Wie arrangiert ihr Jazzchorsätze.
Zum Beispiel
so.
Da gibt's halt keinen großen Groove, sodass ich mir über die Umsetzung eines Grooves mit a-capella-Mitteln keine Gedanken machen musste. Groove im Chor ist ein ganz eigenes Thema, das extrem von der Größe des Chores, der rhythmischen Sicherheit der Sänger und dem "gemeinsamen Ensemblefeeling" abhängt...mit letzterem meine ich die Fähigkeit jedes Sängers, seine Linie als Teil eines Patterns zu begreifen und alle Parameter wie Dynamik, Artikulation und Phrasierung in den Dienst des Grooves und des gemeinsam produzierten Patterns zu stellen.
Ich habe andere Jazzchorsätze geschrieben, die einen Groove realisieren. Wichtig ist dabei, dass man selbst den Plan der zugrunde liegenden Patterns eines Grooves kennt, und ihn optimalerweise am Klavier selbst spielen kann. Wenn es um Swing geht, ist irgendeine Form von Walking-Bass natürlich denkbar - wenn auch nicht die einzige Lösung. Swing ist grundsätzlich mehr auf Instrumenten als vokal entstanden, daher muss man sich mit der Ästehtik des instrumentalen Swing-Arrangements auseinandersetzen, wenn man ähnliche Sachen für Chor schreiben will. Themen wären neben dem Walking-Bass unbedingt der 4stimmige Blocksatz, die drop-Voicings und eine gute Sensibilität für Dissonanzen: eine #11 zu singen, fühlt sich ganz anders an als eine b13, und diese Erfahrung muss jeder Jazzchor-Arrangeuer mal gemacht haben. Hast du selbst im Jazzchor gesungen?
Oft ist es bei mir so das 2 Stimmen Akkordtöne aushalten während 2 andere Stimmen die Melodie spielen, oftmals mit Varition...gerne wiederhole ich auch schöne Phrasen durch die Stimmen durch.
Das geht natürlich, aber das ist nur eine von vielen Möglichkeiten.
Speziell zu "All of me": das ist eine Medium-Swing-Nummer mit recht großen Tonsprüngen in der Melodie. Viel Aktion im ersten Takt, wenig Aktion im zweiten. Viel im dritten, wenig im vierten. Das Missverhältnis könnte man z.B. schon mal durch imitatorische Fill-ins ausgleichen - so zumindest eine erste oberflächliche Idee. Ausserdem ist die Melodie recht stark gerichtet: die einzelnen Phrasen haben eine ziemlich klare Kontur...entweder aufwärts oder abwärts. Auch auf dieses Faktum könnte man eingehen und etwas Entgegengesetztes komponieren, um ein Arrangement interessant zu machen. IMHO ist es wichtig, daß man seine Vorlage versteht, und dann kreativ auf diese Herausforderungen reagiert.
ABER: was mach ich mit dem Bass? Habe ihm jetzt entweder Ganze Noten gegeben mit Akkordtönen oder lass in Appergien singen.
Kann ich dem Bass eine Walkin Bass Figur geben?
Ich mache mir während ich die Melodie denke Scat-Gesang...ist es möglich einer Stimme einen Takt eine "Trompetenimitation" zu geben?
Ich frage das rein Formtechnisch, ob es die Ästhetik erlaubt?
Die Ästhetik erlaubt erst mal alles. Wir machen hier Jazz, da ist natürlich grundsätzlich alles erlaubt. Aber: nicht alles ist auch geschickt. Walking Bass kannst du, wie gesagt, durchaus schreiben. Z.B. mit Scat-Silben. Allerdings hast du dann dieselbe starke Funktionstrennung, wie sie auch in einer echten Band vorhanden ist. Chor lebt aber ganz stark davon, daß Sänger sich als klangliche Einheit präsentieren und sich tendenziell alle an einer musikalischen Aussage beteiligen. Wenn ein Chorbass ausschließlich Walking Bass singen würde bzw. müsste, würde sich bald ziemlicher Unmut einstellen. Meiner Erfahrung nach ist es besser, Walking-Bass als *eine* Möglichkeit zu wählen - die Sänger werden deine Arrangments dann lieber singen.
Und zur "Trompetenimitation": Swing-Arrangement folgt sowieso instrumentalen Idealen, daher ist es generell unproblematisch, trompetentypische Phrasen singen zu lassen. Falls du allerdings die Sänger aufforderst, auch vom Sound her eine Trompete zu imitieren, könnte das schnell zu viel/zu kitschig/zu banal rüberkommen.
Joachim Ernst Behrendt meinte, 3 wichtige Kriterien für "Jazz" wären die individuelle Tonbildung, die Improvisation und der Swing (siehe z.B.
hier). Das ist zwar nicht erschöpfend und auch nicht brandaktuell, aber ein wahrer Kern steckt schon drin. Bezogen auf Jazzchor fällt die Improvisation leider sehr oft raus, speziell hier in Deutschland, meiner Erfahrung nach. Die Tonbildung kann im Chor naturgemäß auch nicht stark individuell sein, denn Chor lebt von einem übergreifenden Klangideal und nicht davon, daß Solisten aufeinandertreffen. Bleibt also vor allem der Swing bzw. Groove, mit dem der Bezug zum Jazz gewahrt bleibt.
Harald