Johann Sebastian Bach - Ein Präludium für die Französische Suite in c-moll??

Bernnt
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Liebe Musikwissenschaftler und Bach-Experten,

bekannt ist, dass die Französischen Suiten im Gegensatz zu den Englischen Suiten von Johann Sebastian Bach kein Präludium enthalten. Bekannt ist auch, dass der heutige Titel wahrscheinlich von Bachs Schüler Heinrich Nikolaus Gerber stammt, der diese und andere Suiten zwischen 1724 und 1726 aus einer größeren Sammlung Bachscher Klavierwerke zusammenstellte und kopierte. Ob er jeweils das ganze zusammengehörige Material einer Suite kopierte, ist unklar.

Nun ist mir aufgefallen, dass das thematische Material im C-moll Präludium von Johann Sebastian Bach (BWV 934) ziemlich eng mit den Motiven der Allemande in der Französischen Suite (BWV 813) verwandt ist. Könnte es sich dabei um ein Präludium handeln, das der Französischen Suite zugeordnet werden muss?

Ich bin ein musikwissenschaftlicher Laie, ich kenne weder die Überlieferungsgeschichte der Bachschen Werke noch die Arbeitsweise Bachs im Einzelnen, der ja seine Werke immer wieder auch in anderen Kontexten eingebracht hat, noch die Arbeitsweise der Musikwissenschaftler heute. Ist die Verwandtschaft der beiden Bachwerke ein Zufall oder steckt da mehr dahinter?

Vielleicht gibt es ja einen Bach-Experten im Forum.

Grüße, Bernnt
 
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Genau weiß ich es auch nicht, aber Ilton Wjuniski macht das so auf seiner Aufnahme:
http://www.prestoclassical.co.uk/r/GM+Recordings/GM2075

Ansonsten kenne ich es von der eigenen Improvisation her, daß ich in verschiedenen Stücken bei gleichen Tonarten auch immer wieder ähnliche Motive spiele. So etwas ähnliches könnte bei Bach ja auch vorliegen.

Viele Grüße,
McCoy
 
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Ich denke auch, dass Bach sich hier aus Versehen oder aus Zeitdruck kopiert hat. Bei der Masse an Werken von JSB ist es sicher auch nicht ganz leicht gewesen, das zu vermeiden.

Das macht eine Allemande aber nicht dazu zu einem Präludium zu werden.
Eine Allemande war (soweit ich weiß) eine französicher Tanz. Die Rhythmik der Melodien und das Tempo, vielleicht auch gewisse Harmonien, müssen also mit dem feeling dieses Tanzes zusammenpassen. (so wie bei einem Wiener Walzer z.B.)

Ein Präludium hingegen ist eine sehr freie Gattung, bei der man als Komponist alles Mögliche machen kann. Trotzdem hat Bach natürlich im Sinne seiner Zeit geschrieben.
 
Das macht eine Allemande aber nicht dazu zu einem Präludium zu werden.
Das habe ich auch nie behauptet. Ich weiß von meinem Studium der historischen Wissenschaften, dass es möglich ist herauszufinden, ob Text A aus dem Text B oder Text B aus dem Text A entstanden ist. Ich gehe davon aus, dass es solche Möglichkeiten auch im Bereich der Musikwissenschaften gibt. Mich würde also interessieren, wie man die Sache aus musikwissenschaftlicher Sicht ansieht. Die Verwandtschaft (des ersten Teils) der beiden Stücke ist unstrittig, denke ich. Wenn es kein Zufall oder keine Wiederverwertung war, entstand die Allemande aus dem Präludium oder umgekehrt? Welche Argumente gibt es dafür?
 
Johann Sebastian Bach hatte im Jahr 1717 eine neue Stellung als Kapellmeister des Fürsten Leopold von Anhalt-Cöthen in Köthen angetreten. Vor diesem Zeitpunkt war er hauptsächlich in kirchlichem Zusammenhang tätig, was sich in zahlreicher Produktion von Orgelwerken niederschlug. In Köthen war er (bis 1723) vornehmlich für weltliche Musik zuständig. Während dieser Tätigkeit entstanden zahlreiche Werke für das Klavier, die er insbesodere auch für seine Unterrichtstätigkeit einsetzte. Hauptquellen aus dieser Zeit sind das Clavierbüchlein für Wilhelm Friedemann Bach (begonnen 1720) sowie das Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach (1722-1724). Letzteres enthält die Frühfassung der Französischen Suiten, teilweise wg. Blattverlustes fragmentarisch. Sie sind also zwischen 1722-1724 entstanden. Bach hat dieses Notenbüchlein u.a. auch als Konzeptbuch und direkt zum Komponieren verwendet.

Die 6 Kleinen Präludien op. 933 - 938 sind weder im Notenbüchlein, noch im Clavierbüchlein enthalten und wurden erst im Jahr 1802 veröffentlicht. Ihre Entstehungszeit wird bei wikipedia ohne Quellenangabe(!) auf die frühen Köthener Jahre 1717-1720 gesetzt. Hier kann man die These aufstellen, daß sie vor Entstehung der beiden Büchlein entstanden sind, weil sie eben nicht in diesen enthalten sind. David Schulenberg (1) hat BWV 934 als das früheste der Sammlung bezeichnet. Er stellt allerdings einen Zusammenhang - vor allem unter harmonischen Gesichtspunkten - zur Courante der französischen c-moll-Suite her, nicht zur Allemande.


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Schlußfolgernd besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß BWV 934 vor der Französischen Suite c-moll BWV 813 entstanden ist.

Viele Grüße,
McCoy


(1) David Schulenberg, The Keyboard Music of J.S. Bach, London, 1993, S. 176

Quellen:
J.S. Bach, Kleine Präludien und Fughetten, Henle Urtext, hrsg, v. Rudolf Steglich, 1975
http://www.henle.de/media/foreword/0106.pdf
http://www.henle.de/media/review/0106.pdf
https://en.wikipedia.org/wiki/Six_Little_Preludes_(Bach)#Little_Prelude_in_C_minor.2C_BWV_934

J.S. Bach, Französische Suiten, Henle Urtext, hrsg. v. Ulrich Scheideler, 2017
http://www.henle.de/media/foreword/0594.pdf
http://www.henle.de/media/review/0594.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Französische_Suiten
https://de.wikipedia.org/wiki/Notenbüchlein_für_Anna_Magdalena_Bach

https://de.wikipedia.org/wiki/Klavierbüchlein_für_Wilhelm_Friedemann_Bach
 
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Schlußfolgernd besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß BWV 934 vor der Französischen Suite c-moll BWV 813 entstanden ist.
Vielen Dank, @McCoy für das gute Material zu dem Thema. Du hast mir sehr geholfen, dem Verständnis der Sache näherzukommen. Leider ist meine Keksdose für dich gerade leer...
 
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