bassmüller
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Hallo, liebe Quetschkommodisten,
da ich selbst vor ein paar Wochen noch händeringend nach Tipps für das Stimmen des Akkordeons gesucht habe, nehme ich mir hier mal etwas Zeit, um über meine ersten Gehversuche in dieser Richtung zu berichten.
Insgesamt kann ich von meinem ersten selbst gestimmten Akkordeon (Hohner Verdi) sagen, dass das Stimmen sich gelohnt hat. Eine komplette Renovierung (Demontage, waschen der Stimmzungen, stimmen, ventilieren, einwachsen) hätte laut Fachmann im Bereich von EUR 1.200 gelegen. Das Akkordeon war also eigentlich ein wirtschaftlicher Totalschaden, ansonsten aber ein schönes und für das Alter sehr gut erhaltenes Instrument. Alles war noch dicht, der Klang klasse, kaum etwas verrostet oder kaputt (bis auf eine hochgedrückte Taste und zwei abgebrochene Stimmzungen). Der einzige Fehler: Es war völlig schräg, warum auch immer.
Jetzt, nach dem Stimmen, klingt es wieder, ist auf einer für das Zusammenspiel mit Bläsern passenden Tonhöhe und hat kein Tremolo mehr (das ging mir auf den Sack). Nicht zu unterschätzen ist der Arbeitsaufwand, der gerade beim ersten Akkordeon gewaltig ist (auch wegen kognitiver Fehlleistungen, s. u.). An Kosten sind zu kalkulieren:
ein mittelmässiges
Akkordeon € 190,--
ein Lötkolben € 20,--
ein Stimmtisch € 130,--
Dirks Tuner € 200,--
Wachs, Ersatzteile € 20,--
und jede Menge Zeit.
Summe (ohne Zeit): € 560,--
Das Waschen der Stimmzungen habe ich übrigens grob vereinfacht: Ich habe die Zungen mit Tuner 600, einem Kontaktreiniger für empfindliche Oberflächen, eingesprüht und den Dreck mit etwas Pressluft runtergeblasen. Das Ausbauen, waschen und neu Einwachsen der Stimmplatten hätte meinen zeitlichen Rahmen vollends gesprengt.
Ein ordentliches Stimmgerät ist Grundvoraussetzung. Empfehlenswert ist Dirks Akkordeontuner, da er bis zu drei Stimmen gleichzeitig misst und dabei noch schnell und genau ist. Das spart viel Arbeit. Wer noch einen Hunderter drauflegt, bekommt zusätzlich ein Modul, das die Stimmlisten schreibt. Ich habe mir das gespart, da ich nicht sicher bin, ob ich auf Dauer auf Akkordeon-Stimmen umschulen werden
Der eigentliche Stimmvorgang: Zuerst muss ein Stimmprotokoll geschrieben werden. Dazu wird jede einzelne Zunge (jeder Ton mit Druck und Zug) mit dem Tuner gemessen und die Abweichung in Cent notiert. Cent ist eine praktische Einheit, da unabhängig von der absoluten Hertz-Zahl jeder Halbton 50 Cent hat. Im nächsten Schritt wird das Akkordeon demontiert und die Chöre auf dem Stimmtisch nochmal gemessen und notiert, da die Stimmzungen sich außerhalb des Akkordeons anders verhalten. Der Grund dafür scheint reine Bosheit zu sein :-(
Unbedingt beachten: Die Luftrichtung am Stimmtisch ist genau entgegengesetzt der Strömungsrichtung im Akkordeon. Die Zunge, die für den Zug-Ton im Akkordeon verantwortlich ist, wird auf dem Stimmtisch durch Druck angeregt. Wer das nicht verstanden hat, sollte jetzt so lange darüber nachdenken, bis er es kapiert hat. Ich selbst habe das *schon* nach geschätzten 20 (teilweise demoralisierenden) Stunden Stimmarbeit herausgefunden. Man kann ja so doof sein.
Nachdem man nun alle Zungen für Druck und Zug einmal im Akkordeon und einmal außerhalb notiert hat, geht es ans Rechnen. Hat eine Zung z. B. eine Abweichung von -8 Cent im Akkordeon und +1 Cent außerhalb, so ist der Wert, auf den diese Zunge nun gestimmt werden muss +9 Cent. Eingebaut wird diese Zung dann nach dem Stimmen einen Wert von 0 Cent zeigen. Da ein Akkordeon eine Unmenge von diesen Zungen hat, empfiehlt es sich, dafür eine Tabellenkalkulation zu basteln. Das minimiert die Rechenfehler und die Arbeit. Leider kann ich hier keine LibreOffice-Dateien hochladen. Wer überhaupt keine Ahnung von Tabellekalkulation hat, kann das Ding gerne per Mail haben.
Gestimmt werden die Zungen am besten mit einem Dremel und einer schmalen, leicht tonnenförmigen, diamantbesetzten Spitze. Um den Ton nach oben zu drücken, wird an der Spitze der Zunge Material abgetragen, um den Ton zu senken, muss im hinteren Drittel abgenommen werden. Bei den oben liegenden Zungen stellt das kein Problem dar. Schwieriger ist es, die Zungen zu bearbeiten, die im Akkordeon auf Zug reagieren. Die kann man mit einem Spezialwerkzeug, das man innen in der Kanzelle ansetzt, nach außen drücken und mit einer sehr dünnen Edelstahlklinge arretieren, damit man sie schleifen kann. (Fotos der Werkzeuge lade ich hoch). Bei den tiefen Tönen ist das alles noch völlig entspannt. Kritisch wird es bei den hohen Tönen, weil die Stimmzungen so kurz sind, dass man den Löse-Abstand ruiniert bzw. gar nicht erst an sie drankommt. Das Tieferstimmen geht bei diesen Zungen besser innen, in der Kanzelle: Dremel im ausgeschalteten Zustand auf die Zunge setzen, kurz laufen lassen und hoffen, dass der Dremel nicht zur Seite abrutscht. Und noch ein Tipp: Für den Dremel am besten einen Fußschalter besorgen. Sonst fehlt beim Stimmen immer mindestens eine Hand. Und die Geräte mit flexibler Welle vereinfachen die Arbeit auch. Das Ding hängt man in der passenden Höhe über den Stimmtisch und hat nicht viel Masse beim Schleifen zu bewegen.
Da bei den tiefen Zungen natürlich erheblich mehr abgetragen werden muss, ist es nach meiner Erfahrung sinnvoll, mit dem Stimmen bei den hohen Tönen anzufangen. Sonst läuft man Gefahr, ständig aus Gewohnheit zu viel abzuschleifen. Einfacher ist es, sich auf behutsames Arbeiten bei den kleinen Zungen einzustellen und nach und nach grober zu werden.
Falls mal eine Zunge dabei drauf geht, ist das auch kein Beinbruch. Die Stimmplatten lassen sich einzeln nachkaufen und sind mit Wachs zu befestigen (gibt’s auch beim Fachmann, kein Kerzenwachs nehmen, das klebt nicht). Zum Befestigen einach eine Lötkolben-Spitze flachkloppen, den Kolben warm machen und das Wachs daran herunterlaufen lassen. Der Vorgang ist sehr ähnlich wie weichlöten, nur viel einfacher. Ausprobieren ist alles. Die Nägel kann man sich übrigens sparen – das Wachs klebt völlig ausreichend. Die Lötkolbentemperatur sollte auf alle Fälle unter dem Rauchpunkt des Wachses liegen. Wenn sie drüber liegt, einfach den Lötkolben ausschalten und warten, bis die Temperatur wieder so tief ist, dass das Wachs nicht mehr stinkt, sondern nur schmilzt.
Fehlende Ventile kann man aus Resten von Film-Negativen passend schneiden und mit Uhu aufkleben. Sieht doof aus, funktioniert aber. Oder man kauft direkt im Fachhandel einen Satz Ventile.
So weit meine Erlebnisse. Die Fachleute werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber ich denke, dass der ein- oder andere sinnvolle Hinweis für absolute Rookies dabei sein könnte. Viel Spaß beim Fräsen!
PS: Ich möchte mich ausdrücklich für die Werbung für die Software, das Spray und für das Produktplacement der Tube Uhu auf dem Bild entschuldigen.
Der Lötkolben zum Schmelzen des Wachses
Der Stimmtisch. Darauf das Gerät zum Herausangeln der Zungen. Ein Selbstbau aus einem alten Feilen-Griff und einem Stück dicken Stahldrahts. Links daneben der Rest eines Edelstahl-Küchenmessers. Mit dem werden die Zungen nach dem "Herausangeln" arretiert und beim Schleifen gehalten.
Der Stimmtisch. Auf dem PC läuft der Akkordeon-Tuner. Über dem Stimmtisch (nicht im Bild) ein Mannesmann-Dremel und ein SM58, das über Mischpult und Aux-Out in den PC geht.
da ich selbst vor ein paar Wochen noch händeringend nach Tipps für das Stimmen des Akkordeons gesucht habe, nehme ich mir hier mal etwas Zeit, um über meine ersten Gehversuche in dieser Richtung zu berichten.
Insgesamt kann ich von meinem ersten selbst gestimmten Akkordeon (Hohner Verdi) sagen, dass das Stimmen sich gelohnt hat. Eine komplette Renovierung (Demontage, waschen der Stimmzungen, stimmen, ventilieren, einwachsen) hätte laut Fachmann im Bereich von EUR 1.200 gelegen. Das Akkordeon war also eigentlich ein wirtschaftlicher Totalschaden, ansonsten aber ein schönes und für das Alter sehr gut erhaltenes Instrument. Alles war noch dicht, der Klang klasse, kaum etwas verrostet oder kaputt (bis auf eine hochgedrückte Taste und zwei abgebrochene Stimmzungen). Der einzige Fehler: Es war völlig schräg, warum auch immer.
Jetzt, nach dem Stimmen, klingt es wieder, ist auf einer für das Zusammenspiel mit Bläsern passenden Tonhöhe und hat kein Tremolo mehr (das ging mir auf den Sack). Nicht zu unterschätzen ist der Arbeitsaufwand, der gerade beim ersten Akkordeon gewaltig ist (auch wegen kognitiver Fehlleistungen, s. u.). An Kosten sind zu kalkulieren:
ein mittelmässiges
Akkordeon € 190,--
ein Lötkolben € 20,--
ein Stimmtisch € 130,--
Dirks Tuner € 200,--
Wachs, Ersatzteile € 20,--
und jede Menge Zeit.
Summe (ohne Zeit): € 560,--
Das Waschen der Stimmzungen habe ich übrigens grob vereinfacht: Ich habe die Zungen mit Tuner 600, einem Kontaktreiniger für empfindliche Oberflächen, eingesprüht und den Dreck mit etwas Pressluft runtergeblasen. Das Ausbauen, waschen und neu Einwachsen der Stimmplatten hätte meinen zeitlichen Rahmen vollends gesprengt.
Ein ordentliches Stimmgerät ist Grundvoraussetzung. Empfehlenswert ist Dirks Akkordeontuner, da er bis zu drei Stimmen gleichzeitig misst und dabei noch schnell und genau ist. Das spart viel Arbeit. Wer noch einen Hunderter drauflegt, bekommt zusätzlich ein Modul, das die Stimmlisten schreibt. Ich habe mir das gespart, da ich nicht sicher bin, ob ich auf Dauer auf Akkordeon-Stimmen umschulen werden
Der eigentliche Stimmvorgang: Zuerst muss ein Stimmprotokoll geschrieben werden. Dazu wird jede einzelne Zunge (jeder Ton mit Druck und Zug) mit dem Tuner gemessen und die Abweichung in Cent notiert. Cent ist eine praktische Einheit, da unabhängig von der absoluten Hertz-Zahl jeder Halbton 50 Cent hat. Im nächsten Schritt wird das Akkordeon demontiert und die Chöre auf dem Stimmtisch nochmal gemessen und notiert, da die Stimmzungen sich außerhalb des Akkordeons anders verhalten. Der Grund dafür scheint reine Bosheit zu sein :-(
Unbedingt beachten: Die Luftrichtung am Stimmtisch ist genau entgegengesetzt der Strömungsrichtung im Akkordeon. Die Zunge, die für den Zug-Ton im Akkordeon verantwortlich ist, wird auf dem Stimmtisch durch Druck angeregt. Wer das nicht verstanden hat, sollte jetzt so lange darüber nachdenken, bis er es kapiert hat. Ich selbst habe das *schon* nach geschätzten 20 (teilweise demoralisierenden) Stunden Stimmarbeit herausgefunden. Man kann ja so doof sein.
Nachdem man nun alle Zungen für Druck und Zug einmal im Akkordeon und einmal außerhalb notiert hat, geht es ans Rechnen. Hat eine Zung z. B. eine Abweichung von -8 Cent im Akkordeon und +1 Cent außerhalb, so ist der Wert, auf den diese Zunge nun gestimmt werden muss +9 Cent. Eingebaut wird diese Zung dann nach dem Stimmen einen Wert von 0 Cent zeigen. Da ein Akkordeon eine Unmenge von diesen Zungen hat, empfiehlt es sich, dafür eine Tabellenkalkulation zu basteln. Das minimiert die Rechenfehler und die Arbeit. Leider kann ich hier keine LibreOffice-Dateien hochladen. Wer überhaupt keine Ahnung von Tabellekalkulation hat, kann das Ding gerne per Mail haben.
Gestimmt werden die Zungen am besten mit einem Dremel und einer schmalen, leicht tonnenförmigen, diamantbesetzten Spitze. Um den Ton nach oben zu drücken, wird an der Spitze der Zunge Material abgetragen, um den Ton zu senken, muss im hinteren Drittel abgenommen werden. Bei den oben liegenden Zungen stellt das kein Problem dar. Schwieriger ist es, die Zungen zu bearbeiten, die im Akkordeon auf Zug reagieren. Die kann man mit einem Spezialwerkzeug, das man innen in der Kanzelle ansetzt, nach außen drücken und mit einer sehr dünnen Edelstahlklinge arretieren, damit man sie schleifen kann. (Fotos der Werkzeuge lade ich hoch). Bei den tiefen Tönen ist das alles noch völlig entspannt. Kritisch wird es bei den hohen Tönen, weil die Stimmzungen so kurz sind, dass man den Löse-Abstand ruiniert bzw. gar nicht erst an sie drankommt. Das Tieferstimmen geht bei diesen Zungen besser innen, in der Kanzelle: Dremel im ausgeschalteten Zustand auf die Zunge setzen, kurz laufen lassen und hoffen, dass der Dremel nicht zur Seite abrutscht. Und noch ein Tipp: Für den Dremel am besten einen Fußschalter besorgen. Sonst fehlt beim Stimmen immer mindestens eine Hand. Und die Geräte mit flexibler Welle vereinfachen die Arbeit auch. Das Ding hängt man in der passenden Höhe über den Stimmtisch und hat nicht viel Masse beim Schleifen zu bewegen.
Da bei den tiefen Zungen natürlich erheblich mehr abgetragen werden muss, ist es nach meiner Erfahrung sinnvoll, mit dem Stimmen bei den hohen Tönen anzufangen. Sonst läuft man Gefahr, ständig aus Gewohnheit zu viel abzuschleifen. Einfacher ist es, sich auf behutsames Arbeiten bei den kleinen Zungen einzustellen und nach und nach grober zu werden.
Falls mal eine Zunge dabei drauf geht, ist das auch kein Beinbruch. Die Stimmplatten lassen sich einzeln nachkaufen und sind mit Wachs zu befestigen (gibt’s auch beim Fachmann, kein Kerzenwachs nehmen, das klebt nicht). Zum Befestigen einach eine Lötkolben-Spitze flachkloppen, den Kolben warm machen und das Wachs daran herunterlaufen lassen. Der Vorgang ist sehr ähnlich wie weichlöten, nur viel einfacher. Ausprobieren ist alles. Die Nägel kann man sich übrigens sparen – das Wachs klebt völlig ausreichend. Die Lötkolbentemperatur sollte auf alle Fälle unter dem Rauchpunkt des Wachses liegen. Wenn sie drüber liegt, einfach den Lötkolben ausschalten und warten, bis die Temperatur wieder so tief ist, dass das Wachs nicht mehr stinkt, sondern nur schmilzt.
Fehlende Ventile kann man aus Resten von Film-Negativen passend schneiden und mit Uhu aufkleben. Sieht doof aus, funktioniert aber. Oder man kauft direkt im Fachhandel einen Satz Ventile.
So weit meine Erlebnisse. Die Fachleute werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber ich denke, dass der ein- oder andere sinnvolle Hinweis für absolute Rookies dabei sein könnte. Viel Spaß beim Fräsen!
PS: Ich möchte mich ausdrücklich für die Werbung für die Software, das Spray und für das Produktplacement der Tube Uhu auf dem Bild entschuldigen.
Der Lötkolben zum Schmelzen des Wachses
Der Stimmtisch. Darauf das Gerät zum Herausangeln der Zungen. Ein Selbstbau aus einem alten Feilen-Griff und einem Stück dicken Stahldrahts. Links daneben der Rest eines Edelstahl-Küchenmessers. Mit dem werden die Zungen nach dem "Herausangeln" arretiert und beim Schleifen gehalten.
Der Stimmtisch. Auf dem PC läuft der Akkordeon-Tuner. Über dem Stimmtisch (nicht im Bild) ein Mannesmann-Dremel und ein SM58, das über Mischpult und Aux-Out in den PC geht.
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