Ich wuerde dir empfehlen, mit einfachen Uebungen anzufangen. Du hast gesagt, du kennst die Intervalle bis zur Oktave, aber weisst du auch wie sie klingen? Spiele Alle Meine Entchen in C-Dur auf deinem Bass (oder irgend ein anderes einfaches Lied in C). Jetzt spiel den Ton C und dann ein Intervall nach oben (Prime: C, Sekunde: D etc). Schreibe dir auf, ob der Ton zum C erholsam oder spanned klingt (auf einer Skala von 1-10, es kommt nicht so genau drauf an). Bevor du zum naechsten Intervall uebergehst, spiel wieder das einfach Liedchen, um dich zu "reset-ten".
Hierbei geht es nicht darum, zu jedem Intervall eine eindeutige Antwort zu bekommen (die gibt es gar nicht!) sondern nur ein Grundgefuehl zu bekommen: Passt gut, passt gar nicht, irgendwo dazwischen.
Diese Erfahrung ist die absolute Grundlage fuer Harmonielehre, und basiert auf physikalischen Eigenschaften der Toene und der Aufnahme von Musik im Ohr und Gehirn des Hoerers. Sie ist bei allen Menschen aehnlich (zumindest hier in unserem Kulturkreis
Das Stichwort dazu ist die "Obertonreihe".
Ausser dem C werden zwei weitere Toene werden besonders gut gepasst haben (hoffentlich
. Alle drei Toene zusammen bilden einen Akkord, den C-Dur Akkord. Dieser Akkord wird dann die Tonart von dem Lied genannt, und der Grundton, das C, der am besten passt, ist das tonale Zentrum. Dieser ist der Bezugston fuer alles, was musikalisch drumherum passiert. Harmonielehre untersucht das Spannungsverhaeltnis von anderen Toenen und Akkorden bezogen auf solch einen Bezugston.
Probiert man weiter rum, man stellt zum Beispiel fest, dass die Toene G H D (G-Dur) einen in sich wohlklingenden Akkord ergeben, der eine starke Leitwirkung nach C-Dur hat. Das bedeutet, dass wenn man C als tonales Zentrum etabliert hat, und dann G-Dur hoert, der Hoerer die Erwartung hat, dass als naechstes C-Dur klingt, um die von G-Dur erzeugte Spannung aufzuloesen (probier das bitte am Instrument aus, wichtig ist, erst das C als tonales Zentrum zu etablieren. Spiel Alle Meine Entchen, dann C-Dur, dann erst G-Dur gefolgt von C-Dur). Diese Sog-Wirkung von G-Dur hat einen Grund, aber den sag ich dir jetzt nicht, weil das erstmal unwichtig ist. Wichtig ist, dass du diese Sogwirkung nachvollziehen und hoeren kannst. Spiele Stuecke, die nur zwei Akkorde haben, und vollziehe das immer wieder nach. Das ist der Anfang von Harmonielehre.
Die Harmonielehre bietet dir dann ein Modell, anhand dessen du die Spannungsentwicklung eines Stuecks nachvollziehen und erklaeren kannst. Weil es verschiedene Tonleitern gibt (Dur, natuerlich Moll, harmonisch Moll, melodisch Moll) ist auch die Harmonielehre entsprechend umfangreich. Eine weitere Komplexitaet kommt dadurch hinzu, dass man das tonale Zentrum innerhalb eines Stueckes aendern kann (das heisst dann Modulation), und dadurch, dass man statt Dreiklaenge auch Vierklaenge untersuchen kann und noch komplexere Strukturen (Blockakkorde, etc). Ferner kann man andere Hoergewohnheiten entwickeln, die ein anderes Harmoniemodell verlangen, um sie einfach erklaeren zu koennen. So kann die klassische Harmonielehre die Blues-Musik nur unzureichend erklaeren, da ist ein anderes Modell gefragt. Und auch die modale Musik im Jazz hat eine andere Harmonielehre als die klassische als Grundlage, wobei es natuerlich auch starke Verbindungen gibt.
Um jetzt nicht von der Fuelle des Materials erschlagen zu werden, ist es sinnvoll, sich schritt fuer schritt anzunaehern und immer Praxisbezogen. Zum Beispiel koenntest du ein Musikstueck vorstellen, dass du gut kennst, und wir koennten gemeinsam eine Analyse versuchen (es gibt sogar ein spezielles Unterforum in diesem Board dafuer). Dadurch tauchen dann konkrete Fragen auf, aus denen sich wieder neue ergeben etc.