Neue Geige - und jetzt?

  • Ersteller Stollenfiddler
  • Erstellt am
Stollenfiddler
Stollenfiddler
Helpful & Friendly User
HFU
Zuletzt hier
23.12.24
Registriert
03.06.12
Beiträge
793
Kekse
19.297
Diese Woche habe ich einen lang gehegten Traum verwirklicht. Der Weg dahin war etwas schlingerig. Denn schon als ich noch ganz jung war, da wollte ich "wenn ich groß bin" auf einer guten Geige spielen. So eine, die untenherum etwas harzig und mit Volumen kommt, sich dann nach oben öffnet und seidig leicht dahinsingt. Und vor der Pandemie da war es schon fast soweit, und ich habe ein paar Geigenbauer und -händler aufgesucht nach "meiner" Geige. Sie hat mich aber nicht gefunden. Und dann habe ich kaum noch gespielt, die Finger wurden langsam, die Fingerkuppen empfindlich und irgendwie fand ich die Vorstellung, mit dem was aktuell klappt eine Geige zu testen wenig zielführend.

Also 3 Wochen lang die ganzen Onlineshops durchgeschaut mit steigender Ratlosigkeit. Am Ende bin ich dann beim T gelandet, hab eine Scala villagio FH ausgesucht, mit etwas kleinerem Korpus, fein anzuschauen und im Rahmen meines gesetzten Budgets. Obwohl sie tatsächlich einen Tag früher kam als angekündigt, konnte ich es kaum erwarten sie zu spielen, dennoch hab ich ihr Zeit gegeben sich aufzuwärmen und zwischenzeitlich die beiden Testbögen kolophoniert.

Aus dem Koffer genommen, gezupft, lauter als erwartet. Und fast richtig gestimmt. Also auf die Schulter und nachstimmen. An den Wirbeln - extrem ungewohnt. Der einsame Feinstimmer auf der E-Saite noch schwergängiger als der A-Wirbel. WTF? Was soll der Quatsch ohne Feinstimmer eigentlich? Einfach sinnlos schwierig. Aber machbar. Und dann ein paar Tonleitern. Es zwirbelt in meinen Ohren. Metallisch. Kalt. Trocken. So klingt eine neue Geige vom Geigenbauer? Meine alte Zigeunergeige gespielt. Viel besser! Zurück zu "sie hat noch keinen Namen": die muss sich doch auch spielen lassen! Was sie genau 3 Stunden am Stück (wann hab ich zuletzt daheim 3 Stunden gespielt, hab ich das jemals?) weitgehend verweigert hat.

Pause. Ernüchterung. Geld spielt nicht Geige, ich muss das selbst machen. Oder ich schick den Klotz zurück.

Und die Saiten sind zwar offensichtlich länger schon drauf, aber nicht eingespielt. Also heute weiter drauf spielen, Arpeggien in Fortefortissimo grande, ein paar Etüden, mit Playalong ein paar der alten Stücke und so ganz langsam werden die Finger wieder geschmeidig. Und die Geige auch. Cam aufgebaut, neue Geige, alte Geige, E-Geige, alles nacheinander angespielt und aufgezeichnet. Und ja, die Saiten klingen langsam und die Geige hat sich etwas geöffnet. Sehr laut sie ist. Leise will sie noch nicht klingen. Aber laut legt sie los. Und verdammt spricht die schnell an. Hammer. Gestern wollte ich sie zurücksenden, heute ist es auf der Kippe. Bin gespannt wie es weiter geht. Heute Abend Session mit der E-Geige und dem neuen Amp. Ich mach wieder Musik. Es beglückt.

Nichtsdestotrotz haben wie gestern dem Tabellenführer ein Unentschieden abgerungen, auch Sport ist toll.
 
  • Gefällt mir
  • Interessant
Reaktionen: 5 Benutzer
Meine alte Zigeunergeige gespielt. Viel besser!
Lustig, dass du das in dem Zusammenhang so schreibst. So eine alte „Zigeuner“-Geige habe ich auch - in den Neunzigern für 80 DM in einem Second-Hand Laden gekauft und ein wenig überholt, treibt sie ihr Unwesen als schräge „Konkurrenz“ zu u.a. einer Gobetti Bj. 1705, die aktuell wohl einen netten sechsstelligen Euro-Betrag wert sein wird und zwei weiteren guten älteren Instrumenten aus Frankreich und Italien.
Nichts spielt sich leichter und geschmeidiger als die „Zigeuner“-Geige. Sie ist auffallend leise, nicht sehr dynamisch und verzeiht einem viel. In meinen Orchester-Zeiten als Jugendlicher hatte ich die eine ganze Weile im Kammerorchester dabei weil sie einfach Spaß gemacht hat.
 
  • Gefällt mir
  • Interessant
Reaktionen: 3 Benutzer
Oj ja, irgendwie sammelt es sich mit der Zeit ein wenig, eigenartigeweise gibt es aber auch unvermutete Abgänge - meine schlimmste Geige ever, eine Yamaha SV-120 ist nicht mehr auffindbar. Keine Ahnung wem ich die in die Hand gedrückt habe oder ob überhaupt, aber sie ist nicht mehr da. Dabei war der Koffer echt gut, den vermisse ich. Die "Zigeunergeige" (darf ich die überhaupt noch so nennen?) habe ich tatsächlich für schlappe 120€ in desolatem Zustand von einem suptertollen Menschen mit genau dem angesprochenen kulturellen Hintergrund erworben. Steg neu und @Kylwalda hat auch noch den Hals wieder neu eingepasst, hat sie nun eine niedrige Saitenlage und klingt ganz gut. Ursprünglich vermutlich eine deutsche Manufakturgeige, sieht man ihr diverse grob ausgeführte Reparaturen an. Trotzdem oder gerade deswegen ein Teil mit Style.
1733054478664.png


Zurück zur neuen "sie hat noch keinen Namen", denn die kam mit zwei Bögen: CodaBow "Joule" und "Diamond GX". Der Joule ist sehr nah an meinem hölzernen Bogen aus der Herstellung "Alois Sturm" zuletzt behaart vom legendären Herrn Krussig. Diese Bögen liegen "satt" auf den Saiten machen schnell nen guten Ton und zicken nicht herum. Der Diamond GX braucht etwas mehr Einsatz im Spiel, ist dann aber auch viel agiler, klingt besser und lässt sich leicht ins Sautillé führen. Den mag ich, der Joule wird zurückgehen, zu nah am "Sturm".

Und die Geige? Hat sich heute nicht weiter "geöffnet". Anders als meine Finger in der linken Hand, die fühlen sich sehr offen an.
1733055273610.png


Und auch wenn ich sehr sicher sein kann, dass ich meine Spieltechnik allein daheim wieder etwas besser hinbekommen kann - ich glaube es ist soweit, dass ich mal wieder ein paar Unterrichtsstunden nehmen werden.
 
  • Interessant
Reaktionen: 1 Benutzer
Gratuliere erstmal zur neuen Geige!
Auch wenn ihr noch nicht die besten Freunde geworden seid, ist sie wohl sehr kraftvoll.
Das klingt direkt am Ohr oftmals eher brutal und hart, aber aus ein paar Metern Entfernung dagegen besser als die "die dem Geiger sanft ins Ohr säuselt".
Ich bin gespannt wie es mit euch beiden weitergeht! :m_vio:
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Eines habe ich nicht ganz verstanden: Du warst bei zahlreichen Geigenbauern und konntest nicht finden, was du gesucht hast. Aber dann bestellst du eine Geige aus dem Internet, von der du gar nicht genau weiß, welches Instrument aus der Modellreihe du genau erhältst und ob und wie der Ton bei der Aufnahme ggf. manipuliert wurde. Also kaufst ein bisschen die Katze im Sack.

Ich glaube, wenn ich das machen würde, wäre ich bei den älteren Mittelklasseinstrumenten von Corilon. Also wieder bei einer alten deutschen oder französischen Geige.

Man sagt meines Wissens, dass das Einspielen nicht nur strikt das Instrument einspielt, sondern auch ein Gewöhnungseffekt von Spieler und Instrument ist. Also sollte es besser klingen, wenn du sie täglich eine Weile gespeilt hast und ihre Eigenarten kennengelernt hast. Vermutlich wird man mit begrenztem Budget (was ja quasi jeder hat) nie die 100%ige Traumgeige finden, die einem in absolut allen Punkten zusagt. Man wird sich ihr nur annähern können. Das sollte man immer beachten.

Trotzdem viel Spaß mit der neuen Geige und beim Erkunden ihrer "Persönlichkeit".

Man muss ja auch bedenken: Viele Profimusiker, gerade im Streicherbereich, spielen als sehr gute Solisten Instrumente aus einer Stiftung etc., die zwar an sich "hervorragend" sind, die sie sich aber auch nicht selbst aussuchen konnten. Und die kommen damit ja auch zurecht. Ich stelle mir das immer gruselig vor, wenn man mir ein Instrument hinstellen würde, ich auch dankbar sein muss, weil es hunderttausende von Euro wert ist, ich aber mit bestimmten Aspekten wie Klang einer Saite, Lautstärke, Größe etc. nicht wirklich zufrieden wäre. Das wäre dann harte Arbeit, sich so weit mit dem Instrument vertraut zu machen, dass man diese (subjektiven) Schwachstellen akzeptieren oder das Instrument so spielen könnte, dass sie einem nicht mehr auffallen.

Bedenke trotz Onlinebestellung, dass du die Geige auch mal zum Geigenbauer bringen und neu einstellen lassen oder mit anderen Saiten experimentieren kannst, die vielleicht weniger laut sind oder das Instrument anders klingen lassen.
 
  • Gefällt mir
  • Interessant
Reaktionen: 2 Benutzer
Eine neue Geige ist ähnlich wie zumidest früher ein Motor war der am besten läuft wenn er sorgsam erst mal auf Halbgas usw eingefahren wurde
 
  • Interessant
Reaktionen: 2 Benutzer
Dank an @Fidi987 und @120 für Euer Mitfiebern. Ich habe mich diese Woche zu meinem Jugendfreund Klaus auf den Weg gemacht, studierter Bratscher der aktuell oft als Geiger muckt, derzeit ebenfalls auf der Suche nach einer etwas feineren Geige ist. Wir hatten dann bei ihm eine "C. Götz" in der Preisklasse von 1,5k, sein "Leihinstrument" (Barock, ca. 20k) sowie die "Mahr" und meine "F. Hertzsch (sie hat noch keinen Namen)" beide zwischen 6 und 7k. Wie haben die Geigen in unterschiedlichen Reihenfolgen gespielt, der Zuhörer hat aber nicht hingeschaut welche Geige dran ist = Blindtest. Verschiedene Lautstärken, unterschiedliche Phrasierungen, Lagen, Arpeggien, Tonleitern, kurze Melodien. Wir mussten regelmäßig Pausen einlegen, denn nach 20 Minuten konzentriertem Hören auf Nuancen machten bei beiden von uns die Ohren zu und es kam Quatsch in die Bewertungen. War unfassbar anstrengend und hat richtig Spaß gemacht.

Die C. Götz und die Barockgeige haben sich selten vorne platziert, die "Mahr" und die "Hertzsch" haben sich fast immer wieder durchgesetzt, mit "meiner" Hertzsch die am häufigsten den Extrakick hatte. Für den Hörer.
Anders allerdings beim Spielen, da war die Barockgeige (eine extreme Zicke) mit dem angenehmsten Ton, die Götz war unauffällig, die Mahr hat Spaß gemacht und die "sie hat noch keinen Namen" war am Ohr einfach sehr anstrengend.

Und anders als der Klaus, der sein Geld damit verdient vor anderen Menschen tolle Musik zu machen, bin ich doch überwiegend allein mit meinem Instrument und muss das dann ertragen. Um es kurz zu machen: sie hat sich heute wieder auf den Weg nach Treppendorf gemacht. Die Bögen sind auch alle mit ins Paket gekommen, das ist der "einfachste" Part, anders als bei Geigenbauern habe ich einen Bogenbauer des Vertrauens, da hätte ich auch gleich hinfahren können.

Ja, @Fidi987 das war einfach ein Versuch ohne Verlustrisiko. Corilon überfordert mich gerade etwas, aber auch bei Thomann musste ich ne ganze Weile schauen, bis ich mich für ein Instrument zum Test entscheiden konnte. Vielleicht stöbere ich da gründlich und übe weiter, um mich bald wieder fit für die Situation "Kauf beim Geigenbauer" zu fühlen.
 
  • Interessant
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
Und die Geige? Hat sich heute nicht weiter "geöffnet". Anders als meine Finger in der linken Hand, die fühlen sich sehr offen an.

Und auch wenn ich sehr sicher sein kann, dass ich meine Spieltechnik allein daheim wieder etwas besser hinbekommen kann - ich glaube es ist soweit, dass ich mal wieder ein paar Unterrichtsstunden nehmen werden.

Meine Erfahrung mit Einspielen meiner geklonten Guarneri-Wilton Geige:
1. Tonleitern spielen langsam, von 1 Lage bis in die höchste Lage. Penibel auf Intonation achten.
In der Praxis heißt das, daß Du auf deiner alten Geige prüfst bzw. dich penibel vorbereitest.
Die hohen Lagen sind extrem wichtig, sonst öffnet sich die Geige nicht richtig. Umgegekehrt schließt sie sich ein wenig, wenn das vernachlässigt wird. Es dauert aber bei meinen Geigen viel länger.
2. Geduld haben. Nach ein paar Monaten sollte ein deutlicher Unterschied hörbar sein.
3. Siehe 2.
4. Dynamik: 1. Wiederholen in Piano statt Mezzoforte
5. Dynamik: 1. Wiederholen in Forte statt Mezzoforte

Weitere Wiederholungen mit noch leiseren und noch lauteren Tonleitern würde ich erst nach ein paar Wochen machen (wenn sich etwas hörbar am Klang geändert hat.
Aufnahmen zum Prüfen könnten hilfreich sein, aber gute Geigenaufnahmen sind extrem schwierig...

Stücke spielen im Maßen, immer auf Intonation achten. Schlechte Intonation hörst Du später im Instrument.
Und mit Intonation meine ich die "natürlliche" Intonation mit viel Obertönen.

Saiten, die laut, aber nicht obertonreich sind, eignen sich meiner Meinung nach nicht zum Einspielen.
Leider sind viele Saiten am Markt für solistische Musiker optimiert (laut, durchsetzungfähig aber relativ langweilig im Klang).

Viel Erfolg beim Einspielen.

Edit: Oh, schon auf dem Rückweg.. Ja, die Geige ist ein komplexes Instrument. Mit Geduld kann man schon durch den Wechsel von Saiten ein geändertes Klangbild erreichen.
Aber der Grundklang muß natürlich gefallen. Ich würde (und habe) mir Beispiele von verschiedenen Geigen anhören, deren Herkunft ich kenne.
Dann weiß ich auch, in welche Richtung der Klang sein soll, der mir gefällt (vergleiche mal Guarneri mit Stradivari, beides Italiener, sehr unterschiedlich).
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben