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Telecaster Custom (II)
1. Produktbezeichnung: Telecaster Custom (II)
Heute ist diese Gitarre meist als 72er Telecaster Custom bekannt. Das „72er“ steht dabei für das Jahr ihrer Markteinführung. Die Bezeichnung Custom war schon zuvor für Telecasters benutzt worden. Jedoch bezeichnete Fender vor 1972 damit optisch aufgewertete aber ansonsten reguläre Telecaster Modelle. Historisch korrekt ist daher die Bezeichnung Telecaster Custom (II).
2. Hersteller: Fender
Wenn man sich mit Stromgitarren befasst, dann kann man um die Marke Fender gar nicht drum herumkommen. Es wäre weder machbar noch möglich, hier die Firma Fender umfassend darzustellen. Aber ein kurzes Licht will ich dennoch auf die Epoche der Entstehung dieser Gitarre werfen.
Im Februar 1965 übernahm der amerikanische Medienkonzern Columbia Broadcasting System (CBS) die vollen Anteile der Fender Electric Instruments von Leo Fender, der nur noch beratend im Bereich der Forschung und Entwicklung für das Unternehmen tätig blieb und 1970 gänzlich bei FMIC ausschied.
In den ersten Jahren hatte sich Fender den Ruf als Single-Coil-Only-Hersteller erworben. Die Konkurrenz bei Gibson hatte mit dem PAF einen Humbucker für ihre E-Gitarren, der sich großer Beliebtheit erfreute. Diesen hatte Seth Lover entwickelt. Eben dieser Seth Lover wechselte 1967 die Seiten, um auch für Fender einen Humbucker zu entwickeln. Über einen Zeitraum von annähernd drei Jahren muss er also auch mit Leo Fender zusammengearbeitet haben, der ja seinerseits noch im Bereich Forschung und Entwicklung bei Fender tätig war. Ob die beiden sich gemocht haben bleibt jedoch offen. Leo Fender galt als eher eigensinnig bei seinen Entwicklungen und er mochte erklärter Maßen keine Rockmusik.
Unter Sammlern genießen die Fender-Instrumente der CBS-Ära nicht den besten Ruf. Ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ließ die Qualität merklich nach. Fast hätte CBS die Marke Fender vollends gegen die Wand gefahren. Die durchschnittliche Qualität der 70er Fenders war deutlich hinter der der 50er und 60er Jahre zurückgeblieben.
Allerdings muss man bei jenen Instrumenten, die es bis in die heutige Zeit geschafft haben bedenken, dass inzwischen eine Selektion stattgefunden hat. Schlechte und mittelmäßige Gitarren dieser Epoche sind heute kaum noch zu finden, denn sie wurden inzwischen aussortiert. Jene Exemplare, welche die Zeit bis heute überdauert haben, sind wohl die besten ihrer Jahrgänge.
3. Geschichte der Gitarre
3.1. Altersbestimmung
Die genaue Altersbestimmung eines solchen Instruments ist nicht einfach und letztlich auch nur ungefähr möglich.
Ein Blick auf die Seriennummer verrät zunächst nur, dass die Gitarre irgendwann zwischen 1972 und 1975 gebaut worden sein muss. Diese Nummern wurden nicht chronologisch vergeben, sondern bestimmte Nummernbereiche waren für bestimmte Modelle reserviert. So kann eine 57… älter sein als eine 53… - allein mit der Seriennummer kommt man also nicht zu einer genauen Bestimmung des Baujahres.
Schraubt man den Hals ab, so findet sich am unteren Ende des Halses ein Zahlencode. Bei diesem Hals steht dort 07012324. Dieser Code will wie folgt gelesen werden:
07 = Telecaster Custom (II)
01 = Hals mit Palisandergriffbrett
23 = 23. Kalenderwoche
2 = 1972
4 = Donnerstag
Der Hals dieser Gitarre ist also am Donnerstag der 23. Kalenderwoche 1972 fertig gestellt worden, also dem 8.6.1972. An diesem Tag wurde meine Mutter 35 Jahre alt. Es war jener Tag, an dem Huynh Cong Ut jenes weltberühmte Foto von den vor einem Napalm-Angriff fliehenden Kindern aufnahm.
Somit könnte meine Telecaster Custom (II) also von 1972 stammen. Tut sie aber vermutlich nicht, denn wenn man auf Rückseite des noch erhaltenen Owner‘s Manual schaut, dann ist dort vermerkt „© 1973 CBS Musical Instruments“. Sie wird also nicht vor 1973 ausgeliefert worden sein.
3.2. Vorbesitzer
Gekauft wurde meine Telecaster Custom (II) 1974 von Harry. Dieser war in erster Linie Bassist, spielte aber auch Gitarre in der Tanzkapelle „The Suns“.
Nach seinem Tod veräußerten seine Angehörigen diese Gitarre zusammen mit anderen Instrumenten an meinen Musikdealer, von dem er sie einst gekauft hatte und von dem ich sie nun erwarb.
3.3. Spuren der Jahre
Ich bin überhaupt kein Freund von Relic & Co. Wenn ich eine neue Gitarre kaufe, dann soll sie auch neu aussehen. Ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die sich neue Jeans mit Löchern kaufen.
Aber bei dieser Gitte sind die Spuren der Jahre echt. Zwei echte Dongs hat sie. Einen an der Kopfplatte, den anderen an der Unterkante des Korpus. Am Rücken zeigt sie Spuren von Gürtelschnallenkontakt. Hier und da hat der Lack kleine Macken. Das Metall ist hier und da minimal oxidiert. Insgesamt entspricht sie am ehesten dem heute von Fender angebotenem Journeyman - nur eben echt!
Soweit ich das beurteilen kann ist auch noch fast alles original an ihr. Einer der Ringe, durch die von der Rückseite die Saiten eingeführt werden, wurde offensichtlich irgendwann mal ersetzt.
Der Switch-Tip ging im Laufe der Jahre offenbar verloren.
Die Klinkenbuchse wurde modifiziert. Sie wird wohl das gleiche Problem gehabt haben, was alle Telecasters ab Werk mitbekommen… Für ihre Jahre ist sie in einem wirklich guten Zustand.
3.4. Vintage?
Bei dem Begriff Vintage und der Frage, welche Gitarren diese Bezeichnung führen dürfen, scheiden sich die Geister. Genau definiert ist Vintage nicht. Bei sehr strenger Auslegung bleibt dieses Attribut ausschließlich jenen Fender Gitarren der Pre-CBS-Ära vorbehalten. Liberalere Zeitgenossen bezeichnen alles was älter als 25 oder 30 Jahre ist als Vintage.
Persönlich halte ich es für sinnvoll, sich hier nicht streng nach der Firmenepoche oder dem Alter zu richten, sondern vielmehr auf die Produktionsgeschichte des jeweiligen Modells zu blicken. Die Telecaster Custom (II) wurde 1972 eingeführt und dann zunächst bis 1981 produziert. Später gab es dann Reissue-Versionen dieses Modells, die zunächst in Japan und bis heute in Mexiko produziert wurden. Vor diesem Hintergrund halte ich es für sinnvoll, jene Instrumente aus der ersten Produktionsepoche in den USA heute als Vintage zu bezeichnen.
4. Preis
Der Listenpreis für dieses Instrument lag 1974 bei $ 325. Für den Koffer wurden zusätzliche $ 67 aufgerufen.
Zusammen entsprach das etwa 1015 DM.
Zum Vergleich: Der Preis für eine Maß auf dem Oktoberfest lag bei 3,20 DM bis 3,50 DM. Wenn man den Preis für eine Maß zugrunde legt, dann entsprach der Wert der Telecaster Custom (II) rund 300 Maß. 2017 zahlte man für eine Maß auf dem Oktoberfest rund 10,50 €. 300 Maß Bier würden also rund 3150 € kosten. Das entspricht ungefähr dem Preis, für den eine Telecaster Custom (II) aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre heute gehandelt wird.
5. Spezifikationen
5.1. Eckdaten
Korpus: Erle
Hals: Ahorn
Griffbrett: Palisander
Mensur: 25 1/2-Inch
Gewicht: 3430 g
5.2. Schaltung
Bei der Schaltung der Telecaster Custom (II) stand Gibsons Paula Pate. Sie unterscheidet sich damit grundsätzlich von der klassischen Schaltung einer Telecaster, denn beide Pickups können individuell in Lautstärke und Ton geregelt werden.
(vgl. http://300hertz.de/hidden/Telecaster Schaltungen.pdf, Seite 22)
5.3. Pickups
Die Gitarre hat zwei Pickups. Einen Singlecoil und einen Wide Range Humbucker (WRH). Bei dem Single Coil an der Brücke handelt es sich um den Telecaster-Standardpickup der frühen 70er Jahre.
Der WRH wurde ab 1967 von Seth Lover entwickelt. Das war jenes Genie, welches zuvor für Gibson den PAF geschaffen hatte. CBS hatte Seth Lover für 1/3 mehr Gehalt bei Gibson abgeworben. Man wünschte sich einen Humbucker, der wie jener der Konkurrenz klingen sollte. Seth Lover hatte jedoch seinen eigenen Kopf. Er empfand die Telecaster als eine vom Grundcharakter gänzlich andere Gitarre als die Paulas und SGs. Daher wollte er ihr einen Pickup mit mehr Leichtigkeit und Transparenz verschaffen als die PAFs boten.
Auch wenn Fender heute wieder Pickups mit dem Label „Wide Range Humbucker“ anbietet, unterscheiden sich diese doch fundamental von dem WRH Seth Lovers:
„The Wide Range pickup was conceived to be sonically closer to Fender's single coil pickups than Gibson humbuckers. Due to the difficulty of machining AlNiCo magnets into screw-type pole pieces, this concept called for the use of the more easily machinable CuNiFe (Copper/Nickel/Iron) rod magnets as pole pieces within the coil structures, to function more like a regular Strat pickup than a Gibson humbucker. {…} The pickup bobbins were wound with approximately 6800 turns of copper wire around the pole-pieces and the Wide Range pickup has a DC resistance of around 10 kΩ.“
(Zitat: Wikipedia: Fender Wide Range, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Fender_Wide_Range, Stand: 13.5.2018)
„Die Wide Range Humbucker von heute sind {…} nicht baugleich mit den Originalen, sondern wie übliche Humbucker aufgebaut – mit Alnico-Barrenmagneten unter den Spulen und Eisenstiften als Polstücke.“
(Zitat: Rebellius, Heinz (13.10.2010): Bang statt Twang, Fender Roadworn 72 Deluxe & Custom Telecaster im Test, in: Gitarre & Bass, das Musiker-Fachmagazin, https://www.gitarrebass.de/equipment/fender-roadworn-72-deluxe-custom-im-test/, Stand: 14.5.2018)
6. Anwendungszweck
Ist dies eine Gitarre für Sammler oder für Spieler? Tatsächlich habe ich mich ihr zunächst als Kapitalanlage genähert, denn bei dem derzeitigen Zins wird Geld auf der Bank immer weniger wert. Ich halte die Chance für gegeben, dass dieses Instrument in den nächsten Jahren eine Wertsteigerung erfährt, die merklich über dem Zinsniveau liegt. Und da ich bereits eine Telecaster mit Humbucker und Singlecoil habe, meinte ich erstmal, dass ich die Telecaster Custom (II) nicht unbedingt spielen werde. Ich greife hier vor, wenn ich schon sage, dass ich mich an dieser Stelle wohl geirrt habe, denn diese Gitte ist definitiv nicht nur was für Sammler, sondern sie will gespielt werden. Immer wieder höre ich es aus ihrem Koffer rufen: „Hol mich raus, spiel mich!“.
7. Verarbeitung
Diese Gitarre stammt aus einer Zeit, in der Fender noch ausschließlich in Fullerton in Kalifornien produzierte. Allerdings geben die Namen auf dem Inspection Tag der Qualitätskontrolle Auskunft darüber, dass schon damals nicht wenige der Mitarbeiter lateinamerikanischen Ursprungs waren.
Man sagt der Qualitätskontrolle der CBS-Ära nach, dass sie recht schlampig gearbeitet habe. Auch das scheint sich durch zwei auf dem Inspection Tag fehlende Zeichnungen zu bestätigen.
Sofern sich das nach 45 Jahren beurteilen lässt, ist dieses Exemplar jedoch tadellos verarbeitet worden. Den Langzeittest hat sie jedenfalls mit Bravour bestanden.
8. Nutzwert
8.1. Stimmen
Waren diese Mechaniken schon immer so schwergängig oder ist das eine Alterserscheinung? Stimmen ist hier echte „Männerarbeit“. Diesbezüglich bin ich von meinen moderneren Gitarren anderes gewohnt. Allerdings hält die Gitarre die Stimmung sehr gut. Die harte Arbeit lohnt sich also wenigstens.
8.2. Bespielbarkeit
Mir persönlich liegt die Form einer Telecaster wie kein anderer Typ Stromgitarre. Diese hier ist ausgewogen gewichtet und sie fühlt sich vom ersten Kontakt richtig an für mich. Wirklich magisch ist der Hals. Diesen zu spielen hat eine unglaubliche Leichtigkeit. Für mich ist es der schnellste Hals, den ich je in der Hand hatte. Dabei habe ich keine Ahnung, woran das legen mag, aber das Spielen auf ihm geht mir leichter und schneller von der Hand als mit irgendeiner anderen Gitarre. Ein Teil davon macht sicher die super Saitenlage aus. Aber da ist mehr… Ja, hier ist Voodoo – it’s magic! Dieser Hals macht etwas mit mir, was ich selber kaum fassen kann.
Meine Telecaster Custom (II) hat noch ihren Aschenbecher. Die Verfärbungen im Lack des Korpus zeigen auch deutlich, dass dieser wohl stets an ihr dran war. So schön wie das Ding aussieht, so schlecht spiele ich jedoch damit. Zum Glück kann man ihm vor dem Spielen mit einem Handgriff abnehmen und anschließend ebenso leicht wieder ansetzen.
8.3. Klang
Der Klang dieser Gitarre ist wirklich einzigartig. Schon unpluged klingt dies Instrument wirklich schön.
Der Single Coil liefert das, was man von einem historischen Pickup dieser Bauart erwartet. Mein Lieblingspickup wird das nicht werden. Mir fehlt hier etwas Druck. Da gefällt mir der an meiner G&L Bluesboy deutlich besser.
Der WRH dagegen ist der absolute Oberhammer! Er ist gleichermaßen druckkräftig wie auch luftig und leicht. Absoluter Wahnsinn. Dieses Teil macht aus einer Geldanlage für mich eine Gitarre, die ich einfach immer wieder spielen will.
9. Alternativen
Eine heutige Fender 72 Telecaster Custom ist mit rund 850 € deutlich billiger zu bekommen. Wenn man einen originalen Seth Lover Wide Range Humbucker aus den 1970er Jahren darin haben möchte, dann muss man dafür noch einmal 300 bis 400 € einkalkulieren. Vorausgesetzt, man hat Glück und findet einen solchen. Zusätzlich muss dann noch das Pickguard angepasst werden, denn die Maße des heutigen WRHs sind nicht identisch mit den originalen aus den 70er Jahren.
10. Fazit
Lohnt sich die Anschaffung eines solchen Instruments?
Ob es sich als Wertanlage lohnen wird kann man ohne Glaskugel nicht sagen. Es spricht einiges dafür. Aber auch in den 1980er Jahren noch hoch gehandelte Zinnkrüge gehen heute für den Materialwert über den Tisch. Es gilt die Zeit abzuwarten, um diese Frage zu beantworten.
Emotional lohnt es sich für mich aber auf jeden Fall. Es ist ein tolles Gefühl, ein Instrument zu aus dem eigenen Geburtsjahr zu spielen. Es inspiriert mich und der Ton des originalen WRH ist einfach einzigartig.
11. Literatur
Duchossoir, A.R. (1991): The Fender Telecaster, the detailed story of America’s senior solid body electric guitar, Milwaukee
Hunter, Dave (2012): The Fender Telecaster, the life & times of the electric guitar that changed the world, Minneapolis
Kühn, Andreas „Cadfael“: Schaltungen der / für die TELECASTER mit Schaltdiagrammen und Lötplänen, Version 2.66, in: http://300hertz.de/hidden/Telecaster Schaltungen.pdf, Stand: 13.5.2018
Patt, Stephen (21996): Seth Lover, Humbuckers and Other Lover innovations, in: Vintage Guitar Magazine, http://www.vintageguitar.com/3601/seth-lover-3/, Stand: 13.5.2018
Rebellius, Heinz (13.10.2010): Bang statt Twang, Fender Roadworn 72 Deluxe & Custom Telecaster im Test, in: Gitarre & Bass, das Musiker-Fachmagazin, https://www.gitarrebass.de/equipment/fender-roadworn-72-deluxe-custom-im-test/, Stand: 14.5.2018
Smith, Richard R. (2005): Fender, ein Sound schreibt Geschichte, Hamburg
Wikipedia: Fender (Musikinstrumente), in: https://de.wikipedia.org/wiki/Fender_(Musikinstrumente)#Geschichte, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Fender Telecaster, in: https://de.wikipedia.org/wiki/Fender_Telecaster, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Fender Telecaster, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Fender_Telecaster, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Fender Telecaster Custom, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Fender_Telecaster_Custom, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Fender Wide Range, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Fender_Wide_Range, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Seth Lover, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Seth_Lover, Stand: 13.5.2018
1. Produktbezeichnung: Telecaster Custom (II)
Heute ist diese Gitarre meist als 72er Telecaster Custom bekannt. Das „72er“ steht dabei für das Jahr ihrer Markteinführung. Die Bezeichnung Custom war schon zuvor für Telecasters benutzt worden. Jedoch bezeichnete Fender vor 1972 damit optisch aufgewertete aber ansonsten reguläre Telecaster Modelle. Historisch korrekt ist daher die Bezeichnung Telecaster Custom (II).
2. Hersteller: Fender
Wenn man sich mit Stromgitarren befasst, dann kann man um die Marke Fender gar nicht drum herumkommen. Es wäre weder machbar noch möglich, hier die Firma Fender umfassend darzustellen. Aber ein kurzes Licht will ich dennoch auf die Epoche der Entstehung dieser Gitarre werfen.
Im Februar 1965 übernahm der amerikanische Medienkonzern Columbia Broadcasting System (CBS) die vollen Anteile der Fender Electric Instruments von Leo Fender, der nur noch beratend im Bereich der Forschung und Entwicklung für das Unternehmen tätig blieb und 1970 gänzlich bei FMIC ausschied.
In den ersten Jahren hatte sich Fender den Ruf als Single-Coil-Only-Hersteller erworben. Die Konkurrenz bei Gibson hatte mit dem PAF einen Humbucker für ihre E-Gitarren, der sich großer Beliebtheit erfreute. Diesen hatte Seth Lover entwickelt. Eben dieser Seth Lover wechselte 1967 die Seiten, um auch für Fender einen Humbucker zu entwickeln. Über einen Zeitraum von annähernd drei Jahren muss er also auch mit Leo Fender zusammengearbeitet haben, der ja seinerseits noch im Bereich Forschung und Entwicklung bei Fender tätig war. Ob die beiden sich gemocht haben bleibt jedoch offen. Leo Fender galt als eher eigensinnig bei seinen Entwicklungen und er mochte erklärter Maßen keine Rockmusik.
Unter Sammlern genießen die Fender-Instrumente der CBS-Ära nicht den besten Ruf. Ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ließ die Qualität merklich nach. Fast hätte CBS die Marke Fender vollends gegen die Wand gefahren. Die durchschnittliche Qualität der 70er Fenders war deutlich hinter der der 50er und 60er Jahre zurückgeblieben.
Allerdings muss man bei jenen Instrumenten, die es bis in die heutige Zeit geschafft haben bedenken, dass inzwischen eine Selektion stattgefunden hat. Schlechte und mittelmäßige Gitarren dieser Epoche sind heute kaum noch zu finden, denn sie wurden inzwischen aussortiert. Jene Exemplare, welche die Zeit bis heute überdauert haben, sind wohl die besten ihrer Jahrgänge.
3. Geschichte der Gitarre
3.1. Altersbestimmung
Die genaue Altersbestimmung eines solchen Instruments ist nicht einfach und letztlich auch nur ungefähr möglich.
Ein Blick auf die Seriennummer verrät zunächst nur, dass die Gitarre irgendwann zwischen 1972 und 1975 gebaut worden sein muss. Diese Nummern wurden nicht chronologisch vergeben, sondern bestimmte Nummernbereiche waren für bestimmte Modelle reserviert. So kann eine 57… älter sein als eine 53… - allein mit der Seriennummer kommt man also nicht zu einer genauen Bestimmung des Baujahres.
Schraubt man den Hals ab, so findet sich am unteren Ende des Halses ein Zahlencode. Bei diesem Hals steht dort 07012324. Dieser Code will wie folgt gelesen werden:
07 = Telecaster Custom (II)
01 = Hals mit Palisandergriffbrett
23 = 23. Kalenderwoche
2 = 1972
4 = Donnerstag
Der Hals dieser Gitarre ist also am Donnerstag der 23. Kalenderwoche 1972 fertig gestellt worden, also dem 8.6.1972. An diesem Tag wurde meine Mutter 35 Jahre alt. Es war jener Tag, an dem Huynh Cong Ut jenes weltberühmte Foto von den vor einem Napalm-Angriff fliehenden Kindern aufnahm.
Somit könnte meine Telecaster Custom (II) also von 1972 stammen. Tut sie aber vermutlich nicht, denn wenn man auf Rückseite des noch erhaltenen Owner‘s Manual schaut, dann ist dort vermerkt „© 1973 CBS Musical Instruments“. Sie wird also nicht vor 1973 ausgeliefert worden sein.
3.2. Vorbesitzer
Gekauft wurde meine Telecaster Custom (II) 1974 von Harry. Dieser war in erster Linie Bassist, spielte aber auch Gitarre in der Tanzkapelle „The Suns“.
Nach seinem Tod veräußerten seine Angehörigen diese Gitarre zusammen mit anderen Instrumenten an meinen Musikdealer, von dem er sie einst gekauft hatte und von dem ich sie nun erwarb.
3.3. Spuren der Jahre
Ich bin überhaupt kein Freund von Relic & Co. Wenn ich eine neue Gitarre kaufe, dann soll sie auch neu aussehen. Ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die sich neue Jeans mit Löchern kaufen.
Aber bei dieser Gitte sind die Spuren der Jahre echt. Zwei echte Dongs hat sie. Einen an der Kopfplatte, den anderen an der Unterkante des Korpus. Am Rücken zeigt sie Spuren von Gürtelschnallenkontakt. Hier und da hat der Lack kleine Macken. Das Metall ist hier und da minimal oxidiert. Insgesamt entspricht sie am ehesten dem heute von Fender angebotenem Journeyman - nur eben echt!
Soweit ich das beurteilen kann ist auch noch fast alles original an ihr. Einer der Ringe, durch die von der Rückseite die Saiten eingeführt werden, wurde offensichtlich irgendwann mal ersetzt.
Der Switch-Tip ging im Laufe der Jahre offenbar verloren.
Die Klinkenbuchse wurde modifiziert. Sie wird wohl das gleiche Problem gehabt haben, was alle Telecasters ab Werk mitbekommen… Für ihre Jahre ist sie in einem wirklich guten Zustand.
3.4. Vintage?
Bei dem Begriff Vintage und der Frage, welche Gitarren diese Bezeichnung führen dürfen, scheiden sich die Geister. Genau definiert ist Vintage nicht. Bei sehr strenger Auslegung bleibt dieses Attribut ausschließlich jenen Fender Gitarren der Pre-CBS-Ära vorbehalten. Liberalere Zeitgenossen bezeichnen alles was älter als 25 oder 30 Jahre ist als Vintage.
Persönlich halte ich es für sinnvoll, sich hier nicht streng nach der Firmenepoche oder dem Alter zu richten, sondern vielmehr auf die Produktionsgeschichte des jeweiligen Modells zu blicken. Die Telecaster Custom (II) wurde 1972 eingeführt und dann zunächst bis 1981 produziert. Später gab es dann Reissue-Versionen dieses Modells, die zunächst in Japan und bis heute in Mexiko produziert wurden. Vor diesem Hintergrund halte ich es für sinnvoll, jene Instrumente aus der ersten Produktionsepoche in den USA heute als Vintage zu bezeichnen.
4. Preis
Der Listenpreis für dieses Instrument lag 1974 bei $ 325. Für den Koffer wurden zusätzliche $ 67 aufgerufen.
Zusammen entsprach das etwa 1015 DM.
Zum Vergleich: Der Preis für eine Maß auf dem Oktoberfest lag bei 3,20 DM bis 3,50 DM. Wenn man den Preis für eine Maß zugrunde legt, dann entsprach der Wert der Telecaster Custom (II) rund 300 Maß. 2017 zahlte man für eine Maß auf dem Oktoberfest rund 10,50 €. 300 Maß Bier würden also rund 3150 € kosten. Das entspricht ungefähr dem Preis, für den eine Telecaster Custom (II) aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre heute gehandelt wird.
5. Spezifikationen
5.1. Eckdaten
Korpus: Erle
Hals: Ahorn
Griffbrett: Palisander
Mensur: 25 1/2-Inch
Gewicht: 3430 g
5.2. Schaltung
Bei der Schaltung der Telecaster Custom (II) stand Gibsons Paula Pate. Sie unterscheidet sich damit grundsätzlich von der klassischen Schaltung einer Telecaster, denn beide Pickups können individuell in Lautstärke und Ton geregelt werden.
(vgl. http://300hertz.de/hidden/Telecaster Schaltungen.pdf, Seite 22)
5.3. Pickups
Die Gitarre hat zwei Pickups. Einen Singlecoil und einen Wide Range Humbucker (WRH). Bei dem Single Coil an der Brücke handelt es sich um den Telecaster-Standardpickup der frühen 70er Jahre.
Der WRH wurde ab 1967 von Seth Lover entwickelt. Das war jenes Genie, welches zuvor für Gibson den PAF geschaffen hatte. CBS hatte Seth Lover für 1/3 mehr Gehalt bei Gibson abgeworben. Man wünschte sich einen Humbucker, der wie jener der Konkurrenz klingen sollte. Seth Lover hatte jedoch seinen eigenen Kopf. Er empfand die Telecaster als eine vom Grundcharakter gänzlich andere Gitarre als die Paulas und SGs. Daher wollte er ihr einen Pickup mit mehr Leichtigkeit und Transparenz verschaffen als die PAFs boten.
Auch wenn Fender heute wieder Pickups mit dem Label „Wide Range Humbucker“ anbietet, unterscheiden sich diese doch fundamental von dem WRH Seth Lovers:
„The Wide Range pickup was conceived to be sonically closer to Fender's single coil pickups than Gibson humbuckers. Due to the difficulty of machining AlNiCo magnets into screw-type pole pieces, this concept called for the use of the more easily machinable CuNiFe (Copper/Nickel/Iron) rod magnets as pole pieces within the coil structures, to function more like a regular Strat pickup than a Gibson humbucker. {…} The pickup bobbins were wound with approximately 6800 turns of copper wire around the pole-pieces and the Wide Range pickup has a DC resistance of around 10 kΩ.“
(Zitat: Wikipedia: Fender Wide Range, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Fender_Wide_Range, Stand: 13.5.2018)
„Die Wide Range Humbucker von heute sind {…} nicht baugleich mit den Originalen, sondern wie übliche Humbucker aufgebaut – mit Alnico-Barrenmagneten unter den Spulen und Eisenstiften als Polstücke.“
(Zitat: Rebellius, Heinz (13.10.2010): Bang statt Twang, Fender Roadworn 72 Deluxe & Custom Telecaster im Test, in: Gitarre & Bass, das Musiker-Fachmagazin, https://www.gitarrebass.de/equipment/fender-roadworn-72-deluxe-custom-im-test/, Stand: 14.5.2018)
6. Anwendungszweck
Ist dies eine Gitarre für Sammler oder für Spieler? Tatsächlich habe ich mich ihr zunächst als Kapitalanlage genähert, denn bei dem derzeitigen Zins wird Geld auf der Bank immer weniger wert. Ich halte die Chance für gegeben, dass dieses Instrument in den nächsten Jahren eine Wertsteigerung erfährt, die merklich über dem Zinsniveau liegt. Und da ich bereits eine Telecaster mit Humbucker und Singlecoil habe, meinte ich erstmal, dass ich die Telecaster Custom (II) nicht unbedingt spielen werde. Ich greife hier vor, wenn ich schon sage, dass ich mich an dieser Stelle wohl geirrt habe, denn diese Gitte ist definitiv nicht nur was für Sammler, sondern sie will gespielt werden. Immer wieder höre ich es aus ihrem Koffer rufen: „Hol mich raus, spiel mich!“.
7. Verarbeitung
Diese Gitarre stammt aus einer Zeit, in der Fender noch ausschließlich in Fullerton in Kalifornien produzierte. Allerdings geben die Namen auf dem Inspection Tag der Qualitätskontrolle Auskunft darüber, dass schon damals nicht wenige der Mitarbeiter lateinamerikanischen Ursprungs waren.
Man sagt der Qualitätskontrolle der CBS-Ära nach, dass sie recht schlampig gearbeitet habe. Auch das scheint sich durch zwei auf dem Inspection Tag fehlende Zeichnungen zu bestätigen.
Sofern sich das nach 45 Jahren beurteilen lässt, ist dieses Exemplar jedoch tadellos verarbeitet worden. Den Langzeittest hat sie jedenfalls mit Bravour bestanden.
8. Nutzwert
8.1. Stimmen
Waren diese Mechaniken schon immer so schwergängig oder ist das eine Alterserscheinung? Stimmen ist hier echte „Männerarbeit“. Diesbezüglich bin ich von meinen moderneren Gitarren anderes gewohnt. Allerdings hält die Gitarre die Stimmung sehr gut. Die harte Arbeit lohnt sich also wenigstens.
8.2. Bespielbarkeit
Mir persönlich liegt die Form einer Telecaster wie kein anderer Typ Stromgitarre. Diese hier ist ausgewogen gewichtet und sie fühlt sich vom ersten Kontakt richtig an für mich. Wirklich magisch ist der Hals. Diesen zu spielen hat eine unglaubliche Leichtigkeit. Für mich ist es der schnellste Hals, den ich je in der Hand hatte. Dabei habe ich keine Ahnung, woran das legen mag, aber das Spielen auf ihm geht mir leichter und schneller von der Hand als mit irgendeiner anderen Gitarre. Ein Teil davon macht sicher die super Saitenlage aus. Aber da ist mehr… Ja, hier ist Voodoo – it’s magic! Dieser Hals macht etwas mit mir, was ich selber kaum fassen kann.
Meine Telecaster Custom (II) hat noch ihren Aschenbecher. Die Verfärbungen im Lack des Korpus zeigen auch deutlich, dass dieser wohl stets an ihr dran war. So schön wie das Ding aussieht, so schlecht spiele ich jedoch damit. Zum Glück kann man ihm vor dem Spielen mit einem Handgriff abnehmen und anschließend ebenso leicht wieder ansetzen.
8.3. Klang
Der Klang dieser Gitarre ist wirklich einzigartig. Schon unpluged klingt dies Instrument wirklich schön.
Der Single Coil liefert das, was man von einem historischen Pickup dieser Bauart erwartet. Mein Lieblingspickup wird das nicht werden. Mir fehlt hier etwas Druck. Da gefällt mir der an meiner G&L Bluesboy deutlich besser.
Der WRH dagegen ist der absolute Oberhammer! Er ist gleichermaßen druckkräftig wie auch luftig und leicht. Absoluter Wahnsinn. Dieses Teil macht aus einer Geldanlage für mich eine Gitarre, die ich einfach immer wieder spielen will.
9. Alternativen
Eine heutige Fender 72 Telecaster Custom ist mit rund 850 € deutlich billiger zu bekommen. Wenn man einen originalen Seth Lover Wide Range Humbucker aus den 1970er Jahren darin haben möchte, dann muss man dafür noch einmal 300 bis 400 € einkalkulieren. Vorausgesetzt, man hat Glück und findet einen solchen. Zusätzlich muss dann noch das Pickguard angepasst werden, denn die Maße des heutigen WRHs sind nicht identisch mit den originalen aus den 70er Jahren.
10. Fazit
Lohnt sich die Anschaffung eines solchen Instruments?
Ob es sich als Wertanlage lohnen wird kann man ohne Glaskugel nicht sagen. Es spricht einiges dafür. Aber auch in den 1980er Jahren noch hoch gehandelte Zinnkrüge gehen heute für den Materialwert über den Tisch. Es gilt die Zeit abzuwarten, um diese Frage zu beantworten.
Emotional lohnt es sich für mich aber auf jeden Fall. Es ist ein tolles Gefühl, ein Instrument zu aus dem eigenen Geburtsjahr zu spielen. Es inspiriert mich und der Ton des originalen WRH ist einfach einzigartig.
11. Literatur
Duchossoir, A.R. (1991): The Fender Telecaster, the detailed story of America’s senior solid body electric guitar, Milwaukee
Hunter, Dave (2012): The Fender Telecaster, the life & times of the electric guitar that changed the world, Minneapolis
Kühn, Andreas „Cadfael“: Schaltungen der / für die TELECASTER mit Schaltdiagrammen und Lötplänen, Version 2.66, in: http://300hertz.de/hidden/Telecaster Schaltungen.pdf, Stand: 13.5.2018
Patt, Stephen (21996): Seth Lover, Humbuckers and Other Lover innovations, in: Vintage Guitar Magazine, http://www.vintageguitar.com/3601/seth-lover-3/, Stand: 13.5.2018
Rebellius, Heinz (13.10.2010): Bang statt Twang, Fender Roadworn 72 Deluxe & Custom Telecaster im Test, in: Gitarre & Bass, das Musiker-Fachmagazin, https://www.gitarrebass.de/equipment/fender-roadworn-72-deluxe-custom-im-test/, Stand: 14.5.2018
Smith, Richard R. (2005): Fender, ein Sound schreibt Geschichte, Hamburg
Wikipedia: Fender (Musikinstrumente), in: https://de.wikipedia.org/wiki/Fender_(Musikinstrumente)#Geschichte, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Fender Telecaster, in: https://de.wikipedia.org/wiki/Fender_Telecaster, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Fender Telecaster, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Fender_Telecaster, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Fender Telecaster Custom, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Fender_Telecaster_Custom, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Fender Wide Range, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Fender_Wide_Range, Stand: 13.5.2018
Wikipedia: Seth Lover, in: https://en.wikipedia.org/wiki/Seth_Lover, Stand: 13.5.2018
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