[Gitarre]Gretsch Synchromatic G100CE NA

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Jerzy Rugby
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Zu Ihrem 125jährigen Firmenjubiläum im Jahr 2008 hat Gretsch mit der Synchromatic 100 den ersten Typ der Synchromatic-Serie wiederaufgelegt. Damals kostete das Instrument nach Gretschs Angaben 100 Dollar, daher die Typenbezeichnung. Die Neuauflage der Serie ist als reine Akustikversion (ohne Cutaway) und mit Mini-Humbucker (ein Cutaway) erhältlich, in verschiedenen Farben. Die 100er-Serie wird in Südkorea gebaut, die G100CE NA, die hier besprochen wird, gehört mit dem Preis von ca. 900 Euro zu den mittelpreisigen Instrumenten der Firma.

Green- oder Gretsch- Sound?
Ob diese Gitarre den "great gretsch sound" macht, von dem alle so schwärmen, kann ich leider nicht sagen. Ich kam zu der Gitarre, weil ich eine Jazzbox (Archtop-Bauweise und Hollowbody) gesucht habe, mit der man in einer Big Band den typischen Freddie Green-Sound spielen kann. Erschwerend kommt hinzu: das Ding sollte maximal 1000 Euro kosten.
Nachdem ich die Jazz-Serie von Hagström, einige Ibanez-Kisten und einige billigere Gretschen (die dicken Chromschiffe mit zwei Humbuckern) angestet habe, war ich ein bisschen ratlos: Alle Gitarren klangen, obwohl sie als Archtop und Hollowbody konzipiert waren, im trockenen Zustand ziemlich blass, da ist meine AS-80 trocken sogar lauter. Mächtig geärgert habe ich mich zum Teil über die schlechte Verarbeitung der Gitarren (bis auf das Flaggschiff von Hagström), besonders an den Chrom-Gretschen konnte ich nichts Gutes finden, die Dinger fand ich dick, schwer, plump, muffig und langsam. Deshalb war der Name "Gretsch" bei der Suche eher ein Ausschlusskriterium. In Frankreich stieß ich dann auf einen Laden, der einige ziemliche Auswahl an Jazz-Gitarren (alle mögliche Marken von Sperrholzgitarren aus China bis zu den Edel-New Yorkern mit italienischen Nachnamen) spielbereit hatte. Die 100er stach mir sofort ins Auge, nur der Name "Gretsch" auf der Kopfplatte trübte die Freude. Aber das sollte sich ändern...

Pfirsichhaut und Art Deco

Auffällig an der Gitarre ist zum einen die satin-artige Lackierung, die die schwache Maserung der 3-fach laminierten Fichtendecke durchlässt. Bei den runden Formen assoziiert man schnell die Pfirsichhaut der Liebsten, und tatsächlich fühlt sich die Gitarre auch danach an! Ob die Koreaner das genau im Sinn hatten oder nicht, bleibt wohl im Dunklen, aber die Gitarre hat damit einen ziemlich hohen Fetischwert :D
Zusammen mit der wirklich schönen Schlagplatte, den unauffälligen Mini-Potis, den einfachen, klaren Einlagen und den Art deco-Elementen am Steg vermittelt die Gitarre zeitlose Eleganz.

Bespielbarkeit und Klang (trocken)

Beim ersten Anspielen der pfirsichhäutigen Beauty gabs auch sofort die erste Überraschung: Das Ding klingt ja wie eine echte Akustik-Gitarre, geschätzt in etwa doppelt so laut wie ihre Chrom-Schwestern. Trocken angespielt lassen sich echte Country-Sounds zaubern, Fingergepicke und Plektrumgeschrammel, offene Akkorde und Jazziges übersetzt die Gitarre mit Punch und viel Holzanteil. Könnte das vielleicht der große Gretsch-Sound sein...?
Ab Werk waren 13er Flatwounds aufgezogen, dadurch bekommt die Gitarre auch schon im Trockenen schnell den perkussiven Cello-Sound für Jazz-Zwecke. Gut vorstellbar ist die Gitarre sicher auch mit Roundwounds, dann ist sie vielleicht auch für beide "Sorten Musik", Western und Country, geeignet. Auch in der Haptik fühlt man sich im Wilden Westen: Howdy, echte Männersaiten wollen schwingen, das dürfen sie hier auch, und zwar auf 648mm Stratocasterlänge. Durch die extrem gut eingestellte Saitenlage und den schönen D-Halsquerschnitt, kommt aber auch bei schnellen Läufen und oder längerem Akkordspiel keine Müdigkeit auf. Bendings sind unter solchen Bedingungen natürlich ein bisschen schwieriger, aber durchaus möglich ;)

Um der Gretsch ihren amerikanischen Akustik-Klang zu geben, haben die Südkoreaner ein paar bauliche Tricks angewendet: Der Mini-Humbucker ist "free-floating", d.h. am Hals angesetzt, und behindert damit die Korpusdecke nicht beim Schwingen. (Bei vielen Jazz-Gitarren sind die Pickups in die Decke eingebaut.) Zudem hat der Hals selbst eine Kehlung und hat dadurch nur wenig Kontakt mit der Decke.

Der Steg ist bis auf zwei Stellschrauben komplett aus Holz und bringt durch sein spezielles Design viel schwingende Masse auf die Decke. Ein Blick durch die F-Löcher zeigt, dass die längs verlaufende Deckenversteifung sehr stabil ausgeführt wurde, um das Decken-Laminat auch dauerhaft in Form zu halten. Der Korpus liegt mit 16'' Breite gut am Körper und ist auch im Sitzen gut spielbar. Im Stehen hängt die leichtgewichtige Gitarre gut austariert am Gurt.
So weit so gut, noch schnell im Laden an einem 0815-Verstärker angespielt - gut, PU funktioniert - und zack, eingesackt.

Klang (verstärkt)
Zurück zuhause und in der Big Band und Tanzkapelle stellt sich das Gerät dann auch an den Verstärker (Guyatone GA-1050 und Polytone Mini Brute IV) als eine echte Spielwiese heraus. Der Mini-Humbucker funktioniert bei den diversen Klanganforderungen von den "Sweet Bands" der 20er Jahre über Jazz der verschiedenen Dekaden bis hin zu Bill Haley und Beatles problemlos. Dabei gelingt es ihm, den holzigen Grundcharakter des Akustikklangs mit in die Verstärkung zu retten, perfekte Voraussetzungen, um das Spiel a la Freddie Green, der in der Count Basie-Band ja immer unverstärkt gespielt hat, nachzuahmen. Gerade das sog. Bouncen funktioniert wie von selbst, die Töne springen einem regelrecht entgegen.
Die beiden Mini-Potis für Lautstärke und Höhenblende sind auf der Schlagplatte angebracht und arbeiten exakt, d.h. sie gehen nicht einfach an/aus, sondern man mit ihnen wirklich Nuancen einstellen. Mit den beiden Knöpfen und zwei Plektrenstärken regel ich eigentlich fast den gesamten Sound. Nur wenn es in die Abteilung Funk, Latin und verzerrte Solis geht, muss ich die Mitten am Verstärker bzw. über einen Boost anheben.
Das Korpus-Feedback ist natürlich ein Problem bei solchen Gitarren. Meine Lösung ist: einen Autoschwamm vom Baumarkt auseinanderschneiden, in die F-Löcher stopfen, fertig. Das sieht zwar nicht toll aus, aber damit ist die Gitarre quasi störungsfrei bis hin zum Big Muffen. Der trockene Akustikklang wird durch die Dämmung nur minimal beeinflusst, ein Indiz mehr, dass die Decke ordentlich "für sich" schwingt und nicht unbedingt auf die F-Löcher angewiesen ist.

Verarbeitung
Die Klampfe war hundertprozentig genau eingestellt. Die Bundreinheit und Saitenlage ist vorbildlich, der 13er Saitensatz ist genau richtig. Ich habe zwischendurch mal dünnere Saiten drauf gehabt, aber dann tendiert der Sound ins Blecherne, als ob der Korpus garnicht richtig anspricht.
Ein weiterer Pluspunkt sind die offenen gutgängigen Mechaniken und die massiven, schraubbaren Gurthalter. Und natürlich der historisch korrekte Saitenhalter. Ein bisschen Chrom muss dann doch sein :cool:

Negatives
Die Verarbeitung ist tadellos, bis auf die Tatsache, dass die Ränder der F-Löcher nicht ordentlich lackiert sind. Ein winziges Detail, dass aber das Rein- und Rausfriemeln des Dämmstoffs erschwert.

Fazit
Für knapp 900 Euro eine wunderschöne Jazz-Archtop im Retro-Look mit ordentlichem Humbucker und Elektronik, sowie einigen zeitgemäßen Features und in einer Verarbeitungsgüte, die angesichts der anspruchsvollen Archtop-Bauart in dieser Preisklasse absolut bemerkenswert sind. Gretsch hat mit dieser Gitarre vielleicht nicht die Großmutter des Firmen-Sounds wiederbelebt, aber ein in Optik und Klang sehr eigenständiges Instrument für Jazz und Artverwandtes geschaffen.
 
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Sehr schicke Gitarre, super geschriebenes Review - dafür gibt's Kekse!
 
Upps, den "Mini-Humbucker" muss ich zu einem "Floating Single-Coil" korrigieren. Deswegen klingt die Gitarre auch so knackig ;)
 

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