Ein merkwürdiger Unterricht mit merkwürdigen Aufgaben ist das. Das Problem scheint mir, daß die Schubladen der Musikgeschichte viel zu wichtig genommen werden und Sachen hineingepackt werden, die überhaupt nicht hineinpassen: "expressiver Stil", "Neoklassizismus"...solche Schubladen wackeln bedenklich, wenn sie nicht in einem Schrank aus halbwegs sicherem historischen Verständnis eingebaut sind.
Konkret heißt das: die Aufgabe, Stilmerkmale des Expressionismus aus dem 20.Jahrhundert in früheren Jahrhunderten wiederzufinden, ist absurd. Allerdings ist es auch absurd, daß Bach Vogelstimmen in einem Frühlingsstück verwendet hat. Collagentechnik ist ebenso ein Begriff aus der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts, und sowas in der Musik früherer Jahre wiederzufinden, ein Ding der Unmöglichkeit - eben weil der historische Background ein ganz anderer ist.
Expressionismus kann nur Expressionismus sein, wenn der Expressionist auf die vorherigen geistigen und künstlerischen Entwicklungen der Renaissance, des Rokoko, der Romantik und von mir aus auch der (ca. zeitgleichen) zweiten Wiener Schule zurückblicken konnte. Wer auf all das nicht zurückblicken konnte (z.B. Bach), dem fehlen die notwendigen Voraussetzungen, um Werke zu schaffen, die die Bezeichnung "expressionistisch" verdienen.
Mir stellt sich bei einer solchen Aufgabenstellung ganz massiv die Sinnfrage. Viel sinnvoller wäre es doch, eine engere Aufgabe zu stellen. Z.B. wo welche Komponisten Vogelstimmen in ihren Werken einsetzten. "Enge Frage - enge Antwort - wenig gelernt" kann manchmal besser sein als "weite Frage - weite Antwort - nichts gelernt"
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Harald