und da Internetforen jeden Interessenbereich abzudecken versuchen kommt das hier eben auch vor. Vielleicht sogar noch gehäuft, der Tatsache geschuldet, dass hier größtenteils Menschen miteinander kommunizieren, die einander gar nicht kennen. Irgendjemand stellt etwas von sich vor, ein Kunstwerk, eine Komposition, ein Businessplan, einen Essay oder vielleicht einfach nur eine Idee. Je größer der Rezipientenkreis nun ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch Kritik daran geübt wird. Manchmal sehr detailliert und konstruktiv, manchmal ist es auch nur ein einfaches "das gefällt mir nicht," oder "das finde ich schlecht." Besonders im zweiten, aber auch im ersten Fall, regt sich häufig in der kritisierten Person der Gedanke: "Mach du es doch erstmal besser." Sonderbarerweise fassen den auch Dritte. Vielleicht aus einem unterdrückten Helferkomplex heraus, oder nur weil sie sich mit der Situation identifizieren können. Leider wird dieser Gedanke dann häufig auch geäußert, wieder gilt: im Internet ist die Chance ungleich höher als im wahren Leben, weil man scheinbar leichter mal etwas tippt als es einer Person ins Gesicht sagen zu müssen. In aktiven Foren mit mehr als 1000 Mitgliedern liegt die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand "machs doch besser" schreibt bei etwa 100%.
Womit dann auch jegliche Grundlage für eine ernsthafte Diskussion völlig entzogen wäre. Wir kennen das ja selbst noch aus unserer Kindheit, wenn im Sandkasten jemand gesagt hat, sein Vater könne besonders gut heimwerken, dann hat man eben selber gesagt, dass der eigene Vater aber Feuerwehrmann, Polizist, Astronaut, oder was unter Kindern sonst so angesehen ist, sei. Die Diskussion gewonnen hat dann niemand. Es hat sie aber auch niemand verloren, was für Kinder vielleicht wichtig ist, weil sie dann beide ein bisschen das Gefühl haben gewonnen zu haben und in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Wenn man älter wird, muss man allerdings einsehen, dass Diskussionen ganz anders geführt werden.
Wieso hilft uns da also ein "machs besser" nicht weiter?
Das Wort Kritik bezeichnet ursprünglich die Kunst der Beurteilung, des Auseinanderhaltens von Fakten, der Infragestellung von Sachen und Personen. Derjenige, der nur schreibt, dass ihm etwas nicht gefällt, ohne Gründe dafür anzuführen, versteht sich also nicht auf diese Kunst. Genauso wenig, wie derjenige, der etwas aus der falschen Gründen heraus kritisiert. Trotzdem versuchen sie sich, wenn sie etwa eine Interpretation eines Musikstückes bewerten, in der Kunstform der Kritik zu üben. Das ist eine ganz andere Kunst, als die des Spielens des Musikstückes! Man darf also gerne von Ihnen verlangen, dass sie in ihrer Kritik genauer oder reflektierter werden, aber die selbe Leistung wie die des Kritisierten, oder gar eine bessere, müssen sie nicht abliefern können. Man kann sehr viele Dinge bewerten ohne sie selbst zu beherrschen. Wenn wir, ohne Literaturwissenschaftler zu sein, ein Buch lesen, können wir danach sagen ob es uns gefallen hat oder nicht. Je mehr Bücher wir in unserem Leben gelesen haben, desto genauer können wir auch unsere Gründe, die über reine Gefühlsregungen hinausgehen, erklären. Natürlich ist es für eine gute Kritik wichtig sich mit der jeweiligen Kunst auszukennen. Will man Musik kritisieren kann es hilfreich sein das ein oder andere über Harmonielehre zu wissen und sich zudem zumindest ein wenig in der Musikgeschichte auszukennen. Und doch kann man, gerade in den Künsten, die unsere Gefühle ansprechen, natürlich auf Grundlage von Gefühlen kritisieren, wieder gilt, je mehr Erfahrung, desto besser.
In den amerikanischen Literaturszene ist es durchaus üblich, dass studierte Literaturwissenschaftler auch als Autoren von Belletristik sind. Was allerdings von niemandem gefordert wird. Andersherum zu fordern, dass Kritiker auch gute Autoren von Belletristik sind, wäre noch falscher. Niemand erwartet von Arne Willander, dass er gute Platten aufnimmt, aber er kann sowohl geschmacklich als auch journalistisch stilsicher Platten bewerten. Auch erwartet von Marcel Reich-Ranicki niemand, dass er großartige Literatur produziert, es reicht für seine Profession ja auch, dass er gut über Bücher schreiben kann. Die Liste ließe sich durch weitere Kritiker sämtlicher Fachrichtungen erweitern. Natürlich lehnen sich manche von ihnen aus dem Fenster und versuchen es doch, das klappt manchmal wunderbar, manchmal klingt es nach den ganzen Soap-Schauspielern, die in den 90er Jahren in Massen in Tonstudios gezogen sind um Musik aufzunehmen.
Man kann sehr dilettantisch dichten und trotzdem gute von schlechter Lyrik unterscheiden, man kann es am Klavier nur zum Flohwalzer geschafft haben und dennoch die eine Oper zu recht lobpreisen, die andere mit guten Gründen verreißen. Und man kann natürlich auch zeichnen wie ein fünfjähriges Kind und nebenher kunstkundig sein.
Man muss es nicht besser machen können!
Kritik - Ein kurzer Essay
Es ist ja etwas ganz natürliches und passiert in praktisch jedem Lebensbereich. Und da Internetforen jeden Interessenbereich abzudecken versuchen kommt das hier eben auch vor. Vielleicht sogar noch gehäuft, der Tatsache geschuldet, dass hier größtenteils Menschen miteinander kommunizieren, die einander gar nicht kennen. Irgendjemand stellt etwas von sich vor, ein Kunstwerk, eine Komposition, ein Businessplan, einen Essay oder vielleicht einfach nur eine Idee. Je größer der Rezipientenkreis nun ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch Kritik daran geübt wird. Manchmal sehr detailliert und konstruktiv, manchmal ist es auch nur ein einfaches "das gefällt mir nicht," oder "das finde ich schlecht." Besonders im zweiten, aber auch im ersten Fall, regt sich häufig in der kritisierten Person der Gedanke: "Mach du es doch erstmal besser." Sonderbarerweise fassen den auch Dritte. Vielleicht aus einem unterdrückten Helferkomplex heraus, oder nur weil sie sich mit der Situation identifizieren können. Leider wird dieser Gedanke dann häufig auch geäußert, wieder gilt: im Internet ist die Chance ungleich höher als im wahren Leben, weil man scheinbar leichter mal etwas tippt als es einer Person ins Gesicht sagen zu müssen. In aktiven Foren mit mehr als 1000 Mitgliedern liegt die Wahrscheinlichkeit, dass irgendjemand "machs doch besser" schreibt bei etwa 100%.
Womit dann auch jegliche Grundlage für eine ernsthafte Diskussion völlig entzogen wäre. Wir kennen das ja selbst noch aus unserer Kindheit, wenn im Sandkasten jemand gesagt hat, sein Vater könne besonders gut heimwerken, dann hat man eben selber gesagt, dass der eigene Vater aber Feuerwehrmann, Polizist, Astronaut, oder was unter Kindern sonst so angesehen ist, sei. Die Diskussion gewonnen hat dann niemand. Es hat sie aber auch niemand verloren, was für Kinder vielleicht wichtig ist, weil sie dann beide ein bisschen das Gefühl haben gewonnen zu haben und in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Wenn man älter wird, muss man allerdings einsehen, dass Diskussionen ganz anders geführt werden.
Wieso hilft uns da also ein "machs besser" nicht weiter?
Das Wort Kritik bezeichnet ursprünglich die Kunst der Beurteilung, des Auseinanderhaltens von Fakten, der Infragestellung von Sachen und Personen. Derjenige, der nur schreibt, dass ihm etwas nicht gefällt, ohne Gründe dafür anzuführen, versteht sich also nicht auf diese Kunst. Genauso wenig, wie derjenige, der etwas aus der falschen Gründen heraus kritisiert. Trotzdem versuchen sie sich, wenn sie etwa eine Interpretation eines Musikstückes bewerten, in der Kunstform der Kritik zu üben. Das ist eine ganz andere Kunst, als die des Spielens des Musikstückes! Man darf also gerne von Ihnen verlangen, dass sie in ihrer Kritik genauer oder reflektierter werden, aber die selbe Leistung wie die des Kritisierten, oder gar eine bessere, müssen sie nicht abliefern können. Man kann sehr viele Dinge bewerten ohne sie selbst zu beherrschen. Wenn wir, ohne Literaturwissenschaftler zu sein, ein Buch lesen, können wir danach sagen ob es uns gefallen hat oder nicht. Je mehr Bücher wir in unserem Leben gelesen haben, desto genauer können wir auch unsere Gründe, die über reine Gefühlsregungen hinausgehen, erklären. Natürlich ist es für eine gute Kritik wichtig sich mit der jeweiligen Kunst auszukennen. Will man Musik kritisieren kann es hilfreich sein das ein oder andere über Harmonielehre zu wissen und sich zudem zumindest ein wenig in der Musikgeschichte auszukennen. Und doch kann man, gerade in den Künsten, die unsere Gefühle ansprechen, natürlich auf Grundlage von Gefühlen kritisieren, wieder gilt, je mehr Erfahrung, desto besser.
In den amerikanischen Literaturszene ist es durchaus üblich, dass studierte Literaturwissenschaftler auch als Autoren von Belletristik sind. Was allerdings von niemandem gefordert wird. Andersherum zu fordern, dass Kritiker auch gute Autoren von Belletristik sind, wäre noch falscher. Niemand erwartet von Arne Willander, dass er gute Platten aufnimmt, aber er kann sowohl geschmacklich als auch journalistisch stilsicher Platten bewerten. Auch erwartet von Marcel Reich-Ranicki niemand, dass er großartige Literatur produziert, es reicht für seine Profession ja auch, dass er gut über Bücher schreiben kann. Die Liste ließe sich durch weitere Kritiker sämtlicher Fachrichtungen erweitern. Natürlich lehnen sich manche von ihnen aus dem Fenster und versuchen es doch, das klappt manchmal wunderbar, manchmal klingt es nach den ganzen Soap-Schauspielern, die in den 90er Jahren in Massen in Tonstudios gezogen sind um Musik aufzunehmen.
Man kann sehr dilettantisch dichten und trotzdem gute von schlechter Lyrik unterscheiden, man kann es am Klavier nur zum Flohwalzer geschafft haben und dennoch die eine Oper zu recht lobpreisen, die andere mit guten Gründen verreißen. Und man kann natürlich auch zeichnen wie ein fünfjähriges Kind und nebenher kunstkundig sein.
Man muss es nicht besser machen können!
- Eigenschaft