Bei der Diskussion muss man erstmal schauen, unter welchen Gesichtspunkten man bewerten mag und worauf man Wert legt.
a) Sound
Natürlich das wichtigste. Ich finde, viele Ampsims klingen von Haus aus zu muffig und wenig transparent. Das liegt daran, dass die mitgelieferten Boxensimulationen häufig Müll sind. Die Entwickler versuchen hier einem möglichst viele Optionen zu geben (zig Mikros, frei platzierbar im Raum etc). Das braucht einiges an Tweaking. Besser und vor allem einfacher sind meiner Meinung nach Third Party Impulse Responses von Anbietern wie Ownhammer oder Rosen. Die werten den Sound von Ampsims extrem auf. Bezüglich Aufnahmen würde ich auch behaupten, dass die wenigsten den Unterschied zwischen Ampsims mit guten IRs und einem selbst aufgenommenen Röhrentop erkennen können. Dies gilt natürlich für den kompletten Mix. Gibt da genug Shootout Videos auf Youtube.
b) Spielgefühl
Das Spielgefühl von älteren Ampsims war nicht so toll. Aber es hängt natürlich auch vom Sound ab. Wenn man ein High Gain Brett fährt, ist die Dynamik häufig eh schon weg (vor allem, wenn man zu der "Mitten gehören rausgedreht" Fraktion gehört). Interessanter wird es, wenn man einen Sound zwischen Clean und Crunch fährt, also den Zerranteil durch die Hand bestimmt. Hier haben die Ampsims große Fortschritte gemacht, fühlen sich aber noch nicht genau so an wie ein Röhrentopteil. Das kann aber auch Einbildung sein, da mir auch ausreichend Vergleichswerte fehlen (spiele hauptsächlich E-Bass)
c) Röhre ist das einzig wahre!!!!!!!!!!!!!!11111111111111
Ich gehörte auch zu den Röhrenfanatikern. Und zwar im Alter von 16 bis bis ca. 25. (also bis vor drei Jahren). Die Gitarristen haben immer einen Vollröhrenmarshall gespielt. Ich selbst hatte einen Fender Bassman 100 (toller Amp) und habe hier immernoch einen Ampeg SVT2 Pro stehen. Die dazugehörige 8x10er Box habe ich vertickt. So Equipment klingt natürlich geil. Der Druck aus den Boxen ist schön, der Ampeg Kühlschrank bringt die Eier ordentlich zum vibrieren mit dem richtigen Sound.
Mittlerweile spiele ich als Amp nur noch einen Darkglass B7K Preamp, der bis vor kurzem per Pult in die PA ging und bei den Proben nur noch über In Ear läuft. Die Modellingamps (Line 6, Axe FX und Kemper) sind Stand jetzt schon sehr weit und extrem gut. Sie sind auch vielseitiger Einsetzbar. Du kannst sie in eine neutrale Endstufe hauen und dann an eine Box hauen (vorher die Boxensim ausschalten) und du hast den selben Druck. Ich kann mein Teil zuhause ans Interface anschließen, an eine aktive Monitorbox, Aufnehmen etc. Mithilfe von Ampsims (und auch Modellingamps) bin ich an kein Genre gebunden und bleibe flexibel. Wenn ich Bock auf einen Post Punkingen Clean Sound habe, kann ich mir eine schöne VOX AC30 oder Roland Jazz Chorus Sim reinhauen und davor Treter ausprobieren, ohne mir einen zweiten Amp zulegen zu müssen. Wenn ich den Kemper hab, kann ich nach wie vor meinen angezerrten Basssound fahren oder wenn ich Bock habe, einen schönen, Ultra Lo Ampeg Sound fahren.
Konzerte sind mittlerweile auch angenehmer. Ich brauch nur noch nen Koffer mitschleppen und muss mir nicht nen Wagen leihen, um meinen Kram zu transportieren. Da ist der Spaß auf einen Gig wesentlich größer. Im Proberaum haben wir dank Modellingamps (die im Endeffekt auch nur eine CPU und Software haben wie Ampsims) die Möglichkeit, über In Ear zu spielen. Plötzlich hört man die eigenen Lieder im anderen Gewand und hat keinen schrecklichen Matsch, der schwer zu verhindern ist.
Das ganze ist bisschen ausgeufert. Mich persönlich hat es als Musiker viel weitergebracht, mich vom unerschütterlichen Glaubensgrundsatz "Röhre ist alles" zu verabschieden. Ich kenne die klanglichen Unterschiede zwischen einzelnen Amps besser und weiß jetzt, wie ich meinen gewünschten Sound erreichen kann. Mit einem Röhrenamp hat man halt nicht soviel Spielmöglichkeiten. Und im Endeffekt gilt: Ob Transe oder Röhre: wenn man sein Equipment nicht pflegt und beschissen einstellt, hilft eh nichts weiter. Deswegen: schau mal über den Tellerrand.