Wieder die Treppe hoch in die ruhigen Bereiche der spitzen Ohren.
Auf dem Weg hängen, wie bei Steinway, zufriedene Blueslegenden an der Wand (deren Bilder!).
Montage und Stimmen
Nun sind wir dabei, wie Stimmplatten und Stimmzungen per Niet zusammen finden. Micha wird mutig und geht mit der Knipse immer näher auf die Hände. Nichts von Nervosität zu spüren.
„Ja. Gerne. Kein Problem. Soll ich noch mal?“
Ich bekomme alles extra langsam gezeigt und meine Standbilder dazu.
Ganze Wände sind hier mit winzigen Schraubenschachteln, Stimmzungen aller Modelle und Ausführungen, tapeziert. Ob einem Lehrling hier schon mal was runtergefallen ist? Ich mag nicht dran denken, das wieder richtig einzusortieren…
Mit Farbsystem und lückenloser Beschriftung wird alles vorgehalten, was der Kunde sich wünscht und physisch machbar ist. Letztere Grenze wird am Aschberg immer wieder neu ausgelotet und macht neben den Stahlstimmzungen einen großen Teil der Neuerungen aus.
Zurück zum Nieten…
Hier wird noch nicht „Endfest“ genietet. Obwohl der Löseabstand und Sitz der Stimmzungen in meinen Augen perfekt ist, kommt die wirkliche Feinjustierung später. Mit geübten flinken Fingern wird JEDE Stimmzunge angezupft, zurecht gerückt wenn noch nötig. Am gezupften Klang werden schon unpassende erkannt, aussortiert oder korrigiert.
Wer möchte, kann gern mitzählen wie oft jede dieser winzigen Stimmzungen und Niete in die Hand genommen wird. Ich komme am Ende der Tour auf bis zu acht mal.
Wobei in sechs dieser Schritte Klang und Stimmung entstehen, bzw. mit gelerntem Ohr geprüft werden.
Insiderwissen:
Die komplizierteren Mundharmonikas der Volksmusiker und Shantys bringen es auf ca. 200 Teile je Instrument.
Am nächsten Platz werden fitzelige Folien (Ventile) AUF Stimmzungen gebracht. Jede einzeln perfekt mit Hand gesetzt. In routiniertem Tempo. Zehn je Stimmplatte. 20 Je Bluesharp.
Wie bitte??? Bluesharp mit Ventilen?? Ja: Die besonders tiefen Stimmungen (noch so eine Seydel- Spezialität) werden zur besseren Ansprache und Dichtheit Ventiliert. Auch bei diesem Arbeitsgang nur staunen.
„Sie machen dann so alle halbe Stunde Pause bei dem Kleinkram, oder was Anderes?“
„Nein. Eigentlich mache ich NUR das. Eine viertel Stunde Frühstück und Mittag dazwischen.“
„Wie finden Sie immer die richtigen Ventile?“ (Jede Stimmzunge hat naturgemäß eine andere Länge.)
„Ich fertige mir die Ventile an und sortiere sie in die numerierte Box. Fehler beim Setzen lassen sich schnell beheben, sind aber selten.“
Fertig:
„Ähm… kann ich das bitte noch mal sehen? In langsam bitte? Kurz mal so halten, knips ….!“
Alles kein Problem, obwohl wir Urlauber mit unserem lockeren Plausch jeden von der Arbeit abhalten.
Aufgefallen: Alle tragen Seydel- Shirts mit sichtlicher Selbstverständlichkeit und Stolz.
Dann kommen alle Stimmplatten fünf Meter weiter, an das kuschelig beleuchtete Ende der Halle.
Draußen eitel Sonnenschein und jede Menge Aussicht mit Bergen und Wald. Drinnen alle Rollos unten und ein heimeliges Licht hinter dem Stimmplattenhalter.
An diesem Platz wird der korrekte Sitz JEDER Stimmzunge geprüft und wenn nötig korrigiert. Durch das Hinterleuchten erkennt die erfahrene Mundharmonikabauerin per scharfen Auge die geforderten zwei hundertstel Abstand Stimmzunge zur Platte. Irre. Schnell NOCH MAL und eben so den Löseabstand JEDER Stimmzunge angezupft. Mit Pinzette und „Zahnarztwerkzeug“ den Löseabstand eingestellt, Hingehört, ein gezielter „Schlag“ mit dem Hämmerchen. Perfekt. Und endfester Zustand der Vernietung.
Das Feinstimmen
Extra für uns, damit wir genau diese zwei Stimmplatten verfolgen können, wird der Stimmplatz im Kämmerlein (so drei Quadratmeter) umgerüstet.
Per Gebläse wird JEDE Stimmzunge gemeinsam mit der eingespannten Referenzplatte (oben) angeblasen.
Diese Referenzplatten werden ständig von mehreren Feinstimmern nach Gehör justiert und kontrolliert. Jetzt höre auch ich mal einen Unterschied. Der Ton schwebt. Kurz eine Lehre untergelegt, winzige gezielte Striche mit einer noch winzigeren Feile. EIN Ton. Nächste Stimmzunge.
Nach ein paar Minuten, mit wieder in extra langsam für unsereins und Small Talk dazu, sind die zwei Stimmplatten fertig feingestimmt. Nach Gehör. Das Stimmgerät daneben am Platz wird mit keinem Blick bedacht.
„Lernt hier jeder das Stimmen?“
„ Ja!“
„ Jeden Tag?“
„Nicht direkt, aber nur durch Machen!“
Tja, wieder so ein Steinwaymoment…
Jetzt wird mir klar. Mit Streß, Hektik und Ärger würde beim Feinstimmen nur Murks rauskommen. Die Tagesformen von Mensch und Material diskutieren wir ja reichlich im Board… Hinterher kam mir noch die Frage, was man bei einer Erkältung macht? In den Keller an die Pressen? Naja, etwas Geheimnisvolles möchte ich mir hier noch bewahren.
Stichprobenartig drehen jetzt einige Stimmplatten jeder Charge/Schicht(?) eine Sonderrunde am mit Elektronik und selbst gefertigter Meßsoftware ausgerüsteten Arbeitsplatz.
Nun wird das Innenleben montiert. Die Stimmplatten werden geschickt (per Hand) zusammengesetzt und auf die Kanzelle geschraubt. Die Holzkisten zum Stapeln erinnern mich…. Genau! 100% die gleichen wie im Klingenthaler Museum! Gute Arbeit von vor über 100 Jahren.
Treffen tun sich alle wieder bei der Endmontage der Deckel.
Jetzt alle ganz
tapfer sein:
ALLE neuen Harps sind schon mal gespielt worden. Nix mit jungfräulichem Anblasen nach dem Auspacken!
Die Routine läuft folgendermaßen und ist der letzte Schritt des Stimmens:
JEDER Ton wird angeblasen und gezogen. Dann wird
mindestens ein Akkord und eine Terz(!?HILFE?!) gespielt.
„Das fertige INSTRUMENT MUSS in sich klingen und stimmig sein. Da ist es egal, ob vorher die Einzelparameter passten. Damit wollen wir nur sicher stellen, das am Ende nur wenig korrigiert werden muss.“
Evtl. noch etwas am Löseabstand gepusselt, putzen, Deckel drauf.
„Dieser Schritt, von einem Menschen angespielt werden, ist sehr wichtig, weil wir dabei eine Einstellung finden, die auf 98% unserer Kunden passt. Danach muss sich kein Kunde mit schwer ansprechenden, zum Verklemmen neigenden Zungen oder gar Undichtigkeiten beschäftigen."
"Wer atmet schon wie die Kompressorluft vom Stimmplatz? Die Beste Einstellung oder nichts geht raus“.
„Werden auch die bunten Triolas angespielt?“
„Selbstverständlich. Auch die Triola ist ein feingestimmtes Instrument mit voller Oktave und None. Aber wegen der guten Strömungsverhältnisse können wir bei ihr mit Druckluft arbeiten und es passt. Die Kinder müssen doch ihr Gehör erst bilden. Gerade bei den Kleinen ist ein gut gestimmtes Instrument wichtig.“
Kommt mir aus Hamburg und New York bekannt vor… „To build the best XXXXX….” Und ich dachte das gilt nur für schwarze Ungetüme zum Preis eines Eigenheims.
Schutzfolie vom Deckel ab, noch mal (mit Hand) polieren und ab in die Box und via Lager zum Kunden.
Treppe runter…. NICHT so schnell!! Der Chef, Lars Seifert, hat noch einen Gruß und Lächeln in die Kamera fürs Musiker Board. Danke!
Tja 90 Minuten sind fast rum und mein Urteil steht: Wir sind gerade beim Steinway der Mundharmonikas durchgelaufen. Obwohl… Seydel gibt es schon länger…
Nichts mit vorne Blech reinschütten und hinten kommen Instrumente aus dem CNC- Automaten.
ALLES hier wird per Hand, Gehör und mit viel Herzblut gemacht und ist ab 25 Euro das Stück zu haben.
Nämlich mein Souvenir (neben der eingeheimsten Stimmzunge): eine BigSix Blues.
Mir fehlt noch eine Seydel mit Holzkanzelle, sag ich mir… und schon steckt die freche Blechbüchse mit der in meinen Augen „abgesägten Schrotflinte der Blueser“ in der Handtasche meiner Begleitung.
Die ersten sechs Kanäle einer Bluesharp, mit Stahlstimmzungen… und knallt ordentlich los.
Sieben Zentimeter purer Sound & Blues.
Aber Halt! Florian hat noch was Besonderes für uns Männer. Wir können die tiefst gestimmte Harp der Welt anspielen. LL- irgendwas. Cool! Ganz schön dick der Brummer. Sie springt super schnell beim kleinsten Luftstrom an. Der Ton entwickelt sich… und… Nebelhorn der Queen Mary II im Hamburger Hafen! Die Harp vibriert im Mund und überträgt sich auf die Hände und weiter. Muss ich unbedingt noch einen passenden Song drauf schreiben…
Und vorbei. Danke an Seydel für die Möglichkeit! Meine uneingeschränkte Empfehlung habt ihr und wir reden von einem wertvollem Instrument in unserer musikalischen Welt, das ein Zehntel von einer mittelmäßigen Gitarre kostet.
Wer kann, sollte ruhig Mittwochs um zwei dort klingeln. Nette Vogtländer und höchst interessante Gespräche mit Einblicke in eine Manufakturwelt, welche es so nicht noch mal gibt auf der Welt. Es ist den Weg wert, nicht auf anderen Kontinenten und es wird deutsch gesprochen.
Danke! Micha
....
Falls noch Fehler zu korrigieren sind oder ich musikalischen Blödsinn verzapft habe:
Her damit. Am Besten, so lange Edit noch wach ist ;-)
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
Nachklapp:
Während des Sortierens, Recherchierens und noch mal bei Florian wegen vergessener Details anrufen bin ich meinem "Harpwerdegang" noch mal nachgestiefelt. Etwas Material, das evtl. nicht direkt in den Werksbesuch passte, aber für mich zur Geschichte dieser Reise gehört...
Mein persönlicher Kreis beginnt, das die Seydels Bergleute waren. Wie mein Vater und die meisten Männer, die mich prägten... Mein mitgereister Freund (auch Micha), gebürtig ausm Ruhrpott (Glück Auf). Eben dem habe ich vor zehn Jahren meine erste Harp aus Klingenthal, auf dem Motorrad nach Schleswig mitgebracht.
Kurz darauf bestellte ich mein erstes Exemplar für MICH online bei Igor Flach. Einer Ostdeutschen Blueser- und Harplegende. Wußte ich nur nicht. Damals.
https://de.wikipedia.org/wiki/Igor_Flach
Igor ist ein großer Freund des Hauses Seydel gewesen und Mitinitiator, des jährlich im September stattfindenden Harpfestivals in Klingenthal:
http://www.mundharmonika-live.de/newpage/index.htm
Igor hörte sich am Telefon geduldig meine Anfängerfehler an und half mir von Tonart C zur angenehmeren Tonart G zum Einstieg und empfahl mir die Schule von Chris Kramer.
Was für ein Lied empfängt mich dort im Buch? "Glück Auf, glück Auf,..."
Eben darüber bin ich diese Tage auf sein sehr schönes Projekt "Die kleine Mundharmonika" gestoßen.
http://www.chris-kramer.de/die-kleine-mundharmonika/
Ich hab nun das Buch und eine Seydel Summer Edition geordert, in der Hoffnung diesen Spaß mit der Harp meinem Kleinen näher zu bringen. Naturtalent ist er. Schon mit Zwei hatte er sofort kapiert, das Harp = Atmen ist. Mal sehen.
Vielen Dank an Alle und Grüße aus Hamburg
Micha
Ach ja: Das Meisterstück der Limited Edition hat einen sehr schönen, eigenen Harpsong bekommen: