Stratspieler
Helpful & Friendly User
Vorspiel:
Es begab sich, dass der Stratspieler mal vor lauter Strats eine Alternativgitarre suchte, um mit Jazzigem zu experimentieren.
Hm. Alternativgitarre. Experimente. Ja wie teuer soll oder darf denn dann sowas überhaupt sein???
Im Laden getestete Epiphone ES-335 Dot waren mir nicht mal die dafür aufgerufenen 299,- wert. Stumpfe Bünde, schlampige Lackierungen besonders am Hals-Korpus-Übergang, völlig zu schräg sitzender Halswinkel - absolut kein Vergleich mehr zu meiner Dot von 2005, die ich mal hatte und die ich verhökert habe... Ibanez AS? Hm, weiss nicht. Gibson ES-339 oder Midtown (die war der ärgste Favorit)?
Hm, Unschlüssigkeit. Die Dot Deluxes sehen mir alle zu schwarz-gelb = knallbunt, denn dezent sunburst aus und eine sunburst sollte es schon sein. Außerdem haben sie einen für meinen Geschmack zu prügeldicken Hals. Die Epiphone Dot in Tobacco Sunburst? Jaaa, DIE sieht gut aus, gefällt mir sehr, aber ist nicht mehr zu bekommen. Die übrigen Epiphones sagen mir mit ihren überladenen Kopfplatten nicht so zu. Meine damalige Riviera mit ihrer dezent gehaltenen Kopfplatte, ja, aber die hatte einen extrem schmalen Hals mit einer Sattelbreite jenseits von gut und böse (Waren es überhaupt 3,5 cm?)
Über kurz oder lang: ich war unschlüssig, unschlüssig, unschlüssig.
Und dann kam das Angebot der Vintage AV3 HFVS. Nagelneu für 370,-. Der ansonsten gelistete Streetpreis für diese Neuinstrumente liegt bei ca. 600,-. Komisch, waren die Dinger nicht mal billiger? Angeblich ist diese Gitarre keine B-Ware, alles top und bestens. Hm, you'll get what you pay for?
Whatever, die Gitarre wurde kurzerhand mit Rückgaberecht geordert. Derweil hatte ich im www gestöbert. Das wenig Lesbare geht von "Super Gitarre" bis hin zu "Sorry, dass ich Euch so einen Mist überhaupt angeboten habe"... Es klingelte; öffnete ich, der Postmann brachte den Karton "Made in Vietnam". Also schaun ' mer mal, was Trev Wilkinson so zaubert.
OK, ersma den Toggle-Switch festgeschraubt, der war nämlich lose und fiel fast in die Gitarre hinein...
Optik:
Aha ein Aufkleber im Korpusinnern: Vintage Advance AV3 HFVS. Also eine aus der neuen Advance-Serie. Angeblich hiessen die Gitarren vorher noch nicht so und diese Serie soll ja die bessere, "selektierte" sein. Was auch immer das heissen mag.
Die AV3 hat eine saubere, jedoch keine tadellose Lackierung. Hie und da sieht man ein paar Kratzerchen - jedoch nur im Gegenlicht und beim näheren Hinschauen...
...Im Sonnenlicht zeigte sich das ganze Ausmaß.
Das Dunkle des Sunbursts der Gitarre war im Bereich der Regler und am unteren Zargen mit grobem Schmirgel regelrecht zerkratzt. Anschließend wurde die spiegelglatte Hochglanzlackierung aufgetragen. Das ganze war eindeutig ein Hersteller-Ding. Außerdem sah man hie und da an einigen Stellen helle Flecken unter der dunklen Farbe hervorscheinen - jedoch nur im direkten Sonnenlicht. Naja.
Klarer Fall, diese Gitarre ging zurück zum Händler, der gezahlte Preis wurde schnell und problemlos erstattet.
Eigentlich ist das Review hier beendet. Wie war das noch? You'll get what you pay for?
Jetzt tun wir aber einfach mal so, als hätte diese Gitarre nicht diesen m.E. gravierenden Mangel gehabt und wir testen weiter.
Ein paar Lackschlieren in den F-Löchern, ein Grat in einem F-Loch vom Binding - das wäre mit einem Messer schnell entfernt. Ein winziger Lackpatzer oben an der Kopfplatte; kaum sichtbar und nicht der Rede wert. Unter'm Strich fände ich das alles jedoch angesichts des Neupreises in der 600,- - Region nicht in Ordnung.
Hals und Korpusboden bestehen aus Mahagoni. Nach Entfernen der wackeligen Klinkenbuchse (die musste erst einmal festgeschraubt werden, wird sich aber mangels Zahnscheibe fix wieder lösen ) wird ein Blick in den Korpus frei, der Rand mißt ca. 14 mm. Auf dem Korpus findet man eine Ahorndecke, darauf ein aufgeleimtes hübsches Furnier würde ich mal sagen. Rötlich-bräunliches, dezentes Sunburst. Abgerundet durch ein gelbliches, vergilbt wirkendes Binding - der optische Eindruck ist zurückhaltend und angenehm.
Donnerwetter: ein geöltes Griffbrett. Jau, ich hatte zwei, drei Tage zu tun, den ranzigen Geruch auf den Fingern wegzubekommen...
Blick auf den Korpus: Filz unter den Gurtpins! Das findet man nicht alle Tage und längst nicht bei jedem Hersteller.
Zu den Specs siehe hier: http://www.vintage-rocks.de/produkt.php5?style=red&sm_id=3
Das in den Specs angegebene Nettogewicht ist Kappes. Spaßenshalber habe ich die Gitarre gewogen: 3,4 kg.
Die Kopfplatte ist angeschäftet, die Kopfform erinnert mich irgendwie an einen der Simpsons...
Die Tulip-Mechaniken laufen gleichmässig, sahnig, problemloses Stimmen ist möglich.
Der Hals ist nicht prügeldick wie z.B. der einer normalen Les Paul Studio, aber auch kein Slim-Taper. Er liegt irgendwie dazwischen, nicht zu dick und nicht superflach - liegt gut in der Hand. Was mich etwas wundert: Hals aus Mahagoni... naja, ich muss es ja glauben. Andererseits... Der Ahorn-Hals der Epiphone Dot war etwas biegsam. So konnte man mit ihm mit gegriffenen Akkorden ein gewisses Vibrato erzeugen beim Spielen, das klang z.T. gar nicht mal unangenehm. Der Mahagoni-Hals der Riviera als auch ohnehin der Mahagoni-Hals meiner Les Paul war bzw. ist hingegen knüppelhart; nix mit Vibrato. Und der Hals der AV3? Hm, aus Mahagoni, aber mit ihm kann man dieses Vibrato erzeugen... Auch ist er recht hell, aber sei's drum. Wird schon stimmen.
Schlampig: das Binding am Sattel ist etwas länger als das Griffbrett, so dass ein winziger Spalt zwischen Sattel und Griffbrett da ist. Das muss nicht sein für ein Instrument dieser Preisklasse. Der Sattel selbst (Material Kunststoff?) ist schmutzig mit Bearbeitungs- und Lackierspuren - das muss ebenfalls nicht sein. Ansonsten findet man ein schönes, dunkles, gleichmässig gemasertes Griffbrett.
Das Loch für das Abdeckplättchen des Trussrods ist zu groß und ausgeleiert, die Schraube wird nur durch nachträglich eingefügte zwei Holzspäne gehalten - oha, das tut weh. Die Trussrod-Einstellschraube geht ohne großen Kraftaufwand leicht zu verstellen. Auch hat man etwas zuviel Farbe vom Headstock an den Sattel geschmiert, so dass das Abdeckplättchen auf dem Headstock nicht plan auflag, sondern gebogen angedrückt wurde.
Der Pickup-Rahmen des Halspickups war vorn rechts nicht bündig auf die Decke geschraubt, er stand 1 mm ab. Das liesse sich problemlos beheben; nun läge dann der Rahmen aber etwas schief auf, bauartbedingt durch die Wölbung der Decke am unteren, kurzen Cutaway.
Mittig ist in den Korpus ein breiter Sustainblock sauber und ohne Grate eingebaut.
Die Lage der Potis ist Geschmackssache. Der Toggle-Switch (mit einem auf der Korpusoberfläche sehr gut zu sehendem kreisrunden dünnen Kratzer, offenbar hervorgerufen durch das Werkzeug, mit dem ab Werk der Schalter hätte festgezogen werden sollen...) ist sehr gut plaziert, ebenso das Volume- und "Roll-On" - Poti. Der Klangregler könnte einen Tick weiter an den anderen Einstellorganen sitzen, aber er sitzt funktional und gut ist. Der Volume-Regler regelt ohne Höhenklau gleichmässig runter, der Klangregler regelt ebenfalls sehr gleichmäßig. Alle Potis liefen mir zu schwergängig.
Bespielbarkeit:
Die Vintage AV3 kam mit einer extremen, zu tief eingestellte Saitenlage als Werksauslieferung. Dünne, ebenfalls mit diesem ranzig riechenden Zeug geölte Irgendwas-Drähte waren drauf, aber ok, das wird ohnehin entfernt, neu geölt, mit meinen D'Addario 010er Saiten bespannt und Saitenhöhe und Halskrümmung neu justiert. Jepp, den Satz Saiten habe ich geopfert.
Nach erfolgter Justage war ich völlig verblüfft über die Handhabung / Bespielbarkeit. Kein Schnarren, kein Rasseln oder Scheppern, nichts. Die Bundstäbe sind sehr gut abgerichtet und poliert, keine Grate. Wenn überhaupt, dann kann man zwar noch Hand anlegen und die Bünde noch fein nachschleifen - das geht dann aber wirklich schon in Richtung Optimierung = Pleken von Hand. Also hier ist das Jammern auf hohem Niveau, um das mal so zu sagen. Hier gibt es nix zu meckern und man kann eine schön flache Saitenlage sauber einstellen.
Die hohen Lagen sind sehr gut zu erreichen angesichts der durchdachten Gestaltung des Profiles beim Hals-Korpus-Übergang.
Die Pickups sind erst einmal nur eines - laut. Sie klingen in ihren Einzel- und Zwischenstellungen; egal ob clean oder gezerrt, ziemlich amtlich nach ES. Punkt. Nee, eigentlich nicht. Bauartbedingt fehlt der Gitarre das typische hölzerne Timbre einer ES-335 oder das Sirren und Schwirren einer Riviera mit ihrer speziellen Saitenaufhängung. Auch geht sie nicht so extrem direkt an den Start mit ihrer Tonentfaltung, wie z.B. eine ES-137. Sie hat bauartbedingt etwas - aber eben nur etwas - vom relativ Trägen einer Les Paul, sie ist spritzig, luftig und ich kann ihr eine schnelle Tonentfaltung attestieren, merklich in Richtung ES gehend, aber eben nicht zu 100%. Das gefiel mir außerordentlich.
Die Pickups wirken durch diese nur-laute Wiedergabe jedoch dynamiklos, sie sind nicht feindifferenziert zu spielen. Sie können offenbar nur wenig Dynamkistufen, es ist tatsächlich schwierig, sie leise zu spielen. Schade. Beide Pickups kommen gleichlaut, es sind keine Sprünge festzustellen. Am Hals fett und dick, ohne mumpfig zu wirken, am Steg rockig.
Ich kann nicht beurteilen, ob diese "Nur-Lautheit" der Pickups, diese fehlede Dynamik, der Kompromiss dafür ist, die Gitarre auch als Einspuler noch halberwegs hörbar zu haben, denn mit weggeregelter zweiter Spule dünnt der Sound schon hörbar aus und man muss eigentlich am Amp den Lautstärke-Verlust nachregeln. Offenbar geht es nicht anders? Ich weiß es nicht.
Der "Roll On" - Überblendregler ist Spielerei, man braucht ihn eigentlich nicht. Er dünnt das Klangbild aus, Störgeräusche werden hörbar, bedingt durch das Wegregeln einer der beiden Spulen der Humbucker. Nach Strat klingt's jedenfalls auf keinen Fall. Die Regelung geschieht erst im letzten Moment des Potis, er könnte ebenso auch als Schalter fungieren. Nettes Gimmik, mehr nicht. Denn die mehr oder weniger amtlichen Klänge kann die AV3 ja. Was soll's also. Dachte ich.
Bis ich die CD von Gillian Welch mit sehr ruhiger Gitarren-Musik (Time The Revelator) auflegte und spaßenshalber das Poti nutze, um auf Einspuler umzuschalten, pardon: zu regeln... Wahnsinn, klasse. Jetzt kommt dieser eigene Einspuler-Klang richtig zur Geltung, es passt. Schnell Jan Akkerman aufgelegt, The Noise Of Art. Wieder das Aha-Erlebnis. Lässt man das Fette, den ES-Anteil im Sound weg, dann passt das und genau dieses Nicht-Stratige, sondern dieser eher nach rein akustischem Timbre klingende Anteil wirkt hier wie das Salz in der Suppe!
Weg vom Typischen, weg vom Althergebrachten. Typisch Fettes, Jazziges ist ja ebenfalls möglich, so es der Song oder die Umgebung benötigt. Das ist die Vielseitigkeit, die ich gesucht habe! Herr Wilkinson
Im Vergleich zu den im Stehen für mich unhandlichen und leicht kopflastigen Epiphone Dot oder Riviera kann man die Vintage AV3 sehr gut im Stehen spielen. Kleinerer Korpus halt.
So, durch das Retournieren wechsle ich jetzt die Zeitform.
Gezerrt ging es mit dem Steg-Pickup rockig zur Sache, klang gut, amtlich, man sollte hier auch wirklich den Humbucker als solchen arbeiten lassen. Wobei - dem Experimentieren ist hier keine Grenze gesetzt.
Meine Lieblingseinstellung war ein crunchiger Ton an meinem Blues Junior. Zusammen mit dem Celestion darin kam ein klassischer, nicht strattypischer Bluessound, so man die Pickups als Humbucker verwendete. Die fehlende Dynamik der Pickups machte insgesamt das Spielen mit der AV3 schwieriger.
Jazzig clean ging es zur Sache, wenn man einfach nur die Humbucker etwas dumpfer einregelt. Perlig dünn hingegen schmatzend kann die Gitarre, wenn ihre Pickups als Einspuler schaffen. Ansonste ist in Mittenstellung beider Humbucker dieser schöne und typische Mittennöck zu hören, den ich so mag.
Aber ich ertappte mich immer wieder, die AV3 als Einspuler zu spielen, etwas Hall drauf. Ja, man kann dieses "Anderssein", dieses Eigene im Ton ohne dieses ewige und "Amtliche" tatsächlich genießen.
An anderer Stelle habe ich etwas von "metallischem Klang" der beiden Wilkinsons gelesen. Das vermag ich nicht zu beurteilen; möglicherweise ist die Vintage AV3 hier empfindlich, was den Amp plus verwendeten Speaker angeht.
Fazit:
Tolle Alternative sowohl mit Bekanntem als auch mit Soundmöglichkeiten jenseits davon. Antesten! Mit Verarbeitungsschwächen angesichts ihres Streetpreises. Wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, was ich von den für diese Gitarre aufgerufenen 370,- und der Aussage "keine B-Ware" angesichts des zerkratzten Sunbursts ab Werk halten soll... Qualitätskontrolle tut offenbar not!
Ach ja, das Thema "Jazziges und Alternativgitarre" hat sich übrigens erst einmal wieder erledigt...
Gruß Michael
Es begab sich, dass der Stratspieler mal vor lauter Strats eine Alternativgitarre suchte, um mit Jazzigem zu experimentieren.
Hm. Alternativgitarre. Experimente. Ja wie teuer soll oder darf denn dann sowas überhaupt sein???
Im Laden getestete Epiphone ES-335 Dot waren mir nicht mal die dafür aufgerufenen 299,- wert. Stumpfe Bünde, schlampige Lackierungen besonders am Hals-Korpus-Übergang, völlig zu schräg sitzender Halswinkel - absolut kein Vergleich mehr zu meiner Dot von 2005, die ich mal hatte und die ich verhökert habe... Ibanez AS? Hm, weiss nicht. Gibson ES-339 oder Midtown (die war der ärgste Favorit)?
Hm, Unschlüssigkeit. Die Dot Deluxes sehen mir alle zu schwarz-gelb = knallbunt, denn dezent sunburst aus und eine sunburst sollte es schon sein. Außerdem haben sie einen für meinen Geschmack zu prügeldicken Hals. Die Epiphone Dot in Tobacco Sunburst? Jaaa, DIE sieht gut aus, gefällt mir sehr, aber ist nicht mehr zu bekommen. Die übrigen Epiphones sagen mir mit ihren überladenen Kopfplatten nicht so zu. Meine damalige Riviera mit ihrer dezent gehaltenen Kopfplatte, ja, aber die hatte einen extrem schmalen Hals mit einer Sattelbreite jenseits von gut und böse (Waren es überhaupt 3,5 cm?)
Über kurz oder lang: ich war unschlüssig, unschlüssig, unschlüssig.
Und dann kam das Angebot der Vintage AV3 HFVS. Nagelneu für 370,-. Der ansonsten gelistete Streetpreis für diese Neuinstrumente liegt bei ca. 600,-. Komisch, waren die Dinger nicht mal billiger? Angeblich ist diese Gitarre keine B-Ware, alles top und bestens. Hm, you'll get what you pay for?
Whatever, die Gitarre wurde kurzerhand mit Rückgaberecht geordert. Derweil hatte ich im www gestöbert. Das wenig Lesbare geht von "Super Gitarre" bis hin zu "Sorry, dass ich Euch so einen Mist überhaupt angeboten habe"... Es klingelte; öffnete ich, der Postmann brachte den Karton "Made in Vietnam". Also schaun ' mer mal, was Trev Wilkinson so zaubert.
OK, ersma den Toggle-Switch festgeschraubt, der war nämlich lose und fiel fast in die Gitarre hinein...
Optik:
Aha ein Aufkleber im Korpusinnern: Vintage Advance AV3 HFVS. Also eine aus der neuen Advance-Serie. Angeblich hiessen die Gitarren vorher noch nicht so und diese Serie soll ja die bessere, "selektierte" sein. Was auch immer das heissen mag.
Die AV3 hat eine saubere, jedoch keine tadellose Lackierung. Hie und da sieht man ein paar Kratzerchen - jedoch nur im Gegenlicht und beim näheren Hinschauen...
...Im Sonnenlicht zeigte sich das ganze Ausmaß.
Das Dunkle des Sunbursts der Gitarre war im Bereich der Regler und am unteren Zargen mit grobem Schmirgel regelrecht zerkratzt. Anschließend wurde die spiegelglatte Hochglanzlackierung aufgetragen. Das ganze war eindeutig ein Hersteller-Ding. Außerdem sah man hie und da an einigen Stellen helle Flecken unter der dunklen Farbe hervorscheinen - jedoch nur im direkten Sonnenlicht. Naja.
Klarer Fall, diese Gitarre ging zurück zum Händler, der gezahlte Preis wurde schnell und problemlos erstattet.
Eigentlich ist das Review hier beendet. Wie war das noch? You'll get what you pay for?
Jetzt tun wir aber einfach mal so, als hätte diese Gitarre nicht diesen m.E. gravierenden Mangel gehabt und wir testen weiter.
Ein paar Lackschlieren in den F-Löchern, ein Grat in einem F-Loch vom Binding - das wäre mit einem Messer schnell entfernt. Ein winziger Lackpatzer oben an der Kopfplatte; kaum sichtbar und nicht der Rede wert. Unter'm Strich fände ich das alles jedoch angesichts des Neupreises in der 600,- - Region nicht in Ordnung.
Hals und Korpusboden bestehen aus Mahagoni. Nach Entfernen der wackeligen Klinkenbuchse (die musste erst einmal festgeschraubt werden, wird sich aber mangels Zahnscheibe fix wieder lösen ) wird ein Blick in den Korpus frei, der Rand mißt ca. 14 mm. Auf dem Korpus findet man eine Ahorndecke, darauf ein aufgeleimtes hübsches Furnier würde ich mal sagen. Rötlich-bräunliches, dezentes Sunburst. Abgerundet durch ein gelbliches, vergilbt wirkendes Binding - der optische Eindruck ist zurückhaltend und angenehm.
Donnerwetter: ein geöltes Griffbrett. Jau, ich hatte zwei, drei Tage zu tun, den ranzigen Geruch auf den Fingern wegzubekommen...
Blick auf den Korpus: Filz unter den Gurtpins! Das findet man nicht alle Tage und längst nicht bei jedem Hersteller.
Zu den Specs siehe hier: http://www.vintage-rocks.de/produkt.php5?style=red&sm_id=3
Das in den Specs angegebene Nettogewicht ist Kappes. Spaßenshalber habe ich die Gitarre gewogen: 3,4 kg.
Die Kopfplatte ist angeschäftet, die Kopfform erinnert mich irgendwie an einen der Simpsons...
Die Tulip-Mechaniken laufen gleichmässig, sahnig, problemloses Stimmen ist möglich.
Der Hals ist nicht prügeldick wie z.B. der einer normalen Les Paul Studio, aber auch kein Slim-Taper. Er liegt irgendwie dazwischen, nicht zu dick und nicht superflach - liegt gut in der Hand. Was mich etwas wundert: Hals aus Mahagoni... naja, ich muss es ja glauben. Andererseits... Der Ahorn-Hals der Epiphone Dot war etwas biegsam. So konnte man mit ihm mit gegriffenen Akkorden ein gewisses Vibrato erzeugen beim Spielen, das klang z.T. gar nicht mal unangenehm. Der Mahagoni-Hals der Riviera als auch ohnehin der Mahagoni-Hals meiner Les Paul war bzw. ist hingegen knüppelhart; nix mit Vibrato. Und der Hals der AV3? Hm, aus Mahagoni, aber mit ihm kann man dieses Vibrato erzeugen... Auch ist er recht hell, aber sei's drum. Wird schon stimmen.
Schlampig: das Binding am Sattel ist etwas länger als das Griffbrett, so dass ein winziger Spalt zwischen Sattel und Griffbrett da ist. Das muss nicht sein für ein Instrument dieser Preisklasse. Der Sattel selbst (Material Kunststoff?) ist schmutzig mit Bearbeitungs- und Lackierspuren - das muss ebenfalls nicht sein. Ansonsten findet man ein schönes, dunkles, gleichmässig gemasertes Griffbrett.
Das Loch für das Abdeckplättchen des Trussrods ist zu groß und ausgeleiert, die Schraube wird nur durch nachträglich eingefügte zwei Holzspäne gehalten - oha, das tut weh. Die Trussrod-Einstellschraube geht ohne großen Kraftaufwand leicht zu verstellen. Auch hat man etwas zuviel Farbe vom Headstock an den Sattel geschmiert, so dass das Abdeckplättchen auf dem Headstock nicht plan auflag, sondern gebogen angedrückt wurde.
Der Pickup-Rahmen des Halspickups war vorn rechts nicht bündig auf die Decke geschraubt, er stand 1 mm ab. Das liesse sich problemlos beheben; nun läge dann der Rahmen aber etwas schief auf, bauartbedingt durch die Wölbung der Decke am unteren, kurzen Cutaway.
Mittig ist in den Korpus ein breiter Sustainblock sauber und ohne Grate eingebaut.
Die Lage der Potis ist Geschmackssache. Der Toggle-Switch (mit einem auf der Korpusoberfläche sehr gut zu sehendem kreisrunden dünnen Kratzer, offenbar hervorgerufen durch das Werkzeug, mit dem ab Werk der Schalter hätte festgezogen werden sollen...) ist sehr gut plaziert, ebenso das Volume- und "Roll-On" - Poti. Der Klangregler könnte einen Tick weiter an den anderen Einstellorganen sitzen, aber er sitzt funktional und gut ist. Der Volume-Regler regelt ohne Höhenklau gleichmässig runter, der Klangregler regelt ebenfalls sehr gleichmäßig. Alle Potis liefen mir zu schwergängig.
Bespielbarkeit:
Die Vintage AV3 kam mit einer extremen, zu tief eingestellte Saitenlage als Werksauslieferung. Dünne, ebenfalls mit diesem ranzig riechenden Zeug geölte Irgendwas-Drähte waren drauf, aber ok, das wird ohnehin entfernt, neu geölt, mit meinen D'Addario 010er Saiten bespannt und Saitenhöhe und Halskrümmung neu justiert. Jepp, den Satz Saiten habe ich geopfert.
Nach erfolgter Justage war ich völlig verblüfft über die Handhabung / Bespielbarkeit. Kein Schnarren, kein Rasseln oder Scheppern, nichts. Die Bundstäbe sind sehr gut abgerichtet und poliert, keine Grate. Wenn überhaupt, dann kann man zwar noch Hand anlegen und die Bünde noch fein nachschleifen - das geht dann aber wirklich schon in Richtung Optimierung = Pleken von Hand. Also hier ist das Jammern auf hohem Niveau, um das mal so zu sagen. Hier gibt es nix zu meckern und man kann eine schön flache Saitenlage sauber einstellen.
Die hohen Lagen sind sehr gut zu erreichen angesichts der durchdachten Gestaltung des Profiles beim Hals-Korpus-Übergang.
Die Pickups sind erst einmal nur eines - laut. Sie klingen in ihren Einzel- und Zwischenstellungen; egal ob clean oder gezerrt, ziemlich amtlich nach ES. Punkt. Nee, eigentlich nicht. Bauartbedingt fehlt der Gitarre das typische hölzerne Timbre einer ES-335 oder das Sirren und Schwirren einer Riviera mit ihrer speziellen Saitenaufhängung. Auch geht sie nicht so extrem direkt an den Start mit ihrer Tonentfaltung, wie z.B. eine ES-137. Sie hat bauartbedingt etwas - aber eben nur etwas - vom relativ Trägen einer Les Paul, sie ist spritzig, luftig und ich kann ihr eine schnelle Tonentfaltung attestieren, merklich in Richtung ES gehend, aber eben nicht zu 100%. Das gefiel mir außerordentlich.
Die Pickups wirken durch diese nur-laute Wiedergabe jedoch dynamiklos, sie sind nicht feindifferenziert zu spielen. Sie können offenbar nur wenig Dynamkistufen, es ist tatsächlich schwierig, sie leise zu spielen. Schade. Beide Pickups kommen gleichlaut, es sind keine Sprünge festzustellen. Am Hals fett und dick, ohne mumpfig zu wirken, am Steg rockig.
Ich kann nicht beurteilen, ob diese "Nur-Lautheit" der Pickups, diese fehlede Dynamik, der Kompromiss dafür ist, die Gitarre auch als Einspuler noch halberwegs hörbar zu haben, denn mit weggeregelter zweiter Spule dünnt der Sound schon hörbar aus und man muss eigentlich am Amp den Lautstärke-Verlust nachregeln. Offenbar geht es nicht anders? Ich weiß es nicht.
Der "Roll On" - Überblendregler ist Spielerei, man braucht ihn eigentlich nicht. Er dünnt das Klangbild aus, Störgeräusche werden hörbar, bedingt durch das Wegregeln einer der beiden Spulen der Humbucker. Nach Strat klingt's jedenfalls auf keinen Fall. Die Regelung geschieht erst im letzten Moment des Potis, er könnte ebenso auch als Schalter fungieren. Nettes Gimmik, mehr nicht. Denn die mehr oder weniger amtlichen Klänge kann die AV3 ja. Was soll's also. Dachte ich.
Bis ich die CD von Gillian Welch mit sehr ruhiger Gitarren-Musik (Time The Revelator) auflegte und spaßenshalber das Poti nutze, um auf Einspuler umzuschalten, pardon: zu regeln... Wahnsinn, klasse. Jetzt kommt dieser eigene Einspuler-Klang richtig zur Geltung, es passt. Schnell Jan Akkerman aufgelegt, The Noise Of Art. Wieder das Aha-Erlebnis. Lässt man das Fette, den ES-Anteil im Sound weg, dann passt das und genau dieses Nicht-Stratige, sondern dieser eher nach rein akustischem Timbre klingende Anteil wirkt hier wie das Salz in der Suppe!
Weg vom Typischen, weg vom Althergebrachten. Typisch Fettes, Jazziges ist ja ebenfalls möglich, so es der Song oder die Umgebung benötigt. Das ist die Vielseitigkeit, die ich gesucht habe! Herr Wilkinson
Im Vergleich zu den im Stehen für mich unhandlichen und leicht kopflastigen Epiphone Dot oder Riviera kann man die Vintage AV3 sehr gut im Stehen spielen. Kleinerer Korpus halt.
So, durch das Retournieren wechsle ich jetzt die Zeitform.
Gezerrt ging es mit dem Steg-Pickup rockig zur Sache, klang gut, amtlich, man sollte hier auch wirklich den Humbucker als solchen arbeiten lassen. Wobei - dem Experimentieren ist hier keine Grenze gesetzt.
Meine Lieblingseinstellung war ein crunchiger Ton an meinem Blues Junior. Zusammen mit dem Celestion darin kam ein klassischer, nicht strattypischer Bluessound, so man die Pickups als Humbucker verwendete. Die fehlende Dynamik der Pickups machte insgesamt das Spielen mit der AV3 schwieriger.
Jazzig clean ging es zur Sache, wenn man einfach nur die Humbucker etwas dumpfer einregelt. Perlig dünn hingegen schmatzend kann die Gitarre, wenn ihre Pickups als Einspuler schaffen. Ansonste ist in Mittenstellung beider Humbucker dieser schöne und typische Mittennöck zu hören, den ich so mag.
Aber ich ertappte mich immer wieder, die AV3 als Einspuler zu spielen, etwas Hall drauf. Ja, man kann dieses "Anderssein", dieses Eigene im Ton ohne dieses ewige und "Amtliche" tatsächlich genießen.
An anderer Stelle habe ich etwas von "metallischem Klang" der beiden Wilkinsons gelesen. Das vermag ich nicht zu beurteilen; möglicherweise ist die Vintage AV3 hier empfindlich, was den Amp plus verwendeten Speaker angeht.
Fazit:
Tolle Alternative sowohl mit Bekanntem als auch mit Soundmöglichkeiten jenseits davon. Antesten! Mit Verarbeitungsschwächen angesichts ihres Streetpreises. Wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, was ich von den für diese Gitarre aufgerufenen 370,- und der Aussage "keine B-Ware" angesichts des zerkratzten Sunbursts ab Werk halten soll... Qualitätskontrolle tut offenbar not!
Ach ja, das Thema "Jazziges und Alternativgitarre" hat sich übrigens erst einmal wieder erledigt...
Gruß Michael
- Eigenschaft
Anhänge
Zuletzt bearbeitet: