Formenlehre zu instrumentalen Tänzen / Liedformen

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Hallo, ich frage mich, ob hier jemand in der Lage ist, eigenes Wissen oder Quellen zu diesem Thema zu liefern.

Ich interessiere mich ziemlich für die Formen und Regeln hinter dem Verfassen von Instrumenalstücken wie Allemande, Sarabande, Bourrée oder dem Menuett und die sonstigen üblichen Verbrechern. Insbesondere, aber nicht zwingend, im Rahmen der barocken Epoche.

Zwar habe ich hier Bücher auf meinem Tisch rumfliegen, in denen diese Themen angeschnitten werden. Aber die gegeben Infos lassen einfach nur zu wünschen Übrig. Die meisten Quellen geb mir nicht mehr als bruchstückhafte informationen, wie etwa: "Gavotte, frz. Reigentanz [...] stets auftaktig, nicht zu rasch".

Nun fühl ich mich andererseits auch selbst dazu in der Lage eigene Analysen anzustellen und meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Allerdings gibt es auch Menschen die in der Musikwissenschaft einen Doktortitel haben und es kann ja nicht sein, dass zu diesem Thema keine Erkenntnisse vorhanden sind.

Ums nochmal auf den Punkt zu bringen: ich interessiere mich für genaue Parameter die für die Komposition eines solchen einzuhalten sind. Tempo, Rhytmus, Schemata, je mehr desto besser...

Hoffe, dass jemand helfen kann.


Grüße,

Julian
 
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opaaufkoka
  • Gelöscht von klaus111
  • Grund: Das "Pushen" von Themen ist untersagt. (Boardregel 8)
Ich rate dir unbedingt einfach selbst einige Suiten zu analysieren weil die schematische Darstellung eben nicht alles erfassen kann.

Erstmal zur allgemeinen Form von Suitensätzen:
Barocktanzsätze sind fast immer zweiteilig und folgen dem Schema |:A:|:B:|. Der B teil wird häufig nicht wiederholt obwohl Wiederholungszeichen benutzt werden.
Wenn der A-Teil in Dur steht so moduliert er zum Ende hin in die Dominante. In Moll endet der A Teil auf der Tonikaparalele oder (seltener) auf der Molldominante. Wenn der Satz also in C-dur steht, dann endet der A teil auf einem G-dur Dreiklang. Davor wird natürlich die Doppeldominante eingesetzt um die neue Tonart G-dur für den B teil einzuführen.
Der B Teil steht in der Dominante und moduliert zum Ende hin wieder zur alten Tonika zurück. Der B teil bringt selten neues Themenmaterial sondern verwendet die melodischen Bausteine aus dem A-Teil und spinnt diese fort. Außerdem ist er immer um einiges länger als der A Teil, also sind auch mehr Ausweichungen in verwandte Tonarten möglich. Verwandte Tonarten sind die Tonikaparalele, Subdominate , Dominante und ihre Paraleltonarten. In C dur wären das A-moll, F-dur, G-dur, D-moll, E-moll. Die Tonikaparalele wird den anderen Paraleltonarten bevorzugt also ist zum Beispiel eine Ausweichung direkt am Anfang im A teil zur Dominantparalele sehr selten.

Manche Tänze (vorallem Gavotten) wurden im Barock durch Hinzufügung eines zweiten Tanzes der selben Art zur Dreiteiligkeit erweitert.
Also |:A:|:B:| |:C:|D :| |:A:|:B:| Die Wiederholungen des ersten Tanzes wurden nicht ausgeführt.
Die einzelnen Tänze unterscheiden sich in Tempo, Taktart und Charakter.
Die Allemande ist im Tempo langsam. Die Taktart ist meist 4 viertel und der Charakter ist ernst.
Natürlich ist diese Beschreibung sehr schwach deshalb rate ich dir einfach Allemanden zu hören um eben dieses Allemandengefühl zu verstehen. Jetzt wo du die Form der Suitensätze kennst musst du nur noch in die Noten schauen welche Taktarten, Tempo usw für den jeweiligen Tanz charakteristisch sind.
 
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Mit deinem detaillierten Post hast du mir schon sehr geholfen; danke dafür.

Bei manchen Kandidaten habe ich allerdings meine Schwierigkeiten, die entsprechenden Charakteristika zu finden. Bei Bourrées oder Gavotten ist dies meist ein leichtes, aber vorallem bei Allemanden kann es recht intransparent sein.

Nehmen wir mal beispielsweise die Allemande aus der Cello Suite no.1 von JS Bach. (pdf im Anhang, falls nicht zur Hand)

Ich habe hier ein Buch, in dem Schrittmuster / Basisrythmen für die meisten bekannten, wichtigen Tanzformen gelistet sind.
Zur Allemande wird folgendes angegeben:

odtifzlh.jpg

Die englische Wikipedia hat auch ihren Beitrag zu dem Thema:

Allemande.png

Und nun schau ich mir besagtes Allemande von Bach an und denk mir nur: wat? Bis auf den ersten Takt & seinen Auftakt kann ich diese rythmischen Muster nicht wiederfinden. Das Stück ist mit wenigen Ausnahmen komplett mit 16-tel Noten durchsetzt. Was also in dem Stück macht es zur Allemande? Es ist ja wohl kaum möglich, nur den Anfang entsprechend zu bestücken und das ganze dann als Allemande zu stempeln.

Grüße
 

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Man sollte die charakteristischen Rhythmen nicht ganz so streng nehmen. Barockformen sind zwar streng aber keineswegs schematisch! Die kompositorische Qualität zeichnet sich eben nicht durch fantasieloses schemaschreiben aus sondern durch gleichzeitige Beherschung von Regeln im Tonsatz, der Form und. Am allerwichtigsten ist aber (für mich und jeden gescheiten Komponisten) die Originalität und hierbei ist Fantasie gefragt. Manche Allemanden haben höhstens leichte Andeutungen an den typischen Rhythmus und sind trotzdem als solche zu erkennen weil die anderen Parameter stimmen. Ich kann mir auch vorstellen dass viele Kompositionen anfänglich nicht einmal als Allemanden oder so gedacht waren und dann im nachhinein zum Beispiel aus Zeitdruck als solche verwendet werden mussten aber das ist natürlich nur Spekulation.
 
möchtegernbach;6989849 schrieb:
Man sollte die charakteristischen Rhythmen nicht ganz so streng nehmen. Barockformen sind zwar streng aber keineswegs schematisch! Die kompositorische Qualität zeichnet sich eben nicht durch fantasieloses schemaschreiben aus sondern durch gleichzeitige Beherschung von Regeln im Tonsatz, der Form und. Am allerwichtigsten ist aber (für mich und jeden gescheiten Komponisten) die Originalität und hierbei ist Fantasie gefragt. Manche Allemanden haben höhstens leichte Andeutungen an den typischen Rhythmus und sind trotzdem als solche zu erkennen weil die anderen Parameter stimmen. Ich kann mir auch vorstellen dass viele Kompositionen anfänglich nicht einmal als Allemanden oder so gedacht waren und dann im nachhinein zum Beispiel aus Zeitdruck als solche verwendet werden mussten aber das ist natürlich nur Spekulation.

Und exakt das ist was ich suche. Parameter, Eigenschaften mit denen ich definieren und vorallem arbeiten bzw. komponieren kann.
 
Ok alles klar :D.
Hier jetzt die unbrechbaren Gesetze an die du dich halten musst. Beachte das es nur die Regeln der Form und nicht des Tonsatzes sind. Es gibt also noch eine Menge anderer Regeln die überall beachtet werden müssen!

1. Halte dich an die zweiteilige Liedform mit den von mir aufgestellten Modulationen.
2. Benutze die dem Tanz typische Taktart und Zeitmaß also nicht eine Allemande im 3/4 Takt oder so schreiben! Falls du nicht fündig wirst hol dir Hermann Grabners Allgemeine Musiklehre denn dort steht auch jeder Tanz mit typischem Muster, Taktart und Zeitmaß.
3. Orientiere dich frei an dem Rhythmusschema. sei also kreativ! Kein Mathelehrer wird dich prüfen ob du streng in jedem Takt dem Schema gefolgt bist :D. Mach es wie die meisten Komponisten und benutze das Rhythmusschema in den allerersten Takten (max bis zum zweiten Takt). Danach weiß jeder welcher Tanz gemeint ist und du kannst dich vollkommen frei bewegen. Deute vielleicht noch ein paar mal das Schema an und gut is.
4. Beachte noch zusätzlich was ich vorher über die Notation gesagt habe.

Das Rhythmusschema ist die unwichtigste, freieste Regel von allen. Alle anderen müssen unbedingt eingehalten werden.
Du kannst guten Gewissens mit diesen vier Regeln komponieren.

*Sorry hab noch was vergessen
5. Versuche die jeweilige Stimmung einzufangen. Eine Sarabande ist ernst und ein Menuett ist majestätisch. Ein Siciliano ist pastoralen Inhalts..
 
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Du darfst meine Fragen diesbezüglich nicht falsch verstehen, auch wenn sie eventuell etwas verwzeifelt wirkten. :) Ich bin von strenger Überzeugung, dass ich nicht vernünpftig und glaubwürdig mit etwas arbeiten, gar erschaffen kann, wenn ich nicht verstehe was ich tue. Dementsprechend benötige ich dieses Wissen, weil ich sonst auch niemals zufrieden mit dem sein kann, was ich letzten Endes als Produkt habe. Ratespiel lohnt sich einfach nicht.

Unter anderem unterrichte ich auch. Und ein paar meiner Schüler sind auf dem besten Wege früher oder später sowas zu lernen. Da will ich dann nicht mit fettem Fragezeichen im Gesicht darstehen. :D

Jedenfalls hat deine Antwort wieder geholfen. Dann ist es letzten Endes ja doch so, wie ich vermutet hatte. Praktisch wie das tonale Zentrum, dass man ab und an festigt, so setzt man auch das Rhytmusschema ein. Natürlich in anderem Maßstab.

Plötzlich erscheint es doch allzu logisch... ich liebe diese "AHAAAA"-Momente der Musiktheorie. :D
 

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