Factory Tour bei C.A. Seydel Söhne

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Hallo Mitreisende,

wer sich anschauen möchte mit welcher Liebe und von wem die Seydel- Instrumente gemacht werden:

Immer Mittwochs um 14.00 Uhr vor den Türen der Mundharmonika- Manufaktur werdet ihr abgeholt und durch die Produktion geführt.
Keine Extra- Anmeldung nötig, einfach pünktlich in Klingenthal vor der Tür stehen:

C·A·SEYDEL SÖHNE GmbH
Robert-Koch-Strasse 1
08248 Klingenthal

Dann habt Ihr auch diesen Ausblick


Ich werde am 29.06.2016 dort sein und berichten!

@Ippenstein :
Danke für die Insiderinformation :great:
Ich habe sie heute noch mal telefonisch verifiziert, weil auf der Homepage

http://www.seydel1847.de/epages/Seydel1847.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/Seydel/Categories

nichts näheres zu finden ist.

Bis bald an dieser Stelle mit Inhalten

Micha
 
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... weil das, nach kurzer Recherche, der erste Bericht über einen Werksbesuch im Board über Seydel wird:

Habt ihr Fragen, welche ich für Euch mitnehmen kann?

Gerne hier reinposten und mal sehen, was wir wieder aus Erster Hand erfahren können.
 
Factory- Tour C.A.Seydel
Klingenthal, 29.06.2016

So, nun ist das Material sortiert und auf geht es!
Kommt mit, in die älteste Mundharmonikafabrik (Manufaktur) der Welt.

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Seydel ist im hier und heute. Am stetigen Wachsen und Neuentwickeln. Sie erobern sich Märkte, genauso wie Endorser. Es braucht nicht viel auf alten und vergessenen Erfolgen herumgeritten werden, um Faszination zu produzieren. Die Nachwendezeit ist genauso vorbei, wie die Krisen nach den Weltkriegen und was sonst so in den letzten 170 Jahren in der Weltwirtschaft passierte.

Trotzdem kamen mir während des Rundganges einige Déjà-vus zum Steinway- Besuch in Hamburg.
Aber dazu später mehr.

Wie beim Start der Factory- Tour einen kurzen Abriss der langen Geschichte.

http://www.seydel1847.de/epages/Sey...=/Shops/Seydel/Categories/About_us/Geschichte

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mit freundlicher Genehmigung von www.seydel1847.de

Die groben Fakten bis heute
Ursprünglich im Böhmischen zu Hause, wechselten die Mundharmonikabauer der Ersten Stunde die Seite des Berges und kamen ins sächsische (und protestantische) Vogtland. Es gab so einigen Streß mit der katholischen K&K- Monarchie, so das die Umstände in und um Klingenthal besser erschienen.

Das war der Anfang des Musikwinkels, des „Musicon Valley“. Eine Konzentration von Instrumentenbauern, mit der bis heute eine komplette Orchestergrabenaustattung im Umkreis von zehn Kilometern hergestellt wird. Bis auf Trommeln vielleicht, dafür aber mit Gitarren, Mandolinen, Akkordeons – und eben Mundharmonikas.

Das von genau hier aus ein gewisser Herr C.F. Martin oder welche von der Familie Wurlitzer weiter in die "neue" Welt zogen, ist eine andere interessante Geschichte.

http://erlebniswelt-musikinstrumentenbau.de/

Nachdem um 1830 im Erzgebirge der Bergbau nicht mehr so lief, gründete Christian August (daher das C.A.) Seydel um 1847 mit seinem Bruder die Mundharmonikafabrik in Klingenthal. Zu den Besten Zeiten machten das auch rund 40 Andere „amtlich bestätigte Mundharmonikamacher“.

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mit freundlicher Genehmigung von www.seydel1847.de


Einige Krisen und Kriege später wurden, wie bei der Akkordeonfraktion, diese Betriebe 1949 per Erlass ein Teuhandbetrieb und 1953 zur Vermona (VEB Harmonikawerke). Bis zur Wende produzierten nun ca. 400 ArbeiterInnen die Harps, welche eher in Kilo als in Stück abgerechnet wurden. Die Parallelen und Methoden der Regierenden ab 1990 sind erkennbar, nur das es dann genau anders herum ging und wieder „Seydel“ auf den Schalldeckeln und im Amtsregister stehen konnte.

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Toll, aber Geld verdienen war schwierig.

Das in Klingenthal richtig gut getüftelt wird, kann Euch @Ippenstein bestätigen. So wurde mit der gewonnen Zeit, weil die aktuellen Kunden nichts mehr kauften und zum Glück keine McKinseys oder Controller nach Klingenthal fanden, die zukünftige Marktnische der Sonderstimmungen aller Art (Customizing) entdeckt. Und 2004 erst mal Insolvenz angemeldet.

Das, was wir heute als Seydel sehen, wurde unter Lohnverzicht und Können in dieser Zeit ausgetüftelt. Neue Verfahren/ Materialien für die Kanzellen, Pläne und Werkzeuge zu ergonomischen Schalldeckeln und Stimmplatten die weit über den bis dahin üblichen Tonraum hinausgingen.

Mit dem Neustart 2005, wird der Markt mit Custom Shop Qualität und Handarbeit zeitgemäß angepackt.

In einer Zeit, als Industrie und Politik von zu hohen (Produktions)- Kosten in Deutschland jammern und ihre Arbeiter im Interesse der Aktionäre nach China auslagern, etablierten die Vogtländer ihren Weg der Qualität und Sonderstimmungen ab Werk und ganz "schräges" auf Wunsch. Im Unterschied zu den Jahren davor, nun mit der richtigen Kundenansprache, Direktvertrieb und vor Allem einem bis hierhin neu erworbenen Ruf. Billig und Masse wurde schon produziert, so das diese Markterfahrung abgehakt werden konnte.

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So stand ich 2006, unwissend um das Alles, schon mal vor dieser Tür und raubte von den damals gerade 17 Beschäftigten, einem seine Mittagspause. Ich erstand meine erste Harp direkt hier im Lager. Welche ich an einen guten Freund verschenkte.

Klingenthal 2016

Zehn Jahre später. Mir passiert das nicht noch mal!

Mit eben jenem Freund folgte ich Ippensteins Tipp und meiner Telefonrecherche und drückte Mittwochs, zehn vor Zwei aufgeregt den Klingelknopf.

.... da kommt noch was ... :)
 
Grund: irgendwas ist immer
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Vorrunde

Wie bei den anderen Besuchen unserer Reise, war die Führung exklusiv für uns. Zum Glück bog kein Reisebus in letzter Sekunde um die Ecke.

Damit konnten wir die Freundlichkeit aller voll ausnutzen und in Ruhe Fragen stellen und alles für Euch Knipsen. Wer auch immer Zeiten plant… mit Feldreportern vom Musiker- Board wird es garantiert länger dauern. Egal. Die Mittagspause sollte nun vorbei sein und bis zum Schwatz die Straße runter bei Ippenstein und Lisa

http://www.die-akkordeonwerkstatt.de/wer-wir-sind/

ist es noch hin.

Nur mein Fotoapparat ist schwach auf der Brust und hält die Stromtiere nicht mehr ordendlich beisammen. Hoffentlich bekomme ich genug Bildmaterial zusammen!

Freundlich empfangen von Florian Stark (Ansprechpartner für den Fachhandel (außer USA & Kanada), konnten wir uns im Präsentationsraum in Ruhe inhaltlich aufwärmen. Erste Parallele zu Steinway. Nur das Florian, im Gegensatz zu Jörg von Steinway, sein Studium gerade erst durch hat. Schätze ich mal so….

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mit freundlicher Genehmigung von www.seydel1847.de

Hier steht die von Messebildern bestens bekannte Vitrine. Bestückt mit den aktuellen Schätzchen und der Jubiläumsharp aus massivem Silber und Bubingakanzelle.

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Eine von 160 Stück:

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An den Wänden hängen 170 Jahre gesammelte Harp- Deckel mit einigen Kuriositäten. Ich fühle mich wie ein fünfjähriger im Bonbonladen. Anfassen und begrabbeln ist aber noch nicht! Wir werden in ca. 90 (geplanten 60?) Minuten hier wieder hin kommen…

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Zum Start erzählt Florian etwas über die Geschichte der Mundharmonika und in Klingenthal speziell. Das hab ich nun schon oben abgehandelt und wir können jetzt direkt in den sehr schönen Film zur exklusiven Stahlstimmzunge und Seydel an sich einsteigen:



Außer der (saugeilen) Hintergrundmusik bekommt ihr einen schönen Vorgeschmack darauf, was es zu sehen gibt.



Die Mitwirkenden im Film sind alle auch die Macher dort. Es läuft dort im Prinzip wirklich so, bis auf evtl. die Eingangsszene mit Karl Pucholt. Früherer Betriebsleiter und heute „Mastermind“ hinter allen aktuellen Entwicklungen, besonders den Stahlstimmzungen.

Wir erfahren, das die Produktionsvolumen der „traditionellen chromatischen “ und die Blues- Harps die Rollen getauscht haben. Die weltweite Bedeutung der Bluesharp in Richter- Stimmung (intern auch Haidaer genannt) ist größer als die der Chromatischen Modelle für die bergländische und seefahrerische Volksmusik Mitteleuropas.

Shopping Tipp:
Alle Schachteln mit dem "1847"- Schriftzug, weisen auf die Stahlstimmzungen im Instrument hin.

Fakten / Beruf und Eindrücke

Von seinerzeit 17 in 2006 ist die Mitarbeiterzahl kontinuierlich auf heute 32 gestiegen. Ein Azubi und Student sind auch angestellt. Ausbildungsberuf ist der Handzuginstrumentenmacher/innen. Die Berufsschule ist in Klingenthal.

http://www.instrumentenbau-klingenthal.de/Berufe/berufe.html

Die Weiterentwicklung zum Meister ist bei so einem traditionellen Beruf natürlich möglich.

http://www.biv-musikinstrumente.de/

Wie fast überall im Musikinstrumentenhandwerk gibt es hier keine tariflichen Gehaltsvorgaben (außer den Lehrlingsentgelten). Der Entgeltatlas vom Arbeitsamt gibt für Sachsen nicht mal Orientierungswerte aus, mangels Datenbasis. Das liegt wohl an der überwiegenden Selbständigkeit in diesen Berufen.

ABER: ALLEN denen wir auf die Finger schauen konnten (und es waren alle) waren sehr nett zu uns, erklärten freundlich ihre Arbeit und nahmen sich soviel Zeit wie gewünscht für uns.

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Überhaupt ist im Werk ein sehr entspannter Umgang miteinander! Kein hektisches Gekeule gegen die Uhr oder gestresster Blick ist zu spüren gewesen. Das haben uns alle anderen im Ort (und da sind Geschichten schneller rum, als wir den Aschberg rauf) auch so bestätigt.

Ich hab mich dazwischen pudelwohl gefühlt und habe ernsthaft an Umschulung gedacht. Das ging mir aber die ganze Woche (weniger bei Warwick) so. Wird evtl. noch wer in der Buchhaltung gebraucht? Ich kann alles…. :D

....
 
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Nun aber wirklich: ab in die Manufaktur!

Die Produktionstiefe ist enorm. Alles Metall (bis auf die Schrauben) wird vom flachen Edelstahlblech (Gehäusedeckel, Stimmplatten) oder von der Rolle (Stimmzungen) komplett in allen Arbeitsschritten im Werk bearbeitet!

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Einzige Ausnahmen sind die Kanzellenkörper, welche es aber auch nicht weit haben. Im Umkreis von 10 Kilometern werden die Kanzellen im Druckgußverfahren (Kunststoff); Waterjetschnitt (Aluminium) oder per Laserschnitt (Holz) ebenfalls im Vogtland hergestellt.

Das hat durchaus Tradition und konnte ich auch Tags vorher beim Gitarrenbauer Torsten (und Friederike) Preuß

http://www.preussguitars.de/deutsch/werdegang.htm

so erfahren, der seine Zulieferer auch in Fußweite seiner Werkstatt hat.

Erste Station, Treppe runter,

stehen Stanzen und Fräsen.

Von neu und Programmgesteuert bis aus den späten Gründerjahren der Fabrik stehen die Werkzeuge und Maschinen einträchtig nebeneinander. Leider ist so ungeschickt eingeräumt, das Beides nicht auf ein Bild passt. Es wird schon seine organisatorischen Gründe haben….

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Das Grobe und Laute bei Stimmplatten und Stimmzungen

Die Stimmplatten werden aus Edelstahlblechen mit einer Excenterstanze ausgestanzt. Die Maschine mag in der Anlagenbuchhaltung schon raus sein, aber alles funktioniert bis aufs Hundertstel.

Zwei hundertstel zwischen Stimmzunge und Stimmplatte , um genau zu sein, ist beim Zusammenbau das Idealmaß.

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Ergebnis: Stimmplatten. Hier die Mustertafel:

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und frisch produzierte neben Musterkanzellen zum Maß nehmen zwischendurch:

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Alle Maschinen wurden mit Schutzgittern um rotierende Antriebe und mit aktuellen Sicherheitseinrichtungen nachgerüstet. Die Anleitungen sind komplett und in Griffweite angebracht .

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Highlight hier unten ist die Horizontalpresse aus dem Jahr 1876. Auch heute geht JEDE Stimmplatte hier durch und erhält ihre Löcher. Nur falls sich jemand mal fragen sollte, wer wie die Löcher da rein macht.

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Änderungen in der Zeit:

Ähm… die Transmissionscheibe und Riemen wurden durch einen Elektromotor ersetzt. Irgendwann mal.

Da geht jedem Werksschlosser das Herz auf! Mich befallen nostalgische Gefühle aus meiner Lehrzeit im Messgerätebau.

Es ist schon der Hammer, das die innovativsten Stimmplatten der Welt durch diese Maschine gehen. Alles eine Frage des Werkzeugs und der Werkzeugbauer(können) eben. Damit ist Florian schon voll im Thema und erklärt uns geduldig die Werkzeuge und die Arbeitsschritte damit.

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Mein zweiter Flashback zu Steinway und volle 10 Traditionspunkte mit Sinn in der Produktion.

Die "Streifen" aus denen später Stimmzungen werden, werden alle mit einer Präzisionsfräse ebenfalls aufs Hundertstelmillimeter genau in Stärke gebracht.

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Dabei wird der Schnitt genau auf die Länge der Stimmzunge gesetzt.
Gut zu erkennen ist, das die Breite des Streifens genau die Länge der Stimmzunge ist.

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Wie, ist in Action in diesem Film gut zu sehen (bei 0:40). Achtung Spoiler Alarm!



.... wieder so ein coole Musik dahinter....:cool:

Ziel ist später, das möglichst NUR an der Spitze der Stimmzunge hochgestimmt werden muß. Ein Tieferstimmen am „Fuß“ geht auf die Lebensdauer, weil Materialabtrag an dieser Stelle die Stabilität beeinträchtigen könnte. Folge: früherer Stimmzungenbruch.

Der Trick runterzustimmen per Materialauftrag an der Spitze und runterfeilen erübrigt sich angesichts des Bades in Millionen von neuen Stimmzungen.
Danach werden die Stimmzungen aus den „Streifen“ ausgestanzt.

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Wegen eventuellen Dsiksussionen:

Die Stahlstimmzungen haben natürlich ihre eigenen Werkzeuge. UND... haben die exakt gleichen Maße wie die aus Messing. Damit können alle Kanzellen und Stimmplatten mit Edelsthlstimmzungen bestückt werden.

Insiderwissen:

Nachbestellte Ersatzstimmplatten gehen grundsätzlich NUR mit Edelstahbestückung raus. Also ein günstiges Upgrade für heisere Modelle in Euren Schubladen! Zitat Florian: "So hält alles länger. Und wenn die Zungen vorher nur drei Monate hielten, reicht es jetzt locker für ein Jahr. Ist doch gut für den Kunden!"

....

Ach ja: Bitte nicht verzweifeln, wenn auf den Fotos teilweise andere Maschinen zu sehen sind, als in den Filmen. Bei ehemals 400 Beschäftigten, gibt es genug Backupmaschinen, welche in die Produktion vorrücken könnten.

Die Präzision kommt hauptsächlich aus den Werkzeugen und erfahrener Arbeiterhand.

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Damit kommen wir zu den sichtbaren Teilen….

Die Deckel

Edelstahl. Richtig! Erst mal in einer Excenterpresse ausstanzen. Danach gibt es die schöne Prägung, wo schon die Werkzeuge die Handwerkskunst und meinen Souvenirdrang zeigen.

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Das Werkzeug:

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und die Spuren von den Werkzeugbauern... was sonst als Per HANDnotiz:

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Schlußendlich werden sie in ihre Dreidimensionale Form gepreßt. Und schon purzelten wieder Fragen aus uns raus.

Zusammenfassende Antwort:

„Nach Jahren hat man ein Gefühl für die HANDspindelpressen!, den richtigen Druck aus dem Handgelenk – um eine schöne Prägung zu bekommen und den Deckel zu formen. Auf keinen Fall mit Gewalt zerquetschen oder zu lasch gemacht, nur ein verbogenes Stück Blech, aber keine passende Form zu bekommen.“

Zu schön, diese Werkzeugregale! Und? Schon das eigene Modell entdeckt?

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Schon gewußt(?):

Die Deckel der Sommer Collection sind nicht nur schnöder Edelstahl, sondern versilbert.
Also nicht an aggressive Spucke glauben, wenn da was anläuft.

....

Ich bekomme auch immer meine „fünf Minuten“ zum Knipsen. :great:

....
 
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Wieder die Treppe hoch in die ruhigen Bereiche der spitzen Ohren.

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Auf dem Weg hängen, wie bei Steinway, zufriedene Blueslegenden an der Wand (deren Bilder!).

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Montage und Stimmen

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Nun sind wir dabei, wie Stimmplatten und Stimmzungen per Niet zusammen finden. Micha wird mutig und geht mit der Knipse immer näher auf die Hände. Nichts von Nervosität zu spüren.

„Ja. Gerne. Kein Problem. Soll ich noch mal?“

Ich bekomme alles extra langsam gezeigt und meine Standbilder dazu.

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Ganze Wände sind hier mit winzigen Schraubenschachteln, Stimmzungen aller Modelle und Ausführungen, tapeziert. Ob einem Lehrling hier schon mal was runtergefallen ist? Ich mag nicht dran denken, das wieder richtig einzusortieren…

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Mit Farbsystem und lückenloser Beschriftung wird alles vorgehalten, was der Kunde sich wünscht und physisch machbar ist. Letztere Grenze wird am Aschberg immer wieder neu ausgelotet und macht neben den Stahlstimmzungen einen großen Teil der Neuerungen aus.

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Zurück zum Nieten…

Hier wird noch nicht „Endfest“ genietet. Obwohl der Löseabstand und Sitz der Stimmzungen in meinen Augen perfekt ist, kommt die wirkliche Feinjustierung später. Mit geübten flinken Fingern wird JEDE Stimmzunge angezupft, zurecht gerückt wenn noch nötig. Am gezupften Klang werden schon unpassende erkannt, aussortiert oder korrigiert.

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Wer möchte, kann gern mitzählen wie oft jede dieser winzigen Stimmzungen und Niete in die Hand genommen wird. Ich komme am Ende der Tour auf bis zu acht mal.

Wobei in sechs dieser Schritte Klang und Stimmung entstehen, bzw. mit gelerntem Ohr geprüft werden.

Insiderwissen:
Die komplizierteren Mundharmonikas der Volksmusiker und Shantys bringen es auf ca. 200 Teile je Instrument.

Am nächsten Platz werden fitzelige Folien (Ventile) AUF Stimmzungen gebracht. Jede einzeln perfekt mit Hand gesetzt. In routiniertem Tempo. Zehn je Stimmplatte. 20 Je Bluesharp.

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Wie bitte??? Bluesharp mit Ventilen?? Ja: Die besonders tiefen Stimmungen (noch so eine Seydel- Spezialität) werden zur besseren Ansprache und Dichtheit Ventiliert. Auch bei diesem Arbeitsgang nur staunen.

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„Sie machen dann so alle halbe Stunde Pause bei dem Kleinkram, oder was Anderes?“
„Nein. Eigentlich mache ich NUR das. Eine viertel Stunde Frühstück und Mittag dazwischen.“

„Wie finden Sie immer die richtigen Ventile?“ (Jede Stimmzunge hat naturgemäß eine andere Länge.)
„Ich fertige mir die Ventile an und sortiere sie in die numerierte Box. Fehler beim Setzen lassen sich schnell beheben, sind aber selten.“

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Fertig:

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„Ähm… kann ich das bitte noch mal sehen? In langsam bitte? Kurz mal so halten, knips ….!“
Alles kein Problem, obwohl wir Urlauber mit unserem lockeren Plausch jeden von der Arbeit abhalten.

Aufgefallen: Alle tragen Seydel- Shirts mit sichtlicher Selbstverständlichkeit und Stolz.

Dann kommen alle Stimmplatten fünf Meter weiter, an das kuschelig beleuchtete Ende der Halle.

Draußen eitel Sonnenschein und jede Menge Aussicht mit Bergen und Wald. Drinnen alle Rollos unten und ein heimeliges Licht hinter dem Stimmplattenhalter.

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An diesem Platz wird der korrekte Sitz JEDER Stimmzunge geprüft und wenn nötig korrigiert. Durch das Hinterleuchten erkennt die erfahrene Mundharmonikabauerin per scharfen Auge die geforderten zwei hundertstel Abstand Stimmzunge zur Platte. Irre. Schnell NOCH MAL und eben so den Löseabstand JEDER Stimmzunge angezupft. Mit Pinzette und „Zahnarztwerkzeug“ den Löseabstand eingestellt, Hingehört, ein gezielter „Schlag“ mit dem Hämmerchen. Perfekt. Und endfester Zustand der Vernietung.

Das Feinstimmen

Extra für uns, damit wir genau diese zwei Stimmplatten verfolgen können, wird der Stimmplatz im Kämmerlein (so drei Quadratmeter) umgerüstet.

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Per Gebläse wird JEDE Stimmzunge gemeinsam mit der eingespannten Referenzplatte (oben) angeblasen.

Diese Referenzplatten werden ständig von mehreren Feinstimmern nach Gehör justiert und kontrolliert. Jetzt höre auch ich mal einen Unterschied. Der Ton schwebt. Kurz eine Lehre untergelegt, winzige gezielte Striche mit einer noch winzigeren Feile. EIN Ton. Nächste Stimmzunge.

Nach ein paar Minuten, mit wieder in extra langsam für unsereins und Small Talk dazu, sind die zwei Stimmplatten fertig feingestimmt. Nach Gehör. Das Stimmgerät daneben am Platz wird mit keinem Blick bedacht.

„Lernt hier jeder das Stimmen?“
„ Ja!“
„ Jeden Tag?“
„Nicht direkt, aber nur durch Machen!“

Tja, wieder so ein Steinwaymoment…

Jetzt wird mir klar. Mit Streß, Hektik und Ärger würde beim Feinstimmen nur Murks rauskommen. Die Tagesformen von Mensch und Material diskutieren wir ja reichlich im Board… Hinterher kam mir noch die Frage, was man bei einer Erkältung macht? In den Keller an die Pressen? Naja, etwas Geheimnisvolles möchte ich mir hier noch bewahren.

Stichprobenartig drehen jetzt einige Stimmplatten jeder Charge/Schicht(?) eine Sonderrunde am mit Elektronik und selbst gefertigter Meßsoftware ausgerüsteten Arbeitsplatz.

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Nun wird das Innenleben montiert. Die Stimmplatten werden geschickt (per Hand) zusammengesetzt und auf die Kanzelle geschraubt. Die Holzkisten zum Stapeln erinnern mich…. Genau! 100% die gleichen wie im Klingenthaler Museum! Gute Arbeit von vor über 100 Jahren.

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Treffen tun sich alle wieder bei der Endmontage der Deckel.

Jetzt alle ganz tapfer sein:

ALLE neuen Harps sind schon mal gespielt worden. Nix mit jungfräulichem Anblasen nach dem Auspacken!

Die Routine läuft folgendermaßen und ist der letzte Schritt des Stimmens:
JEDER Ton wird angeblasen und gezogen. Dann wird mindestens ein Akkord und eine Terz(!?HILFE?!) gespielt.

„Das fertige INSTRUMENT MUSS in sich klingen und stimmig sein. Da ist es egal, ob vorher die Einzelparameter passten. Damit wollen wir nur sicher stellen, das am Ende nur wenig korrigiert werden muss.“

Evtl. noch etwas am Löseabstand gepusselt, putzen, Deckel drauf.

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„Dieser Schritt, von einem Menschen angespielt werden, ist sehr wichtig, weil wir dabei eine Einstellung finden, die auf 98% unserer Kunden passt. Danach muss sich kein Kunde mit schwer ansprechenden, zum Verklemmen neigenden Zungen oder gar Undichtigkeiten beschäftigen."

"Wer atmet schon wie die Kompressorluft vom Stimmplatz? Die Beste Einstellung oder nichts geht raus“.

„Werden auch die bunten Triolas angespielt?“
„Selbstverständlich. Auch die Triola ist ein feingestimmtes Instrument mit voller Oktave und None. Aber wegen der guten Strömungsverhältnisse können wir bei ihr mit Druckluft arbeiten und es passt. Die Kinder müssen doch ihr Gehör erst bilden. Gerade bei den Kleinen ist ein gut gestimmtes Instrument wichtig.“

Kommt mir aus Hamburg und New York bekannt vor… „To build the best XXXXX….” Und ich dachte das gilt nur für schwarze Ungetüme zum Preis eines Eigenheims.

Schutzfolie vom Deckel ab, noch mal (mit Hand) polieren und ab in die Box und via Lager zum Kunden.

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Treppe runter…. NICHT so schnell!! Der Chef, Lars Seifert, hat noch einen Gruß und Lächeln in die Kamera fürs Musiker Board. Danke!

Tja 90 Minuten sind fast rum und mein Urteil steht: Wir sind gerade beim Steinway der Mundharmonikas durchgelaufen. Obwohl… Seydel gibt es schon länger…

Nichts mit vorne Blech reinschütten und hinten kommen Instrumente aus dem CNC- Automaten.
ALLES hier wird per Hand, Gehör und mit viel Herzblut gemacht und ist ab 25 Euro das Stück zu haben.

Nämlich mein Souvenir (neben der eingeheimsten Stimmzunge): eine BigSix Blues.

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Mir fehlt noch eine Seydel mit Holzkanzelle, sag ich mir… und schon steckt die freche Blechbüchse mit der in meinen Augen „abgesägten Schrotflinte der Blueser“ in der Handtasche meiner Begleitung.

Die ersten sechs Kanäle einer Bluesharp, mit Stahlstimmzungen… und knallt ordentlich los.
Sieben Zentimeter purer Sound & Blues.

Aber Halt! Florian hat noch was Besonderes für uns Männer. Wir können die tiefst gestimmte Harp der Welt anspielen. LL- irgendwas. Cool! Ganz schön dick der Brummer. Sie springt super schnell beim kleinsten Luftstrom an. Der Ton entwickelt sich… und… Nebelhorn der Queen Mary II im Hamburger Hafen! Die Harp vibriert im Mund und überträgt sich auf die Hände und weiter. Muss ich unbedingt noch einen passenden Song drauf schreiben…

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Und vorbei. Danke an Seydel für die Möglichkeit! Meine uneingeschränkte Empfehlung habt ihr und wir reden von einem wertvollem Instrument in unserer musikalischen Welt, das ein Zehntel von einer mittelmäßigen Gitarre kostet.

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Wer kann, sollte ruhig Mittwochs um zwei dort klingeln. Nette Vogtländer und höchst interessante Gespräche mit Einblicke in eine Manufakturwelt, welche es so nicht noch mal gibt auf der Welt. Es ist den Weg wert, nicht auf anderen Kontinenten und es wird deutsch gesprochen.

Danke! Micha

....
Falls noch Fehler zu korrigieren sind oder ich musikalischen Blödsinn verzapft habe:
Her damit. Am Besten, so lange Edit noch wach ist ;-)
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
Nachklapp:

Während des Sortierens, Recherchierens und noch mal bei Florian wegen vergessener Details anrufen bin ich meinem "Harpwerdegang" noch mal nachgestiefelt. Etwas Material, das evtl. nicht direkt in den Werksbesuch passte, aber für mich zur Geschichte dieser Reise gehört...

Mein persönlicher Kreis beginnt, das die Seydels Bergleute waren. Wie mein Vater und die meisten Männer, die mich prägten... Mein mitgereister Freund (auch Micha), gebürtig ausm Ruhrpott (Glück Auf). Eben dem habe ich vor zehn Jahren meine erste Harp aus Klingenthal, auf dem Motorrad nach Schleswig mitgebracht.

Kurz darauf bestellte ich mein erstes Exemplar für MICH online bei Igor Flach. Einer Ostdeutschen Blueser- und Harplegende. Wußte ich nur nicht. Damals.

https://de.wikipedia.org/wiki/Igor_Flach

Igor ist ein großer Freund des Hauses Seydel gewesen und Mitinitiator, des jährlich im September stattfindenden Harpfestivals in Klingenthal:

http://www.mundharmonika-live.de/newpage/index.htm

Igor hörte sich am Telefon geduldig meine Anfängerfehler an und half mir von Tonart C zur angenehmeren Tonart G zum Einstieg und empfahl mir die Schule von Chris Kramer.

Was für ein Lied empfängt mich dort im Buch? "Glück Auf, glück Auf,..."

Eben darüber bin ich diese Tage auf sein sehr schönes Projekt "Die kleine Mundharmonika" gestoßen.

http://www.chris-kramer.de/die-kleine-mundharmonika/

Ich hab nun das Buch und eine Seydel Summer Edition geordert, in der Hoffnung diesen Spaß mit der Harp meinem Kleinen näher zu bringen. Naturtalent ist er. Schon mit Zwei hatte er sofort kapiert, das Harp = Atmen ist. Mal sehen.

Vielen Dank an Alle und Grüße aus Hamburg

Micha

Ach ja: Das Meisterstück der Limited Edition hat einen sehr schönen, eigenen Harpsong bekommen:
 
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Da geht mir doch das Herz auf...

Im alten Fabrikflügel von CASS - der auf der anderen Straßenseite, der durch einen Übergang mit dem neueren verbunden ist - war früher unser Proberaum mit der ersten Band. War die wilde Nachwendezeit, als noch keiner richtig wusste, ob und wie es bei CASS weiter gehen wird. Manchmal durchstöberten wir die alten Produktions- und Lagerstätten. Die Fabrik war wie ein großer Abenteuerspielplatz. Möbel, alte Akten, Harmonika-Rohlinge, Werkzeug... Wir hatten sogar eine schöne alte Glasvitrine im Proberaum, weil das wohl der ehemalige Empfangsraum gewesen ist. Die bestückten sie mit einigen edlen (?) Fundstücken. Eine Dreiklang-Harmonika ist heute noch in meinem Besitz... :)
Eigentlich hatten wir zwei Räume. Der hintere wurde unser Proberaum, der vordere der Aufnahmeraum. Wir kauften uns - da waren wir alle gerade mal 20 Jahre alt - für 8.500 DM eine gebrauchte 16-Spur-Bandmaschine, haben die jahrelang abgezahlt und unsere Songs aufgenommen, experimentiert, Spaß gehabt. Nie habe ich bezüglich Band und Proberaum mehr solch eine fantastische Zeit erlebt, wie in der Fabrik von C.A.Seydel & Söhne.
 
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Klasse beschrieben und bebildert, so wird ein Stück Industrie- und Musikkultur am Leben gehalten!
 
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Ein kleiner Zusatz von mir, den ich als gebürtiger Einwohner des Musikwinkels nicht verkneifen kann. Der Grundstein wurde von den böhmischen Geigenmachern nach dem 30-Jährigen Krieg in Markneukirchen gelegt. Also etwa 200 Jahre bevor sich C.A. Seydel in Sachsen niedergelassen hat. ;)
 
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Danke ;-) @bluestime! Es soll schon alles möglichst korrekt sein hier.

Hab mir schon gedacht, das irgendwo in den "alten Details" was lauern kann. :evil:
200 jahre sind auch mit dem adjektiv "grober" Abriss nicht mehr hinzubiegen....

Micha
 
Toller Beitrag; wirklich schön geschrieben! :)

Eine Werksbesichtigung stand schon immer auf meinem Plan; leider kam ich bisher aus unerklärlichen Gründen nie dazu. (Obwohl mein Heimatort nur zehn Kilometer von Klingenthal entfernt ist.)
 
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von den böhmischen Geigenmachern nach dem 30-Jährigen Krieg in Markneukirchen gelegt

Bei der Führung durch das Framus Museum - #15 - wurde berichtet, dass die Produktion immer im "Hinterland" von Markneukirchen war. Allerdings der "Vertrieb" durch die Handelsunternehmen gebündelt aus Markneukirchen stattfand und daher viele glauben, es wurde auch dort produziert.

Gruß
Martin
 
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eben drüber gestolpert, und weil es bei der Tour besonders um die Menschen zur Harp geht, passend dazu:

Ein Film über Karl Pucholt und seinen Sohn bei Seydel:

 
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Sehr guter- & interessanter Bericht!
Danke dafür.
 
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