Da hast Du wirklich tausende von Anwendungsmöglichkeiten, und wie schon gesagt wurde: ein orthodoxes Patentrezept für Spielen ohne Plek bzw. mit Plek und Fingern kombiniert gibt es nicht. Das schlechteste, was Du machen kannst, ist es, mit der Technik an die Sache heranzugehen, die Du vielleicht aus der Klassik gelernt hast - eine E-Gitarre muss natürlich fundamental anders bedient werden als eine klassische Gitarre mit Nylonsaiten.
Jetzt muss ich ein wenig weiter ausholen...(sorry...)
Du solltest auch hier davon ausgehen, dass der Blues einerseits - auch was die Spieltechniken anbelangt - eine der konservativsten Musikrichtungen und andererseits Folklore ist. Die Bluesgitarristen, von denen John Mayer gelernt hat, haben von anderen gelernt - meist durch Zuschauen und intensives Zuhören, oder sie habe mit der Trial and Error-"Methode" eine Spieltechnik entwickelt, die mehr oder weniger persönlich ist.
John Mayer wurde (wie fast alle weißen Bluesgitarristen) sehr stark von Eric Clapton beeinflusst, und Clapton seinerseits zitierte häufig Robert Johnson als seinen Haupteinfluss. Über den wissen wir nicht ganz genau, wie er das Gitarrenspiel erlernt hat, und wir haben auch keine Videos, aber wir wissen trotzdem mehr oder weniger, wie er gespielt hat. Klar ist, dass er weder ein Fingerpick noch ein Plektrum benutzt und überwiegend mit dem Daumen und dem Zeigefinger der rechten Hand gespielt hat. Diese Art von Fingerpicking beherrschte er übrigens ausgezeichnet, das merkt man allein schon an dem voluminösen Klang seiner Gitarre, der trotz der schlechten Qualität seiner Aufnahmen sofort ins Ohr sticht.
Robert Johnson spielte den Bass mit dem Daumen und begleitete sich so beim Singen, da er ja keine Bandbegleitung hatte. Um sein Spiel farbiger zu gestalten, spielte er Einwürfe wie kurze Licks und Turnarounds auf den drei hohen Saiten mit dem Zeige- und wahrscheinlich auch dem Mittelfinger. Auch kannst du hier eine Technik verwenden, von der die meisten hartgesottenen Klassik-Freakt Haarausfall bekommen: man kann einen Akkord auf den oberen drei Saiten greifen und dann alle drei Töne von unten nach oben mit dem Zeigefinger der rechten Hand "brushen". Meistens spielte Robert Johnson Turnarounds af diese Weise: greif mal ein H auf der G-Saite, ein D auf der H-Saite und lass die E-Saite leer. Jetzt ziehst Du einfach den Zeigefinger der rechten Hand von unten nach ober über die Saiten. Wenn Du magst, kannst Du dabei in Halbtönen nach unten wandern, indem du die E-Saite leer lässt, aber B und Db und dann A und C auf den beiden höheren Saiten greifst - dies ist einer der klassischsten Turnarounds überhaupt. Du kannst ihn praktisch immer verwenden, wenn in E gespielt wird, akustisch oder elektrisch, als Begleitung oder auch im Solo. Sehr ähnliche Turnarounds spielte übrigens auch Stevie Ray Vaughan bei Shuffles wie Pride and Joy - allerdings mit Plektrum! Eric Clapton verwendet diese Technik auch oft regelmäßig, und ich bin mir sicher, dass John Mayer (der übrigens nicht zu meinen Favoriten gehört) auch solche Licks in der Trickkiste hat! Du kannst sie Dir auch relativ leicht aneignen.
Leider kann ich Dir nicht mit einem Video von Robert Johnson helfen (schön wärs...), aber du kannst dir Aufnahmen von Bluesern anschauen, die der Generation nach ihm angehören. Der bekannteste, der diese Technik mit dem Downstroke mit dem Daumen auf dem Downbeat und dem Upstroke mit dem Zeigefinger auf dem Upbeat (sorry für das viele Denglish) gespielt hat, war wohl John Lee Hooker. Hier mal ein super Video, das du nicht nur analysieren, sondern auch genießen solltest:
https://www.youtube.com/watch?v=ZUtNoe5IPno
Wie Du siehst, spielt John Mayer ganz ähnliche Sachen auf dem Video. Dieser Upbeat-Rhythmus ist eines der am weitesten verbreiteten Klischees im Blues. Billy Gibbons spielt es sehr gerne, z.B. bei La Grange, oft auch mit Pick und Fingern kombiniert:
https://www.youtube.com/watch?v=SE1xO44FlME
Auch für "reines" Solospiel auf der E-Gitarre kannst Du Deine Finger einsetzen. Hier gibt es zwei Männer, die diesen Stil sehr stark geprägt und Generationen von Bluesern beeinflusst haben: Albert King und Hubert Sumlin. Über beide wissen wir, dass sie niemals ein Pick benutzt haben. Leider kenne ich ihre Biographien nicht detailliert, aber ich denke, dass es bei beiden eher eine Frage der Gewöhnung und keine bewusste Entscheidung war, auf das Plek zu verzichten. Beide spielten in ihrer Jugend wohl akustische, da sie nichts anderes hatten, und damals war halt Fingerpicking der Standard. Als sie dann auf die E-Gitarre umgesattelt sind, machten sie sich nicht die Mühe, auf das Plek umzusteigen (meine persönliche Vermutung, nicht belegt).
Kommen wir zu Hubert Sumlin. Sein Name ist so eng mit dem Solospiel ohne Plek verbunden, dass im Blueser-Jargon "to hubert" so viel bedeutet, wie mit den bloßen Händen zu spielen. SRV verwendete den Ausdruck auch gerne und zitierte Hubert als einen seiner Haupteinflüsse.
Hier mal zwei Videos:
https://www.youtube.com/watch?v=5frAMMXes8c
https://www.youtube.com/watch?v=S_5gVABCUH4
Auch solltest du dir hier unbedingt die Aufnahmen von Howlin' Wolf mit Hubert als seinem Lead-Gitarristen anhören – mit das beste, was es an Chicago Blues gibt!
Zur Spieltechnik ist hier nicht viel zu sagen. Einfach aufmerksam die Videos anschauen, Aufnahmen anhören, Licks klauen und auf das Phrasing achten.
Kommen wir zu Albert King, der als der andere "Standard" gilt wenn es um Solo-Bluesgitarre ohne Plektrum geht. Hier ein Video:
https://www.youtube.com/watch?v=W2mZwHVfBMk
Hier fallen für mich zwei Sachen sofort auf: zu einem, dass er sehr rücksichtslos und ungehobelt spielt (das ist positiv gemeint!), und dass es nicht gerade eine unbegrenzte Vielfalt an Albert-Licks gibt. Vielmehr verstand er es, durch sein sensationelles Phrasing und Feeling die gleichen einfachen Licks immer so zu spielen, dass sie jedes mal anders und deswegen interessant klangen. Dies hing auch mit dem Umstand zusammen, dass er nur mit dem Dauen und dem Zeigefinger spielte und dadurch mehr Phrasierungsmöglichkeiten hatte. Er konnte z.B. an den Saiten reißen oder mit Dynamik und Attack spielen.
Auffallend ist noch, dass er als Linkshänder eine Rechtshänder-Gitarre spielte, aber die Saiten nicht umgespannt hatte. Er hatte somit die tiefen Saiten unten und die hohen oben.
Der Gitarrist, der wohl am stärksten von Albert King beeinflusst wurde, war Stevie Ray Vaughan. Um Alberts aggressiven "Snap" hinzubekommen, hat Stevie oft einen kleinen Trick verwendet: die großen Bendings auf den hohen Saiten (z.B. am Anfang von Texas Flood) spielte er nicht mit dem Plektrum, sondern mit dem Mittelfinger der rechten Hand, wobei er das Plek auch weiterhin zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. So hatte er die Möglichkeit, die Saiten von untern anzugreifen und Alberts Anschlag täuschend echt zu imitieren. Unbedingt ausprobieren!
Die Generation, die nach den klassischen Bluesern kam, hat all diese Techniken natürlich nicht nur verwendet, sonder auch weiterentwickelt. Die prominentesten E-Gitarristen sind hier wohl Jeff Beck und Mark Knopfler, zu deren Techniken ich allerdings nicht viel sagen kann. Hier sollten sich evtl. mal die Beck- und Knopfler-Spezis zu Wort melden.
Natürlich ist die Technik-Revolution der Neunziger auch am Blues nicht spurlos vorbeigegangen, und viele moderne Bluesgitarristen spielen auf einem technisch extrem hohen Niveau – und es gibt jede Menge Hybrid- und Fingerpicker unter ihnen. Schau Dir z.B. mal Greg Koch an, bei dem Du einen sehr starken Country-Einfluss hörst:
https://www.youtube.com/watch?v=jQQIT4SJHpY
Dies alles war nur als kurze Anregung gedacht. Wie du siehst ist das Thema Fingerpicking in etwa so ausführlich wie das Picking mit Plek. Schau Dir evtl. mal die Videos an, und dann geh deinen eigenen Weg!