In meiner Ausgabe (Fr. Lamond / Breitkopf & Härtel) steht für den 4. Satz der op. 26 eine Metronomangabe von Hans von Bülow: Viertel = 116. Die von Dir verlinkte Aufnahme liegt da knapp darüber (ca. 122 - 124). Es gehört ja gewissermassen schon zur Tradition der Beethoven-Interpretation, daß man über die zu wählenden Tempi streitet. Ganze Schulen von Interpreten und Musikwissenschaftlern gibt es da, die bestimmte Auffassungen zu den Tempi bei Beethoven vertreten: die schnelle Schule, offenbar auf Mendelssohn zurückgehend, und die langsame Schule, die mit V. Margulis heute vertreten ist. Manch einer behauptet, Beethovens Metronom sei falsch gegenagen (es war wohl auch gelegentlich in Reparatur, aber zur op. 26 gibt es ohnehin keine originalen Metronomzahlen).
Meine Meinung: Wenn Du nicht zur Gattung der Urtextschaben und Fliegenbeinzähler gehörst, nimm das Tempo, daß Dir liegt, in dem Du Dich musikalisch am Besten ausdrücken kannst. Wenn Du die Musik in Dir und aus Dir heraus zum Klingen bringst und dem Zuhörer damit ein Klangerlebnis vermitteln kannst, dann hast Du das richtige Tempo gewählt - selbst wenn es z.B. nur halb so schnell wäre wie das Bülowsche Tempo. Wenn Du die Luft im Konzertsaal zum knistern bringst, wen kümmert dann irgendein "Original-Tempo"? Und wenn Dein Tempo dem alten Herrn Ludwig da oben im Himmel nicht passt und er sich im Grabe herumdreht, soll er halt in Gottes Namen heruntersteigen und selber spielen ... Wir sind doch die Musiker und müssen verantworten, was wir wie spielen. Ansonsten hätte er den Kram halt nicht aufschreiben und überliefern sollen!
Viele Grüße,
McCoy