Delay-Line richtig einstellen

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Aufbau einer Delayline.

Immer wieder liest man, dass man doch eine Delayline verwenden soll, aber wie wird meistens nicht erklärt. Und komischerweise fragt auch nie jemand. Entweder wissen es sowieso alle und nur ich hatte keine Ahnung, oder es traut sich bei etwas so selbstverständlichem keiner zu fragen.

Eines vorneweg: Ich bin bei Gott kein Profi. Mein Wissen beruht auf Internetrecherche und eigenen Versuchen.
Das Internet birgt ja riesiges Wissen, allerdings auch viel Halbwissen und viele Fehlinformationen und Mythen. Deshalb möchte ich hier versuchen, die Delayline so einfach wie möglich zu erklären und den Sinn dieser aufzuzeigen.
Alles was ich hier von mir gebe ist mit ein wenig Vorsicht zu genießen und Korrekturen (sollte ich mich irgendwo vergaloppiert, oder etwas nicht kapiert haben) sind herzlich willkommen :).

Sinn und Zweck einer Delayline:
Bei einem längeren Raum mit nur einem Hauptlautsprecherpaar haben wir das Problem, dass die vorderen Zuhörerreihen, die den Lautsprechern näher sind schon einen Gehörschutz brauchen, wenn die letzten Reihen „gerade mal so“ beschallt werden.
Der zweite, und für mich oft noch wichtigere Punkt ist, dass in Räumen mit viel Hall (bei mir meistens Kirchen) mit zunehmender Entfernung von den Hauptlautsprechern der Hall im Verhältnis zum Direktschall zunimmt. Dadurch wird die Sprachverständlichkeit nach Hinten immer schlechter. Das ist für den Musikgenuss natürlich nicht gut, aber ganz extrem fällt es z.B. bei Ansagen auf. Der Sprecher ist weiter hinten auch bei genügender Lautstärke einfach nicht mehr zu verstehen.

Herangehensweise:
Um auch die hinteren Reihen mit ausreichend Schallpegel zu beglücken können wir jetzt einfach ein zweites Lautsprecherpaar aufstellen und mit dem gleichen Signal wie die Hauptlautsprecher beschicken.

Damit wäre der erste Punkt – die Lautstärke in den hinteren Reihen zu erhöhen - zwar erledigt, aber dummerweise ist der Schall ziemlich langsam, und so haben die Elektronen im Lautsprecherkabel ihn überholt und die Zuhörer hinter dieser zweiten Boxenreihe hören die Musik zuerst von dieser zweiten Boxenreihe und zeitversetzt, den langsamen Schall von den Hauptlautsprechern. Hört sich dann halt wie ein Echo an. Von „Musikgenuss“ kann dann keine Rede mehr sein. Sprachverständlichkeit sowieso nicht.

Jetzt kann man hergehen, und die zweite Boxenreihe um genau die Zeit später mit dem Signal beschicken, die Der Schall von der ersten Box bis zur zweiten braucht. Um nicht immer rechnen zu müssen, habe ich mir eine kleine Exceltabelle geschrieben (siehe Anhang).

Super, plötzlich versteht man auch hinten etwas, aber da die zweite Boxenreihe für die hinteren Zuhörer natürlich lauter sind als die Hauptlautsprecher (wir wollen die Musik ja lauter machen), orten die Zuhörer, die näher bei einer der beiden Delay-Boxen sitzen, das Signal nicht mehr auf der Bühne, sondern in der Nähe der Delay-Lautsprecher.

Zum Glück hat die Evolution das menschliche Gehirn trainiert, eine Geräuschquelle dort zu orten, von wo es als erstes kommt. Das nennt man den Haas-Effekt (wenn das nicht verständlich sein sollte, kann man den Haas-Effekt hier auf Wikipedia nachlesen).
Man nimmt also die Zeit, die der Schall bis zur Delayline braucht (errechnen, aus der Tabelle ablesen etc.) und schlägt 20ms (+/-10ms)auf diesen Wert auf. Das Ergebnis trägt man dann als Delayzeit für diese Delayline ein und
plötzlich werden die Delaylautsprecher „unsichtbar“.
  • Der Schallpegel erhöht sich durch die Delaylautsprecher, sodass auch die hinteren Reihen laut genug beschallt werden.
  • Die Sprachverständlichkeit erhöht sich, da der „Direktschall“ im Verhältnis zum Hall im Raum höher ist.
  • Als Schallquelle wird wegen des Haas-Effekts aber noch immer die Bühne wahrgenommen.
In einem gewissen Lautstärkenverhältnis Front-LS/Delay-LS (ich glaube ca. 10dB) hört sich ein lauterdrehen der Delayboxen für die hinteren Zuhörer an, als ob die Hauptlautsprecher lauter werden würden.

Ich hoffe, ich konnte dem einen oder anderen ein wenig weiterhelfen!

Lg Thomas
 
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Um nicht immer rechnen zu müssen, habe ich mir eine kleine Exceltabelle geschrieben
Naja, wenn ich grad so eine Tabelle nicht dabei habe rechne ich der Einfachheit halber einfach mal Distanz-In-Metern*3 um den Ausgangswert der Verzögerung in Millisekunden zu erhalten. Da wir sowieso noch was dazugeben (Haas-Effekt und so) ist das genau genug. Aber trotzdem danke für die Tabelle.

Da ist (mindestens) noch eine Frage zu klären. Wie ermittle ich die richtige Entfernung zwischen den Boxenlinien? Maßband oder so ein neumodernes Laser-Enfernungsmesser-Zeug aus dem Baumarkt hat man ja nicht immer zur Hand.
Ich mach das immer so:
Einfach mal flugs den Weg zwischen erster und zweiter Boxenlinie (Als Boxenlinie ist hier die gedachte Linie zwischen linker und Rechter Box gemeint) abgeschritten und die Schritte gezählt. Wieder ungenau aber was soll's. Alternativ kann man ja ein XLR-Kabel bekannter Länge nehmen und mal so in etwa damit die Distanz messen.
Diese Distanz wird, wie oben erwäht mal entweder anhand der schönen Tabelle oder mit meiner Pi-mal-Auge Formel in Millisekunden ungerechnet.

Diese stelle ich dann an dem Gerät ein das die Verzögerung erledigt. Heutzutage ist das bei kleineren Geschichten schon ein Digitalpult.
Ich versuche dann anhand einer geeigneten Musikeinspielung das Delay zu tunen. Geeignet ist ein nicht all zu 'flottes' Stück mit deutlichen perkussiven Elementen soll aber nicht zu sehr abgehen. Funk-Gewitter oder Salsa usw. ist da eher nicht so gut;-)
Jetzt sicht man sich eine Stelle wo man beide Boxen linien vor sich hat. Die Distanz zur Delayline sollte 1/3 zur Distanz zum Hauptsystem haben. Gut ist wenn man hier sowohl die Pegel der beiden Systeme als auch die Verzögerung regeln kann. (Die Remote-Apps vom X32 z.B. sind da recht hilfreich da man damit beides kontrollieren kann). Wenn es gar nicht anders geht muss man das halt zu zweit machen, jemand an den Reglern und jemand an der Hörposition mit den Anweisungen. Ich habe z.B. oft, wenn ich mit einem fremden FOH-Platz arbeite gerade für solche Zwecke mein X32 Rack mit dabei. Damit mache ich mir dann die Delaylines.

Ohne Delay wird man recht schnell hören die perkussiven Elemente verzögert vom Hauptsystem kommen. Jetzt das Delay auf den zuvor errechneten Wert einstellen bis man diese Verzögerungen nicht mehr hört und jeder Schlag nur mehr als ein Schlag wahrgenommen wird. Dabei kann man mit den Pegelverhältnissen der beiden Boxensysteme spielen z.B. indem man das vordere System deutlich leiser als das hintere macht um die Ortung zu variieren.
Danach bringt man beide Systeme in die gewünschte Balance und erhöht das Delay noch weiter bis die Ortung der Musik deutlich vorne ans Hauptsystem gewandert ist.
Wenn man dann die Delayline testweise weg schaltet oder dazu gibt wird man beim ersten mal erstaunt sein wie dieser Effekt ausfällt. Vor allem in halligen Umgebungen wie in einer Kirche wird das Signal weiter hinten durch die Delayline deutlich direkter ohne dass man die Delayline bewusst wahrnimmt. Vielmehr spielt die Musi noch immer vorne beim Hauptsystem.
Das ist vielleicht nicht die akademische Lösung aber für mich funktionierts.

BTW: Das kann man auch verzögern und zwar aus dem selben Grund. Nämlich um die Wahrnehmung z.B. des Chores, der ja weiter hinter der Haupboxenlinie steht, vom Hauptsystem zum eigentlichen Chor zu transportieren. Auch hier wird die Distanz zum Chor und etwas Haaszugabe verwendet um den gewünschten Effekt zu erreichen.

Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass man mit solchen Delays und vielen kleineren Boxensystemen gerade bei schwierigen akustischen deutlich an Übertragungsqualität für die Zuhörer gewinnt auch wenn der Aufwand höher ist.
 
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Müsste man nicht zur Ermittlung der Distanz den Punkt nehmen, an dem die Pegel von Hauptsystem und Delay-Line identisch sind?
 
Erst mal herzlichen Dank für die vielen leckeren Kekse!

...den Weg zwischen erster und zweiter Boxenlinie (Als Boxenlinie ist hier die gedachte Linie zwischen linker und Rechter Box gemeint) ...
Das ist etwas, was ich noch nicht verstanden habe. Wie misst man den Abstand korrekt?
Dein Ansatz, von Boxenlinie zu Boxenlinie klingt zwar irgendwie logisch, aber auch von Box zu Box ist für mich logisch. Ich messe eigentlich immer von Box zu Box (wobei der Unterschied zum Abstand Boxenlinie/Boxenlinie wohl kaum ins Gewicht fällt.
Gemessen wird bei mir aus Bequemlichkeitsgründen mit dem Lasermesser. Und den habe ich bei jedem Job dabei :)

...Wenn man dann die Delayline testweise weg schaltet oder dazu gibt wird man beim ersten mal erstaunt sein wie dieser Effekt ausfällt. Vor allem in halligen Umgebungen wie in einer Kirche wird das Signal weiter hinten durch die Delayline deutlich direkter ohne dass man die Delayline bewusst wahrnimmt. Vielmehr spielt die Musi noch immer vorne beim Hauptsystem.....
Ja, da gehen einem die Augen (ich meine natürlich Ohren :)) über. Ich verstehe eigentlich nicht, warum so oft auf diese Klangverbesserung verzichtet wird.

Müsste man nicht zur Ermittlung der Distanz den Punkt nehmen, an dem die Pegel von Hauptsystem und Delay-Line identisch sind?
Ich glaube das verstehe ich jetzt nicht. Der Punkt ist doch variabel - je nachdem wie laut ich die Delayline im Verhältnis zum Hauptsystem aufziehe.

lg Thomas
 
Ja natürlich. Aber dieses Verhältnis ist ja auch ganz kritisch für die grundlegende Funktion der Delay-Line. Man darf ja auch nicht vergessen, dass sie nicht nur nach hinten (also in ihrer Abstrahlrichtung) Einfluss hat, sondern auch in alle anderen Raumrichtungen. Bei tieferen Frequenzen ist ein Top ein Kugelstrahler, je lauter man die Delay-Line also im Verhältnis zur Main-PA fährt, desto weiter reicht ihr Einfluss nach vorne. Und dort ist davon auszugehen, dass ein beliebiges Phasenverhältnis beider Systeme entsteht, was zu frequenzabhängigen Interferenzen (dem beliebten Kammfilter) führt.

Ich bin mir tatsächtlich auch nicht sicher, ob das zusätzliche Delay für den Haas-Effekt der Weisheit letzter Schluss ist, da man so wahrscheinlich keine sauberer Phasenbeziehung zwischen beiden Systemen hinbekommt.
Beim Anpassen von mehreren Beschallungssystemen (z.B. Near-Fill zu Main-PA) passt man die Laufzeit ja immer an dem Punkt an, an dem beide den selben Pegel erzeugen, da sich dort eine abweichende Phase am stärksten auswirkt.
 
Ich bin mir tatsächtlich auch nicht sicher, ob das zusätzliche Delay für den Haas-Effekt der Weisheit letzter Schluss ist, da man so wahrscheinlich keine sauberer Phasenbeziehung zwischen beiden Systemen hinbekommt.

Vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss, aber eine ganz kluge Sache:

Eine saubere Phasenbeziehung kriegt man nur an einem einzigen Punkt hin - und diesen wählt man sinnigerweise dort, wo beide Systeme gleich laut sind.
Schaut man sich jetzt jedoch den Bereich um diesen Punkt herum an: Beide Systeme sind immer noch ähnlich laut - wir haben jedoch relativ geringe Laufzeitverzögerungen zwischen 0 - 12 ms (klar, an dem Punkt gleicher Lautstärke sind es genau 0 ms).
Das bedeutet ähnliche Lautstärke beider Systeme und geringe, aber vorhandene Laufzeitunterschiede: Die besten Zutaten für fette Kammfiltereffekte.
Neben dem einem Punkt, wo es (theoretisch) perfekt ist, bastelt man sich drumherum also einen Bereich der "Frequenzganghölle".

Rechnet man jetzt 25 ms Haas-Delay drauf, ergeben sich:
- keine Kammfilter mehr, das Ohr nimmt das zweite Signal durch den größeren zeitlichen Abstand als Reflexion wahr (jedoch nicht als zweites Hörereignis!)
- eine Ortung des Schallereignisses vorne an der Bühne (Gesetz der ersten Wellenfront)

Und jetzt kommt das geniale: In dem Bereich um den Punkt, auf den man das Delay eingestellt hat, hat man wieder die gleichen zusätzlichen Laufzeitverzögerungen wie im oberen Beispiel: also 25 ms +- 12 ms.
Der Haas-Effekt funktioniert jedoch in einem relativ großen Zeitfenster zwischen ca. 10 - 50 ms. Wir haben also auch um den "perfekten" Punkt herum keine Kammfilter oder hören zwei getrennte Schallereignisse, sondern der Haas-Effekt wirkt in diesem kompletten Bereich.
 
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