Form: 1. Teil Stimmvorstellung, 2. Teil Stimmverflechtung

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MurKuh
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Hallo!
Gibt es eine klassiche Form (bei eher kleinerer Besetzung), bei der in einem ersten Abschnitt bzw. Satz zunächst verschiedene Stimmen bzw. Themen "vorgestellt" werden, ohne dass diese großartig aufeinander eingehen?
Im zweiten Abschnitt werden diese Stimmen dann quasi zusammengeführt und nehmen auch mehr bezug aufeinander.
Viele Grüße!
 
Eigenschaft
 
Hi,

wie wäre es mit einer Sonatenhauptsatzform?

Einleitung

Exposition:
1. Thema (Tonika)
Überleitung
2. Thema (Dominante)
Schluss

Durchführung (Hier treffen beide aufeinander)

Reprise
1. Thema (Tonika)
Überleitung
2. Thema (auch Tonika)
Schluss

So sieht das Ganze im streng-klassischen Sinne aus. Allerdings wurde bereits ab Anfang des 19. Jhds. (1810/1820) ordentlich dran rumgeschraubt, gedehnt, gebogen, so dass spätestens in der Spätromantik abgesehen von Themenvorstellung und Durchführung alles recht frei gehalten wurde.

Hör Dir einmal jeweils die 1. Sätze von diversen Sinfonien an. Beginne mit Haydn über Mozart, Beethoven, Brahms, zu Bruckner und Mahler ... und darüber hinaus.

Ist schon recht spannend, den Wandel mitzuverfolgen.

Es gibt einige passable Bücher:

Formenlehre Compact, Heinz-Christian Schaper (Schott)
für die Hosentasche oder das Schwimmbad

Formenlehre der Musik, R. Stöhr
Antiquariat (aber unschlagbar)

Formenlehre der Musik, Clemens Kühn (Bärenreiter)
gut gemacht (das Ding zwischen den beiden oberen)

Ich hoffe, ich konnte Dir ein wenig helfen :)
 
Also wer ein paar Haydn Streichquartette, oder Clementi und Mozart Sonaten analysiert hat, wird feststellen, dass der Seitensatz häufig aus dem Hauptsatz abgeleitet ist.
Wunderbar zu sehen ist das in den frühen und mittleren Streichquartetten von Haydn, wo der Seitensatz manchmal fast mit dem Hauptsatz identisch ist.

Auch Clementi (ein sehr unterschätzter Komponist) arbeitet, wie später Brahms, gern mit einem Motiv, aus dem ein ganzer Kopfsatz entstehen kann.
Wenn ich mich nicht irre, dann ist es entweder die g-moll oder d-moll Sonate mit langsamer Einleitung, in welcher man am ehesten sieht, wie aus einem zweitaktigen Gebilde ein gesamter Kopfsatz entstehen kann.

Übrigens wurde auch schon in der Wiener Klassik ordentlich an der Sonatensatzform rumgeschraubt. Das fällt vor allem in den Sinfonien auf, oder auch bei Streichquartetten. In einer Exposition steckt häufig mehr als nur 1. Thema, Überleitung, 2. Thema und Schluss.

Somit würde ich nicht bei der Sonate suchen, wenn es darum geht verschiedene Themen zu wählen, die nicht aufeinander eingehen.
Vor allem bei Brahms und bei Beethoven wissen wir, dass sie aus ganz wenig Material ganz viel Musik machen können, die sich innerhalb ihrer formalen Grenzen entsprechen.
 
Von wegen "an der Sonatenhauptsatzform rumgeschraubt".
Soweit ich weiß ist die Sonatenhauptsatzform nur ein Konstrukt, das sich ein Musiktheoretiker (ich weiß nicht mehr welcher) nach der großen Zeit der Sonaten/Sinfonien ausgedacht hat, um die Gemeinsamkeiten, die fast alle dieser Werke haben, zu beschreiben bzw. um diese Werke besser analysieren zu können. Beethoven und Co hatten also gar nichts an dem sie "herumschraumen" konnten, sondern die Regel wurde im Nachhinein aus ihnen abgeleitet.
Da ist es klar, dass es einige Ausnahmen gibt (die ja bekanntlich die Regel bestätigen), deswegen halte ich es auch für falsch sich Zwanghaft an diese "Regel" zu halten, wenn man es gerne ein wenig anders machen würde.
 
Für den angehenden Musikinteressierten sind diese Formen mehr als hilfreich, weil man aus ihnen schon einen großen Kern der gesamten Sonate bilden kann.
Heinrich Christoph Koch ein Zeitgenoße Mozarts und Beethovens, war der erste der diese Beobachtung und auch schon einige Fachbegriffe in seinem "Versuch zur Anleitung einer Composition" eingebracht hat.
Somit können wir durchaus davon ausgehen, dass schon während der Zeit der Sonaten und Sinfonien Regelwerke verfasst wurden, die aber, und das macht Koch so sympathisch, eben doch nur "Versuch" heißen.
Die Rede von Sätzen, Einschnitten, Halbschlüssen, Absätzen, Expositionen finden wir alles schon in Kochs Buch.

Wer es gerne anders machen würde, der braucht sich dann gar nicht mit der Sonate zu beschäftigen, aber wer die Musik der Zeit verstehen will und sie originalgetreu als Stilkopie reproduzieren möchte, der wird bessere Ergebnisse erzielen, wenn er sich an historische Quellen und Anleitungen hält.

Also Vorsicht mit Halbwahrheiten, wen es interessiert, der kann ja mal einen Blick in das Buch werfen, glücklicherweise gibt es inzwischen auch eine in Druckschrift erschiene Ausgabe, allerdings immer noch in der damaligen Rechtschreibung.
 
Was mache ich mit einem musikalischem einfall?
Präludien: eine spielerische figur wird durch das ganze stück hindurch beibehalten, wobei es durch viele modulationen geht, vor schluss eine kadenz
Fugen: werden regelgerecht durchgeführt mit einem "Dux und comes" oder als doppelfuge mit zweien
Tanzsätze in suiten, auch die sonaten von Scarlatti u.a.: 2teilig, wobei der 1. teil in der dominante endet, im 2. gehts nach einigen moduationen zurück zur tonika

Als der bedarf an längeren instrumentalstücken wuchs, die perücke altmodisch wurde und mit ihr die "zopfige" kontrapunktische und galante musik, das klavier, die "modernen" instrumente und damit das klassische orchester sich gegen "basso continuo" durchsetzten, man dem philosophischen monismus (ein gott, eine religion, ein fürst, eine krönende kuppel) und musikalischer mono-thematik das dialektische prinzip entgegensetzte, entstand die sonate in ihrer bekannten form (vorher konnte jedes instrumentalstück so heißen wie bei Gabrieli und Scarlatti)
Neu ist dabei der kontrast von themen und deren motivische verarbeitung. Dabei herrschte weitgehende freiheit, manchmal sind die formteile deutlich abgegrenzt, mal versteckt. Mehrere sätze, auch sie kontrastieren, führten zu der gewünschten länge, die letzten sonaten von Schubert dauern fast eine stunde, er beginnt gleich nach dem thema mit dessen durchführung und leitet dann zum nächsten über.
Beethoven sprengt die formale tradition mit seinen Phantasie-Sonaten (ab op.26), er folgt da einer poetischen idee und deren dramaturgie (sturm - lied des Ariel - dessen befreiung,, tanz und rückkehr in die elemente, op.31.2) oder "Macbeth" mit dem zaudernden "helden", dem energischen weiblichen "Lady"- prinzip, der katastrophe - den geistererscheinungen und dem langen, gespenstischem vorbeimarsch der nachkommen Banquos. Mit "attacca" verbindet er zusammengehörige szenen, aber immer "mehr empfindung als mahlerey". Ein "programm" gibt er nur in der 6.sinfonie, und die Wagnersche interpretation der 7. als apotheose des tanzes liegt eben so falsch wie der beliebte mondschein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich meinte auch nicht, dass es keine gute Idee ist sich der Sonatenhauptsatzform als Vorlage zu bedienen, sondern dass man sie nicht in ihrer "reinen Form" als Zwang für eine Komposition einer Sonate/einer Sinfonie sehen muss. Tut mir Leid wenn ich mich etwas uneindeutig ausgedrückt habe.
 

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