Lieber chilie,
Vor ab: für mich hast Du einen abstrakten Text geschrieben, wie ich ihn von der Machart hier nicht selten lese. "Nicht besser, aber auch nicht schlechter als der Durchschnitt", sagt mein Kopf... und mein Herz schweigt ratlos. Aber DAS ist normal
Deine erwähnten Bezüge zu Faust und Freud finde ich nicht im Text. Mir ist das egal. Aber Dir vielleicht nicht.
Deine Erklärungsversuche animieren mich allerdings, etwas näher auf das Handwerkszeug der Schreiberei einzugehen. Was ich nachfolgend andeute, ist nichts Neues. Wird in vielen Büchern übers Schreiben genannt und näher erläutert. Vielleicht bringt Dich die Schreibtheorie weiter. Vielleicht nicht. Das ist Typen abhängig. Mich interessiert halt Poetik

Dazu auch noch perverser Weise Wahrnehmungspsychologie und Hirnforschung
Eigentlich wollte ich Selbsthass ausdrücken, indem ich mal zur Abwechslung eine Geschichte schreibe und das lyrische Ich selbst aufteile...
Das finde ich etwas kompliziert gedacht. Ein
lebendiges LI lebt sowieso zwingend von der Widersprüchlichkeit seiner Gefühle. Unser Leben ist ja von vorn herein widersprüchlich: ein einziger Wettlauf um den Preis einer Nachhaltigkeit, den wir unentwegt verlieren.
Mir waren emotionalle Texte wo das lyrische ich über sich selbst spricht langweilig geworden,
Das kann ich NUR dann verstehen, wenn das LI immer nur eine angeblich
eindeutige Stimmung vorgaukelt (entweder es liebt, oder es hasst oder es sehnt sich). Eindeutig ist für mich nichts auf der Welt. Höchstens der Wunsch der Menschen, DAS zu widerlegen. - Tendenziell... bis undurchsichtig - ist das, was ich wirklich fühle, wenn ich plötzlich STOP sagen und mich nach meinen Gefühlen befragen würde. Egal, wie die äußeren Umstände sind.
Würde ich mich dann in die einzelnen Gefühle weiter versenken, würde ich förmlich spüren, wie diese Billard über drei Banden mit einander spielen. - Hör ich konzentriert hin, was mir mein Mut, meine Angst, meine Traurigkeit, meine Lust, meine Enttäuschung oder meine Hoffnung ein flüstern...habe ich sie, die verschiedenen Stimmen eines LIs. Ein Gewitter an Gedanken. Ein Gewitter, das die Gehirnforschung neuerdings so schön sichtbar machen kann wie eine ewig bewegte Wetterkarte.
Wenn ich mir diesen Zusammenhang ständig vergegenwärtige (tu ich tatsächlich), begreife ich die Wirkung einer Zeile (resultierend aus der vorherigen; ausstrahlend auf die nächste ) letztlich ebenfalls als ein Spiel über drei Banden. Ein LI, das so gebaut ist, wird mMn NIE langweilig.
Dein Über-Ich kennt solche Zweifel nicht. Es wähnt sich allwissend. Aber im Über-Ich sind auch viele Weisheiten abgelagert, die sich widersprechen. Unter einander, gegen einander. Der Vater der Mutter, die Politik den Künsten, die christliche Religion dem Buddhismus usw. Auch hier gilt letztlich: Jeder gegen Jeden zum eigenen Vorteil
Ich glaube du hast es so verstanden, dass ich mit dem Bezug zu Faust meine, dass wie es üblich zu dieser Zeit war Texte mit einer lehrhaften Erzählung zu verbinden. Allerdings verbinde ich selbst die Handlung mit der von Faust, aber nicht Inhalt.
Ich interessiere mich eigentlich nicht für die Versuche eines Autoren, seinen eigenen Text zu interpretieren. Letztlich bedeuten Erklärungen nur Erklärungsbedarf. Der Autorselber hat meistens noch nicht die Klarheit gefunden, die ein guter Text dringend benötigt. (Ein Vorgang, den ich selber sehr oft im Kontakt mit meinen Partnern schmerzlich erlebe. Letztlich muss ein Profi seinen Text so lange bearbeiten, bis er eine entscheidende Mehrheit gefunden hat.)
Wenn Du nicht über Faust schreiben willst, nützt Dir diese Erklärung mMn nichts. - Wenn Du über Faust schreiben willst, schreib über Faust. Schreib so lange, bis Du Feuer fängst. Ich wette, bei etwas Geduld und freizügigem Denken kommt dieser Punkt. Vermutlich hast Du in
diesem Augenblick Deinen Deutschlehrer endgültig vergessen (oder würgst ihn grad einen rein

)
....daher wollte ich versuchen eine Geschichte zu schreiben.
Eine Geschichte hat aber einige Merkmale: eine Idee...Anfang, Mitte, Ende... Figuren... einen Konflikt... direkte oder indirekte Dialoge....einen Lösungsversuch(im besten Falle)... Das Ganze nennt man Handlung. - Ich würde deinen Text so gesehen eher als einen Monolog sehen. Ein Monolog in einer Geschichte, die völlig im Dunklen bleibt. Ein Monolog eines LIs, dessen Motive Figuren, Konflikte völlig im Dunklen bleiben. DAS ist nicht schlimm, aber eben auch keine Geschichte
So. Das stelle ich jetzt mal nicht sonderlich moderat in den Raum. Vielleicht klingt was nach. Wenn nicht - widerspreche mir mit voller Wucht!
Lg