Strato Incendus
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Das wahre Problem an Bünden auf der Geige
So, mein Fiddle Fretter-Sticker ist wieder abmontiert. Aber nicht aus den Gründen, die ihr wahrscheinlich vermuten werdet .
Oder vielleicht doch? Womöglich erzähle ich euch jetzt etwas, das ihr alle schon längst wisst; dann wundert es mich allerdings, warum unter all den in meinen anderen Threads wiederholt gegen Bünde angeführten Argumenten just dieses nicht dabei war.
Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund wie in dem Forum, wo ich die Antwort gefunden habe - auch da ging diese wichtige Information nämlich beinahe unter dem gebetsmühlenartigen Rezitieren von "du sollst dein Ohr trainieren" unter.
Main problem that nobody mentioned is that you CANNOT have straight lines across a fingerboard and have all notes be in tune.The space difference between say B and C in first position on G string is not the same as the space difference between G# and A on the A string. That is basic problem of fretted instruments. Charts with straight lines across the fiddle teach you how to play out of tune. No?
Und ein anderer Nutzer ergänzte:
I believe the reason you can't draw a line straight across and be in tune is because of the change of diameter of the strings... this is also why if you look at most guitars the saddle sits at an angle so the speaking length of the string increases as you go from a smaller diameter string to larger. A fiddle bridge doesn't sit at an angle, therefore your fingers have to make the adjustment.
Das Problem ist also nicht der Bund an sich, sondern die Tatsache, dass alle gängigen Modelle (Fiddle Fretter, Don't Fret, Fretless Finger Guide etc.) senkrecht zum Griffbrett verlaufen. Gitarren hätten das Problem auch, wenn es nicht wie oben beschrieben gelöst würde.
Mark Wood hat auf seinen Instrumenten genau das gemacht (achtet mal auf den Steg!).
Also schätze ich mal, den Viper-Spielern unter euch ist das hier bereits geläufig. Allerdings sind diese Instrumente von jenseits des großen Teichs ja nicht gerade das, was man sich als Einsteiger einfach mal auf Verdacht ins Haus holt, ne? (Provinzielles Deutschland, muss man da leider sagen.)
Alle anderen Geigen sind nämlich leider "so verflixt gerade".
Was also tun als Anfänger? Wenn keiner der vorgefertigten Sticker korrekt ist, muss man wohl wieder zu den manuell angebrachten Einzeltapes greifen - und die eben schräg übers Griffbrett legen. Werde mir der Sicherheit halber gleich morgen mal welche zulegen .
Wenn ihr in dem Forenlink oben weiter runterscrollt, gelangt ihr zu einem Foto, wo jemand gezeigt hat, wie das aussieht.
So, und jetzt noch ein paar Worte zum Fiddle Fretter selbst:
Als ich den Sticker eben abgemacht und zum allerersten Mal ohne gespielt habe, war die Intonation zumindest für mein Ohr - das ja nun doch durch diverse andere Instrumente bereits geschult ist, nicht zuletzt durch Gesang - in den unteren Lagen, wo ich bisher hauptsächlich gespielt habe, nicht signifikant schlechter als mit.
Aber wie kann das sein? Wir haben doch alle Horror-Stories gehört von Bassisten, die plötzlich fretless spielen wollen und wo das im Desaster endet?
Tja, da gibt es einen entscheidenden Unterschied: Auf dem Bass kann man es sich erlauben, den Finger nicht exakt hinter dem Bund zu platzieren (obwohl es auch bei Gitarren und Bässen da meist am saubersten klingt, d.h. nicht schnarrt). Auf der Geige geht das nicht, weil trotz aufgeklebter Bünde jeder Milimeter noch einen Unterschied in der Tonhöhe macht.
Um mit dem Fretter zu spielen, muss man den Finger exakt hinter dem Bundstäbchen platzieren, damit man in-tune ist. Das heißt, der Fretter zwingt einen, den Finger immer an exakt derselben Stelle zu platzieren. Nimmt man ihn nach reichlich Übungszeit dann weg, ist das im Muskelgedächtnis drin, und man kommt auch ohne klar.
Es gibt einen Grund, warum es den Sticker in zwei Ausführungen gibt - mit sichtbaren, erhabenen Bünden und mit nicht sichtbaren erhabenen Bünden. Weil es nämlich vor allem um das Fühlen des Bundes geht (der Macher vergleicht es mit Braille-Schrift), nicht um das Sehen.
Deshalb gibt es nämlich gerade keinen Fiddle Fretter mit sichtbaren, flachen Bünden. Wer letzteres will, muss entweder zu einer Wood mit shaved off-frets greifen ($$$ ), oder zum Don't Fret (der imho leider ziemlich sch*ße aussieht mit all seinen bunten Farben).
Der Fretter trainiert also vor allem das Muskelgedächtnis und ersetzt nicht, wie so oft panikmachend oder abfällig behauptet wird, das Gehör. Im Gegenteil, man kriegt sofort die Quittung, wenn man nicht am Stäbchen ist, d.h. man hört es dann auch sofort mit dem eigenen Ohr, dass man flat oder sharp ist. Alles, was der Fretter dann tut, ist zu verhindern, dass man mit seiner Korrektur verschlimmbessert, indem man zu weit nach oben oder unten geht.
Das ist aber nicht schädlich, sondern es verhindert, dass sich das Muskelgedächtnis etwas falsches angewöhnt (Stichwort "errorless learning").
Und ziemlich genau bis zum 8. Bund funktioniert das auch. Das Problem sind die Lagen darüber, wo der Ton weiter ins Bundinnere bzw. schließlich an den Bundanfang rückt. Nun müsste man auf dem Bund greifen, was aber durch die Erhabenheit des Bundes erschwert bis unmöglich gemacht wird (der Ton klingt schwächer, weil man die Saite nicht mehr ganz runterdrücken kann, und beim Zupfen kommt es zum von der Gitarre bekannten Schnarren).
Dies ist also ein Problem der Erhabenheit von Bünden, nicht von Linien auf dem Griffbrett an sich. Als grobe Orientierung, bei der man aber die Möglichkeit zur eigenen Feinkorrektur behält, taugt der Don't Fret also deutlich besser - weil der flach ist. Nichtsdestotrotz ersetzt auch er nicht das Gehör, weil eben die Linien auch bei ihm gerade sind.
Auch hier fallen Wood-Geigen wieder raus, weil dort der Ton die korrekte Höhe hat, wenn man auf dem Bund greift. Diese Geigen sind halt auch speziell darauf ausgelegt. Beim Fiddle Fretter geht auf dem Bund greifen nicht. Obwohl die Stäbchen keine Probleme bei Glissandi oder Vibrato machen, wenn in den höheren Lagen dann unweigerlich die korrekte Tonhöhe mal auf ein Stäbchen drauffällt, kann man diesen Ton nicht halten: Entweder es macht "plopp", oder es schnarrt (beim Zupfen), und beim normalen Streichen kann es passieren, dass der Ton unbeabsichtigt hoch und runter schwankt :/ .
Für einige mag das nun ein Grund sein, sich in ihrer Ansicht bestätigt zu sehen und Bünde weiterhin gänzlich abzulehnen. Ich hingegen frage: Warum dieses Schwarz-Weiß-Denken?
Fakt ist: Bis zum 8. Bund ist die Intonation mit dem Fretter einwandfrei. Die Bünde sind in diesem Bereich noch breit genug, dass man genug Platz zum Korrigieren hat, wo Töne nicht mehr exakt am Stäbchen liegen. Ich habe schon ernsthaft in Erwägung gezogen, den Sticker einfach durchzuschneiden und nur den unteren Teil zu verwenden , quasi als "Mischlösung".
Den wichtigsten Teil, das Feintuning, das exakte Abstimmen des Tons auf die korrekte Tonhöhe, müssen wir immer selbst machen - egal ob mit oder ohne Bünden. Linien auf dem Griffbrett allgemein tun nichts weiter, als ein Gitternetz zur Orientierung draufzumalen. In der ersten und zweiten Lage braucht man das höchstwahrscheinlich noch nicht, das habe ich selbst nach einmaligem bundlosem Spielen gemerkt - da ist eben das Muskelgedächtnis schon vorhanden. Aber was ist mit Lagenwechseln, höheren Positionen etc.?
Bis man den Ton, der z.B. dem 7. Bund auf einer Saite entspricht (=Leersaite + 7 Halbtonschritte), mal eben aus der Luft verlässlich trifft, muss man eine Menge Zeit investieren. Wer diese Übungszeit investiert hat, denkt vielleicht, er hätte hier sein Gehör geschult. Doch wenn dies eine Sache des Gehörs wäre, müsste mein Bruder, der ein absolutes Gehör hat, diesen Ton aus dem Stand greifen können. Geht aber nicht. Was wird er stattdessen tun? Unten am Sattel ansetzen und hochsliden, bis ihm sein Ohr sagt, dass der Ton stimmt. Das Ohr weiß also schon, wo es hin will - der Finger ist es, der es nicht weiß!
Wenn man also ohne Bünde oder einfach nur Orientierungslinien spielt, fordert man mehr das Muskelgedächtnis als das Gehör - jedoch mit der Gefahr, dem Muskelgedächtnis auch erstmal einiges Falsches beizubringen. Und das führt unweigerlich zu einer Menge Umwegen und zusätzlicher Übungszeit, wo man imho die Frage stellen darf, ob die am Ende so sinnvoll investiert ist, wenn ein paar flache, aufgemalte Linien auf dem Griffbrett es erheblich erleichtern würden, ohne den Klang im Geringsten zu beeinträchtigen.
Wisst ihr, wie man wirklich das Gehör "ersetzt"? Wenn man die ganze Zeit mit angeschaltetem Stimmgerät spielt! Aber auch das tue ich - heißt ja genau wie bei den Bünden noch nicht, dass ich auch die ganze Zeit hingucke . Da würde man ja paranoid! So wie das Stäbchen auch gibt es mir lediglich, wenn mein Ohr mir bereits sagt, dass ich zu hoch oder zu tief bin, die Bestätigung dafür, dass ich mir das nicht einbilde und dadurch verschlimmbessere. Außerdem, egal, wie gut ich mein Gehör auch schule, das Stimmgerät wird immer noch ein bisschen pingeliger sein. Und den Ratschlag von jemandem, der ein besseres Gehör hat als man selbst, würde doch niemand von uns zu verwerfen empfehlen, oder?
Auf die Art und Weise bin ich dem Problem mit den erhabenen Bünden ja überhaupt erst auf die Schliche gekommen - denn wenn alle Töne ab einer bestimmten Lage zu hoch sind, das Verhältnis untereinander jedoch stimmt, merkt man das beim alleinigen Üben ohne Begleitinstrumente nicht unbedingt sofort. Vielleicht ist das der Grund, warum bisher mWn kein Fiddle Fretter-Nutzer auf YouTube dieses Problem angesprochen hat: Die meisten benutzen ihn auf akustischen Geigen. Dadurch, dass ich ihn auf einer E-Geige angebracht und größtenteils unverstärkt mit meinem Effektgerät auf Bypass geübt habe, war das Stimmgerät allzeit zugegen.
FAZIT: Linien auf dem Griffbrett sind allgemein betrachtet lediglich ein Navigationsgerät - keine Einparkhilfe. Sie geben dem Finger einen grob umzäunten Landeplatz, aber die Punktlandung muss der Pilot immer noch selbst hinkriegen. Sie erleichtern die ballistische Phase der Bewegung - den schnellen, ungenauen Teil, wo der Finger grob an die richtige Stelle bewegt werden muss - durch eine Eingrenzung des Zielbereichs, doch der feinmotorische Teil, dort, wo das Gehör die viel größere Präzisionsarbeit leisten muss, bleibt dem Menschen überlassen.
Erhabene Bünde bieten dabei dem Muskelgedächtnis Hilfestellung und haben damit etwas mehr Parkpilot-Charakter. Deshalb würde ich den Fiddle Fretter weiterhin jedem Gitarristen empfehlen, der die Geige mit dazunimmt, weil mir dieses Ding einfach einen Senkrechtstart ermöglicht hat, wie ich ihn nicht im Traum für möglich gehalten hätte.
Für alles, was in erster oder zweiter Lage ist, lässt sich der Fretter im Prinzip zeitlich unbegrenzt verwenden, weil er hier keine Fehler macht. Er ist bereits nach kurzer Zeit nicht mehr unbedingt nötig, schadet aber auch nicht. Oberhalb des 8. Bundes ist die momentane Konstruktion jedoch problematisch, da die exakt senkrechten Bünde nicht die Verteilung der Noten auf den Saiten wiederspiegeln, die Erhabenheit der Stäbchen jedoch eine manuelle Korrektur unmöglich macht.
Wenn ich mich jedoch in höhere Lagen wage, wo nicht nur der Abstand zum Orientierung-bietenden Sattel größer, sondern auch der Toleranzbereich für Fehler viel kleiner ist, finde ich flache Orientierungslinien weiterhin immens hilfreich. Der Profigeiger mag das als Fahren mit Stützrädern empfinden; für viele andere jedoch dürfte der Verzicht darauf eher Fahren ohne Helm gleichen .
Das Paradoxe ist also:
- Obwohl der Fiddle Fretter wesentlich stylisher und professioneller aussieht, ist er eigentlich das optimale Anfänger-Hilfsmittel, da er eine konstante Orientierung ermöglicht, ohne dass man hingucken muss. Es gilt die Klavier-Devise "Die heißen 'Tasten', nicht 'Gucken'!"
- Der Don't Fret hingegen, der amateurhafter aussieht, jedoch keine taktile Orientierung bietet und den Anfänger mit seinen (imho grässlichen) bunten Farben womöglich gar zum Gucken verleitet, dafür jedoch in den hohen Lagen nicht behindert, wo man sich vermutlich erst als Forgeschrittener hin traut, wäre damit eher für diese Zielgruppe geeignet.
- Im Endeffekt sind aber beide Tools verbesserungswürdig, weil sie (zu) gerade Linien verwenden.
Ich werde den Fiddle Fretter-Hersteller Peter Stoney daher anschreiben und ihn fragen, ob er schon einmal über einen Sticker mit Fanned Frets nachgedacht hat - für Gitarren gibt es das ja bereits, wenn auch dort aus anderen Gründen .
Alternativ wäre es schön, wenn wahlweise noch eine Fiddle Fretter-Fassung mit flachen, sichtbaren Bünden kreiert würde (also wie der jetzige "gold optic"-Sticker, nur eben nicht erhaben) - oder aber Don't Fret mal eine Version ohne all diese bunten Farben entwickeln würde, einfach sture weiße Linien.
Der Appell lautet also: Verdammen wir nicht die Technologie aufgrund ihrer derzeitigen Macken - lösen wir das Problem!
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