Ich glaube, so Lehrer, wie ich sie damals hatte, sind selten.
So jung war meiner auch nicht mehr und auch nicht wirklich des Englischen kundig, aber er versuchte, am Ball zu bleiben. Er selbst war mehr der Mensch für Evergreens, Filmsoundtracks und dergleichen, aber wenn jemand was aus den Charts haben wollte, hat er es besorgt. Entweder Fotokopien aus einem entsprechenden Notenheft, oder der Song wurde gleich händisch in Noten umgesetzt, je nach Skills des Spielenden entweder in der Originaltonart oder zu etwas Angenehmeren transponiert.
Unterrichtet wurde immer reines Keyboardspiel, links Begleitung, rechts Akkorde. Auch schon zu Zeiten vollanaloger Orgeln (Anfang 80er). Zunächst mal gab's einfache Lieder zu spielen. Ob der Lernwille da war oder nicht, zeigte sich nach etwa 6-8 Wochen, da trennte sich erstmals die Spreu vom Weizen; viele hörten da auf, weil sie keine Motivation mehr hatten. Stücke, die die Motivation zu halten vermochten (Pop, aktuelle Schlager), wurden erst ausgegeben, wenn derjenige weit genug war. Idealerweise sollte man da schon die wichtigsten Akkorde auswendig wissen und nicht mehr ständig fragen: "Wie geht der Griff?"
Mitunter wußte man auch schon, worauf die jungen Leute damals standen. Gar so trashig wie heute war die Popmusik damals nicht, und man konnte Provinzschülern, deren Eltern nur NDR1 hörten, auch mal Schlager (Nino de Angelo, Nicole etc.) unterschieben.
Die nächsten Stufen der Entwicklung waren damals:
- Zum einen gab es Formeln, nach denen wir selbständig Akkorde bilden konnte, und zwar jeweils die Grundform. Was eine Umkehrung ist, sollte man da schon wissen, aber das wurde einem recht früh beigebracht. Damit war dann auch die Fragerei nach Griffen vorbei.
- Selbständiges Einstellen des Instruments. Bei den Anfängern ging der Lehrer schon mal an die Orgel bzw. ans Keyboard und stelle es ein, aber das sollte man irgendwann nicht nur eigenmächtig, sondern auch ohne Vorgaben können, etwa einen Rhythmus wählen, das Tempo einstellen und Klänge wählen (und das war dann selten reiner Orgelsinus, wir waren ja in den 80ern). Ambitionierte Schüler fingen damit von selbst an, richtig ambitionierte stellten die Orgel mitten im Flug um, und zwar nicht nach dem Motto "Den Durchgang spiel ich mit dem Sound, den mit einem anderen", sondern kontextbezogen. Leider konnten einige, die ich kannte, das nach mehreren Jahren noch nicht, jedenfalls nicht an Orgeln/Keyboards, die ihnen nicht vertraut waren.
Stilistisch, wie gesagt, wurde häufig querbeet gespielt. Die Kids im zweistelligen Alter verlangten natürlich meist nach der Hitparade. Jüngere Kinder hatten meist noch keinen so ausgeprägten Musikgeschmack und spielten so ziemlich alles, weil sie oft gar nicht wußten, was sie denn da spielten. In dem Alter war's auch Ansporn genug, wenn man wußte, die Eltern und anderweitigen Verwandten fanden das eigene Spiel gut, und mitunter konnte man auch die eigenen Freunde damit beeindrucken, von denen dann so manch einer auch Orgel bzw. Keyboard lernen wollte. Denen konnte man damals den Schneewalzer und La Paloma hinlegen, das wurde gespielt.
Wenn man dann aufs Teenageralter zusteuerte, fing man an, mehr und mehr Stücke, die im Radio liefen, identifizieren zu können und sagen zu können, sind die cool oder nicht. Konnte man die spielen, war man auch wieder cool und ein Vorbild, zumindest so lange, wie Orgel bzw. Keyboard cool war. Im Prinzip ein Dominoeffekt: Kann der Schüler Sachen gut spielen, die er und seine Kumpels gut finden, spült das mehr Leute in die Schule.
So oder so war es dann auch Ansporn genug, wenn man am Instrument saß, seine Stücke spielte und feststelle: Hey, das klingt irgendwie richtig geil! Somit gab es als Belohnung je nach Fertigkeiten bessere Instrumente zu spielen, so die denn frei waren.
Jazz waren damals die ganz hohen Weihen. Das war dann aber kein Hand-und-Fuß-Hammond-Jazz à la Jimmy Smith, sondern der Versuch, mit einer Orgel bzw. einem Keyboard an den Big-Band-Sound des Glenn Miller Orchestra ranzukommen. Wenn man dann auch noch improvisieren konnte, ging meinem Lehrer das Messer in der Hose auf, dann sang ein Engelschor (stellt euch vor, die Engel sind alle Ella Fitzgerald oder zumindest Nina Simone) zu den Swingklängen. Jazz wurde uns aber nur dann gegeben, wenn sicher war, daß wir das auch spielen können.
Wobei, die
richtig hohen Weihen stammten wieder aus der Orgeltradition. Wenn der Lehrer wußte, du bist richtig gut, drückte er dir irgendwann Tico Tico in die Hand. Das hat man aber nicht im Originalarrangement gespielt, also als schnelle Rumba, sondern man mußte in Klaus Wunderlichs Fußstapfen treten und das Tempowettrüsten im Sambarhythmus mitmachen. Wer das Stück bekam, war meist schon auf dem Fanatikerlevel angelangt und spielte so ziemlich alles, weil er über den Coolnessfaktor der gewählten Musik erhaben war. (Ich meine, ich hab die Noten von Tico Tico, hab's aber nie gespielt. Mir wurde damals Delicado ans Herz gelegt - wie Tico Tico, nur teilweise mehrstimmig und noch schneller. Hab ich auch nicht gespielt, hatte ich nicht nötig.)
Phrasiert wurde auch da mit links nicht, sondern nur die Begleitautomatik happy gehalten. Komplizierte Akkorde waren mitunter schon schwer genug, damals hatte man häufig noch nicht so den Draht dazu, so was elegant aus dem Handgelenk zu rollen, und die Melodien waren oft schon tricky genug.
Abgesehen davon: Das war Provinz, und das waren die 80er. An Pianisten bestand kein Bedarf, Pianospiel war Luxus. Schon eher bestand Bedarf an Alleinunterhaltern, denn diejenigen, die die Festivitäten in der Gegend beschallten, waren praktisch allesamt schon jenseits der 50, wenn nicht noch älter. Irgendwann würden die aufhören, oder die würden ganz einfach nicht mehr gebucht werden, weil sie zu altbacken sind, und dann muß Nachwuchs ran. Daß das Geschäft irgendwann von MIDI-File-Schubsern und DJs übernommen würde, konnte damals, als Leute wie Franz Lambert noch groß waren, noch keiner ahnen. Wenn man einen gewissen Level erreicht hatte, wurden ja schon Hoffnungen in einen gesetzt, daß man mal die Alleinunterhalterkarriere einschlagen würde. Kaum jemand hat das wirklich getan, denn noch bevor man 18 war, war man an Orgel oder Keyboard für die eigene Generation nicht mehr interessant, sprich, das Publikum der Alleinunterhalter alterte fein vor sich hin, so daß an wirklich jungen Entertainern nur dann Bedarf bestand, wenn sie ein Ü40- oder besser noch Ü50-Publikum mit Leib und Seele unterhalten konnten, das praktisch keinen Chartspop hörte.