Es ist schwer, "analog" auf eine Seite und "virtuell-analog" auf die andere zu stellen. Dafür gibt es auf beiden Seiten zu unterschiedliche Klangcharaktere.
"Analog" ist nicht immer Minimoog. Das kann auch ein häßlich klingender MS-20 sein. Oder Jupiter-6 oder die späten MKS-70, die klingen eher brillant und unterkühlt, wie man es von Vintage™-Analog™-Synths so kaum erwarten würde. Oder vergleich mal den breiten Oberflächenleger JX-8P mit seinen moderat schnellen Hüllkurven mit dem Schlachtschiff Yamaha GX-1 mit 1-ms-Minimum-Hüllkurven und Frequenzbereich bis in den Ultraschall (muß schon einen Grund haben, warum die Filter bis 25,6 kHz gehen). Klingen beide nicht wie Moog und doch grundverschieden.
"Analog" muß auch nicht immer Wohlklang heißen. Siehe MS-20. Ich bin auch mit dem Pulse 2 nicht warm geworden, da kenn ich VAs, die besser klingen (auch wenn jetzt einige Freaks ankommen mit "ja, wenn der Pulse 2 komplett spannungsgesteuert und diskret aufgebaut wär, blafasel"). Zugegeben, als ich am selben Tag mehrere Varianten des Mopho auf den Ohren hatte und mir dann einen MicroKorg XL+ zu Gemüte führte, fehlte mir bei letzterem irgendwas.
Außer dem Moog, der scheinbar jenseits jeder Kritik steht, wird bei vielen neueren Analogen kritisiert sie hätten zu wenig Biss.
Ist das tatsächlich so?
Na ja, zugegeben, wenn ein Analogsynth rauskommt, der nicht unbedingt nur freakig ist (Anyware Tinysizer oder alles, was Eowave baut), gehen erstmal die Vergleiche mit der klanglichen Referenz bei Analogsynths los: Moog Minimoog Model D. Selbst alle anderen Moog-Modelle klingen nicht so "gut" wie er. Nein, auch der Voyager Old School nicht. Und wenn selbst die Voyagers klanglich meilenweit™ vom Original-Minimoog entfernt sind (sind übrigens auch gleichalte Modulars), dann kann man den vom Minimoog-Sound verwöhnten Kunden oder Tester überhaupt nicht mehr zufriedenstellen.
Jetzt geht's aber los: Noch analoger als der alte Minimoog geht's kaum mehr. Auch kaum noch ungenauer. Du könntest zwei beliebige Minimoogs mit aufeinanderfolgenden Seriennummern nebeneinanderstellen, und sie klingen unterschiedlich. Es soll Leute geben, die einen Minimoog kaufen wollen und erstmal ein Dutzend zum Verkauf stehende Exemplare anhören, bis sie das gefunden haben, das ihnen klanglich am besten gefällt.
Große Ausnahme: alles, was Acid-Basslines können soll. Da wird zum Vergleich die TB-303 rangezogen. Für die gilt dasselbe wie für den Minimoog, was die Genauigkeit angeht. Klar, damals konnte Roland sehr präzise Synths bauen, siehe Jupiter-6, aber nicht für $400, da mußte billige Rumpeltechnik ran. Und genau diese Rumpeltechnik sorgt seit 26 Jahren für fette, blubbernde, quietschende, säuretropfende Basslines.
Beim Minimoog wird auch gern übersehen, daß auch er kein Universalgenie unter den Analogen ist. Und damit mein ich nicht, daß Modulationstricks à la ARP 2600, MS-20 oder Matrix-12 damit nicht gehen, sondern daß er schlicht und ergreifend bestimmte Klangcharaktere nicht kann. Selbst der olle Prophet-5, von Phil Collins zum Flächensynth pauschalisiert, glitzert den Minimoog in die Tasche. Und meines Wissens hat noch nie jemand aus einem Minimoog
Blade Runner geholt. Das interessiert aber kaum einen, weil alle "warm" und "fett" wie Manfred Mann oder Rick Wright wollen.
Andere Referenzen werden praktisch nie herangezogen, außer ein bestimmter Vintage-Synth wird geklont, dann wird das Original als Referenz genommen. Bei den Studio Electronics Boomstars wird nur beim 5089 gefragt, wie gut der Minimoog kann. Beim SE80 wird eher gefragt, wie gut der
Blade Runner kann, und beim 3003, wie gut der Säure spucken kann, aber die wertet keiner ab, weil sie nicht Minimoog können.
Allenfalls, wenn absolute Freaks die Synths testen, die außerhalb von Zeitschriftenredaktionen auch privat schon einiges unter den Händen und Ohren hatten, wird mal anders bewertet. Diese Freaks kennen nämlich auch andere Referenzen und ziehen dann die heran, der sich ein Synth a) konzeptionell und b) klanglich am ehesten nähert. Soll ja auch Leute geben, die das zu schätzen wissen, wenn ein Analogsynth klanglich tendentiell Richtung - sagen wir - Polysix, OB-8 oder späten ARP Odyssey geht.
Frage: Was passiert dann wenn ich das Signal eines analogen Synthesizers in eine DAW (Computer + Cubase) aufnehme. Ist ja dann digitalisiert. Ich stelle mir vor - ähnlich einem Song der vorher auf Schallplatte war und nun auf CD digitalisiert.
Das neue digitalisierte Audiosignal vom Synth kann ja dann auch nur eine bestimmte Auflösung haben. Ist dann wieder Essig mit Analog-Wärme??
Gut, Wärme und Fettheit kommen nicht einfach nur aus dem Fehlen der digitalen Rasterung. Dahinter stecken besonders die Ungenauigkeiten eines Analogsynth (je nach Bauart natürlich; ein 1970er Minimoog mit originalem Oszillatorboard ist ungenauer und für nicht wenige Leute "fetter" als ein 1985er Roland Alpha Juno oder ein aktueller Waldorf Pulse 2).
Was letztlich digitalisiert wird, ist der Klang und nicht dessen Entstehen im Synth. Selbst wenn durch das Digitalisieren ein Raster entsteht, so hat die ganze Aufnahme ein gemeinsames Raster für alles; alles ist 100% synchron zueinander gerastert.
Wenn das Digitalisieren einer Aufnahme eines Analogsynth eine große klangliche Rolle spielt, dann müßte es auch eine Rolle spielen, wenn man einen digitalen Synth digital aufnimmt, ohne die interne Clock des Synth mit der Clock des A/D-Wandlers und Aufnahmegeräts zu synchronisieren, so daß die digitalen Quantisierungen in den beiden Geräten nicht zueinander synchron sind.
Martman