Die bendings und Drückungen an den Bünden scheinen mir zwar nicht geeignet, den Bereich des Hook'schen Gesetzen zu verlassen (die Grundstimmung bleibt ja erhalten) .
Ja und nein: Hook'sches lineares Verhalten gibt es nur in einem idealen, starren Material :
Die Materialermüdung! Wurde ja oben schon beschrieben. Ich differenziere es nochmal:
Eine neue Saite hat eine relativ gleichmäßige Kornstruktur, während die alte Seite immer ungleichmäßiger wird, weil der dauerhafte Zug immer auf die schwächste Stelle geht und diese dehnt und damit über die Zeit plastisch verformt. Das gleicht der Nutzer durch ein permanentes unmerkliches Nachstimmen aus. Insofern gleibt die Stimmung gleich.
Das Resulat ist aber auf Dauer eine Saite, die an manchen Stellen mehr gestreckt ist, also minimal dünner ist, als an anderen. Wieviel das ist, hängt von der initialen Qualität der Saite ab. Da gibt es natürlich Qualitätsunterschiede. Die Folge davon ist aber grundsätzlich die Vorspannung der bereits unbeweglichen Saite langfristig nicht mehr gleichmäßig, weil zwar die Kraft über die Länge konstant ist, der Durchmesser aber nicht und vor allem die innere Struktur nicht. Eine minimal dünnere Stelle kriegt bereits mehr Spannung ab, da Kraft = Spannung x Fläche. Genauer betrachtet ist es das Flächenintegral über die Fläche und der Spannung, die nicht an jeder Stelle gleich ist. Diesbezüglich ergibt sich eine mittlere Kraft als Summe aller beteiligeten Flächenteile eines Querschnitts.
Wenn man nun die Saite steicht oder zupft, erzeugt man an allen Punkten eine zusätzliche Spannung, die aber nicht überall gleich ist: An den Einspannungen und der Zupfstelle (bei Klavier die Hammertreffstelle) ist sie am Höchsten, weil dort die stärksten Knicke sind. Die Spannungen rasen beim Loslassen durch das Material und bilden unterschiedlichen Zug auf die einzelnen Atome/ Saitenbereiche. Die Einspannstelle wird dadurch stark zur Mitte beschleunigt oder aus der Nulllage bewegt und schnellt über das gegenüberliegende Maximum / die Nulllage hinaus: Das ergibt dann nicht den oft angenommenen geometrischen Cosinusverlauf über der Saite oder eine Parabel, sondern es ist eine Welle, wie man sie dreidimensional in Wasser sehen kann, in das ein Tropfen fällt. Diese partiellen Spannungen wandern durch das Material, werden an den Seiten reflektiert und würden ohne Dämpfung theoretisch ewig bestehen. Allerdings werden die Aufhängungen an den Seiten gezogen und gebogen, entnehmen Spannungen, biegen das Holz im Klavier, der Geige oder eben der Gitarre und geben später wieder anders klingende Schwingungen hinein. Besonders die von den Einspannungen induzierten Schwingen schieben viele Oberwellen in die Saite.
Als Folge hat so eine Saite niemals keine konstante Spannung über die gesamte Länge, sondern jedes Element / jede Spannungszone hat ein eigenes Reflektions- und Weiterleitungsverhalten - auch wegen der oben angemerkten minimal anderen Masse. Diese Spannungen breiten sich dabei nur theoretisch gleichförmig aus - praktisch werden sie an einem Spannungszonenübergang etwas gebremst und damit teilweise reflektiert, so wie Licht und Schall in wabernder Luft in der Wüste oder an unterschiedlich heißen Luftschichten. Im Weiteren bedingen die Körner, dass die Spannungen in der Saite auch etwas quer laufen, wodurch sich auch transversale Kräfte ergeben, die dazu führen, dass die Saitenelemente leicht tordiert und quer elongiert wird. Die Saite zieht sich also nicht perfekt zusammen, sondern krümmt sich wie ein Wurm. Das erzeugt ein 3D-Spannungsgefüge und einen 2D-Wegeverlauf über die Länge. Schaut man über die Saite in die Z-Achse, bekommt man je nach Punkt andere Koordinaten für X und Y, d.h. die Schwingungsenergie steckt keinesfalls nur in einem ansteigenden und ab der Mitte abfallenden Y!
Wenn nun das Material sehr inhomogen ist, dann zerfällt die Saite sozusagen in einzelne geometrische Elemente, welche die dynamisch einlaufenden Wellen nicht nur jeweils anders reflektieren, sondern sogar auch noch neue induzieren. Diese sind völlig atonal, passen also weder zur Saitenlänge noch zur Gesamtspannung und interferieren teilweise miteinander, d-h. sie verlöschen oder kompensieren sich. Das ist wie eine schunkelnde Partygesellschaft, wo einige zu fett sind und zu viel "Phasenverschiebung" generieren: Das tendiert eher zum Chaos und läuft sich alles eher tot.
Diese ganzen Wellen und Spannungen haben wie gesagt erst einmal mit dem Ton nichts zu tun und klingen für sich auf irgendwelchen Frequenzen. Die sind in Metall z.T. auch recht hoch, wegen der hohen Schallausbreitungsgeschwindigkeit von >5km/s und der geringen Masse des jeweils betrachteten Elements. Man hört sie nur praktisch nicht, weil sie überwiegend längst in der Saite stecken und größtenteils auch im Ultraschallbereich liegen.
Was halt bei der Gitarre und anderen Instrumenten entscheidend ist, ist eine Anzahl von Resonanzfrequenzen (nicht zuletzt der Grundfrequenz), die das System bildet, die wie ein Equalizer aus der Energie aller Schwingungen immer wieder die für sie charakteristische Frequenz entnehmen und in das Instrument zurückwerfen. Daher tönt die Gitarre im Wesentlichen auf dem Grundton und einigen wenigen dominanten Obertönen.