Akkordeon Modell "Rhythmus" - eBay-Kauf und Restauration

HorstS
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Karneval naht, und da meine Kratt zu schwer und zu wertvoll ist, um sie beim Karnevalszug mit sich rumzuschleppen, musste auf die Schnelle ein Akkordeon her, bei dem es nicht so drauf ankommt.

Bei eBay fand ich, was ich suchte: Ein dreichöriges Akkordeon mit 72 Bässen, 20 km von mir entfernt, 50 EUR. Der Beschreibung war zu entnehmen: eine Taste steht hoch, ein Bassknopf fehlt, spielt sonst einwandfrei. Wenn das stimmte, dann war der Preis OK.

Kleiner als 72-bässig sollte es nicht sein, Versand kam nicht in Frage (Die Post hat mir schon zu viele Instrumente geschrottet.), 50 EUR sind als Risikokapital zu vertreten. Die beschriebenen Fehler würden von mir selbst behoben werden können. Und wäre die Beschreibung falsch gewesen, wäre ich notfalls vom Kauf zurückgetreten.

Die grobe Überprüfung vor Ort ergab: Abgesehen von den beschriebenen Fehlern und zwei nicht ganz einwandfreien Tönen im 16' alles OK.

vorher.jpg

Die genauere Überprüfung zu Hause ergab: Das Instrument ist optisch und olfaktorisch in altersgemäß sehr gutem Zustand, akustisch muss man mal gelegentlich nachstimmen, aber für Karneval reichts absolut. Das Instrument macht einen recht gut verarbeiteten Eindruck, Holzkerntastatur, lediglich beim Einpassen des Verdecks im Diskant wurde etwas geschludert. Klingt aber richtig gut, und ist im restaurierten Zustand fast schon wieder zu schade . . .

balg.jpg



bass.jpg



diskant.jpg



stimmst1.jpg



stimmst2.jpg



tastatur.jpg

"Rhytmus" als Markenname sagt mir erst mal gar nichts. Auf dem Typenschild steht " 'Rhythmus' PGH des Akkordeonbauhandwerks Klingenthal/Sa. 2 u. 3", darüber eine 2 und darunter die Seriennummer 5948S. PGH bedeutete "Produktionsgenossenschaft Handwerk" (ab ca. 1955) und legt mir die Vermutung nahe, dass es nicht direkt aus der Produktion der Harmona / Weltmeister kommt.
Wer weiß mehr darüber? Vielleicht fällt ja jemandem was zur Seriennummer ein, was mehr Aufschlüsse über das Instrument gibt.

ser-nr.jpg

Gestern habe ich das Teil dann erst mal mit Sidolin und Elsterglanz grundgereinigt. Dann wurden die Clavis-Hebel gerichtet. Über einen Bekannten bekam ich einen passenden Bassknopf als Ersatzteil.

nachher.jpg

Das Teil ist recht kompakt, wiegt 7,9 kg. Sehr freundlich . . .

Ob der Luftverbrauch höher ist, oder ob ich nur - von den 120-bässigen kommend - das kleinere Luftvolumen eines 72er Balges nicht gewohnt bin?

Insgesamt aber 50 EUR und etwa zwei Stunden Arbeit, die sich gelohnt haben.
 
Eigenschaft
 
Herzlichen Glückwunsch zu diesem schönen Instrument. Es handelt sich um ein Akkordeon der Güteklasse 2 aus einer der ortsansässigen Firmen aus Klingenthal aus schätzungsweise 60er Jahre. Das Verdeck ist noch nach "altem" Stil gebaut, die Innereien sind aber schon moderner als 50er Jahre. Die kleinen Firmen in Klingenthal existieren bis 1972/75 selbständig, waren aber untereinander sehr verbunden. Danach kam dann der entgültige Zusammenschluß zu einer Produktionsgemeinschaft, wobei die Markennamen teilweise weitergeführt wurden. Die Akkordeons entsprachen alle von diesen kleineren Firmen gleichwertigen Standards, was auch kaum verwundert, da alle die selben Zulieferer in Anspruch nahmen und sich auch gegenseitig halfen.

Zum Gütesiegel: Es handelt sich dabei um internationales Standardgütesymbol. Ein Akkordeon mit der Zahl 2 entsprach als den Mindestqualitätsanforderungen der Stufe zwei dieses Siegels. Alles, was darunter lag, bekam kein Gütesiegel mehr. Bei allen Akkordeons aus Klingenthal, die ich bis jetzt gesehen habe, hatten die 120er Baßakkordeons durchweg das Siegel 1, die kleineren drunter (96 und meist einen Chor weniger) oft die 2.

Zur Frage der Stimmplatten: Klingenthal produzierte eigene Stimmplatten in zwei bis drei Qualitätsstufen (konnte das jetzt auch noch nicht so dem Akkordeonbuch von Richter richtig entnehmen). Machinengefertigt, Halbhand, Hand. Es gab ab den 60er Jahren zwei Arten der Herstellung: Ausstanzen mit Hobeln (mindere Güte), Ausschneiden mit Abschleifen (hohe Güte).
Alle Zungen wurden mit Maschinen vernietet.
Liest man sich den ganzen Artikel durch, steckte da ein Haufen Schleifarbeit dahinter und vieles wurde (noch) von Hand gemacht, zusätzlich kamen Legeautomaten und Schleifautomaten zum Einsatz. Am Schluß stand immer der Reinstimmer.
 
Hallo Horst,

ein wirklich schönes Instrument :great:.

Ob der Luftverbrauch höher ist, oder ob ich nur - von den 120-bässigen kommend - das kleinere Luftvolumen eines 72er Balges nicht gewohnt bin?

Da werden beide Faktoren eine Rolle spielen - den gleichen Effekt kenne ich, wenn ich zwischen meinen beiden Akkordeons (Concerto I - Morino VI N) wechsele...
 
kennen nur wir Ossis

Enää!

Das kennen auch Rheinländer wie ich . . .

Na juut, ich habe einige Jahre in Berlin gelebt, hab zu Wendezeiten voll Neugier den Osten bereist, hatte einige Freunde dort. Dementsprechend habe ich mehr Verbindung zu den "neuen Bundesländern" als - leider - die meisten "Wessis".
 
Kleiner Nachtrag: Seit gestern hat die "Kleine" auch ein Mikrofon eingebaut. Elektretkapsel von Conrad.

pickup.jpg


Für PA-Zwecke klingt's gut, und für Studio etc. benutzt man eh wieder was ganz was Anderes.
 
Inzwischen hat sich das Instrument voll bewährt und ist dank des leichteren Gewichts und des Tonabnehmers inzwischen mein Bühneninstrument für die Abteilung Karnevalsmusik und "Krawall". Für Jazz und Klassik bleibe ich natürlich bei meiner großen Kratt.

Das selbstgebaute Speiseteil für den Tonabnehmer hat noch einen passiven Klangregler bekommen. Vor der Session habe ich das Instrument von einem Bekannten (ehemaliger Cantulia-Mann) überholen lassen. Für 60 EUR hat er ihm die letzten kleinen Macken ausgetrieben. Nun bin ich bei insgesamt etwa 120 EUR (incl. Tonabnhehmer) für das Instrument. Wenn das kein Schnäppchen war.

Horst
 

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