Entstehung der Left Hand Voicings

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Hallo!

Kann folgende, grob formulierte These unter geschichtlichen Aspekten betrachtet, eurer Meinung nach so stehen bleiben:

Die Enstehung der (grundtonlosen) LHDV geht auf Bill Evans zurück fällt in die Zeit nach dem Aufkommen des E-Basses anfang der 1950er Jahre.
Der E-Bass konnte durch einen Verstärker lauter und präsenter sein als ein Kontrabass. Vorher war es üblich, den Grundton, den ein Kontrabassist spielte, mit der linken Hand des Pianisten am Klavier zu verdoppeln.
Im Zusammenspiel mit einem E-Bass war dies für die Klavierspieler nicht mehr zwingend nötig.

beste Grüße!

Mathias
 
Eigenschaft
 
Hallo Matthias,

Ich frage mich, wie oft Bill Evans (der Pianist) mit einem E-Baß zusammengespielt hat...
Für mich erscheint auch bedeutend, daß vor allem die Aufnahme- und Verstärkungstechnik große Fortschritte gemacht hat und man auch Kontrabässe mit der Zeit immer besser/klarer hören konnte.
Klaviertrios mit E-Baß waren doch zu allen Zeiten eher ungewöhnlich, oder?

Das nur so als Gedanke, mit einer genauen zeitlichen Entwicklung kann nicht dienen, ich frage mich nur, ob der E-Baß als Instrument oder nicht doch eher die verbesserte Verstärkungs- und Aufnahmetechnik die entscheidendere Rolle spielte... :gruebel:

Viele Grüße
Torsten
 
... und ICH frage mich (und bin weit davon entfernt, eine Antwort zu haben !), ob es wirklich solche Randbedingungen wie Aufnahmetechnik und/oder die Einführung des E-Basses, die zur Entwicklung der Lefthand-Voicings geführt haben, und ob es nicht eher eine "normale, musikalische (Weiter-)Entwicklung" ist, die der Art und Weise geschuldet ist, wie die Musik in jenen Zeiten so war.

Schließlich begünstigt die Flut an Harmoniewechseln der Bebop-Aera nicht gerade das Bass-Spiel eines Pianisten, sondern lädt geradezu dazu ein, über musikalisch sinnvolle, weiterentwickelte Spieltechniken nachzudenken, die zum Beispiel GTL´s enthalten, und die der Subtilität dieser damals neuen Musikrichtung, und einer ausgefeilteren Rhythmik der linken Hand, gerecht werden ...

Nun weiß ich schon, daß die Erfindung/Verbreitung des E-Bass nicht in die Bebop-Epoche einzuordnen ist.
Aber gewisse Dinge brauchen eben ihre Zeit zum sickern und zum reifen ...

Aber auch das ist nur ein Gedanke ... vielleicht wissen andere Genaueres ...

Thomas
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Zusammen,

danke für euren Input. Ich habe mir noch einige Gedanken gemacht und ein paar Hinweise
zum Thema aufgesammelt. Ich führe sie zunächst in einer Punkteliste auf, bevor ich zu einem momentanen Zwischenfazit gelange.


1) Zunächst zu Torsten: Die Bill Evans / E-Bass Verbindung war auch mein Problem an der These.

2) Dass technische Errungenschaften musikalische Entwicklungen herbeiführen können, dürfte Konsens sein. Wenn es eine technische Entwicklung rund um den Bass war, die zur Folge hatte, dass die LHDV entstanden, dann die von Torsten beschriebene Seite. Es lag offenbar aber nicht am Aufkommen des E-Basses.

3) Eine andere technische Entwicklung zeigt m. E. den Weg in Richtung Turkos Vermutung und zur Klärung des Sachverhaltes: Ab 1951 konnte man längere Schallplattenaufnahmen als drei Minuten machen (33 1/3 statt 78). Ich sehe das übrigens als einen Mosaikstein bei der Entwicklung hin zum modalen Jazz. Im Zusammenhang mit mehr Platz und Zeit in der Jazzmusik ab 1952, dem sich anbahnenden Ende der Bebop-Ära, erwähnt Miles Davis in seiner Autobiografie den Pianisten Ahmad Jamal mit seinem "raumschaffenden Pianostil". Von Ahmad Jamal heisst es im englischen Wiki, dass u.a. auch er bereits vor Evans mit grundtonlosen Voicings arbeitete. Für mich ist es im gesamten zeitlichen Kontext gut nachvollziehbar und nicht auszuschließen, dass "raumschaffender Pianostil" auch grundtonlose Voicings includiert.
(In der Davis-Autobiografie, die ich mehrmals durch habe, ist mir zu Evans und den LHDV übrigens nichts aufgefallen.)

4) Mal anders herum gedacht: Wenn Bill Evans die LHDV deshalb "erfand", weil der Bass auf einmal gut zu hören war, hieße es im Umkehrschluss, dass die Pianisten davor den Grundton spielten, weil man den Bass nicht oder kaum hören konnte; den Grundton eines Akkordes in einer Band nicht hörbar zu machen, ist ja kein Kinkerlitzchen. Wenn also die Parkers und Gillespies im Birdland gebopt haben wie die Teufel, und sich ein Thelonious Monk an den Tasten nicht getraut hat den Grundton wegzulassen, weil man den sonst nicht mehr gehört hätte, würde das bedeuten, weder Musiker noch Zuschauer hätten im Birdland den Kontrabass nicht oder kaum gehört. Und das stimmt ja wohl nicht.

5) Womit ich bei Monk bin, der hin und wieder auch recht sparsam und speziell gevoict hat.
Da waren meines Wissens doch bereits die ersten grundtonlosen Voicings im Spiel.

6) Zum Schluss noch etwas von Evans, ebenfalls aus dem englischen Wiki, sinngemäss ins Deutsche übersetzt: "Wenn ich nur volle Voicings mit Grundtönen und Quinten spiele, besitzt der Bass nur noch die Rolle einer Zeitmaschine."
Diese Bemerkung ist doch ausschließlich musikalisch gemeint. Wenn die Ausgangsthese stimmen würde, müsste Evans
- etwas auf die Spitze getrieben und die fragliche Konjunktion Evans / E-Bass beiseite gelassen - irgendwann einmal in etwa gesagt haben: "Als ich das erste Mal mit …spielte und er den E-Bass auspackte, merkte ich, dass ich keine Grundtöne mehr drücken musste."

Ich komme nach all dem zu folgendem, zwischenzeitlichen Schluss:

Grundtonlose Voicings gehen in der Anfangsphase auf Monk zurück, der sie zunächst sporadisch einsetzte.
Pianisten wie Jamal nahmen das Konzept später auf und weiteten es aus. Bill Evans schließlich systematisierte
die grundtonlosen Voicings mit bestimmten Schichtungen und Stimmführungen zu den sogenannten LHDV, die daher auch Bill-Evans-Voicings genannt werden.

Wie auch immer die Entwicklung von grundtonlosen Chords zu den LHDV im Detail tatsächlich verlief, eines scheint mir nun klar zu sein: Die Entstehung der LHDV hat mit klanglich-technischen Entwicklungen rund um den Kontrabass oder gar der Erfindung des E-Basses nichts zu tun. Die Zeit war, wie Turko schreibt, reif für diese musikalische Entwicklung.

Vielleicht sollte man dieses Thema in die Klavierabteilung verschieben. Dort hat evtl. der ein oder andere ein paar Transkriptionen angefertigt, die bei der Analyse hilfreich sein könnten.

Grüße!

Mathias
 
3-, bzw. 4-stimmige grundtonlose Left Hand Voicings sind ganz klar eine Weiterentwicklung der Shell Voicings.
Shell Voicings (Grundton + 1 oder 2 Guidetones) wurden auch oft ohne Grundton gespielt, also nur mit 2 Guidetones. Danach noch Quinte (ersatzweise #11, 11, 13 oder b13) bzw. Grundton (ersatzweise b9, 9 oder #9) hinzuzufügen war eine logische Weiterführung. Mit der Spielweise des Basses bzw. dessen Verstärkung hatte diese Entwicklung meines Wissens nichts zu tun.
 
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