Um keine Gewohnheit und Bequemlichkeit einreissen zu lassen wildere ich gerne in fremden Genres. Dabei bin ich auf Flamenco gestoßen.
Gibt es bei Flamenco Evergreens bzw. Standards mit denen man sich die Grundlagen erarbeiten kann?
Oder ist es eher improvisierte Angelegenheit? Also andalusische Kadenz mit Phrygian Mode plus Harmonic Minor für eine zusätzliche Prise Arabien. Daraus bastele ich für den Anfang etwas was nach Spanien klingt und schaue wie weit mein Talent mich trägt?
Während ich mich mit der Flamenco Gitarrenmusik sehr gut anfreunden kann fremdele ich mit Gesang und erst recht Tanz. Gehört alles zusammen oder kann man sich auf die Gitarrenmusik beschränken?
Irgendwelche Tipps für den Anfang was man sich anhören sollte?
Danke.
Hi, mache Flamenco seit 25 Jahren, aktuell Gesang. Die Grundsatzfrage für alle ausländischen nicht-spanischen Gitarristen die nicht damit aufwachsen ist diese: WAS willst Du?
a) Willst Du Flamencogitarrist sein, dann brauchst Du unabdingbar den Gesang und den Tanz. Dauert lange und lange und lange, sich da einzuarbeiten und ich spreche von vielen Jahren. Du spielt mit/für Leute und in einer Gruppe, es ist also keine Solo-Ding.
b) Oder willst Du Flamenco-Solo-Gitarrist sein, dann kannst Du im Ausland das Ganze als "Flamenco" verkaufen (was es aber eigentlich so nicht ist, denn ALLE großen Flamenco-Gitarristen haben Jahre und Jahre in spanischen Tanzschulen und bei Gesangsaufführungen in Spanien Begleitgitarre gespielt bevor sie Solo aufgetreten sind. Auch Paco hat das Jahre und Jahre und Jahre gemacht und wurde erst später dann als Flamenco-Solo-Gitarren auch ausserhalb des Flamenco bekannt. GENAU das vergessen ausländische Gitarristen gerne mal). Auch hier ist eine Menge Arbeit und Passion und jahrelanges lernen der Weg.Schnell mal ein paar Paco-Stücke lernen und sich als "Flamenco"-Solo-Gitarrist präsentieren is eben eher nicht. Man sollte es dann auch nicht "Flamenco" sondern eben "Flamenco-Solo-Gitarre" nennen. Finde ich.
c) Oder willst Du - wie Du sagst- ein bisschen was spielen, was spanisch klingt. Das kann man hier auch leicht als "Flamenco" verkaufen, genau wie die jungen Mädels in gepunkteten Kleidchen die dann Rumbas tanzen und die Leute finden das "ach soooo temperamentvoll und leidenschaftlich". Gähn... Aber in Deutschland kommt man damit immer als "Flamenco" durch. Ich finde das auch grundsätzlich auch OK, wenn es Spass macht und die Leute gröhlen immer gerne Bamboleeeeeoooooo" durch den Raum. Aber dann sollte man es auch nicht "Flamenco" nennen sondern allenfalls "Spanische Musik mit Flamenco-Einflüssen" oder "aflamencado" oder so. Finde ich.
Grundsätzlich liegt der Ursprung im Flamenco im Gesang - der viele Jahre ohne Instrumente begleitet wurde, nur mit Fingerschnipsen und Klatschen...dann später kam der Tanz und seine Fusspercussion dazu. Erst viel später kam die Gitarre als Begleitung dazu und dann noch später die Solo-Gitarre (Sabicas, Nino Ricardo, später Paco de Lucia usw.). Bei der letzen Flamenco-Bienale 2024 im Sevilla lag z.B. der Schwerpunkt auf dem Gesang (Cante) und ein bisschen auf der Solo-Gitarre. Es gab nicht sooo viel Tanz.
Flamenco an sich ist aber in Spanien normalerweise ein Gemeinschaftereignis von Gesang, Tanz, Gitarre, oft Palmeros (sie klatschen den Rhythmus) und Percussion. Eben dass macht den Reiz aus - für mich. Es kann komplett choreographiert sein oder komplett improvisiert (z.B. Bulerias - das ist dann die HOHE Schule !).
Wenn Du spanische Gitarre mit "Flamenco-Einflüssen" spielen willst (also c) - dann gibts ein paar modernere Standard-Gitarristen (z.B. Paco natürlich, Tomatito, Vicente Amigo, Gerardo Nunez) zum reinhören um Mal einen Eindruck zu bekommen, was die Besten so machen (alle haben aber auch jahrelange Begleitgitarristen-Erfahrung). Rumbas und Sevillianas werden auch in Spanien partymässig gespielt und getanzt ist aber kein profunder Flamenco und wird dort auch nicht als solcher verkauft. Hier schon (ich nenne das gerne mal "Flamenco"-Schnick-Schnack). Allerdings ist eine gute Rumba gar nicht einfach zu spielen.
Ansonsten würde ich für den Anfang You-Tube-Tutorials empfehlen für: a) Gitarristen-Technik (Rasgeados ect. ect.) , b) Flamenco-Rhythmik (es gibt 12-er, 6er, 3er, 5er... und freie Rhythmen ...schnelle, langsame...), c), die ganze Tonalitäten und Tonleitern-Geschichte - phrygisch ect. und d) Flamenco-Know-How (z.B. Buscadores Flamencos, Aprendiendo a ser guitarrista, FlamencoMAPS).
Schon viel. Aber mei, ist halt nicht so easy wie viele anderen Musik-Stile....ist eine super-komplexe und ganz eigenen Musik- und Bewegungswelt. Leidenschaft für Rhythmus ist dabei extrem hilfreich und die Essenz bei allem was mit Flamenco zu tun hat. Wenn man sich in Flamenco wirklich mal verliebt hat, bleibts oft für das ganze Leben und man hört nie mehr damit auf. Ansonsten kann man auch einfach ein bisschen spasseshalber rumklimpern. Aber dabei gerne den Respekt vor der schwierigen und tiefen Kunstform des puren Flamenco behalten. Finde ich.
So ... hope that helps und es war nicht zu desillusionierend. Hör mal "Requiem" von Vicente Amigo... love it!
! Hat er nach dem Tod von Paco de Lucia als Nachruf für diesen komponiert.
Será el flamenco, quien con más fuerza !
View: https://www.youtube.com/watch?v=OK1q-cEnwms